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BFH-Urteil vom 29.10.1987 (V R 155/78) BStBl. 1988 II S. 90

Errichtet eine Personengesellschaft einen Anbau mit Büro- und Wohnräumen und überläßt sie die Wohnräume unentgeltlich einem ihrer Gesellschafter, so kann es sich um steuerfreien (§ 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1967) Verwendungseigenverbrauch handeln, der insoweit nach § 15 Abs. 2 UStG 1967 zum Ausschluß vom Vorsteuerabzug aus den Bauleistungen führt.

UStG 1967 § 4 Nr. 12 Buchst. a, § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b, § 15 Abs. 2 und 4 Nr. 2.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz (EFG 1979, 49)

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betrieb in den Streitjahren 1972 und 1973 in der Rechtsform der OHG einen Getränkegroßhandel. In den Streitjahren ließ sie ein betrieblich genutztes Grundstück aufstocken, das im Miteigentum je zur Hälfte ihrer beiden Gesellschafter stand. Den durch die Aufstockung gewonnenen Raum nutzte die Klägerin anschließend zu 20 v.H. der Fläche als Büro; die übrigen 80 v.H. der Fläche nutzte einer der beiden Gesellschafter (K) als Wohnung, ohne Entgelt dafür zu zahlen. Die Klägerin behandelte in den Umsatzsteuererklärungen 1972 und 1973 die aus Anlaß der Gebäudeerrichtung insgesamt angefallenen Vorsteuerbeträge als nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes - UStG 1967 - abziehbar.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) setzte die Umsatzsteuer zunächst vorläufig entsprechend der Erklärung fest. Nach einer Betriebsprüfung erließ das FA berichtigte Umsatzsteuerbescheide 1972 und 1973 (vom 30. April 1976), mit denen es 80 v.H. der angefallenen Vorsteuerbeträge wegen § 15 Abs. 2 UStG 1967 als nicht abziehbar behandelte. Das FA vertrat insoweit die Auffassung, die Klägerin habe an ihren Gesellschafter K eine nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1967 steuerfreie Vermietungsleistung erbracht. Die Aufteilung der insgesamt angefallenen Vorsteuerbeträge habe gemäß § 15 Abs. 4 Nr. 2 UStG 1967 nach dem Verhältnis der unternehmerischen zur nichtunternehmerischen Flächennutzung zu erfolgen. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Mit der Klage beantragte die Klägerin die Aufhebung der Berichtigungsbescheide. Sie hielt die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 UStG 1967 für erfüllt, weil die Bauleistung an sie erfolgt, von ihr bezahlt und aktiviert worden sei. Eine nach § 15 Abs. 2 UStG 1967 zum Ausschluß vom Vorsteuerabzug führende steuerfreie Vermietungsleistung nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1967 liege nicht vor, weil die unentgeltliche Überlassung der Wohnung keine steuerbare Leistung sei, wie sie die Befreiungsvorschrift voraussetze. Ein Entgelt und damit Steuerbarkeit könne insbesondere nicht in Gestalt eines Gewinnverzichts des Gesellschafters K konstruiert werden. Die Überlassung der Wohnung an den Gesellschafter K könne allenfalls als Eigenverbrauch i. S. des § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b UStG 1967 angesehen werden. Dieser sei aber steuerpflichtig, weil die Wohnungsüberlassung jedenfalls keine Vermietung eines Grundstücks i. S. der Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1967 sei.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es begründete das in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1979, 49 veröffentlichte Urteil im wesentlichen wie folgt: In Übereinstimmung mit der Auffassung der Klägerin müsse die Annahme einer von § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1967 erfaßten Leistung abgelehnt werden. Eine Gegenleistung des K sei nicht erfolgt; der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), der im Urteil vom 30. November 1967 V 237/64 (BFHE 90, 550, BStBl II 1968, 250) die Gegenleistung in einem Gewinnverzicht des Gesellschafters gesehen habe, könne nicht gefolgt werden. Für den von der Klägerin begehrten Vorsteuerabzug sei aber maßgeblich, daß das Abzugsverbot des § 15 Abs. 2 UStG 1967 auch Vorsteuerbeträge für Leistungsbezüge erfasse, die zur Ausführung unentgeltlicher Leistungen verwendet würden, welche, wären sie entgeltlich, unter die Steuerbefreiungsvorschriften des § 4 Nrn. 6 ff. UStG 1967 fielen. Diese im Erlaß des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 28. Juni 1967 Abschn. E Abs. 2 (BStBl I 1969, 349) dargelegte Rechtsauffassung entspreche dem Gesetz.

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Sie sieht mangelnde Sachaufklärung (§ 76 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) darin, daß das FG davon ausgehe, sie, die OHG, habe dem Gesellschafter K die Wohnung unentgeltlich überlassen, obwohl im Tatbestand des angefochtenen Urteils ausgeführt sei, das beiden Gesellschaftern gehörende Grundstück sei aufgestockt worden. Schon aufgrund dieses Umstands hätte sich dem FG die Ermittlung (und rechtliche Würdigung) des wirklichen Sachverhalts aufdrängen müssen: Dieser stelle sich so dar, daß nach Aufstockung des Gebäudes durch die Klägerin diese naturnotwendig den von ihr nicht benötigten Wohnraum wieder der Gemeinschaft - unentgeltlich - überlassen habe. Die Gemeinschaft habe die Wohnung dem Gesellschafter K zur Verfügung gestellt. Die Rechtsbeziehung zwischen der OHG und der Gemeinschaft sei umsatzsteuerrechtlich irrelevant, weil zwischen beiden Organschaft oder Unternehmereinheit bestehe.

§ 15 Abs. 2 Nr. 2 UStG 1967 sei verletzt, weil die vom FG übereinstimmend mit dem BMF vorgenommene Auslegung der Vorschrift dem Gesetzeswortlaut widerspreche. Die diesbezügliche Neuregelung im Entwurf zum neuen UStG sei Indiz dafür, daß bislang diese Frage gesetzlich nicht geregelt sei. Nehme man Eigenverbrauch an, greife, wie bereits vor dem FG ausgeführt, § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1967 nicht ein.

Die Klägerin beantragt, das FG-Urteil und die angefochtenen Berichtigungsbescheide 1972 und 1973 aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Klägerin ist unbegründet.

1. Hinsichtlich der in § 15 Abs. 1 und Abs. 2 UStG 1967 geregelten Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs kann der Senat offenlassen, ob die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 UStG 1967 erfüllt sind (insbesondere also, ob die Klägerin den Anbau insgesamt als für ihr Unternehmen angeschafft behandeln durfte oder nicht). Zum einen dürfte - bei Verneinung der Voraussetzungen des & 15 Abs. 1 UStG 1967 - aufgrund des Verböserungsverbots (vgl. z.B. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 100 FGO Tz. 15) die angefochtene Steuerfestsetzung des FA (die 20 v.H. der Vorsteuerbeträge zum Abzug zuließ) nicht unterschritten werden, zum anderen - wenn man die Erfüllung der Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 UStG 1967 unterstellt - haben FA und FG im Ergebnis zutreffend die nach § 15 Abs. 2 i.V. m. Abs. 4 Nr. 2 UStG 1967 abziehbaren Vorsteuerbeträge ermittelt (s.u. 2.).

2. Soweit die Klägerin den Anbau als Büro nutzte (20 v.H. der Fläche), verwendete sie ihn zur Ausführung ihrer steuerpflichtigen Umsätze. Diese Verwendung führt nicht zum Ausschluß vom Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 2 UStG 1967.

Vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen ist aber nach § 15 Abs. 2 (i.V. m. Abs. 4 Nr. 2) UStG 1967 die Steuer für die Bauleistungen, soweit der Anbau dem Gesellschafter der Klägerin unentgeltlich als Wohnung zur Verfügung gestellt wurde. Es handelt sich dabei um Verwendung zur Ausführung steuerfreier Umsätze, nämlich von Verwendungseigenverbrauch (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b UStG 1967), der steuerfrei nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1967 ist. Die Vorsteueraufteilung nach Maßgabe des Nutzflächenschlüssels des angeschafften Bauwerks ist im Rahmen des § 15 Abs. 4 Nr. 2 UStG 1967 nicht zu beanstanden (vgl. auch BFH-Urteil vom 18. Dezember 1986 V R 18/80, BFHE 148, 557, BStBl II 1987, 280).

Die Klägerin hat zwar zutreffend vorgetragen, die Wohnungsüberlassung sei mangels Entgelts keine steuerbare Vermietungsleistung, zumal ein Entgelt auch nicht aus einem Gewinnverzicht des Gesellschafters hergeleitet werden kann (s. BFH-Urteil vom 3. November 1983 V R 4/73, BFHE 140, 115, BStBl II 1984, 169). Auch hat der Senat die Auffassung der Klägerin, die Verwendung eines Gegenstands zur Ausführung unentgeltlicher Leistungen (sofern sie für Zwecke des Unternehmens erfolgt) führe nach dem Wortlaut des § 15 Abs. 2 UStG 1967 nicht zum Ausschluß vom Vorsteuerabzug, zwischenzeitlich (zum UStG 1967) bestätigt (vgl. Urteil vom 18. Dezember 1986 V R 176/75, BFHE 149, 78, BStBl II 1987, 350, unter B I 2b). Die letztgenannte Gestaltung besteht hier aber nicht. Es ist nicht ersichtlich, daß die Wohnraumüberlassung durch die Klägerin an einen ihrer Gesellschafter als Leistung "im Rahmen ihres Unternehmens" (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1967) erfolgte. Die Wohnraumüberlassung ist eine Verwendung der errichteten Räume für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens der Klägerin lagen (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b UStG 1967). Für diese Beurteilung ist es zwar unerheblich, daß seitens des Gesellschafters nichtunternehmerische Verwendung - nämlich Wohnen - vorliegt; denn die Beurteilung der Voraussetzungen, ob eine Leistung oder Wertabgabe (beim Eigenverbrauch) unternehmerischen oder unternehmensfremden Zwecken dient, ist nur bezüglich des Leistenden (Abgebenden) zu treffen (vgl. BFH-Urteil vom 4. Juli 1985 V R 82/77, BFHE 144, 81, BStBl II 1985, 538 - Angelteich -). Unternehmerische Erwägungen der Klägerin für die Wohnungsüberlassung sind aber nicht festgestellt. Eine unternehmerische Vermietertätigkeit sollte nicht verfolgt werden; Einnahmen wollte die Klägerin mit der Wohnungsüberlassung nicht erzielen. Unternehmerische Erwägungen, wie sie insbesondere bei der Überlassung von sog. Werkswohnungen an Arbeitnehmer in Betracht kommen, um diese für den Betrieb zu gewinnen oder an ihn zu binden (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 30. Juli 1986 V R 99/76, BFHE 147, 284, BStBl II 1986, 877; ferner BFHE 144, 81, BStBl II 1985, 538), entfallen jedenfalls bei der vorliegenden Gestaltung, daß einer der beiden Gesellschafter der Klägerin die von ihr auf dem Grundstück der beiden Gesellschafter errichtete Wohnung übernahm.

Keine andere Beurteilung ergäbe sich, wenn man den von der Klägerin im Revisionsverfahren erstmalig vorgetragenen Sachverhalt unterstellte, sie habe den Anbau der Grundstücksgemeinschaft (bestehend aus beiden Gesellschaftern) unentgeltlich überlassen; diese wiederum habe die Wohnung dem Gesellschafter unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Ein unternehmerischer Anlaß der Klägerin könnte auch bei dieser Überlassung nicht gesehen werden. In beiden Fallgestaltungen erhält letztlich ein Grundstücksmiteigentümer unentgeltlich Wohnraum aufgrund einer Baumaßnahme, die er - mit dem anderen Miteigentümer zu einer Gesellschaft verbunden - auf dem Grundstück ausführte. Für die vergleichbare Gestaltung der unentgeltlichen Gebäudeerrichtung durch eine Personengesellschaft auf dem Grundstück ihres Gesellschafters hat der Senat bereits im Urteil vom 3. November 1983 V R 4/73 (BFHE 140, 115, BStBl II 1984, 169) Entnahmeeigenverbrauch der Gesellschaft angenommen. Auf die Verfahrensrüge der Klägerin, mit der sie den dargestellten neuen Sachverhalt berücksichtigt wissen will, braucht somit nicht weiter eingegangen zu werden.

Da der mit der unentgeltlichen Wohnungsüberlassung erfüllte Eigenverbrauch die Voraussetzung der Steuerbefreiung des § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1967 erfüllt - und nicht durch Verzicht gemäß § 9 UStG 1967 steuerpflichtig werden kann (BFH-Urteil vom 2. Oktober 1986 V R 91/78, BFHE 147, 548, BStBl II 1987, 44) -, sind die Umsatzsteuerbeträge für die Bauleistungen, soweit sie auf den damit anteilig geschaffenen Wohnraum fallen, nach § 15 Abs. 2 UStG 1967 vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen.