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BFH-Urteil vom 29.9.1987 (X R 17/82) BStBl. 1988 II S. 49

Ist ein Berliner Unternehmer damit beauftragt, bestimmte betriebsbezogene technische oder betriebswirtschaftliche Aufgaben selbst zu lösen und wendet er sein entsprechendes Know-how bei der Erfüllung dieses Auftrags an, so liegt darin kein Überlassen von gewerblichen Verfahren und Erfahrungen i.S. von § 1 Abs. 6 Nr. 2 BerlinFG.

BerlinFG § 1 Abs. 6 Nr. 2.

Vorinstanz: FG Berlin

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) befaßt sich mit der Unternehmensberatung und Erforschung und Weitergabe rationeller Betriebsführungsmethoden. Nach ihrem Vorbringen umfaßt ihr Leistungsprogramm die Untersuchung, Beratung und Begutachtung auf Gebieten wie Unternehmensführung, Organisation, Material- und Lagerwirtschaft, Fertigung, Absatzwirtschaft, Finanz- und Rechnungswesen usw. Als Ergebnis ihrer eigenständigen Forschungstätigkeit habe sie praxisbezogene Entwicklungsarbeiten vorgelegt und veröffentlicht.

Zum Nachweis dafür, daß sie Leistungen i.S. des § 1 Abs. 6 Nr. 2 des Berlinförderungsgesetzes (BerlinFG) für westdeutsche Unternehmer ausgeführt habe, beantragte die Klägerin beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Beklagten) die Erteilung von Ursprungsbescheinigungen gemäß § 8 BerlinFG. Die Wirtschaftsbehörde entsprach jedoch den Anträgen nur teilweise. Sie sah die Tätigkeit der Klägerin vornehmlich als die eines beratenden Betriebswirts oder Unternehmensberaters an, der vorhandenes Wissen auf einen konkreten Fall anwende, nicht aber betriebswirtschaftliche Verfahren oder Erfahrungen dem Auftraggeber zur eigenen Anwendung überlasse.

Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin die Erteilung der Ursprungsbescheinigungen in folgenden vier Fällen, die sie als typisch ansieht:

Im ersten Fall war Auftragsgegenstand der gesamte Arbeitsablauf des auftraggebenden Betriebes. Die Klägerin gestaltete die Auftragsformulare neu, schichtete die Aufgabenbereiche um, regelte die Weitergabe der Formulare neu, erkannte und verhinderte Doppelarbeit, ordnete bestimmten Unternehmensbereichen bestimmte Funktionen zu, entwickelte ein dem auftraggebenden Unternehmen angepaßtes Auswertungssystem, organisierte den Personaleinsatz um und legte konkrete Vorschläge zur Organisation einzelner Abteilungen vor.

Im zweiten Fall war es Aufgabe der Klägerin, ein Betriebsabrechnungssystem zu entwickeln, aktuelle Zuschlagsätze auf der Basis von Plankostenwertungen zu bilden sowie ein kostengerechtes Kalkulationsschema für die Vor- und Nachkalkulation vorzubereiten.

Der dritte Auftrag bestand darin, eine Betriebsanalyse vorzunehmen und ein Konsolidierungskonzept zu erarbeiten.

Die gleiche Aufgabe wurde der Klägerin im letzten Fall gestellt. Das Schwergewicht lag dabei auf der Kalkulation der Fertigungskosten. Anhand der Besonderheiten und Gegebenheiten des Betriebes entwickelte die Klägerin ein gewerbliches Verfahren, das zu einem aussagefähigen Wert der "Fertigungskosten" führte. Die Klägerin gab zusätzlich noch Arbeitsanleitungen.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen.

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 1 Abs. 6 Nr. 2 BerlinFG. Sie ist der Ansicht, das FG habe den Begriff des "Überlassens" im Sinn dieser Vorschrift verkannt.

Die Klägerin begehrt, die Vorentscheidung aufzuheben und die beantragten Ursprungsbescheinigungen zu erteilen.

Der Beklagte beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das FG hat zu Recht entschieden, daß die Voraussetzungen des § 1 Abs. 6 Nr. 2 BerlinFG nicht vorliegen.

1. Gemäß § 1 Abs. 6 Nr. 2 BerlinFG ist begünstigt u.a. die Überlassung von gewerblichen Verfahren und Erfahrungen (vgl. auch § 8 Abs. 1 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes - UStG - 1967; § 3a Abs. 4 Nr. 5 UStG 1980). Das FG hat zutreffend dargelegt, daß nicht nur technisches, sondern auch betriebswirtschaftliches Erfahrungswissen, beispielsweise auf dem Gebiet der Betriebsabrechnung, der Betriebsanalyse, der Betriebsrationalisierung und der Betriebsorganisation, steuerbegünstigt überlassen werden kann (vgl. zur Vermittlung von betriebswirtschaftlichen Know-how Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16. Dezember 1970 I R 44/67, BFHE 101, 70, BStBl II 1971, 235; Eckhard/Weiß, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, Randnote 14 zu § 8; Knoppe, Die Besteuerung der Lizenz- und know-how-Verträge, 2. Aufl., 1972, S. 23 f.; Stumpf, Der Know-How-Vertrag, 3. Aufl., 1977, S. 27; Skaupy, Know-how-Vereinbarungen und Kartellrecht, Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht - GRUR - 1964, 539). Zu Recht weist die Klägerin darauf hin, daß auch unternehmensbezogenes Wissen vermittelt werden kann (vgl. das zu § 8 Abs. 1 Nr. 2 UStG 1967 ergangene BFH-Urteil vom 22. November 1973 V R 164/72, BFHE 111, 375, BStBl II 1974, 259: Überlassung von Marktforschungsuntersuchungen, die die Vorstellungen inländischer PKW- Besitzer über einen PKW betreffen, an einen Automobilproduzenten). Die Klägerin hat jedoch derartiges Erfahrungswissen nicht i.S. des § 1 Abs. 6 Nr. 2 BerlinFG "überlassen".

a) Unter Überlassen ist das Zur-Verfügung-Stellen des technischen oder wirtschaftlichen Erfahrungswissens zu verstehen, das der überlassende Unternehmer regelmäßig im Rahmen seines eigenen Unternehmens gewonnen hat (ebenso Sönksen/Söffing, Berlinförderungsgesetz, Randnote 67 zu § 1 unter Hinweis auf das Urteil in BFHE 111, 375, BStBl II 1974, 259; vgl. ferner Eckhard/Weiß, a.a.O.). Das Wesen der Überlassung besteht darin, daß der überlassende Unternehmer dem Vertragspartner ein Benutzungsrecht in bezug auf das Know-how einräumt. Dem Vertragspartner soll die Möglichkeit eröffnet werden, mit Hilfe der ihm vermittelten gewerblichen oder betriebswirtschaftlichen Erfahrungen die bei ihm anstehenden technischen oder betriebswirtschaftlichen Fragen selbst zu lösen (vgl. Urteil in BFHE 101, 70, BStBl II 1971, 235; Roth, Die Besteuerung des Know-how-Exports - Eine ertragsteuerliche Analyse, 1983, S. 42).

Spezialwissen kann in verschiedenen Formen und Arten vermittelt werden, so z.B. durch Anfertigung und Übergabe von Konstruktions-, Kalkulations- und Betriebsunterlagen, durch Vortrag, Gutachten und Hingabe von Mustern. Vielfach geschieht die Hingabe des Know-how im Rahmen einer befristeten Beratung und Ausbildung, die der Unternehmer durch eigene Angestellte dem Vertragspartner in dessen Betrieb gewährt (vgl. Eckhard/Weiß, a.a.O., Randnote 15; Knoppe, a.a.O., S. 23; Stumpf, a.a.O., S. 44; Skaupy, GRUR 1964, 539).

Der überlassende Unternehmer kann das Spezialwissen gezielt erworben haben, beispielsweise im Wege einer objektbezogenen Auftragsforschung (vgl. Eckhard/Weiß, a.a.O., Randnote 17; Stumpf, a.a.O., S. 45; vgl. auch Urteil in BFHE 111, 375, BStBl II 1974, 259: Marktforschung). Hierher zählt auch die Tätigkeit der Klägerin, bei der sie allein aufgrund ihrer satzungsmäßigen Aufgabe und ohne konkreten Firmenauftrag theoretische Konzepte und praktisch anwendbare Verfahren entwickelt, und zwar selbst dann, wenn die Klägerin im Rahmen dieser Forschungsaufgaben in einzelnen Betrieben tätig wird.

b) Ist der Unternehmer jedoch damit beauftragt, beispielsweise im Rahmen eines Beratungsvertrages, bestimmte betriebsbezogene technische oder betriebswirtschaftliche Aufgaben selbst zu lösen und wendet er sein Spezialwissen bei der Erfüllung dieses Auftrags an, so liegt darin keine Überlassung von gewerblichen Verfahren und Erfahrungen i.S. des § 1 Abs. 6 Nr. 2 BerlinFG. In welcher Form dem Auftraggeber das Ergebnis zur Verfügung gestellt wird, ob beispielsweise durch konkrete Anweisungen oder durch Gutachten, ist unerheblich (vgl. Eckhard/Weiß, a.a.O., Randnote 17 hinsichtlich Rechtsanwälte und Steuerberater; Roth, a.a.O., S. 42). In einem solchen Fall ist weder das Schaffen noch das Überlassen von gewerblichem oder betriebswirtschaftlichem Know-how geschuldet, sondern ein konkretes, betriebsbezogenes Beratungsergebnis. Das BerlinFG sieht zwar auch für derartige Leistungen in § 1 Abs. 6 Nr. 1 BerlinFG bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen eine Steuervergünstigung vor. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall jedoch nicht gegeben.

2. Nach den von der Klägerin mit den einzelnen Firmen geschlossenen Verträgen war sie zur "Beratung" verpflichtet. Ihre Aufgabe war es nicht, betriebswirtschaftliches Spezialwissen zu schaffen oder den Auftraggebern bereits vorhandene Kenntnisse und Erfahrungen zur eigenen Nutzanwendung lediglich zu vermitteln. Die Klägerin war vielmehr verpflichtet, die genannten betriebswirtschaftlichen Probleme der einzelnen Auftraggeber selbst zu erarbeiten und zu lösen. Sie schuldete nicht das Überlassen von betriebswirtschaftlichem Spezialwissen, sondern ein konkretes Beratungsergebnis.

3. Der Hinweis der Klägerin auf § 1 Abs. 6 Nr. 4 BerlinFG führt zu keinem anderen Ergebnis. Entgegen ihrer Auffassung können die in dieser Vorschrift genannten "Entwürfe für Werbezwecke, Modellskizzen und Modefotografien" i.S. des § 1 Abs. 6 Nr. 2 BerlinFG "überlassen" werden (vgl. Eckhard/Weiß, a.a.O., Randnote 16).