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BFH-Urteil vom 16.9.1987 (II R 240/84) BStBl. 1987 II S. 843

1. Die Fortschreibung eines Einheitswertes wegen Änderung tatsächlicher Verhältnisse und die fehlerbeseitigende Fortschreibung stehen in bezug auf den Fortschreibungszeitpunkt selbständig nebeneinander (Anschluß an BFHE 134, 184, BStBl II 1982, 15, und BFHE 135, 341, BStBl II 1982, 451).

2. Hat das FA eine fehlerbeseitigende Fortschreibung zu einem zu früh liegenden Fortschreibungszeitpunkt vorgenommen und wird der Fortschreibungsbescheid aufgehoben, so kann das FA die fehlerbeseitigende Fortschreibung nach § 174 Abs. 4 AO 1977 i. V. m. § 181 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 zum frühestmöglichen Stichtag nachträglich vornehmen, der sich unter Berücksichtigung des aufgehobenen Bescheids ergibt.

BewG §§ 22, 76; AO 1977 § 174 Abs. 4.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

Der Kläger ist Eigentümer eines etwa 50.000 qm großen Geländes. An der Straßenseite befindet sich eine Fabrik. Auf dem rückwärtigen Teil des Grundstücks errichtete der Kläger im Jahre 1971 ein Einfamilienhaus. Mit Bescheid vom 13. Oktober 1975 nahm das Finanzamt (FA) eine Nachfeststellung auf den 1. Januar 1974 vor. Es stellte die Grundstücksart Einfamilienhaus und den Einheitswert (ermittelt im Ertragswertverfahren) auf 83.200 DM fest und rechnete den Einheitswert dem Kläger zu. Dabei ging es von einer der wirtschaftlichen Einheit zuzurechnenden Grundfläche von 1.000 qm aus. Eine Erklärung zur Feststellung lag dem FA nicht vor.

Nachdem im Jahre 1977 ein Kaminzimmer mit 36,5 qm ausgebaut worden war, nahm das FA mit Bescheid vom 12. September 1979 eine Wertfortschreibung auf den 1. Januar 1978 vor. Es ging nunmehr davon aus, daß die in die wirtschaftliche Einheit einzubeziehende Grundstücksfläche 3.200 qm betrage, ermittelte den Einheitswert im Sachwertverfahren und stellte ihn auf 172.800 DM fest.

Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) befinden sich im Erdgeschoß des Hauses in einem in sich gegliederten Raum neben Küche und Eßecke ein Wohn- und bereits ursprünglich vorhandenes Kaminzimmer mit einer Gesamtfläche von rd. 100 qm. Dazu kommen noch Diele, Kinderzimmer und Sanitärräume. Im Obergeschoß befinden sich neben einem Eltern- zwei Kinderzimmer, ein Bügelzimmer sowie ein Bad. Das Haus ist teilweise unterkellert (90 qm). Im Keller befindet sich ein (auch am 1. Januar 1974) nicht in Betrieb genommenes Schwimmbecken mit 20 bis 25 qm. Zum Haus gehören eine Doppelgarage, ein Geräteraum und eine Terrasse.

Mit der gegen den Fortschreibungsbescheid gerichteten Klage begehrt der Kläger, die Bewertung im Ertragswertverfahren vorzunehmen.

Das FG hat der Klage stattgegeben und nach seinem Tenor den Einheitswertbescheid vom 12. September 1979 teilweise aufgehoben und das FA angewiesen, den Einheitswert im Ertragswertverfahren festzustellen. In den Gründen seiner Entscheidung vertritt das FG die Auffassung, daß die unstreitig zum Wohngebäude gehörende Grundstücksfläche mit 3.200 qm zwar sehr groß, jedoch auf dem Lande nicht außergewöhnlich sei. Die Wohnfläche, die das FG (einschließlich Anbau) mit 269,63 qm angenommen und dabei ein Büro sowie Dachboden und Schwimmhalle außer Ansatz gelassen habe, führe für sich allein nicht zur Anwendung des Sachwertverfahrens. Die Größe der Wohnfläche werde noch durch die Nähe des Fabrikgebäudes und die nicht aufwendige Ausstattung aufgewogen.

Mit der Revision beantragt das FA, die Klage unter Aufhebung des angefochtenen Urteils abzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an das FG zu anderweitiger Verhandlung und Entscheidung.

1. Nach § 22 Abs. 1 Nr. 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) wird der Einheitswert beim Grundbesitz im Wege der Wertfortschreibung neu festgestellt, wenn der nach § 30 BewG abgerundete Wert, der sich für den Beginn eines Kalenderjahres ergibt, u. a. nach oben um mehr als den zehnten Teil, mindestens aber um 5.000 DM vom Einheitswert des letzten Feststellungszeitpunkts abweicht. Eine Wertfortschreibung findet nach § 22 Abs. 3 BewG auch zur Beseitigung eines Fehlers der letzten Feststellung statt. Die Fortschreibung ist vorzunehmen, wenn der Finanzbehörde bekannt wird, daß die Voraussetzungen für sie vorliegen (§ 22 Abs. 4 Satz 1 BewG); dabei sind ihr vorbehaltlich des § 27 BewG die Verhältnisse im Fortschreibungszeitpunkt zugrunde zu legen (§ 22 Abs. 4 Satz 2 BewG).

Hinsichtlich des Fortschreibungszeitpunkts trifft § 22 Abs. 4 Satz 3 BewG je nach dem Anlaß der Fortschreibung unterschiedliche Regelungen. Fortschreibungszeitpunkt ist bei einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse nach § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 BewG der Beginn des Kalenderjahres, das auf die Änderung folgt. Bei einer fehlerbeseitigenden Fortschreibung ist Fortschreibungszeitpunkt - soweit sie nicht zu einer Erhöhung des Einheitswertes führt - der Beginn des Kalenderjahres, in dem der Fehler dem FA bekannt wird; führt die fehlerbeseitigende Fortschreibung - wie im Streitfall - zu einer Erhöhung des Einheitswertes, so ist Fortschreibungszeitpunkt frühestens der Beginn des Kalenderjahres, in dem der Feststellungsbescheid erteilt wird (§ 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 BewG).

Aus der unterschiedlichen Regelung bezüglich des Fortschreibungszeitpunktes folgt, daß die Fortschreibung wegen Änderung tatsächlicher Verhältnisse und die fehlerbeseitigende Fortschreibung selbständig nebeneinanderstehen. Das hat zur Folge, daß Fehler einer vorangegangenen Feststellung, deren Beseitigung zu einer Erhöhung des Einheitswertes führen würde, anläßlich einer Wertfortschreibung wegen Änderung tatsächlicher Verhältnisse nur dann gleichzeitig beseitigt werden können, wenn für beide Fortschreibungen derselbe Fortschreibungszeitpunkt in Betracht kommt (vgl. die Urteile des III. Senats des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 15. Oktober 1981 III R 96/80, BFHE 134, 184, BStBl II 1982, 15, und vom 12. März 1982 III R 63/79, BFHE 135, 341, BStBl II 1982, 451, denen sich der nunmehr zuständige II. Senat anschließt).

2. a) Fehler i. S. des § 22 Abs. 3 BewG ist jede objektive Unrichtigkeit, damit auch jeder Fehler in der Rechtsfindung. Deshalb ist unter den Fehlerbegriff auch das Verkennen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 76 Abs. 3 Nr. 1 BewG zu subsumieren (zur Fehlerqualifikation dem Grunde nach so schon BFH-Urteil vom 31. Juli 1981 III R 127/79, BFHE 134, 164, BStBl II 1982, 6). Ein derartiger Fehler ist dem FA beim Erlaß des Nachfeststellungsbescheids auf den 1. Januar 1974 unterlaufen. Denn das Wohngrundstück des Klägers unterscheidet sich eindeutig hinsichtlich der Wohnfläche wesentlich von den nach § 76 Abs. 1 BewG im Ertragswertverfahren zu bewertenden Einfamilienhäusern, und zwar nicht erst seit der im Jahre 1977 durchgeführten Baumaßnahme (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 12. Februar 1986 II R 192/78, BFHE 146, 96, BStBl II 1986, 320). Unzutreffend ist die Annahme des FG, die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 76 Abs. 3 Nr. 1 BewG - wesentliche Unterscheidung durch besondere Gestaltung oder Ausstattung - könnten durch andere Umstände kompensiert werden. Das FG hat dabei übersehen, daß wertmindernde Umstände nur durch Ermäßigung (§§ 82, 88 BewG) zu berücksichtigen sind.

Ausgehend von der im angefochtenen Urteil enthaltenen Aussage, daß die in die wirtschaftliche Einheit einzubeziehende Grundstücksfläche unstreitig 3.200 qm betrage, ist dem FA im Nachfeststellungsbescheid auf den 1. Januar 1974 auch bei der Abgrenzung der wirtschaftlichen Einheit ein Fehler unterlaufen.

b) Diese Fehler durfte das FA, weil deren Beseitigung zu einer Erhöhung des Einheitswertes führt, nicht durch einen erst im Jahre 1979 erteilten Wertfortschreibungsbescheid auf den 1. Januar 1978 beseitigen. Die Wertfortschreibung auf diesen Stichtag konnte nur unter Beibehaltung des fehlerhaften Wertermittlungsverfahrens und unter Fortführung der fehlerhaften Abgrenzung der wirtschaftlichen Einheit die 1977 eingetretenen tatsächlichen Änderungen erfassen, vorausgesetzt, daß dadurch allein die Grenzen des § 22 Abs. 1 Nr. 1 BewG erreicht werden.

c) Der Umstand, daß das FA die ihm bei der Nachfeststellung auf den 1. Januar 1974 unterlaufenen Fehler zu einem zu frühen Fortschreibungszeitpunkt (1. Januar 1978) beseitigt hat, bewirkt, daß es nach Aufhebung des insoweit rechtswidrigen Verwaltungsakts nunmehr die Fortschreibung zum richtigen Zeitpunkt vornehmen kann. Denn § 174 Abs. 4 der Abgabenordnung (AO 1977) i. V. m. § 181 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 bietet die Möglichkeit, bei verfehltem Fortschreibungszeitpunkt zu dem nach § 22 Abs. 4 BewG unter Berücksichtigung des aufgehobenen Verwaltungsakts frühestmöglichen Stichtag nachträglich die fehlerbeseitigende Fortschreibung vorzunehmen. Dem steht Satz 3 Nr. 2 des § 22 Abs. 4 BewG nicht entgegen. Denn dem Schutzzweck dieser Vorschrift, es dem Steuerpflichtigen zu ermöglichen, sich auf den höheren (richtigen) Einheitswert einzustellen, ist durch die verfrühte fehlerhafte Fortschreibung Genüge getan.

3. Auf die Verfahrensrügen, die das FA erhoben hat, war nicht mehr einzugehen. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG wird nunmehr zu prüfen haben, ob die Baumaßnahme, die im Jahre 1977 durchgeführt worden ist, für sich allein unter Beibehaltung der bei der Nachfeststellung auf den 1. Januar 1974 vom FA vertretenen Rechtsauffassung zum Wertermittlungsverfahren und zur Abgrenzung der wirtschaftlichen Einheit zu einer Erhöhung des Einheitswertes führt, die die Wertgrenzen des § 22 Abs. 1 Nr. 1 BewG für die Fortschreibung erreicht.