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BFH-Beschluß vom 15.4.1987 (IX B 99/85) BStBl. 1987 II S. 577

Unterläßt es ein Beteiligter, einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, so verliert er sein Ablehnungsrecht auch für ein nachfolgendes Verfahren, wenn beide Verfahren tatsächlich und rechtlich zusammenhängen.

FGO § 51; ZPO § 43.

Sachverhalt

Die Antragsteller und Beschwerdeführer (Beschwerdeführer) erwarben 1978 als "Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR)" ein Grundstück in K zur Bebauung mit einem Zweifamilienhaus. Sie verzichteten mit Baubeginn gemäß § 9 des Umsatzsteuergesetzes 1973 (UStG) auf die Steuerbefreiung gem. § 4 Nr. 12 a UStG und machten in der Folge den Vorsteuerabzug gem. § 15 UStG geltend.

Beide Wohnungen des Zweifamilienhauses wurden von der "GbR" zu privaten Zwecken vermietet, eine an den Beschwerdeführer. Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) versagte den Vorsteuerabzug.

Im Verfahren der gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung 1980 vertrat das FA die Auffassung, die gem. § 9 b des Einkommensteuergesetzes (EStG) geltend gemachten Vorsteuerbeträge in Höhe von 51.053 DM seien keine sofort abziehbaren Werbungskosten, sondern gehörten zu den Herstellungskosten des Gebäudes.

Gegen die Einspruchsentscheidung in der Sache gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung der GbR für 1980 haben die Beschwerdeführer nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage erhoben (Az. des Finanzgerichts - FG - V K 82/84). Die Beschwerdeführer beantragten am 25. September 1985 beim FG die Aussetzung der Vollziehung dieses Feststellungsbescheides. Mit Schriftsatz vom 2. Oktober 1985 lehnten die Beschwerdeführer in diesem Verfahren den Richter Dr. X wegen Besorgnis der Befangenheit ab, die sie mit dem Verhalten des Richters in dem Rechtsstreit vor dem FG zum Az. V 432/80 U begründeten. Im einzelnen machen die Beschwerdeführer geltend: In jenem Verfahren sei es um die Frage gegangen, ob Vorsteuern aufgrund der Vermietung des von der GbR errichteten Gebäudes hätten abgezogen werden dürfen. Dabei habe der abgelehnte Richter versucht, das Verfahren ohne Entscheidung dadurch zu beenden, daß er sie zur Zurücknahme ihrer Klagen aufgefordert habe. Bei einer Erörterung habe man den abgelehnten Richter so verstehen müssen, daß er andernfalls "negativ" entscheiden müsse. Durch Schreiben vom 22. April 1981 habe der Richter dem FA mitgeteilt, daß er im Betreiben des Verfahrens in der Umsatzsteuersache V 432/80 U seitens der Kläger einen Tatbestand der Steuerhinterziehung sehe, den er somit zwecks weiterer Bearbeitung anzeige. Den Beschwerdeführern wurde eine Durchschrift dieses Schreibens zur Kenntnisnahme übersandt.

Am 29. Juli 1981 fand in dem Verfahren V 432/80 U ein Erörterungstermin vor dem jetzt abgelehnten Richter statt. Die Beschwerdeführer erklärten in diesem Termin, daß sie mit einer Entscheidung des FG ohne mündliche Verhandlung einverstanden seien.

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Beschluß vom 15. November 1984 V R 170/81 die Revision gemäß Art. 1 Nr. 7 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs zurückgewiesen. Die Verfassungsbeschwerde blieb ebenfalls erfolglos (Beschluß vom 11. Juni 1985 1 BvR 119/85).

In dem Verfahren der Aussetzung der Vollziehung des Feststellungsbescheides für 1980 hat sich der abgelehnte Richter am 8. Oktober 1985 dahingehend dienstlich geäußert, daß er "aus einem offenen Meinungsaustausch mit einem Steuerberater unter Wahrung der Form keinen Befangenheitsgrund abzuleiten vermöge, erst recht nicht, nachdem Jahre vergangen und zwischenzeitlich weitere Verfahren beanstandungslos durchgeführt worden seien".

Das FG führte in seinem den Befangenheitsantrag vom 2. Oktober 1985 ablehnenden Beschluß vom 22. Oktober 1985 V A 381/85 aus, es könne dahinstehen, ob die von den Beschwerdeführern mit Schriftsatz vom 2. Oktober 1985 vorgebrachten Ablehnungsgründe geeignet seien, eine Besorgnis der Befangenheit gegen den abgelehnten Richter zu begründen. Denn die Beschwerdeführer hätten insoweit ihr Ablehnungsrecht nach § 51 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 43 der Zivilprozeßordnung (ZPO) verloren.

Eine Verwirkung des Ablehnungsrechts sei bereits dadurch eingetreten, daß die Beschwerdeführer trotz Kenntnis der nunmehr geltend gemachten Befangenheitsgründe im Erörterungstermin vom 29. Juli 1981 im Verfahren V 432/80 U vor dem abgelehnten Richter ihr Einverständnis für eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt hätten. Dieser Verlust des Ablehnungsrechts wirke nach Auffassung des Senats auch in dem dem Befangenheitsgesuch zugrunde liegenden Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung des Feststellungsbescheides 1980 fort. Denn beide Rechtsstreite ständen in einem engen tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhang. Die im erstgenannten Verfahren rechtskräftig versagte Berechtigung zum Vorsteuerabzug gem. § 15 UStG habe unmittelbaren Einfluß auf die Einkunftsermittlung aus Vermietung und Verpachtung im Rahmen des Feststellungsverfahrens für 1980. Das ergäbe sich auch eindeutig aus der von den Beschwerdeführern für das Aussetzungsbegehren gegebenen Begründung. Unter diesen Umständen erscheine es dem Senat nicht gerechtfertigt, die Präklusionsfolge des § 43 ZPO, die der schnellen und endgültigen Klärung der Mitwirkung eines Richters am Verfahren nach Bekanntwerden eines Ablehnungsgrundes diene, bloß auf den jeweils anhängigen Rechtsstreit zu beschränken (Hinweis auf Thomas/Putzo, Zivilprozeßordnung, 13. Aufl., § 43, Anm. 1, m. w. N.).

Die Beschwerdeführer beantragen sinngemäß, unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, den Richter am FG Dr. X wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde gegen den Beschluß des FG, mit dem der Befangenheitsantrag abgelehnt wurde, ist nicht begründet. Die Beschwerdeführer haben ihr Rügerecht verloren (§ 51 FGO i. V. m. § 43 ZPO). Sie haben sich zwar nicht auf eine Verhandlung in dem Verfahren eingelassen, in dem sie ihren Ablehnungsantrag vorgebracht haben. Die Vorinstanz ist aber zu Recht davon ausgegangen, daß die Beschwerdeführer ihr Ablehnungsrecht im vorliegenden Verfahren verloren haben, weil sie sich, ohne den ihnen bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, vor dem FG in dem Umsatzsteuerverfahren (V 432/80 U), das mit dem Verfahren der Aussetzung der Vollziehung des Feststellungsbescheides 1980 in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zusammenhängt, in eine Verhandlung eingelassen und Anträge gestellt haben. Das Abhalten des Erörterungstermins war eine Verhandlung i. S. des § 43 ZPO, und die Erklärung der Beschwerdeführer, mit der sie einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zustimmten, war ein Antrag i. S. dieser Vorschrift (vgl. Beschluß des Oberlandesgerichts - OLG - München vom 10. Oktober 1979 UF 578/78, Monatsschrift für Deutsches Recht - MDR - 1980, 145; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 45. Aufl., 1987, § 43 Anm. 2 C).

Wenn die Beschwerdeführer meinten, im Umsatzsteuerverfahren einen Anlaß zur Besorgnis der Befangenheit zu haben, so hätten sie den Richter bereits in diesem Verfahren ablehnen müssen. Die Beschwerdeführer haben indessen mit ihrem Verzicht auf eine mündliche Verhandlung und dem Unterlassen der Ablehnung des jetzt abgelehnten Richters auf die Möglichkeit verzichtet, dem für die Entscheidung berufenen Senat ihre Auffassung darzulegen und eine etwaige Befangenheit des Richters, der den Erörterungstermin wahrgenommen hat, geltend zu machen.

Der Senat teilt nicht die in der Rechtsprechung und im Schrifttum vertretene Ansicht, daß die Vertrauenskundgebung durch Verhandeln und Stellen von Anträgen nicht von der einzelnen Prozeßsache losgelöst beurteilt werden könne, weil das Recht, einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, durch ein Verhandeln vor diesem Richter nur für den anhängigen Rechtsstreit verlorengehe; der Ablehnungsgrund könne vielmehr in einem anderen Verfahren erneut geltend gemacht werden, weil § 43 ZPO wie alle prozessualen Vorschriften eine Regelung nur für den betreffenden Prozeß sei (vgl. OLG Celle, Beschluß vom 30. November 1950 8 W 63/50, Niedersächsische Rechtspflege 1951, 11; OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 13. September 1954 12 W 16/54, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1955, 553, und vom 20. März 1956 12 W 5/56, Justizministerialblatt - JMBl - Nordrhein-Westfalen 1956, 161). Nach dieser Meinung kann derselbe Umstand in den Augen der Partei für den einen Rechtsstreit geringere, für den anderen größere Bedeutung haben, und die Partei braucht bei ihren Dispositionen in dem einen Verfahren noch nicht an den anderen Prozeß gedacht zu haben (vgl. Leipold in Stein/Jonas, Zivilprozeßordnung, 20. Aufl., 1984, § 43 Anm. 2; Sydow/Busch, Zivilprozeßordnung und Gerichtsverfassungsgesetz, 22. Aufl., 1941, § 43 Anm. 2 - ohne nähere Begründung -; Wieczorek, Zivilprozeßordnung und Nebengesetze, 2. Aufl., 1976, § 43 Anm. B II; Zöller/Vollkommer, Zivilprozeßordnung, 15. Aufl., 1987, § 43, Rn 7; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 14. Aufl., 1986, § 25 II 3 a, S. 139; Teplitzky in NJW 1967, 2318, MDR 1970, 106, Deutsche Richterzeitung - DRiZ - 1974, 24; Wassermann, Juristische Rundschau - JR - 1961, 401, 405).

Der Senat teilt aber auch nicht die Auffassung, der Zweck der Vorschrift des § 43 ZPO, so bald wie möglich endgültige Klarheit darüber zu schaffen, ob ein Richter an einem Verfahren mitzuwirken habe, gebiete es in jedem Falle, den Verlust des Rügerechts in früheren Verfahren auch im Folgeprozeß zu berücksichtigen, weil § 43 ZPO eine unwiderlegbare Vermutung dafür aufstelle, daß eine Partei mit der Person desjenigen Richters einverstanden sei, vor dem sie sich trotz eines ihr bekannten Ablehnungsgrundes in eine Verhandlung einlasse oder Anträge stelle (OLG Hamm, Beschluß vom 27. Juni 1967 9 U 206/66, NJW 1967, 1864). Das gelte grundsätzlich für das Verhandeln einer Partei im anhängigen Verfahren. Sei aber ein Ablehnungsgrund durch Weiterverhandeln in einem früheren Verfahren verlorengegangen, so könne der Ablehnungsgrund auch in einem anderen Rechtsstreit nicht mehr geltend gemacht werden. Denn wer den Richter in einem voraufgegangenen Verfahren nicht abgelehnt habe, müsse, weil alle Umstände des Falles zu berücksichtigen seien, damit rechnen, daß bei einem späteren Ablehnungsgesuch geprüft werde, warum die Ablehnung früher nicht geltend gemacht worden sei (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, a. a. O., § 43 Anm. 2 B; vgl. dazu auch Landgericht Dortmund, Beschluß vom 10. August 1965 11 T 38/65, NJW 1966, 206). Mit dem Sinn und Zweck des § 43 ZPO sei es unvereinbar, einer Partei die Möglichkeit zu gewähren, die ihr bekannten Ablehnungsgründe zunächst zu sammeln, um sie in einem späteren Verfahren aus irgendwelchen Gründen geltend zu machen. Die Vorschrift diene erkennbar dem Zweck, endgültig Klarheit darüber zu schaffen, ob eine Partei einen ihr bekannten Sachverhalt zum Gegenstand eines Ablehnungsgesuches machen wolle oder nicht. Demgemäß knüpfe die Vorschrift den Ausschluß des Ablehnungsrechts allein daran an, daß die Partei sich in Kenntnis der Ablehnungsgründe in eine Verhandlung vor dem abgelehnten Richter eingelassen habe. Der Senat ist vielmehr der auch vom FG vertretenen Auffassung, daß der Verlust des Rügerechts in einem Verfahren nur dann zum Verlust in einem anderen Prozeß führt, wenn zwischen dem früheren und dem späteren Verfahren ein Zusammenhang in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht besteht. Damit wird den berechtigten Anliegen beider Rechtsansichten nach Klarheit, Prozeßökonomie, Verhinderung des Rechtsmißbrauches und gleichzeitiger Sicherung schutzwürdiger Parteirechte entsprochen (vgl. Schneider, Der Verlust des Rechts auf Befangenheitsablehnung im Folgeprozeß, MDR 1977, 441; vgl. auch Thomas/Putzo, a. a. O., 14. Aufl., 1986, § 43 Anm. 1). Liegen einem neuen Verfahren derselbe bestimmte Sachverhalt und die sich hieraus ergebenden Fragen zugrunde, entfällt die Rechtfertigung, den Verlust des Rügerechts nur für das zeitlich vorangegangene Verfahren anzunehmen. Eine Partei, die durch Einlassung auf eine Verhandlung oder das Stellen von Anträgen mindestens stillschweigend ihr Vertrauen in die Unbefangenheit des entscheidenden Richters zum Ausdruck gebracht hat, soll nicht ohne ihr neu bekanntgewordene Gründe die Unbefangenheit desselben Richters wieder in Zweifel ziehen können. Die Vertrauenskundgebung kann zwar nicht losgelöst von der einzelnen Prozeßsache beurteilt werden. Durch die Unterlassung der Ablehnung des Richters in einem Prozeß verliert die Partei ihr Recht, diesen Richter abzulehnen, aber jedenfalls dann auch für ein nachfolgendes Verfahren, wenn zwischen beiden Verfahren die Streitfrage betreffend ein Zusammenhang in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht besteht. Der Sinn und Zweck der Regelung des § 43 ZPO gebietet es im vorliegenden Fall, trotz der schwerwiegenden Umstände, auf die sich die Beschwerdeführer berufen können, daß der Verlust des Rügerechts während des Umsatzsteuerverfahrens auch im vorliegenden Verfahren durchgreift. Deshalb hat es die Vorinstanz zu Recht dahinstehen lassen, ob die von den Beschwerdeführern mit Schriftsatz vom 2. Oktober 1985 vorgebrachten Ablehnungsgründe geeignet sind, eine Besorgnis der Befangenheit gegen den abgelehnten Richter zu begründen. Denn der Verlust des Ablehnungsrechts im Umsatzsteuerverfahren wirkt aufgrund der gesamten Umstände des Falles auch im vorliegenden Rechtsstreit. Dies ergibt sich daraus, daß die Entscheidungen des Umsatzsteuerverfahrens und die des Verfahrens der Aussetzung der Vollziehung des Feststellungsbescheides 1980 betreffend Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung von der gleichen Tat- und Rechtsfrage abhängen. In beiden Verfahren hängt die Entscheidung davon ab, ob die Beschwerdeführer die Wohnungen des Zweifamilienhauses an Unternehmer vermietet haben. Nur wenn dies zu bejahen ist, sieht einerseits § 15 UStG die Abziehbarkeit des Vorsteuerbetrages von der Umsatzsteuer vor und zählt andererseits der Vorsteuerbetrag einkommensteuerrechtlich nicht zu den Anschaffungs- oder Herstellungskosten nach § 9 b EStG. Die Streitfragen in den Verfahren betreffend Umsatzsteuer und gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung hängen insoweit also sowohl in tatsächlicher wie auch durch die vom Gesetz gewollte Wechselwirkung in rechtlicher Hinsicht zusammen.