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BFH-Urteil vom 29.4.1987 (I R 10/86) BStBl. 1987 II S. 603

Veräußert ein Unternehmen, das die Voraussetzungen des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG erfüllt, Grundbesitz, ist auch der bei der Veräußerung erzielte Gewinn gemäß § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG bei der Ermittlung des Gewerbeertrags zu kürzen (Aufgabe der früheren Rechtsprechung - vgl. BFH-Urteile vom 24. September 1970 I R 21/70, BFHE 100, 210, BStBl II 1970, 871, und vom 24. Februar 1971 I R 174/69, BFHE 101, 396, BStBl II 1971, 338).

GewStG § 9 Nr. 1 Satz 2.

Vorinstanz: FG Düsseldorf (EFG 1986, 247)

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) beschränkt ihre Tätigkeit seit 1961 auf die Verwaltung eigenen Grundvermögens. Sie veräußerte im Jahre 1977 ein Grundstück zu einem Preis von 75.000 DM und erzielte dabei einen außerordentlichen Ertrag von 55.345 DM.

Sie beantragt, den Ertrag in den Kürzungsbetrag nach § 9 Nr. 1 Satz 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) einzubeziehen. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) lehnte diesen Antrag ab. Der gegen den Gewerbesteuermeßbescheid 1977 gerichtete Einspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen.

Mit der Klage wurde geltend gemacht, die Veräußerung des Grundstücks sei zur ordnungsgemäßen Verwaltung und Nutzung der übrigen Grundstücke notwendig gewesen, da aufgestauter Reparaturaufwand in Höhe von 850.000 DM hätte finanziert werden müssen; hierzu sei der Veräußerungserlös verwendet worden. Falls Eigenmittel in dieser Höhe nicht hätten aufgebracht werden können, wäre die Finanzierung der Renovierungsarbeiten nicht gesichert gewesen.

Das Finanzgericht (FG) sah die Klage in dem in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1986, 247 veröffentlichten Urteil als begründet an.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG.

Es beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision des FA zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision wird zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Sie ist nicht begründet. Das FG hat der Klage zu Recht stattgegeben. Der Gewinn aus der Veräußerung des Grundstücks ist nicht Bestandteil des Gewerbeertrags. Er ist gemäß § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG bei der Ermittlung des Gewerbeertrags vom Gewinn abzusetzen.

1. Die Klägerin ist, wie zwischen den Beteiligten unstreitig, ein Unternehmen, das ausschließlich eigenen Grundbesitz verwaltet und nutzt. Der Umstand, daß die Klägerin im Streitjahr ein Grundstück veräußert hat, steht dem nicht entgegen. Die Veräußerung gehört zur Verwaltung des Grundbesitzes. Der Gesetzgeber gebraucht die Begriffe "verwalten" und "nutzen" bzw. "Verwaltung" und "Nutzung" zweimal in § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG (so jedenfalls in der ab 1961 gültigen Fassung des Gesetzes); nach den früheren Fassungen gestattete das Gesetz eine "Kürzung um den Teil des Gewerbeertrags, der auf den Grundbesitz entfällt". Da nicht anzunehmen ist, daß den Begriffen jeweils unterschiedliche Bedeutungen zukommen, muß angenommen werden, daß das Gesetz auch, soweit es den Kreis der begünstigten Unternehmen bestimmt, von einer Verwaltung und Nutzung ausgeht, die zu Erträgen führt. Die Erträge aus der Vermietung und Verpachtung des Grundbesitzes sind Nutzungen des Grundstücks (vgl. § 100 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -, wonach Nutzungen die Früchte einer Sache sind, und § 99 Abs. 3 BGB, wonach Früchte die Erträge sind, welche eine Sache vermöge eines Rechtsverhältnisses gewährt). Die Verwaltung des Grundbesitzes, die nach dem Gesetz ebenfalls zu einem Ertrag führen kann, muß sich damit auf die Veräußerung des Grundbesitzes beziehen, die neben der Vermietung bzw. Verpachtung Erträge auslösen kann.

Dieser Auslegung kann nicht entgegengehalten werden, daß der Begriff der Verwaltung dazu dient, Unternehmungen von der erweiterten Kürzungsmöglichkeit auszuschließen, die auch fremden Grundbesitz betreuen (vgl. dazu Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 9. Februar 1966 I 173/63, BFHE 85, 115, BStBl III 1966, 253), soweit dies nicht im Rahmen der zugelassenen Nebentätigkeiten geschieht (BFH-Urteil vom 30. Juli 1969 I R 21/67, BFHE 96, 362, BStBl II 1969, 629). Um derartige Unternehmen von der Kürzungsmöglichkeit auszuschließen, hätte es genügt, allein auf den Begriff der Nutzung des eigenen Grundbesitzes abzustellen, der für sich allein die Verwaltung fremden Grundbesitzes ausschließt.

Die Auslegung entspricht im Ergebnis der bisherigen Rechtsprechung, nach der Unternehmen grundsätzlich auch dann von § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG erfaßt sind, wenn sie einzelne Grundstücke veräußern (vgl. BFH-Urteil vom 24. Februar 1971 I R 174/69, BFHE 101, 396, BStBl II 1971, 338). Die Rechtsprechung hat jedoch § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG entsprechend dem Zweck der Vorschrift nicht auf Unternehmen angewandt, die Tätigkeiten ausüben, die als solche gewerbesteuerpflichtig sind (vgl. BFH-Urteil vom 29. März 1973 I R 174/72, BFHE 109, 456, BStBl II 1973, 686). Danach ist die Klägerin vom Anwendungsbereich des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG nicht ausgeschlossen. Die Klägerin hat - wie zwischen den Beteiligten unstreitig - nicht Grundbesitz in einer Weise veräußert, die - wäre sie eine natürliche Person - zur Annahme eines Gewerbebetriebes geführt hätte (vgl. dazu Schmidt, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 15 Rz. 11).

Der hier vertretenen Auslegung kann nicht entgegengehalten werden, daß das Gesetz in der für das Streitjahr gültigen Fassung den Begriffen "Verwaltung" und "Nutzung" des eigenen Grundbesitzes die Errichtung und Veräußerung von Kaufeigenheimen, Kleinsiedlungen und Eigentumswohnungen nebeneinander nennt. Daraus kann nicht geschlossen werden, daß die Verwaltung und Nutzung des eigenen Grundbesitzes nicht auch dessen Veräußerung erfasse. Die Zulassung der mit den Kaufeigenheimen etc. verbundenen Nebentätigkeiten durch das Steueränderungsgesetz (StA: AndG) 1958 zielte nicht darauf ab, bislang von vornherein nicht von dem Begriff der Verwaltung und Nutzung erfaßte Veräußerungsvorgänge in den Anwendungsbereich der weiten Kürzungsmöglichkeit einzubeziehen. Veräußerungen schlossen nicht von vornherein die erweiterte Kürzung des Gewerbeertrages aus, sondern nur, wenn sie einen Umfang annahmen, der bei einer natürlichen Person zur Gewerbesteuerpflicht geführt hätte. Das StÄndG 1958 erweiterte § 9 Nr. 1 GewStG insofern, als die erweiterte Kürzung auch dann in Betracht kam, wenn das Unternehmen bestimmte Tätigkeiten ausübte, die bei einer natürlichen Person zur Gewerbesteuerpflicht geführt hätten (vgl. BFH-Urteil vom 7. April 1967 VI 294/65, BFHE 89, 130, BStBl III 1967, 559). Zu diesen Tätigkeiten rechnet die Errichtung und Veräußerung von Kaufeigenheimen etc.

2. Der durch den Grundstücksverkauf realisierte Gewinn gehört zu dem Gewerbeertrag, der auf die Verwaltung und Nutzung des eigenen Grundbesitzes entfällt. Aus den Ausführungen unter 1. ergibt sich, daß die Klägerin deshalb von § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG erfaßt wird, weil die Veräußerung des Grundbesitzes das Tatbestandsmerkmal der ausschließlichen Verwaltung und Nutzung des eigenen Grundbesitzes nicht entfallen läßt, die Veräußerung vielmehr zur Verwaltung des Grundbesitzes rechnet. Da nicht anzunehmen ist, daß das Gesetz in einem Satz demselben Begriff eine unterschiedliche Bedeutung beimißt, rechnen - wie bereits unter 1. ausgeführt - die Erträge aus der Veräußerung des Grundstücks zu den Erträgen aus der Verwaltung des Grundbesitzes.

Diese Auslegung entspricht auch dem ursprünglichen Zweck der Vorschrift des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG, Grundstücksunternehmen in der Rechtsform der Kapitalgesellschaft entsprechend den gewerbesteuerfreien Personenunternehmen gleichzustellen (vgl. BFH-Urteil vom 27. April 1977 I R 214/75, BFHE 122, 531, BStBl II 1977, 776, m. w. N.). Gewerbesteuerfreie Personenunternehmen sind jedoch mit den Gewinnen aus der Grundstücksveräußerung nicht mit Gewerbesteuer belastet.

Der Senat hält an den Urteilen vom 24. September 1970 I R 21/70 (BFHE 100, 210, BStBl II 1970, 871) und vom 24. Februar 1971 I R 174/69 (BFHE 101, 396, BStBl II 1971, 338) insofern nicht mehr fest, als sie den Gewinn aus der Veräußerung eines Grundstücks bei einem Unternehmen von der erweiterten Kürzungsmöglichkeit ausschließen, das grundsätzlich die Voraussetzungen des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG erfüllt.