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BFH-Urteil vom 10.11.1987 (VII R 171/84) BStBl. 1988 II S. 41

Der Steuerpflichtige trägt die Verlustgefahr für einen Steuererstattungsbetrag, den das FA auf ein Konto überwiesen hat, das vom Steuerpflichtigen in der Steuererklärung als das seine bezeichnet, von ihm aber schon vorher aufgelöst und von der Bank sodann auf eine andere Person umgeschrieben worden ist.

AO 1977 §§ 37 Abs. 2, 47, 224 Abs. 3; Gesetz über die Zahlungen aus öffentlichen Kassen vom 21. Dezember 1938 § 1 Abs. 1; BGB § 270 Abs. 3.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) kreuzte in seiner Einkommensteuererklärung für das Kalenderjahr 1981 in der Rubrik "Konto wie 1980?" das Kästchen "Ja" an und bejahte die Frage, ob er mit einer Erstattung rechne. Auch in den Einkommensteuererklärungen 1980 und 1979 war jeweils in der Rubrik "Konto wie 1979" bzw. "Konto wie 1978" das Kästchen "Ja" angekreuzt. In der Einkommensteuererklärung 1978 war als Konto angeführt das Konto Nr... beim Postscheckamt ... Kontoinhaber dieses Kontos war ursprünglich der Kläger. Er hatte es am 30. April 1980 aufgelöst, dies aber dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) nicht mitgeteilt. Das Postscheckamt Stuttgart hat die vorgenannte Postscheckkontonummer im Mai 1981 weitervergeben an Frau K.

Bei der Veranlagung zur Einkommensteuer 1981 des Klägers und seiner Ehefrau ergab sich ein Restguthaben der Eheleute in Höhe von insgesamt 13.123,50 DM. Im Steuerbescheid 1981 vom 23. März 1982 ist angeführt, daß das Restguthaben erstattet werde. Das FA nahm die Erstattung im sog. Datenträgeraustauschverfahren vor. Das Postscheckamt buchte den Erstattungsbetrag auf dem angegebenen Konto. Nachdem sich die Fehlleitung herausgestellt hatte, teilte das Postscheckamt dem FA mit, im beleglosen Datenträgeraustausch könne systembedingt nur nach der Kontonummer gebucht werden. Daraufhin forderte das FA mit Bescheid vom 8. Juni 1982 von Frau K den Betrag zurück. Diese zahlte am 16. Juni 1982 5.000 DM, die das FA an den Kläger weiterleitete, und teilte mit Schreiben vom 5. Juli 1982 dem FA mit, sie sei nur in der Lage, vorläufig monatlich 100 DM zu bezahlen. Mit Bescheid vom 16. Juli 1982 lehnte das FA gegenüber dem Kläger die von ihm geforderte erneute Erstattung mit der Begründung ab, das FA habe durch Zahlung auf das vom Kläger angegebene Konto befreiend geleistet. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab (vgl. auch Urteil des FG vom 2. Dezember 1983 IX 473/81, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1984, 378, in einem Fall, der teilweise gleichgelagert ist).

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist nicht begründet.

Dem Kläger stand aufgrund des Einkommensteuerbescheids 1981 ein Steuererstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) zu, also ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis, das im Streitfall zwischen den Beteiligten bestand. Solche Ansprüche erlöschen mit der Zahlung (§ 47 AO 1977). Die Zahlung in diesem Sinn ist ein im wesentlichen nach privatrechtlichen Vorschriften zu beurteilender Vorgang, der aus öffentlich-rechtlichem Grund und mit öffentlich-rechtlicher Wirkung erfolgt (vgl. Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 26. April 1984 8 B 89.83, NJW 1984, 2114; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 47 AO 1977 Anm. 3, § 224 AO 1977 Anm. 1). Nach allgemeiner Ansicht erlischt bei Zahlung durch Giroüberweisung der Anspruch erst mit der Gutschrift des überwiesenen Betrages auf dem Konto des Gläubigers (BVerwG-Urteil vom 12. Dezember 1979 6 C 28.78, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 235, § 3 des Bundesbesoldungsgesetzes - BBesG - Nr. 2; Urteil des BGH vom 2. Februar 1972 VIII ZR 152/70, BGHZ 58, 108, 109; Kindermann, Gutschrift und Belastungsbuchung im Geldüberweisungsverkehr, Wertpapier-Mitteilungen - WM - 1982, 318, 319). § 224 Abs. 3 Satz 3 AO 1977 besagt nichts anderes. Diese Vorschrift fingiert einen bestimmten Zahlungszeitpunkt zu dem Zweck, die Berechnung von Zinsen und Säumniszuschlägen zu erleichtern (BVerwG-Beschluß in NJW 1984, 2114; Tipke/Kruse, a.a.O., § 224 AO 1977 Anm. 6). Sie setzt aber voraus, daß die Zahlung den Gläubiger auch erreicht hat.

Im Streitfall ist dem Kläger die Verfügungsgewalt über den Betrag, auf den er Anspruch hatte, nicht verschafft worden. Der Betrag ist vielmehr wegen der inzwischen vorgenommenen Umschreibung des vom Kläger angegebenen Kontos einer anderen Person gutgeschrieben worden. Durch eine solche Gutschrift kann im Regelfall der Anspruch des Gläubigers nicht wirksam erfüllt werden (BGH-Urteil vom 13. Juni 1983 II ZR 226/82, BGHZ 87, 376, 379).

Im Streitfall ist die Zahlung durch das FA aber im Ergebnis als wirksam anzusehen, weil der Kläger die Gefahr des Verlustes des überwiesenen Geldes zu tragen hat. Zwar trifft im Regelfall bei der Geldübermittlung den Schuldner die Verlustgefahr. Das ergibt sich im vorliegenden Fall aus § 1 Abs. 1 des Gesetzes über Zahlungen aus öffentlichen Kassen vom 21. Dezember 1938 (RGBl I 1938, 1899, RStBl 1939, 68 - im folgenden: Zahlungsgesetz -). Dieses Gesetz galt im hier maßgebenden Zeitpunkt noch (vgl. BVerwG-Urteil in Buchholz, a.a.O.). Es ist erst durch Art. 18 und Art. 42 Abs. 2 des Zweiten Rechtsbereinigungsgesetzes vom 16. Dezember 1986 (BGBl I 1986, 2441) mit Wirkung vom 1. Januar 1987 aufgehoben worden. Nach § 1 Abs. 1 Zahlungsgesetz kann ausnahmsweise auch den Gläubiger die Verlustgefahr treffen, wenn sich das "aus dem Wesen des Rechtsverhältnisses" ergibt. In einem solchen Fall kann der Gläubiger anders als bei der Gefahrtragung durch den Schuldner nicht die nochmalige Zahlung des verlorenen Betrags verlangen (vgl. Soergel, Bürgerliches Gesetzbuch, 11. Aufl., Stand 1986, § 270 Anm. 13; Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2. Aufl., § 270 Anm. 11).

Nach den Feststellungen des FG hat der Kläger in seiner Steuererklärung angegeben, er rechne mit einer Steuererstattung und als seine Bankverbindung das genannte Girokonto bezeichnet. Diese Erklärungen können nach ihrem objektiven Erklärungsgehalt (analog den Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB) mit dem FG nur dahin verstanden werden, daß damit der Kläger das FA ersuchte, einen etwaigen Erstattungsbetrag auf dieses Konto zu überweisen. Dabei konnte das FA mangels entsprechender Anhaltspunkte für das Gegenteil davon ausgehen, daß der Kläger mit der Überweisung auf einem üblichen Weg einverstanden sei. Dem Ersuchen des Klägers ist nach den Feststellungen des FG das FA ohne jede Abweichung nachgekommen. Insbesondere hat das FG - in für den Senat bindender Weise (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) - festgestellt, daß die Überweisung im beleglosen Datenträgeraustauschverfahren erfolgt und dieses ein übliches Verfahren ist.

Unter diesen Umständen kann der Kläger vom FA nicht eine weitere Überweisung verlangen mit dem Einwand, das FA hätte die Überweisung auf das von ihm angegebene Konto nicht durchführen dürfen, sondern ein (unübliches) Überweisungsverfahren wählen müssen, das eine Prüfung ermöglicht hätte, ob das von ihm als das seine bezeichnete Konto nicht etwa das eines anderen sei. Denn dem steht der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen. Dieser gilt nach allgemeiner Auffassung auch im öffentlichen Recht. Insbesondere bei der Frage nach Wesen und Inhalt des Steuerschuldverhältnisses, das zwischen den Beteiligten besteht (vgl. § 1 Abs. 1 Zahlungsgesetz), ist dieser Grundsatz heranzuziehen. Er gebietet, daß im Rechtsverkehr jeder auf die berechtigten Belange des anderes Teiles angemessen Rücksicht nimmt und sich mit seinem eigenen Verhalten, auf das der andere vertraut hat, nicht in Widerspruch setzt; Behörde und Steuerpflichtiger sind zu einem konsequenten Verhalten verpflichtet, es gilt das Verbot des "venire contra factum proprium" (vgl. z.B. Tipke/Kruse, a.a.O., § 4 AO 1977 Anm. 57 mit Hinweisen). In diesem Sinn verstößt der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf (erneute) Zahlung an ihn gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, weil er sich damit in Widerspruch setzt zu seinem eigenen Verhalten, nämlich zu seinen - wie oben ausgeführt zu verstehenden - Angaben in der Steuererklärung, auf deren Grundlage das FA seinerseits sein Verhalten eingerichtet hat.

Nicht stichhaltig ist der Einwand des Klägers, das FA hätte seinen Anweisungen nur folgen dürfen, wenn es davon hätte ausgehen können, daß in dem von ihm gewählten Überweisungsverfahren die Übereinstimmung von Kontonummer und Inhaber geprüft würde. Das FA brauchte davon, daß der Kläger auf einen solchen Inhaber-Kontonummer-Vergleich Wert legen würde, nicht auszugehen. Schon der Kläger selbst hatte es in der Hand, das höhere Risiko eines Überweisungsverfahrens ohne eine solche Kontrolle dadurch auf Null zu reduzieren, daß er selbst eine solche Überprüfung im Hinblick auf das von ihm angegebene Konto vornahm. Ihm war diese mit geringstem Aufwand möglich und sie hätte mit Sicherheit dazu geführt, daß die Angabe des falschen Kontos und damit die Fehlüberweisung unterblieben wäre. Hielt der Kläger bei sich selbst eine solche Überprüfung nicht für notwendig, so kann er nach dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht vom FA verlangen, ihn durch arbeitsaufwendige und vom Üblichen abweichende Vorkehrungen vor dem Risiko eigenen Fehlverhaltens zu schützen bzw. beim Festhalten am üblichen Überweisungsverfahren wenigstens die Gefahr des Verlustes des Geldes zu tragen. Es ist kein Grund ersichtlich, der es rechtfertigte, die Folgen des Fehlverhaltens des Klägers bei der Angabe der Kontonummer nicht ihm, sondern dem FA - und damit der Gesamtheit der Steuerzahler - aufzubürden.

Zum gleichen Ergebnis führt auch die Anwendung der Vorschriften des bürgerlichen Rechts. Nach § 270 Abs. 1 BGB trägt grundsätzlich der Schuldner die Verlustgefahr. Dieser Grundsatz gilt aber nicht ausnahmslos. So hat nach § 270 Abs. 3 BGB der Gläubiger die Gefahr zu tragen, falls diese sich nachträglich infolge Wohnsitz- oder Niederlassungsänderung erhöht. Dieser Regelung liegt der Gedanke zugrunde, daß es unangemessen wäre, den Schuldner für Gefahren haften zu lassen, die der Gläubiger durch ein allein seiner Sphäre zuzurechnendes Verhalten erst geschaffen hat. Dieser Gedanke, der sich auch aus dem Grundsatz von Treu und Glauben entnehmen läßt, ist allgemein anwendbar. Der Schuldner haftet daher nicht für Gefahren der Geldübermittlung, die durch das Verhalten des Gläubigers, das auch seiner Sphäre zuzurechnen ist, verursacht worden sind (vgl. Soergel, a.a.O., § 270 Anm. 15; Staudinger, Bürgerliches Gesetzbuch, 12. Aufl., § 270 Anm. 7; Münchener Kommentar, § 270 Anm. 12; Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 46. Aufl., § 270 Anm. 3 a; vgl. auch Urteil des Reichsgerichts - RG - vom 7. Juli 1908 II 64/08, RGZ 69, 137). Gegen diese Auffassung spricht nicht das BGH-Urteil vom 15. Mai 1952 IV ZR 157/51 (BGHZ 6, 121, 127). In diesem Urteil hat der BGH die entsprechende Anwendung des § 270 Abs. 3 BGB lediglich für eine bestimmte Fallgruppe verneint, aber deutlich zu erkennen gegeben, daß eine solche entsprechende Anwendung nicht von vornherein ausscheidet.

Im Streitfall ist die Gefahr des Verlustes des überwiesenen Geldes primär durch die falsche Kontoangabe des Klägers geschaffen worden. Diese Gefahrerhöhung kommt also allein aus der Sphäre des Klägers. Nach den im Vorabsatz dargelegten Grundsätzen hat somit der Kläger diese Gefahr zu tragen (vgl. Kindermann, a.a.O., S. 321; Canaris, Großkommentar zum Handelsgesetzbuch, 3. Aufl., Bd. III/3, 2. Bearbeitung 1981, Rdnr. 485). Bestätigt wird diese Auffassung durch die Regelung des § 170 BGB. Danach bleibt eine Vollmacht, die durch Erklärung einem Dritten gegenüber erteilt wird, diesem gegenüber in Kraft, bis ihm vom Vollmachtgeber das Erlöschen angezeigt worden ist. Die Interessenlage ist im wesentlichen die gleiche wie bei der hier zu entscheidenden Frage der Gefahrtragung bei falscher Kontoangabe.

Zu Unrecht beruft sich der Kläger auf die Rechtsprechung der Zivilgerichte zur Frage, ob auf den herkömmlichen Überweisungsverkehr die Haftungseinschränkung der Nr. 4 Abs. 3 S. 2 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der Privatbanken anzuwenden ist, wonach die Banken nur für grobes Verschulden haften, wenn sie allein die angegebene Kontonummer für maßgeblich halten und es deswegen zu Fehlbuchungen kommt. Diese Frage wird mit dem Hinweis verneint, der generelle Verzicht der Banken auf Kontrollmöglichkeiten durch Namen-Konto- Vergleich hätte Mißbrauchsmöglichkeiten zur Folge und könne nicht generell auf die Kunden überbürdet werden, weshalb bei Abweichung zwischen Empfängerbezeichnung und Inhaber des angegebenen Kontos grundsätzlich die Empfängerbezeichnung maßgebend sein solle (OLG Frankfurt, Urteil in NJW 1983, 1681; Landgericht - LG - Freiburg, Urteil vom 2. Februar 1978 3 S 216/77, WM 1978, 262; Canaris, a.a.O., Rdnr. 331, 2566, mit Hinweisen). Es ist schon fraglich, ob diese Auffassung auch für den - hier gegebenen - Fall des Überweisungsverkehrs durch beleglosen Datenträgeraustausch gilt (verneinend OLG Hamm, Urteil vom 22. Februar 1978 20 U 267/77, WM 1979, 339; im Ergebnis ebenso Canaris, a.a.O., Rdnr. 523). Jedenfalls aber verkennt der Kläger, daß diese Rechtsprechung allein das Verhältnis der Banken zu ihren Kunden betrifft. Nur in diesem Zusammenhang weist Canaris (a.a.O., Rdnr. 523) darauf hin, daß im beleglosen Datenträgeraustauschverfahren die Teilnehmer das Risiko des Verzichts auf Namenskontrolle zu tragen haben. Im Streitfall geht es dagegen allein um die Frage, ob der Schuldner die Gefahr des Verlustes des überwiesenen Geldes auch dann zu tragen hat, wenn diese Gefahr primär auf einem Verhalten des Gläubigers beruht. Die Entscheidung in dieser Frage wird durch die genannte Zivilrechtsprechung nicht präjudiziert.