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BFH-Urteil vom 8.5.1987 (III R 87/85) BStBl. 1987 II S. 681

Erteilt das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft die Bescheinigung unter Bedingungen oder Auflagen und entsteht später Streit, ob der Investor die Bedingungen oder die Auflagen erfüllt hat, so entscheidet darüber das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft und nicht die Finanzverwaltungsbehörde. Die Entscheidung muß in einer für alle Beteiligten verbindlichen Form ergehen.

InvZulG 1979 § 2 Abs. 3.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betreibt eine Gastwirtschaft. Am 10. November 1977 beantragte er beim Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft für die Erweiterung seiner Betriebsstätte eine Bescheinigung nach § 2 des Investitionszulagengesetzes (InvZulG). Als Investitionsvorhaben bezeichnete er die Errichtung einer Kegelbahn und von fünf Fremdenzimmern mit zehn Betten. Mit dem Vorhaben sollte im Juli 1977 begonnen werden; das Ende war für Juni 1978 vorgesehen. Das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft erteilte die beantragte Bescheinigung. Sie enthält folgenden Zusatz: "Die Bescheinigung wird unter der Bedingung erteilt, daß die Betriebsstätte des Antragstellers nicht nur geringfügig der Beherbergung dient (siehe § 2 Abs. 2 Nr. 2 InvZulG vom 2.1.1979, BGBl I, Teil 1, 24); d. h. mindestens 30 v. H. des Gesamtumsatzes müssen mit den eigenen Beherbergungsgästen erzielt werden."

Aufgrund der Bescheinigung erteilte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) dem Kläger für die Streitjahre 1978 und 1979 Investitionszulagen.

Anläßlich einer Außenprüfung vom Dezember 1980 stellte das FA fest, daß zwar die Kegelbahn fertiggestellt war, daß aber die fünf Fremdenzimmer erst im Rohbau vorhanden waren. Mit Schreiben vom 9. Januar 1981 an das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft ersuchte das FA im Hinblick auf die in der Bescheinigung enthaltene Bedingung und unter Hinweis auf die Ziff. 96 und 97 des Schreibens des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 5. Mai 1977 (BStBl I 1977, 246) um Überprüfung und ggf. um Rücknahme der Bescheinigung.

Mit Schreiben vom 18. März 1981 teilte das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft dem FA mit, daß der Kläger die Bedingung nicht eingehalten habe, daß die Bescheinigung damit unwirksam sei und daß ein Widerruf der Bescheinigung nicht notwendig sei; das FA könne die Investitionszulagen vielmehr in eigener Zuständigkeit zurückfordern.

Mit Verfügungen vom 11. Mai 1981 hob das FA seine Festsetzungsbescheide auf und forderte die Investitionszulagen zurück.

Auf Gegenvorstellung des Klägers präzisierte das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft seine in der Bescheinigung enthaltene Bedingung dahin, daß die Frist für das Erreichen des aus dem Beherbergungsgewerbe stammenden Umsatzes bis zum Juni 1983 zu verlängern sei, unter der Voraussetzung, daß der Kläger beabsichtige, die geplanten Fremdenzimmer noch fertigzustellen.

Das FA stellte daraufhin die Entscheidung über den Einspruch zurück.

Mit Schreiben vom 7. Juli 1982 teilte der Kläger dem FA mit, daß er finanziell nicht in der Lage sei, die Fremdenzimmer fertigzustellen und daß er einen Umsatz von 30 v. H. nicht garantieren könne; er bat um Erlaß der zurückgeforderten Investitionszulagen.

Am 14. September 1983 wies das FA den Einspruch zurück.

Im Klageverfahren hat der Kläger vorgetragen, daß er die fünf Fremdenzimmer genau zum 30. Juni 1983 fertiggestellt habe. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es entschied, selbst wenn man die Behauptung des Klägers als richtig unterstelle, könne er bis zum 30. Juni 1983 nicht 30 v. H. seines Gesamtumsatzes im Beherbergungsgewerbe erzielt haben.

Mit der Revision beantragt der Kläger, die Vorentscheidung und die Verfügungen des FA vom 11. Mai 1981 aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

1. Das Investitionszulageverfahren nach § 1 InvZulG ist dadurch gekennzeichnet, daß sich zwei Behörden in die Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen teilen. Das führt erfahrungsgemäß zu Kompetenzkonflikten. Der Senat hat dazu in seinem Urteil vom 29. August 1986 III R 71/82 (BFHE 147, 572, BStBl II 1986, 920) grundsätzlich Stellung genommen. So prüfen der Bundesminister für Wirtschaft (BMWi) oder an seiner Stelle das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft vorrangig, ob ein geplantes Investitionsvorhaben volkswirtschaftlich besonders förderungswürdig ist, und den Finanzverwaltungsbehörden obliegt die Prüfung der steuerrechtlichen Fragen. Die Bescheinigung der Wirtschaftsbehörde ist eine materiell-rechtliche Voraussetzung für die Festsetzung der Investitionszulage. An die Bescheinigung ist das FA gebunden; sie unterliegt weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht seiner Nachprüfung.

2. Diese Grundsätze gelten nicht nur für die Erteilung der Bescheinigung und für die Festsetzung der Investitionszulage. Die Kompetenzverteilung ist auch in einem sich anschließenden Verfahren zu beachten. So ist in § 2 Abs. 4 InvZulG ausdrücklich geregelt, wie zu verfahren ist, wenn nach Erteilung der Bescheinigung festgestellt wird, daß das tatsächlich durchgeführte Investitionsvorhaben nicht der Bescheinigung entspricht oder daß bei dem tatsächlich durchgeführten Investitionsvorhaben die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen. In diesen Fällen kann das FA nicht von sich aus die Investitionszulage zurückfordern. Es hat vielmehr abzuwarten, bis das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft die Bescheinigung zurückgenommen hat. Diese Rücknahme liegt im Ermessen der Wirtschaftsbehörde.

Die Kompetenzverteilung ist auch zu beachten, wenn nach § 2 Abs. 3 InvZulG die Bescheinigung unter Bedingungen erteilt oder mit Auflagen verbunden ist und später Streit darüber entsteht, ob der Investor die Bedingungen oder die Auflagen erfüllt hat. Auch diesen Streit hat nicht das FA, sondern die Wirtschaftsbehörde zu entscheiden. Andernfalls müßte sich das FA mit Fragen befassen, für die ihm die Sachkunde und die Kompetenz fehlen. Auch ein etwaiger Ermessensspielraum darf vom FA mangels Zuständigkeit nicht ausgefüllt werden. Die Wirtschaftsbehörde hat auch in diesem Fall ihre Entscheidung in einer für alle Beteiligten verbindlichen Form zu treffen. Solange dies nicht geschehen ist, ist das FA weiterhin an die Bescheinigung gebunden.

3. Geht man von diesen Grundsätzen aus, so war die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Das FG hat dem Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft Gelegenheit zu geben, seine Bescheinigung zurückzunehmen oder verbindlich zu erklären, daß der Kläger die in der Bescheinigung enthaltene Bedingung nicht erfüllt hat. An einer solchen, jeden Zweifel ausschließenden Feststellung fehlt es bis jetzt. Zwar hat das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft mit Schreiben vom 18. März/10. September 1981 mitgeteilt, daß der Kläger eine der Voraussetzungen für die Bescheinigung nicht erfüllt habe, weshalb die Rückzahlung der Investitionszulage durch das FA zu veranlassen sei. An dieser Auffassung hat aber das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft in der Folgezeit selbst nicht festgehalten. Denn es hat mit Schreiben vom 30. Dezember 1981 die Frist für das Erreichen des aus dem Beherbergungsgewerbe stammenden Umsatzes bis "spätestens Juni 1983" verlängert. Bis das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft endgültig entschieden hat, wird das FG das bei ihm anhängige Verfahren zweckmäßigerweise nach § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aussetzen.