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BFH-Urteil vom 19.5.1987 (VIII R 39/83) BStBl. 1987 II S. 590

Wird bei zusammenveranlagten Ehegatten wegen verspäteter Abgabe der Einkommensteuererklärung ein Verspätungszuschlag festgesetzt, so schulden die Ehegatten den Verspätungszuschlag als Gesamtschuldner.

Ein solcher Verspätungszuschlag konnte auch schon vor dem Inkrafttreten der Änderung des § 155 Abs. 3 AO 1977 durch Art. 1 Nr. 22 des Steuerbereinigungsgesetzes 1986 (BGBl I 1985, 2436) in einem zusammengefaßten Bescheid festgesetzt werden.

AO 1977 § 1 Abs. 3, § 44 Abs. 1, § 152, § 155 Abs. 3; AO § 168; EStG § 26b, § 32a Abs. 5; EStDV 1975 § 57a; GG Art. 6 Abs. 1.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg (EFG 1983, 156)

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die für das Streitjahr (1975) zur Einkommensteuer zusammenveranlagt worden sind. Die Frist zur Abgabe der Einkommensteuererklärung 1975 war ihnen antragsgemäß zunächst bis zum 28. Februar 1977 und anschließend bis zum 30. April 1977 verlängert worden. Am 19. August 1977 ging die Einkommensteuererklärung 1975 beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) ein. In der Erklärung, die von beiden Ehegatten unterschrieben worden war, wurde die Zusammenveranlagung beantragt.

In dem an "Herrn und Frau X, ..., Straße, Ort" gerichteten Einkommensteuerbescheid 1975 vom 19. Oktober 1977, der im Jahr 1977 bekanntgegeben wurde, setzte das FA einen Verspätungszuschlag von 2.100 DM fest. Die Beschwerde hatte zum Teil Erfolg. Die Oberfinanzdirektion (OFD) setzte den Verspätungszuschlag auf 1.600 DM herab.

Die hiergegen gerichtete Klage, mit der die Kläger beantragten, die Nichtigkeit der Festsetzung des Verspätungszuschlags festzustellen, hatte Erfolg. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1983, 156 veröffentlicht worden.

Das FA rügt mit seiner Revision die Verletzung der § 44 Abs. 1, § 152 Abs. 1 und 2, § 155 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) sowie des § 26 b des Einkommensteuergesetzes (EStG) und des § 57 a der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV).

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil des FG aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Die Kläger sind der Auffassung, das FG habe den Verspätungszuschlag zu Recht aufgehoben. Ein einheitlicher Verspätungszuschlag sei mit Art. 6 des Grundgesetzes (GG) nicht vereinbar, denn er benachteilige Ehegatten gegenüber Nichtverheirateten. Ein Ehegatte könne nur sein eigenes Einkommen erklären. § 26 b EStG gebe keine Rechtsgrundlage für die Festsetzung eines Verspätungszuschlags.

Maßgebend für die Festsetzung eines Verspätungszuschlags könnten nur die Vorschriften der Abgabenordnung sein, die den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes und der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung vorgingen. Aus § 1 Abs. 3, § 155 Abs. 3 AO 1977 in der im Jahre 1977 geltenden Fassung folge, daß für das Streitjahr ein Verspätungszuschlag zum Nachteil von Ehegatten nicht in einem zusammengefaßten Bescheid habe festgesetzt werden dürfen. Die genannten Vorschriften könnten nicht gegen ihren Wortlaut in einem anderen Sinn ausgelegt werden.

Der Festsetzung eines Verspätungszuschlags komme besondere Bedeutung zu; sie dürfe nicht schematisch durch den Computer erfolgen. Die im Streitfall aufgeworfenen Fragen seien von grundsätzlicher Bedeutung für das Verhältnis des Staates zu seinen Bürgern, so daß es angezeigt erscheine, die Rechtsfragen dem Großen Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Entscheidung vorzulegen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist nicht nichtig.

1. Auf den Streitfall finden grundsätzlich die Vorschriften der AO 1977 Anwendung, weil der Verwaltungsakt, durch den der angegriffene Verspätungszuschlag festgesetzt worden ist, nach dem Inkrafttreten der AO 1977 erlassen worden ist. Etwas anderes gilt lediglich für die Vorschrift über den Verspätungszuschlag. Hier findet § 168 der Reichsabgabenordnung (AO) und nicht § 152 AO 1977 Anwendung, weil nach Art. 97 § 8 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) § 152 AO 1977 erstmals auf Steuererklärungen anzuwenden ist, die nach dem 31. Dezember 1976 einzureichen waren, wobei eine Verlängerung der Steuererklärungsfrist nicht zu berücksichtigen ist. Die das Streitjahr 1975 betreffende Steuererklärung war vor dem 31. Dezember 1976 einzureichen.

2. Das FA durfte gegen die Kläger als zusammenveranlagte Ehegatten einen einheitlichen Verspätungszuschlag festsetzen.

a) Das ergibt sich aus § 26 b EStG. Diese Vorschrift bestimmt, daß bei der Zusammenveranlagung von Ehegatten die Einkünfte, die die Ehegatten erzielt haben, zusammenzurechnen, den Ehegatten gemeinsam zuzurechnen und, soweit nichts anderes vorgeschrieben ist, die Ehegatten sodann gemeinsam als Steuerpflichtiger zu behandeln sind. Daraus folgt, daß es nur ein Einkommen und nur eine Einkommensteuer der Eheleute gibt (Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19. Aufl., § 26 b EStG 1979, grüne Blätter Anm.).

Nach Auffassung des Senats finden die Grundsätze des § 26 b EStG auch auf Verspätungszuschläge Anwendung, die wegen verspäteter Abgabe oder Nichtabgabe von Einkommensteuererklärungen gegen zusammenzuveranlagende Ehegatten festgesetzt werden, weil - wie sich aus der Begrenzung des Verspätungszuschlags auf 10 v. H. der festgesetzten Steuer (§ 168 Abs. 2 AO, heute § 152 Abs. 2 AO 1977) ergibt - ein enger Zusammenhang zwischen festgesetzter Einkommensteuer und festgesetztem Verspätungszuschlag besteht, der dazu führt, daß in den Fällen, in denen bei Ehegatten nur eine Einkommensteuer festgesetzt wird, auch nur ein Verspätungszuschlag festzusetzen ist.

Die Festsetzung eines einheitlichen Verspätungszuschlags verstößt entgegen der Auffassung der Kläger nicht gegen Art. 6 GG, der bestimmt, daß Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stehen. Es ist widersprüchlich, wenn die Kläger zwar die Vorteile der Zusammenveranlagung in Anspruch nehmen, nicht aber die damit verbundenen Pflichten erfüllen wollen.

Die Zusammenveranlagung hat zur Folge, daß die Einkommensteuer nach dem Splitting-Verfahren ermittelt wird. Dabei wird für die Hälfte des gemeinsamen zu versteuernden Einkommens die Steuer nach der Grundtabelle berechnet und die Steuer dann verdoppelt (§ 32 a Abs. 5 EStG). Durch diese Berechnung ergibt sich für Ehegatten gegenüber Nichtverheirateten im Regelfall eine beachtliche Steuerersparnis, die Anlaß für den Antrag der Ehegatten auf Zusammenveranlagung sein wird. Gegenüber diesem Vorteil können Nachteile aufgrund der Festsetzung eines einheitlichen Verspätungszuschlags nicht entscheidend ins Gewicht fallen.

b) Unterstützt wird diese Auffassung durch § 57 a EStDV, wonach Ehegatten, bei denen die Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung vorliegen, eine gemeinsame Steuererklärung abgeben müssen.

Der Einwand, § 57 a EStDV könne den Ehegatten keine Verpflichtungen auferlegen, weil für die Vorschrift keine wirksame Ermächtigungsgrundlage vorhanden sei, kann schon deshalb nicht durchschlagen, weil sich das in § 57 a EStDV vorgeschriebene Zusammenwirken der Ehegatten bei der Erfüllung ihrer Erklärungspflichten bereits aus den gesetzlichen Vorschriften zur Zusammenveranlagung selbst ergibt. Die Steuererklärung hat die Funktion und Zielsetzung, die Veranlagung und damit die Festsetzung der Steuer zu ermöglichen. Die Zusammenveranlagung nach § 26 b EStG beinhaltet die Ermittlung eines von beiden Ehegatten erzielten Einkommens und die Festsetzung eines von ihnen gemeinsam geschuldeten Einkommensteuerbetrags. Deswegen müssen die Ehegatten bereits bei der Abgabe der Einkommensteuererklärung in einer dem erstrebten materiell-rechtlichen Ergebnis entsprechenden Weise zusammenwirken. Dem Wesen der Zusammenveranlagung wird man nach Auffassung des Senats nicht gerecht, wenn man für ausreichend und geeignet hält, daß jeder Ehegatte eine gesonderte Erklärung über die seine Person betreffenden Besteuerungsmerkmale abgibt.

3. Das FA durfte den gegen die Ehegatten festgesetzten Verspätungszuschlag auch in einem zusammengefaßten Bescheid i. S. von § 155 Abs. 3 AO 1977 festsetzen.

a) In § 155 AO 1977 oder an anderer Stelle dieses Gesetzes in der für das Jahr 1977 geltenden Fassung ist allerdings nicht besonders bestimmt, daß § 155 Abs. 3 AO 1977 auch auf steuerliche Nebenleistungen anzuwenden ist, zu denen nach § 3 Abs. 3 AO 1977 auch Verspätungszuschläge gehören. Daher ist § 155 Abs. 3 AO 1977 in der für das Jahr 1977 geltenden Fassung nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 3 Satz 2 AO 1977 nicht anzuwenden. Der Sinn und Zweck der § 1 Abs. 3, § 155 Abs. 3 AO 1977 gebieten aber die Auslegung, daß die Einschränkung des § 1 Abs. 3 Satz 2 AO 1977 für die Anwendung des § 155 Abs. 3 AO 1977 auf Verspätungszuschläge nicht gilt. Eine andere Auslegung führte zu einem sinnwidrigen Ergebnis.

b) Wie bereits dargelegt (s. oben 2.), sind die Grundsätze des § 26 b EStG auch auf Verspätungszuschläge bei zusammenveranlagten Ehegatten anzuwenden. Daraus ergibt sich, daß bei zusammenveranlagten Ehegatten - bei verspäteter Abgabe der Einkommensteuererklärung - auch nur ein Verspätungszuschlag festzusetzen ist. Bei der Einkommensteuer ist die Konsequenz, die der Gesetzgeber aus der Festsetzung nur eines Steuerbetrages bei zusammenveranlagten Ehegatten gezogen hat, daß diese Festsetzung in einem zusammengefaßten Bescheid erfolgen kann. Es wäre sinnwidrig, wenn man bei völlig gleichen Vorbedingungen für Verspätungszuschläge den Erlaß von zwei Bescheiden verlangen wollte.

c) Für eine Auslegung des § 1 Abs. 3 AO 1977 im vorstehend dargestellten Sinne spricht auch § 276 Abs. 4 AO 1977. Nach dieser Vorschrift gehören zu dem Begriff der "rückständigen Steuern" im Sinne der Regelungen über die Aufteilung einer Gesamtschuld auch Verspätungszuschläge. Folglich gibt es nach der Vorstellung des Gesetzgebers auch Verspätungszuschläge, die die Voraussetzungen des § 268 AO 1977 erfüllen, also die von mehreren Personen als Gesamtschuldner geschuldet werden, weil der Verspätungszuschlag gegen sie zusammen festgesetzt worden ist.

d) Der erkennende Senat hat ferner berücksichtigt, daß der verfahrensökonomische Rechtsgedanke des § 155 Abs. 3 AO 1977 auch auf den Fall der Festsetzung eines Verspätungszuschlags bei Zusammenveranlagung von Ehegatten zutrifft.

e) Für eine Auslegung des § 1 Abs. 3 AO 1977 in dem hier gefundenen Sinn spricht schließlich folgendes: § 155 Abs. 3 AO 1977 ist durch Art. 1 Nr. 22 des Steuerbereinigungsgesetzes 1986 vom 19. Dezember 1985 (BGBl I 1985, 2436) dahingehend geändert worden, daß jetzt auch Verspätungszuschläge gegen Ehegatten als Gesamtschuldner in einem zusammengefaßten Bescheid festgesetzt werden dürfen. In der Begründung zum Entwurf des Steuerbereinigungsgesetzes 1985 (BT-Drucks. 10/1636 S. 42), in dem diese Änderung zunächst vorgesehen war, wird sie als Klarstellung bezeichnet, woraus sich ergibt, daß auch nach der Vorstellung des Gesetzgebers § 155 Abs. 3 AO 1977 bereits bisher auf Verspätungszuschläge anzuwenden war.

4. Die Voraussetzungen des § 155 Abs. 3 AO 1977 sind erfüllt; denn die Kläger schulden den gegen sie festgesetzten Verspätungszuschlag als Gesamtschuldner, weil sie nebeneinander dieselbe Leistung aus der Festsetzung des Verspätungszuschlags schulden (§ 44 Abs. 1 AO 1977). Daß die Kläger den Verspätungszuschlag nebeneinander schulden, ergibt sich aus der Tatsache, daß gegen sie zulässigerweise ein Verspätungszuschlag festgesetzt worden ist. Daß § 44 Abs. 1 AO 1977 auch auf Verspätungszuschläge anzuwenden ist, folgt aus § 1 Abs. 3 i. V. m. § 3 Abs. 3 AO 1977.

Die vom FG vertretene Ansicht, es könne hinsichtlich eines gegen zusammenveranlagte Ehegatten festgesetzten Verspätungszuschlags keine Gesamtschuldnerschaft vorliegen, weil ein Ehegatte allein nicht in der Lage sei, die gesamte Leistung - hier die Abgabe der gemeinsamen Steuererklärung - zu erbringen, ist nicht zutreffend. Denn der Verspätungszuschlag ist eine Geldschuld, die von jedem Ehegatten allein erfüllt werden kann. Sie ist mit der Verpflichtung zur gemeinsamen Abgabe einer Steuererklärung nicht identisch, sondern hat lediglich die Verletzung dieser Pflicht zur Voraussetzung.

5. Entgegen der Ansicht der Vorinstanz ist auch § 119 Abs. 1 AO 1977 nicht verletzt. Die zulässige Festsetzung eines Verspätungszuschlags gegen zusammenveranlagte Ehegatten in einem zusammengefaßten Bescheid ist inhaltlich hinreichend bestimmt. Zu einem anderen Ergebnis könnte man nur dann kommen, wenn auch im Zusammenveranlagungsfall gegen Ehegatten getrennte Verspätungszuschläge festgesetzt werden müßten. Das ist jedoch - wie dargelegt - nicht der Fall.

Für eine Aufteilung des einheitlich gegen beide Ehegatten festgesetzten Verspätungszuschlags genügen - ebenso wie bei der Einkommensteuer selbst - die Aufteilungsvorschriften der §§ 268 ff. AO 1977.

6. Der zulässigerweise gegen die Kläger erlassene zusammengefaßte Bescheid über die Festsetzung eines einheitlichen Verspätungszuschlags ist auch ordnungsgemäß bekanntgemacht (§ 122 Abs. 1 AO 1977) und damit voll wirksam geworden (§ 124 Abs. 1 AO 1977). Anders als in dem durch Urteil des BFH vom 28. Mai 1986 I R 111/84 (BFH/NV 1986, 716) entschiedenen Fall war die Übermittlung von zwei Urkunden nicht erforderlich, weil sich die Kläger durch die gemeinsam unterschriebene Steuererklärung für 1975 stillschweigend gegenseitig zur Empfangnahme des Einkommensteuerbescheids für 1975 (BFH-Urteil vom 13. August 1970 IV 48/65, BFHE 100, 171, BStBl II 1970, 839) und damit auch zur Empfangnahme eines im Zusammenhang mit dem Einkommensteuerbescheid für 1975 ergehenden Bescheids über die Festsetzung eines Verspätungszuschlags ermächtigt haben.

7. Eine Vorlage an den Großen Senat nach § 11 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hält der Senat nicht für erforderlich.

8. Bei seiner erneuten Verhandlung und Entscheidung wird das FG - wozu bei der bisher von ihm vertretenen Ansicht kein Anlaß bestand - prüfen müssen, ob die vorgetragenen Entschuldigungsgründe durchschlagen und ob bei der Festsetzung des Verspätungszuschlags in Höhe von 1.600 DM das Auswahlermessen verletzt worden ist.