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BFH-Urteil vom 26.6.1987 (VI R 124/83) BStBl. 1987 II S. 818

Wird ein Steuerpflichtiger von seinem Ehegatten im Rahmen einer wöchentlichen Familienheimfahrt mit dem PKW zum Bahnhof gefahren und ereignet sich auf der Rückfahrt vom Bahnhof (Leerfahrt) ein Unfall, so können die Unfallkosten als Werbungskosten abzugsfähig sein.

EStG 1980 § 9 Abs. 1 Nr. 5.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG (EFG 1984, 26)

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war ab 1. August 1980 in A beschäftigt; sein Familienwohnsitz befand sich in B. Am frühen Abend des Sonntags, des 10. August 1980, brachte ihn seine Ehefrau, die Klägerin, mit dem PKW zum Bahnhof C, damit er mit der Bahn nach A zurückkehren konnte. Auf der Rückfahrt vom Bahnhof C nach B verschuldete sie einen Verkehrsunfall. Bei der Einkommensteuerzusammenveranlagung 1980 beantragten die Kläger, die Unfallkosten bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen. Das wurde vom Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) abgelehnt. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es führte in dem in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1984, 26 veröffentlichten Urteil aus:

Beim Abzug der Unfallkosten als Werbungskosten sei darauf abzustellen, ob die Fahrt beruflich veranlaßt gewesen sei. Das sei im Streitfall zu bejahen. Denn die Fahrt am Sonntagabend vom Wohnsitz des Klägers in B zum Bahnhof C und zurück habe als Familienheimfahrt im Rahmen der beruflich veranlaßten doppelten Haushaltsführung des Klägers ausschließlich beruflichen Zwecken gedient. Es beständen keine Anhaltspunkte, daß die Fahrt durch private Zwecke (z.B. Besuche oder Einkäufe) mitveranlaßt gewesen sei. Es sei unerheblich, daß die laufenden Fahrtkosten für die Leerfahrt der Klägerin zum Familienwohnsitz B nicht als Werbungskosten berücksichtigt werden könnten.

Das FA rügt mit der Revision die Verletzung des § 9 Abs. 1 Nr. 5 Satz 4 i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 und § 12 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes 1980 (EStG). Es führt hierzu aus:

Entsprechend den Ausführungen des Bundesfinanzhofs (BFH) im Urteil vom 17. Oktober 1973 VI R 211/70 (BFHE 111, 299, BStBl II 1974, 318), die er im Urteil vom 11. Juli 1980 VI R 55/79 (BFHE 131, 67, BStBl II 1980, 655) bestätigt habe, teilten die Unfallkosten das rechtliche Schicksal der Fahrtkosten. Sie könnten daher nur als Werbungskosten angesehen werden, wenn die laufenden Aufwendungen ebenfalls Werbungskosten seien. Ein Kausalzusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit und der Fahrt sei in Fällen, in denen sich ein Arbeitnehmer von einem Angehörigen zur Arbeitsstätte bringen und abholen lasse, nur bezüglich der ersten Hinfahrt und der letzten Rückfahrt gegeben, also nur dann, wenn der Arbeitnehmer selbst mitfahre. Die Leerfahrt gehöre daher zum privaten Bereich des Steuerpflichtigen.

Entsprechend diesen Grundsätzen habe das FG die streitigen, auf der Leerfahrt der Klägerin entstandenen Unfallkosten zu Unrecht als Werbungskosten berücksichtigt. Diese Fahrt sei durch die von den Klägern gewählte Gestaltung der persönlichen Lebensverhältnisse mitveranlaßt worden. Sie habe nicht ausschließlich auf der Zielvorstellung beruht, dem Ehemann die Rückkehr zum beruflich veranlaßten doppelten Haushalt zu ermöglichen. Sie sei vielmehr von der Vorstellung der Klägerin überlagert gewesen, den PKW während der beruflich bedingten Abwesenheit des Klägers privat zur Verfügung zu haben. Deshalb seien die Leerfahrt und damit auch die Aufwendungen wegen des Unfalls auf der Leerfahrt dem privaten Bereich zuzuordnen.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Denn das FG konnte ohne Rechtsverstoß davon ausgehen, daß die Unfallkosten beruflich veranlaßt waren.

1. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG gehören zu den bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit abziehbaren Werbungskosten die notwendigen Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlaß begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen. Eine doppelte Haushaltsführung liegt vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Orts, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und am Beschäftigungsort wohnt. Abziehbare Mehraufwendungen sind nach Satz 3 dieser Vorschrift auch Kosten für eine Familienheimfahrt wöchentlich. Wird die Fahrt mit dem eigenen PKW durchgeführt, so ist nach § 9 Abs. 1 Nr. 5 Satz 4 i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG für jeden Kilometer der Entfernung zwischen dem Ort des eigenen Hausstandes und dem Beschäftigungsort ein Pauschbetrag von nur 0,36 DM anzusetzen.

Nach dem unstreitigen Sachverhalt hat der Kläger ab 1. August 1980 aus beruflichem Anlaß einen doppelten Haushalt geführt, da er in A beschäftigt war und sich sein Familienwohnsitz weiterhin in B befand. Am Wochenende 9./10. August 1980 verweilte er aufgrund einer Familienheimfahrt am Ort seines Hausstandes in B. Die Rückreise zum Arbeitsort A am frühen Abend des 10. August 1980 war der zweite Teil dieser beruflich veranlaßten Familienheimfahrt. Beruflich veranlaßt war die Bahnfahrt von C nach A und damit auch die Fahrt von B zum Bahnhof C, da der Kläger von dort aus den Zug nach A erreicht hat.

2. Kosten eines Verkehrsunfalls, der bei Benutzung eines Kraftwagens während einer Familienheimfahrt eingetreten ist, können beruflich veranlaßte Werbungskosten nach § 9 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 EStG sein. Sie können nach den gleichen Grundsätzen berücksichtigt werden wie Kosten eines Verkehrsunfalls bei Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 EStG (vgl. Abschn. 27 Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 i.V.m. Abschn. 24 Abs. 2 Satz 5 der Lohnsteuer-Richtlinien 1978 - LStR -; vgl. zu Unfallkosten bei letztgenannten Fahrten z.B. Urteil des BFH vom 14. Juli 1978 VI R 158/76, BFHE 125, 553, BStBl II 1978, 595).

Unfallkosten können auch dann beruflich veranlaßt sein, wenn der Unfall auf einer beruflich veranlaßten Leerfahrt eingetreten ist, nachdem der Steuerpflichtige zuvor von seinem Ehegatten im Rahmen einer Familienheimfahrt zum Bahnhof gefahren worden war. Die durch die Benutzung des PKW entstandenen laufenden Aufwendungen für die Leerfahrt sind zwar nach § 9 Abs. 1 Nr. 5 Satz 4 i.V.m. Nr. 4 Satz 2 EStG nicht berücksichtigungsfähig, da der Gesetzgeber in gleicher Weise wie bei Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nur die Pauschbeträge je Kilometer der Entfernung zwischen dem Ort des eigenen Hausstandes und dem Beschäftigungsort - bzw. hier dem Bahnhof C als Zwischenstation auf der Rückreise zum Beschäftigungsort - gewährt. Diese gesetzliche Regelung ändert aber nichts daran, daß eine Leerfahrt als solche beruflich veranlaßt sein kann. Von gleichen Erwägungen ging der Senat insbesondere im Urteil in BFHE 131, 67, BStBl II 1980, 655 bei Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte aus. Die Entscheidung betraf einen Fall, in dem die Ehegatten morgens zusammen zur Arbeitsstätte des Ehemannes fuhren und die Ehefrau den PKW anschließend benutzte, um weiter zur Arbeitsstätte zu fahren. Der Senat würdigte die abendliche Fahrt der Ehefrau zur Arbeitsstätte des Ehemannes, um diesen dort abzuholen, als eine durch die Berufstätigkeit des Ehemannes veranlaßte Fahrt. Im Hinblick hierauf hat der Senat Aufwendungen anläßlich des auf der Abholfahrt eingetretenen Unfalls als Werbungskosten bei den Einkünften des Ehemannes angesehen, obwohl die laufenden Aufwendungen für die Abholfahrt nicht als Werbungskosten absetzbar waren. Von diesen Erwägungen ist der Senat auch im Urteil vom 3. August 1984 VI R 8/81 (BFHE 141, 529, BStBl II 1984, 800) ausgegangen.

Ob eine Leerfahrt durch das Arbeitsverhältnis veranlaßt ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Entsprechend dem auch sonst bei Werbungskosten geltenden Veranlassungsprinzip muß ein objektiver Zusammenhang der Fahrt mit dem Beruf des Steuerpflichtigen bestehen, muß die Fahrt im Rahmen der beruflichen Zielvorstellungen des Steuerpflichtigen liegen und es darf der Unfall nicht auf eine private, der Lebensführung des Steuerpflichtigen zuzurechnende Veranlassung zurückzuführen sein (vgl. Urteil in BFHE 131, 67, BStBl II 1980, 655).

3. Die Revision ist unbegründet, weil das FG im Ergebnis zu Recht die PKW-Unfallkosten als Werbungskosten anerkannt hat (so auch im Ergebnis v. Bornhaupt in Kirchhof/Söhn, EStG, § 9 EStG Rdnr. B 459 f.; anderer Ansicht Seitrich, Deutsche Steuer-Zeitung/Ausgabe A 1985, 353).

Im Streitfall brachte die Klägerin ihren Ehemann mit dem PKW zum Bahnhof C, damit dieser die Familienheimfahrt - Rückreise mit der Eisenbahn nach A - fortsetzen konnte. Beruhte somit die Hinfahrt zum Bahnhof C ausschließlich auf dieser beruflichen Zielvorstellung, dann muß auch die von der Klägerin angetretene Leerfahrt dem beruflichen Bereich zugeordnet werden, wenn sie nicht von privaten Vorgängen überlagert ist. Das FG hat hierzu festgestellt, daß die Rückfahrt nach B keinen privaten Zwecken, etwa im Sinne einer Besuchs- oder Einkaufsfahrt, gedient hat. An diese Feststellung ist der Senat nach § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gebunden, da das FA hiergegen keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen vorgebracht hat.

Es kann im Streitfall dahingestellt bleiben, ob die berufliche Veranlassung der Rückfahrt vom Bahnhof C nach B deshalb von privaten Vorstellungen überlagert sein könnte, weil der PKW während der beruflich bedingten Abwesenheit des Ehemannes der Ehefrau privat zur Verfügung gestanden hat. Auf Erwägungen dieser Art ist jedenfalls im Streitfall deshalb nicht abzustellen, weil es dem Kläger nicht zuzumuten war, den PKW während der Woche beim Bahnhof C auf der Straße oder einem Parkplatz abzustellen und so der Gefahr einer möglichen Beschädigung oder gar eines Diebstahls auszusetzen.