| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

 

BFH-Urteil vom 3.7.1987 (VI R 182/85) BStBl. 1987 II S. 677

Erstreckte sich eine nachträglich entlohnte Tätigkeit über mehrere Kalenderjahre, so kann der Steuerpflichtige zum Zwecke der Anwendung des § 34 Abs. 3 EStG aus der Gesamtzahl dieser Jahre drei Veranlagungszeiträume auswählen. An die von der Finanzverwaltung in Abschn. 200 Abs. 1 Satz 10 EStR angeordnete Begrenzung auf die letzten zehn Jahre einschließlich des Kalenderjahrs des Zuflusses ist er dabei nicht gebunden (Anschluß an das BFH-Urteil vom 22. November 1974 VI R 64/71, BFHE 114, 408, BStBl II 1975, 328).

EStG § 34 Abs. 3; EStR 1981 Abschn. 200 Abs. 1 Satz 10.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Angestellter. Im Streitjahr 1981 erhielt er für seine 25jährige Betriebszugehörigkeit eine Jubiläumszuwendung, deren steuerpflichtiger Teil 30.978 DM betrug. Er beantragte, diese Zuwendung mit jeweils 1/3 zum Zwecke der Steuerberechnung nach § 34 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auf die Kalenderjahre 1960, 1964 und 1965, hilfsweise auf die Jahre 1973, 1974 und 1977 zu verteilen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) berechnete die Einkommensteuer 1981 unter Verteilung der Jubiläumszuwendung entsprechend dem Hilfsantrag.

Die hiergegen gerichtete Klage blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte im wesentlichen aus: § 34 Abs. 3 EStG sei entgegen der Auffassung des Klägers auf Jubiläumszuwendungen nicht anwendbar; denn es handele sich nicht um eine Entlohnung für eine mehrjährige Tätigkeit, sondern für eine Tätigkeit im Jubiläumsjahr aus Anlaß mehrjähriger Betriebszugehörigkeit. Daher folge der Anspruch auf Verteilung der Jubiläumszuwendung nicht unmittelbar aus § 34 Abs. 3 EStG, sondern allenfalls aus Abschn. 201 Satz 2 der Einkommensteuer-Richtlinien 1981 (EStR), der aus Gründen der Gleichbehandlung anzuwenden sein könne. Das FA habe jedoch den Kläger nicht gleichheitswidrig behandelt, sondern nur die in Abschn. 200 Abs. 1 Satz 10 EStR angeordnete Verteilungsbegrenzung auf die letzten 10 Jahre angewandt.

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Er macht zunächst geltend, daß die Auffassung, Zuwendungen aus Anlaß von Dienstjubiläen fielen nicht unmittelbar unter § 34 Abs. 3 EStG, gegen die im Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 28. September 1984 VI R 48/82 (BFHE 141, 532, BStBl II 1985, 117) niedergelegten Grundsätze verstoße. Mit derartigen Jubiläumszuwendungen werde nicht lediglich die Tätigkeit im Jubiläumsjahr abgegolten, vielmehr werde damit die Betriebstreue des Arbeitnehmers honoriert. Diese ergebe sich aber nicht aus der Tätigkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt, sondern aus dem Umstand der Mindestdauer einer ununterbrochenen Tätigkeit im Betrieb. Sei aber § 34 Abs. 3 EStG unmittelbar auf den Kläger anwendbar, so sei nicht ersichtlich, aus welchem Grunde er in der Ausübung seines Wahlrechts auf zehn Jahre beschränkt sein solle. Es sei zweifelhaft, ob der Finanzverwaltung überhaupt ein Ermessen zustehe, die Verteilung in dieser Weise zu beschränken; denn § 34 Abs. 3 EStG sehe eine solche Beschränkungsmöglichkeit nicht vor. Bestehe aber ein Ermessensspielraum, so führe die Handhabung des FA zum Ermessensnichtgebrauch, da es die betreffende Verwaltungsvorschrift wie ein striktes Gesetz handhabe. Ihm sei offenbar nicht bewußt, daß es zumindest in Ausnahmefällen von der Verwaltungsvorschrift abweichen könne. Zweck des Abschn. 200 Abs. 1 Satz 10 EStR sei es, den Verteilungsspielraum aus Praktikabilitätsgründen zu begrenzen. Ergebe sich im Einzelfall, daß eine andere Verteilung ohne größeren Verwaltungsaufwand durchgeführt werden könne, so müsse die Finanzbehörde dies bei ihrer Ermessensentscheidung berücksichtigen. So sei es hier. Denn er, der Kläger, habe zur Durchführung der von ihm gewünschten Verteilung die Veranlagungsbescheide der Jahre 1960, 1964 und 1965 seinem Antrag beigefügt. Es wäre deshalb mit keinem erhöhten Verwaltungsaufwand verbunden gewesen, wenn die Verteilung entsprechend diesem Antrag vorgenommen worden wäre.

Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des Urteils des FG und unter Abänderung des Einkommensteuerbescheids 1981 vom 11. November 1983 in der Form der Einspruchsentscheidung vom 20. März 1984 die Jubiläumszuwendung zum Zwecke der Steuerberechnung mit je 10.326 DM auf die Jahre 1960, 1964 und 1965 zu verteilen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Es teilt die Auffassung des FG, daß Jubiläumszuwendungen der hier vorliegenden Art keine nachträglichen Entlohnungen für eine mehrjährige Tätigkeit seien. Die Frage könne aber für den vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, da auch für Einkünfte i. S. von § 34 Abs. 3 EStG gemäß Abschn. 200 Abs. 1 Satz 10 EStR die Begrenzung des Verteilungszeitraums auf zehn Jahre gelte. Eine Ausdehnung der Verteilungsmöglichkeit in dem vom Kläger begehrten Sinne sei praktisch nicht durchführbar. Um in diesem Fall eine Gleichmäßigkeit der Besteuerung zu gewährleisten, müßten sämtliche Besteuerungsunterlagen jedes Steuerpflichtigen unbeschränkt lange aufbewahrt werden. Die Aufbewahrungspflicht sei jedoch durch Erlaß des Bundesministers für Wirtschaft und Finanzen (BMWF) vom 20. Oktober 1972 F/Z A 1 - 0 1542 - 7/72 (Ministerialblatt - MinBlWF - 1972, 646 f.) dahin gehend eingeengt worden, daß die Aufbewahrungsdauer der Einkommensteuerakten auf zehn Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die letzte Veranlagung rechtskräftig geworden sei, begrenzt sei. Dieser Zeitraum entspreche der Aufbewahrungspflicht des Steuerpflichtigen gemäß § 147 der Abgabenordnung (AO 1977) für Bücher, Aufzeichnungen, Inventare und Bilanzen. Nur im Hinblick hierauf sei die in Abschn. 200 Abs. 1 Satz 10 EStR getroffene Regelung zu verstehen. Keinesfalls sei dort zum Ausdruck gebracht worden, daß in begründeten Ausnahmefällen eine Verlängerung des Zeitraums in Betracht komme.

Die Gleichmäßigkeit der Besteuerung wäre bei einer Verteilung über zehn Jahre hinaus nicht mehr gewährleistet, da in diesem Fall die zutreffende Besteuerung davon abhänge, ob der Steuerpflichtige Unterlagen über den Zehnjahreszeitraum hinaus aufbewahrt habe. Dadurch würde die Besteuerung von Zufälligkeiten abhängig gemacht. Eben das solle jedoch durch die Regelung in Abschn. 200 Abs. 1 EStR ausgeschlossen werden. Härten, die sich dadurch ergeben könnten, daß länger als zehn Jahre zurückliegende Zeiträume nicht berücksichtigt würden, seien vom Gesetzgeber gewollt und müßten dementsprechend in Kauf genommen werden.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Zu Unrecht ist das FG davon ausgegangen, daß die dem Kläger gewährte Zuwendung keine nachträgliche Einkunft für eine sich über mehrere Jahre erstreckende Tätigkeit i. S. des § 34 Abs. 3 EStG sein könne. Wie der Senat im Urteil in BFHE 141, 532, BStBl II 1985, 117 ausgeführt hat, stehen Jubiläumszuwendungen, die aus Anlaß von Dienstjubiläen gewährt werden, wirtschaftlich mit der vom Arbeitnehmer in den zurückliegenden Dienstjahren geleisteten Arbeit im Zusammenhang. Mit ihnen werden regelmäßig die in der Vergangenheit vom Arbeitnehmer geleisteten Dienste und seine Betriebstreue belohnt. Auf Zuwendungen aufgrund eines Dienstjubiläums ist deshalb § 34 Abs. 3 EStG grundsätzlich anzuwenden.

Der Zeitraum, der dabei für die rechnerische Verteilung in Betracht kommt, ist nicht auf zehn Jahre beschränkt.

Nach § 34 Abs. 3 Satz 2 EStG können Einkünfte, die die Entlohnung für eine mehrjährige Tätigkeit darstellen, zum Zweck der Einkommensteuerveranlagung auf die Jahre verteilt werden, in deren Verlauf sie erzielt wurden, und als Einkünfte eines jeden dieser Jahre angesehen werden, vorausgesetzt, daß die Gesamtverteilung drei Jahre nicht überschreitet. Wie der BFH im Urteil vom 22. November 1974 VI R 64/71 (BFHE 114, 408, BStBl II 1975, 328) entschieden hat, ist der Steuerpflichtige in der Auswahl der Veranlagungszeiträume, auf die er die nachträglichen Einkünfte verteilt haben möchte, frei. Der Senat hat dies im wesentlichen damit begründet, daß die Vorschrift bei Einkünften für eine mehr als dreijährige Tätigkeit nichts darüber aussage, auf welches der drei Jahre die nachträglichen Einkünfte zu verteilen seien; auch gebe es keine die Besonderheiten aller denkbaren Fälle umfassenden Gesichtspunkte, nach denen eine bestimmte Auswahl der drei Veranlagungszeiträume vorgenommen werden könne. An dieser Auffassung, die der Senat im Urteil in BFHE 141, 532, BStBl II 1985, 117 noch einmal bestätigt hat, hält der Senat fest.

Das Urteil in BFHE 114, 408, BStBl II 1975, 328 betraf das Streitjahr 1966. Die Verteilungsgrenze von zehn Jahren ist von der Finanzverwaltung in Abschn. 200 Abs. 1 Satz 6 EStR 1967 eingeführt und seitdem beibehalten worden (zuletzt Abschn. 200 Abs. 1 Satz 10 EStR 1984). Die frühere Verwaltungsregelung (vgl. z. B. Abschn. 200 Abs. 1 EStR 1965) sah eine solche Einschränkung nicht vor.

Der Senat ist der Ansicht, daß es für eine Beschränkung des Verteilungszeitraums auf zehn Jahre keine ausreichende Rechtfertigung gibt. Sie widerspricht der gesetzlichen Regelung in § 34 Abs. 3 EStG, nach der die Verteilung (grundsätzlich) auf alle Jahre erfolgen kann, in deren Verlauf die Einkünfte erzielt worden sind. Praktische Gründe, auf die sich die Verwaltungsregelung beruft, gebieten keine zeitliche Begrenzung zu Lasten des Steuerpflichtigen entgegen dem Wortlaut des Gesetzes. Dabei kann dahingestellt bleiben, inwieweit Praktikabilitätsgründe überhaupt eine solche dem Steuerpflichtigen nachteilige strikte Regelung, für die es im Gesetz keinen Anhaltspunkt gibt, rechtfertigen könnten. Denn im Rahmen des § 34 Abs. 3 EStG ist eine Verteilung der nachträglichen Einkünfte auch auf frühere Jahre ohne übermäßige Verwaltungserschwerung möglich. Schwierigkeiten können zwar auftreten, wenn der Steuerpflichtige Veranlagungszeiträume auswählt, für die die Veranlagungen nicht mehr greifbar sind. Dies kann der Fall sein, wenn FA und Steuerpflichtiger nach Ablauf der vorgeschriebenen Mindestdauer für die Aufbewahrung Unterlagen und Belege über die Veranlagung vernichtet haben. Dadurch wird aber nicht ausgeschlossen, in Fällen, in denen die Unterlagen noch vorhanden sind, dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit einer für ihn günstigen Verteilung auf frühere Jahre zu gewähren. Mit Recht weist Popp (Neues Steuerrecht von A bis Z - NSt -, Einkommensteuer/Mehrj. Tätigkeiten, Darstellung 1 S. 8) darauf hin, daß auch bei einer Verteilung innerhalb des Zehnjahreszeitraums ähnliche praktische Schwierigkeiten auftreten können, z. B. wenn für die betreffenden Jahre keine Einkommensteuerveranlagung durchgeführt worden ist, oder Veranlagungsvorgänge - aus welchen Gründen auch immer - nicht mehr greifbar sind.

Zu Unrecht befürchtet das FA bei einer uneingeschränkten Verteilungsmöglichkeit über die gesamte Tätigkeitsdauer eine Verletzung des Grundsatzes der Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Dies könnte, da das Gesetz selbst keine zeitliche Einschränkung vorsieht, ohnehin nur bejaht werden, wenn § 34 Abs. 3 EStG gegen Art. 3 des Grundgesetzes verstieße, also verfassungswidrig wäre. Das ist nicht der Fall. Ungleichheiten können sich zwar ergeben, wenn ein Steuerpflichtiger für Jahre, für die die Finanzverwaltung die Einkommensteuerakten generell vernichtet hat, die erforderlichen Unterlagen, insbesondere also die Veranlagungsbescheide noch vorlegen kann. Entgegen der Auffassung des FG Nürnberg (Urteil vom 17. Mai 1974 III 84/71, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1974, 423) ist aber nicht ersichtlich, inwiefern sich das FA derartiger, vom Steuerpflichtigen vorgelegter Belege nicht soll bedienen dürfen. Der Umstand, daß der eine Steuerpflichtige seine Veranlagungsbescheide über die gesetzlich vorgeschriebene Mindestdauer hinaus aufbewahrt, während dies ein anderer Steuerpflichtiger versäumt hat, ist kein gleichheitswidriger Anknüpfungspunkt für die Gewährung einer Steuervergünstigung, wie sie in § 34 Abs. 3 EStG vorgesehen ist. Denn das Vorhandensein älterer Einkommensteuerbescheide braucht nicht - wie das FA meint - eine Zufälligkeit zu sein. Vielmehr kann die Aufbewahrung einer im Hinblick auf § 34 Abs. 3 EStG getroffenen Vorsichtsmaßnahme entsprechen. Derartige Maßnahmen zu treffen, steht aber jedem Steuerpflichtigen frei.

Dieses Ergebnis ist auch nicht systemwidrig. Es entspricht vielmehr dem allgemeinen Grundsatz, daß derjenige, der in den Genuß einer Steuervergünstigung kommen möchte, die objektive Beweislast für das Vorliegen ihrer Voraussetzungen hat (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 96 FGO Tz. 18). Nach Beweislastgrundsätzen sind deshalb auch weitere Fragen zu entscheiden, die im Einzelfall auftreten können. So ist z. B., wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, daß vom Steuerpflichtigen vorgelegte Einkommensteuerbescheide inzwischen geändert worden waren, das FA hierfür beweispflichtig.

Im übrigen hat das FG Baden-Württemberg (Urteil vom 13. Dezember 1985 IX K 282/85, EFG 1986, 295) mit Recht darauf hingewiesen, daß auch Fälle denkbar sind, die mit der vom Richtliniengeber aufgestellten zeitlichen Grenze nicht befriedigend gelöst werden können, wie etwa dann, wenn die Entlohnung für eine mehrjährige Tätigkeit erst nach einem jahrelangen, durch mehrere Instanzen geführten Arbeitsgerichtsprozeß zu einem Zeitpunkt zufließt, in dem der Zehnjahreszeitraum bereits abgelaufen ist. Das Beispiel zeigt zugleich, daß das FA zu Unrecht Praktikabilitätsgründe ausschließlich für die Richtlinienregelung reklamiert.

Die Frage, ob es für den Rückgriff des Steuerpflichtigen auf frühere Jahre überhaupt keine zeitliche Grenze gibt oder ob z. B. Jahre vor der Währungsreform dafür nicht mehr in Betracht kommen können (so FG Baden-Württemberg in EFG 1986, 295), kann für die Entscheidung des Streitfalls offenbleiben. Denn hier hat der Kläger die Verteilung auf die Jahre 1960, 1964 und 1965 beantragt.

Die Vorentscheidung, die den dargelegten Rechtsgrundsätzen nicht entspricht, ist aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Sie muß deshalb gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden. Das FG wird nunmehr zu prüfen haben, ob die Besteuerungsmerkmale für die ausgewählten Verteilungsjahre nachgewiesen sind und dem Antrag des Klägers damit entsprochen werden kann.