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BFH-Urteil vom 8.4.1987 (X R 67/81) BStBl. 1987 II S. 575

Eine allein an das FG adressierte, an das FA gelangte Klage ist auch dann nicht bei dieser Behörde i. S. des § 47 Abs. 2 Satz 1 FGO angebracht, wenn das FA den (Fenster-)Umschlag, in dem sich die Klageschrift befindet, zwar mit einem Datumsstempel versieht, aber ungeöffnet an das FG weiterleitet.

FGO § 47 Abs. 2 Satz 1.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) wurde wegen Nichtabgabe der Steuererklärung vom Beklagten und Revisionkläger (Finanzamt - FA -) im Wege der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen zur Umsatzsteuer 1977 herangezogen. Der hiergegen eingelegte Einspruch führte zu einer Erhöhung der Umsatzsteuerschuld und im übrigen zur Zurückweisung des Rechtsbehelfs. Die Einspruchsentscheidung wurde am 3. Dezember 1980 zugestellt. Die allein an das Finanzgericht (FG) adressierte Klageschrift vom 2. Januar 1981 (einem Freitag) wurde in einem Fensterumschlag in den Hausbriefkasten des FA eingeworfen, erhielt dort auf dem Umschlag mit der Frankiermaschine des FA den Datumsstempel vom 5. Januar 1981 (einem Montag) und ging am 7. Januar 1981 beim FG ein.

Das FG hielt die Klage, unabhängig von Zweifeln hinsichtlich der Einzelheiten der Übersendung, allein deshalb für zulässig, weil aufgrund des mit der Frankiermaschine aufgedruckten Datums feststehe, daß die Klage rechtzeitig in den räumlichen Machtbereich des FA gelangt sei. Es entsprach dem inzwischen durch Abgabe einer Steuererklärung begründeten Klagebegehren ...

Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 47 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Zur Begründung trägt es vor, "angebracht" i. S. des § 47 Abs. 2 FGO sei eine Klage bei einer Behörde nur, wenn diese auch als Adressat benannt oder zumindest durch einen Adressatenzusatz angesprochen sei. Fehle es hieran, so sei die Klage der Behörde nicht zugegangen, weil diese, nicht zuletzt wegen des Briefgeheimnisses, von ihrem Inhalt keine Kenntnis nehmen könne. Infolgedessen sei der Nachweis des Eingangs in solchen Fällen fraglich, wenn nicht, wie hier, das Datum der Weitersendung feststehe. Darauf aber könne es nicht ankommen, weil die Nachweisfrage des Zugangs dann mehr oder weniger von Zufälligkeiten abhänge.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt § 47 Abs. 2 FGO. Zu Unrecht hat das FG die Klage als zulässig angesehen. Sie ist nicht rechtzeitig beim FA angebracht und verspätet beim FG erhoben worden.

Gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1, § 64 Abs. 1 Satz 1 FGO ist eine Klage grundsätzlich innerhalb der einmonatigen Klagefrist schriftlich beim FG zu erheben. Das ist hier nicht geschehen. Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 FGO genügt es jedoch zur Fristwahrung u. a. , wenn die Klage bei der Behörde, welche die angefochtene Entscheidung erlassen hat, innerhalb der Frist angebracht oder zur Niederschrift gegeben wird. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - (Urteile vom 5. Dezember 1974 IV R 179/70, BFHE 114, 402, BStBl II 1975, 337; vom 26. August 1977 VI R 98/75, BFHE 123, 122, BStBl II 1977, 841; vom 3. August 1978 VI R 171/75, BFHE 125, 493, BStBl II 1978, 667, 669, und vom 7. August 1985 I R 131/83, BFH/NV 1986, 168) ist eine Klage i. S. des § 47 Abs. 2 Satz 1 FGO "angebracht", wenn sie derart in den Verfügungsbereich der Behörde gelangt, daß diese davon Kenntnis nehmen kann. Entgegen der von der Vorinstanz vertretenen Ansicht (vgl. auch Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 47 FGO Tz. 6; Schroeder, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1982, 515; FG Düsseldorf, Urteil vom 27. Oktober 1980 I 810/78 E, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1981, 404, und Zwischenurteil vom 3. November 1982 VI 253/82 H (U), EFG 1983, 361; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 28. Februar 1985 X-K 171/83, EFG 1985, 401, und Claßen, Deutsche Steuer-Zeitung - DStZ - 1987, 68 f.) sind die Voraussetzungen des § 47 Abs. 2 Satz 1 FGO grundsätzlich nicht allein deshalb erfüllt, weil die Klageschrift in den räumlichen Machtbereich der Behörde gelangt ist. Der Briefumschlag muß vielmehr erkennen lassen, daß die Sendung für das FA bestimmt ist.

Das folgt schon aus dem Wortsinn der Vorschrift. Zwar können mit dem Verb "anbringen" generell unterschiedliche Vorgänge umschrieben werden. Es kann (mit Akkusativobjekt) "herbeibringen", (mit der Präposition "an") "befestigen" und "vortragen", "äußern" oder (mit der Präposition "bei") "geltend machen" bedeuten (Agricola/Küfner, Wörter und Wendungen, 1970, sowie Duden, Bedeutungswörterbuch, 2. Aufl., 1983, zum Stichwort "anbringen"). Daß in § 47 Abs. 2 Satz 1 FGO die letztgenannte Bedeutung gemeint ist, ergibt sich rein sprachlich aus dem syntaktischen und aus dem inhaltlichen Zusammenhang: Die Rede ist von der Anbringung "bei" (nicht etwa "an") der Behörde, und Objekt des Geschehens ist die in einem Schriftstück verkörperte Willensbekundung "Klage".

Daß der in § 47 Abs. 2 Satz 1 FGO geregelte Vorgang auf eine innere Zielrichtung abstellt und somit auch ein finales Element enthält, wird bestätigt durch den Gesetzeszusammenhang: Für die Wahrung der Klagefrist ist der unmittelbaren Erhebung der Klage "bei" Gericht (§ 64 Abs. 1 Satz 1 FGO) gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 FGO der Fall gleichgestellt, daß die Klage "bei" einer bestimmten Behörde angebracht oder zur Niederschrift gegeben wird. Alle drei Fälle setzen das Bestreben des Absenders voraus, daß die Klageschrift von demjenigen, der - in welcher Eigenschaft auch immer - mit ihr befaßt wird, als solche erkannt werden kann.

Beim FA angebracht ist eine Klage grundsätzlich nur, wenn der die Klageschrift enthaltende Briefumschlag erkennbar für das FA bestimmt ist (BFHE 114, 402, BStBl II 1975, 337; BFH/NV 1986, 168), ausnahmsweise auch dann, wenn eine solche postalische Bestimmung zwar fehlt, das FA aber die Klageschrift gleichwohl tatsächlich zur Kenntnis nimmt.

Weder das eine noch das andere war hier der Fall. Der Umschlag, in dem sich die Klageschrift befand, ließ keine Adressierung an das FA erkennen und wurde von diesem ungeöffnet an das FG weitergeleitet. Auf weitere Modalitäten des tatsächlichen Geschehensablaufs (die Stempelung des Fensterumschlags durch das FA, die Möglichkeit, daß sich der Umschlag mit der Klageschrift womöglich zusammen mit weiteren Schriftstücken in einem größeren Umschlag befunden hat usw.) kommt es nicht an.

Das vom BFH in ständiger Rechtsprechung vertretene Verständnis des § 47 Abs. 2 Satz 1 FGO bedeutet keine unzumutbare Erschwerung des Zugangs zu Gericht. Vom Absender einer Klage wird nur etwas verlangt, was im allgemeinen Schriftverkehr auch sonst üblich ist, daß nämlich ein in die Übermittlung eines Schriftstücks eingeschalteter Dritter in seiner Mittlerrolle zur Abgrenzung vom eigentlichen Empfänger in irgendeiner Form bezeichnet wird (vgl. zu den verfassungsrechtlichen Einwänden gegen die BFH-Rechtsprechung im übrigen BFH/NV 1986, 168, 169).

Da Wiedereinsetzungsgründe nicht ersichtlich sind, konnte der Senat in der Sache selbst entscheiden. Die Aufhebung des angefochtenen Urteils führt zusammen mit der Klageabweisung zur Bestätigung der Einspruchsentscheidung des FA. ...