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BFH-Urteil vom 14.7.1987 (VII R 116/86) BStBl. 1987 II S. 863

Für die Klage des Vollstreckungsgläubigers gegen das FA als Drittschuldner auf Auszahlung eines durch Beschluß des Amtsgerichts gepfändeten und zur Einziehung überwiesenen Umsatzsteuererstattungsanspruchs ist der Finanzrechtsweg gegeben.

FGO § 33; ZPO §§ 835, 836.

Vorinstanz: FG München

Sachverhalt

Die Rechtsvorgängerin der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erwirkte beim Amtsgericht R den Pfändungs- und Überweisungsbeschluß vom 24. August 1976. Durch diesen Beschluß wurden angebliche Umsatzsteuerguthaben der K-KG (im folgenden: KG) gegen den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) gepfändet. Das FA erkannte die Forderung nicht an und teilte der Rechtsvorgängerin der Klägerin mit, daß der Geschäftsführer und Alleininhaber der KG die gegenwärtigen und künftigen Umsatzsteuererstattungsansprüche zugunsten der X-GmbH (im folgenden: GmbH) am 22. April 1975 an das FA abgetreten habe; das Guthaben der KG in Höhe von 524.695, 77 DM sei auf das Konto der GmbH umgebucht worden. Die Rechtsvorgängerin der Klägerin forderte mit Schreiben vom 19. September 1977 das FA erfolglos zur Zahlung des genannten Betrages auf.

Die Klägerin beantragte mit der Klage, das FA zu verurteilen, ihr Auskunft über die Umsatzsteuerguthaben der KG für die Jahre 1971 bis 1976 zu erteilen und den sich aus der Auskunftserteilung ergebenden Guthabenbetrag, mindestens jedoch 524.695, 77 DM, an sie auszuzahlen.

Das FG wies die Klage mit der Begründung ab, der Finanzrechtsweg sei nicht gegeben.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Das FG hat zu Unrecht den Finanzrechtsweg nicht für gegeben erachtet.

1. Nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO ist der Finanzrechtsweg gegeben in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten über Abgabenangelegenheiten. Die Frage, ob hier eine solche Streitigkeit vorliegt, entscheidet sich nach der Rechtsnatur des Klagebegehrens, wie sie sich aus dem dem Klageantrag zugrunde liegenden Sachverhalt ergibt (BFH-Urteil vom 14. Oktober 1975 VII R 40/74, BFHE 117, 23, mit Nachweisen). Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin in erster Linie die Auszahlung des Umsatzsteuerguthabens der KG aus den Jahren 1971 bis 1976. Der Streit darüber, ob der Klägerin als Vollstreckungsgläubigerin dieser Anspruch gegen das FA als Drittschuldner zusteht, ist eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit über eine Abgabenangelegenheit, über die im Finanzrechtsweg zu entscheiden ist (so auch Urteil des FG Düsseldorf vom 24. März 1982 XIII/IV 239/79 S, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1982, 576; Urteil des FG Baden-Württemberg vom 20. Oktober 1983 III 344/82, EFG 1984, 164; Urteil des FG Berlin vom 15. April 1986 V 98/84, EFG 1987, 85; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 46 AO 1977 Tz. 11 und § 33 FGO Tz. 5; v. Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 33 FGO Anm. 78; a. A. Beschluß des Niedersächsischen FG vom 28. September 1979 VI 343/79, EFG 1980, 191).

a) Die Klägerin möchte ein bestimmtes Umsatzsteuerguthaben des Vollstreckungsschuldners, der KG, ausgezahlt erhalten. Sie macht also den (angeblichen) Anspruch der KG auf Rückzahlung überzahlter Umsatzsteuer (oder auf Auszahlung von Überschüssen) geltend, d. h. einen öffentlich-rechtlichen Vergütungs- oder Erstattungsanspruch im Sinne des § 37 AO 1977. Dieses Klagebegehren ist öffentlich-rechtlicher Natur; es betrifft eine Abgabenangelegenheit, da es mit der Anwendung abgabenrechtlicher Vorschriften durch die Finanzbehörden zusammenhängt (§ 33 Abs. 2 Satz 1 FGO). Dieser Anspruch hat seine Rechtsnatur nicht dadurch geändert, daß die Klägerin durch einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluß des Amtsgerichts zur Einziehung der Forderung befugt worden ist.

In seinen Urteilen in BFHE 117, 23, und vom 25. April 1978 VII R 2/75 (BFHE 125, 138, BStBl II 1978, 464) hat der erkennende Senat entschieden, daß der öffentlich-rechtliche Anspruch auf Auszahlung von gemeinschaftsrechtlichen Ausfuhrvergünstigungen nicht dadurch zu einem privatrechtlichen wird, daß der Berechtigte den Anspruch an einen Dritten abgetreten hat; durch die Abtretung nach § 398 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) entstehe keine neue Forderung, sondern eine bestehende Forderung werde ohne Änderung ihrer Rechtsnatur auf einen neuen Gläubiger übertragen (vgl. auch die zustimmenden Anmerkungen von Söhn in Anmerkungen zur Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK-Anm. -, Finanzgerichtsordnung, § 33, Rechtsspruch 29, und § 40, Rechtsspruch 81). Diese Auffassung hat der Senat durch Urteil vom 23. April 1985 VII R 26/82 bestätigt (BFHE 144, 92, 94; vgl. auch Urteil des VI. Senats des BFH vom 29. Juni 1978 VI R 20/77, BFHE 125, 343, 345, BStBl II 1978, 608).

b) Die vorstehenden Rechtsgrundsätze können ohne Einschränkung auch auf den Fall der Überweisung einer Forderung zur Einziehung nach § 835 ZPO übertragen werden. Diese Überweisung hat nach § 836 Abs. 1 ZPO die Wirkung, daß dadurch die förmlichen Erklärungen des Vollstreckungsschuldners ersetzt werden, von denen nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts die Berechtigung zur Einziehung der Forderung abhängig ist. Die Pfändung und Überweisung ändert also ähnlich wie eine entsprechende Abtretungserklärung nach § 398 BGB lediglich die Person, die zur Geltendmachung der Forderung befugt ist, ohne das Schuldverhältnis zu berühren, aus dem sich die betreffende Forderung ergibt. Daran ändert sich nichts dadurch, daß der Pfändungsgläubiger aufgrund des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses nicht zum Inhaber der Forderung wird, diese vielmehr im Vermögen des Vollstreckungsschuldners bleibt (Urteile des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 8. Oktober 1981 VII ZR 319/80, BGHZ 82, 28, 31, und vom 27. April 1978 VII ZR 219/77, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1978, 1914). Mit Überweisung der gepfändeten Forderung wird der Vollstreckungsgläubiger ermächtigt, das Recht des Vollstreckungsschuldners im eigenen Namen geltend zu machen (BFH-Urteil vom 15. Juni 1973 VI R 400/69, BFHE 110, 26, 29, BStBl II 1973, 784; vgl. auch die zitierten Urteile des BGH). Das Recht, das nach der Überweisung geltend gemacht wird, ist also nach wie vor das Recht des Vollstreckungsschuldners. Die unverändert gebliebene Rechtsnatur dieses Rechts ist für die Rechtswegzuweisung maßgebend. Diese Rechtsnatur läßt sich auch nicht aufspalten in eine Rechtsfolge aus dem Abgabenrecht hinsichtlich des Bestehens des Anspruchs und in eine Rechtsfolge aus dem Zivilprozeßrecht hinsichtlich der Berechtigung daraus. Der Steuererstattungsanspruch kann nur einheitlich betrachtet werden, er wurzelt einheitlich im öffentlichen Recht (vgl. Urteil des Reichsgerichts - RG - vom 28. April 1936 III 180/35, Juristische Wochenschrift - JW - 1936, 2712, 2713; Senatsurteil in BFHE 117, 23, 28 ff.).

Dieser Auffassung steht auch die Vorschrift des § 159 Abs. 6 AO (= § 46 Abs. 7 AO 1977) nicht entgegen. Sie bestimmt lediglich, daß die Finanzbehörde, die über den Anspruch entschieden oder zu entscheiden hat, und nicht der Fiskus als Drittschuldner im Sinne des § 829 ZPO gilt (vgl. Tipke/Kruse, a. a. O., § 46 AO 1977 Tz. 9). Über die Rechtsnatur des überwiesenen Anspruchs gibt die Vorschrift keinen Aufschluß.

c) Für die Frage des Rechtswegs ist es ohne Bedeutung, ob das FA gegenüber der Klägerin hoheitliche Befugnisse ausübt oder nicht (Senatsurteil in BFHE 117, 23, 27). Zu Unrecht beruft sich das FG in der Vorentscheidung und das FA in seiner Revisionserwiderung darauf, daß zwischen der Klägerin und dem FA kein Steuerschuldverhältnis gegeben sei. § 33 FGO macht die Zulässigkeit des Finanzrechtswegs nicht vom Bestehen eines solchen Verhältnisses zwischen den Beteiligten am Rechtsstreit abhängig. Das RG (JW 1936, 2712, 2713) hat mit Recht darauf hingewiesen, daß im Steuerfestsetzungsverfahren die Finanzbehörden nicht selten unter Anwendung von Vorschriften des bürgerlichen Rechts bei der Bestimmung des Steuerpflichtigen oder Ersatzpflichtigen, z. B. im Falle des Wegfalls des Steuerpflichtigen über die Rechtsnachfolge usw., oder in anderen Fällen über die Fragen der Geschäftsfähigkeit, der Vertretung und Bevollmächtigung zu entscheiden haben und dennoch insoweit nicht der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet wird.

Schließlich kann die Frage der Zulässigkeit des Finanzrechtswegs auch nicht davon abhängig gemacht werden, welcher Natur die Rechtsfragen sind, die den Schwerpunkt des Rechtsstreits bilden (vgl. Niedersächsisches FG in EFG 1980, 191). Es ist nicht zweifelhaft, daß im Rahmen der Rechtswegzuweisung des § 33 FGO die FG die Vorfragenkompetenz haben (vgl. Tipke/Kruse, a. a. O., § 33 FGO Tz. 3). Es kommt nicht selten vor, daß der Schwerpunkt eines Rechtsstreits bei den Vorfragen liegt. Gerade in Streitigkeiten der vorliegenden Art kann die Vorfrage im Vordergrund stehen, ob der Pfändungs- und Überweisungsbeschluß überhaupt wirksam ist (vgl. z. B. EFG 1982, 576; EFG 1984, 164). Da bei solchen Klagen die Schwerpunkte der zu entscheidenden Fragen unterschiedlich liegen können, ist in einem Fall die Sachkunde der ordentlichen, im anderen Fall die der FG gefragt. Stellte man nur darauf ab, so ergäbe sich eine nicht tragbare Rechtsunsicherheit über den zulässigen Rechtsweg.

Von der Auffassung, daß in einem Fall wie dem vorliegenden der Finanzrechtsweg gegeben ist, ist auch der VI. Senat des BFH ausgegangen, als er, ohne das freilich näher zu begründen, die Zulässigkeit des Finanzrechtswegs bejahte für die Klage des Pfändungsgläubigers, dem ein Lohnsteuererstattungsanspruch gegen das FA als Drittschuldner zur Einziehung überwiesen worden war, mit dem Ziel, das FA zu verpflichten, die Erstattung durchzuführen (Urteil in BFHE 110, 26, BStBl II 1973, 784). Zum gleichen Ergebnis gelangte das RG in seinem Urteil in JW 1936, 2712; es entschied, eine Streitigkeit über den Steuererstattungsanspruch mit der Steuerbehörde könne in keiner Beziehung, auch nicht bezüglich der Wirksamkeit der Abtretung des Anspruchs, Gegenstand eines Verfahrens vor den ordentlichen Gerichten sein.

2. Der Finanzrechtsweg ist auch gegeben für das weitere Klagebegehren der Klägerin, das FA solle ihr Auskunft über das Umsatzsteuerguthaben der KG erteilen. Dieses Begehren hängt eng mit dem im Vordergrund stehenden Begehren der Klägerin zusammen, das Umsatzsteuerguthaben auszuzahlen. Seine Rechtsnatur ist also - unabhängig davon, in welchen Vorschriften es seine Rechtsgrundlage findet - identisch mit der Rechtsnatur des Auszahlungsbegehrens. Es handelt sich daher auch insoweit um eine Streitigkeit über eine Abgabenangelegenheit im Sinne des § 33 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 FGO.

3. Da das FG zu Unrecht die Zulässigkeit des Finanzrechtswegs verneint hat, war die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).