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BFH-Urteil vom 27.10.1987 (IX R 1/83) BStBl. 1988 II S. 132

1. Die für Versicherungen auf den Erlebens- oder Todesfall in § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG 1971 vorgeschriebene vertragliche Dauer von mindestens zwölf Jahren ist nur dann erfüllt, wenn der Versicherer - abgesehen von dem jederzeit gegebenen Todesfallrisiko - seine Leistung auf den Erlebensfall weder ganz noch teilweise vor Ablauf einer Versicherungsdauer von zwölf Jahren zu erbringen verpflichtet ist.

2. Beiträge zu Lebensversicherungen mit früheren Teilleistungen auf den Erlebensfall sind auch nicht teilweise als Sonderausgaben abziehbar.

EStG 1971 § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b.

Vorinstanz: FG Düsseldorf (EFG 1982, 343)

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) schloß im Jahre 1971 eine Versicherung auf den Erlebens- oder Todesfall gegen jährlich gleichbleibende Prämien ab. Die Vertragsdauer betrug 20 Jahre, die Versicherungssumme 50.000 DM. Im Erlebensfall sollte der Kläger die Versicherungssumme in fünf Teilbeträgen zu je 10.000 DM nach Ablauf von 5, 10, 14, 17 und 20 Jahren seit Vertragsbeginn erhalten. Im Falle des Todes des Klägers während der zwanzigjährigen Vertragsdauer sollte seiner Ehefrau, der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin), die Versicherungssumme von 50.000 DM ohne Rücksicht auf bereits erbrachte Teilleistungen zustehen.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) ließ bei der Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr 1972 die Versicherungsbeiträge des Klägers nicht als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b des Einkommensteuergesetzes 1971 (EStG) zum Abzug zu, weil der Versicherungsvertrag nicht für die Dauer von mindestens zwölf Jahren abgeschlossen worden sei.

Nach erfolglosem Einspruch hatten die Kläger mit ihrer Klage teilweise Erfolg. In seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1982, 343 veröffentlichten Urteil teilte das Finanzgericht (FG) das Versicherungsverhältnis gedanklich in einen Vertrag mit einer Laufzeit von weniger als zwölf Jahren und einen weiteren von mehr als zwölf Jahren auf und ließ die Prämien insoweit zum Sonderausgabenabzug zu, als sie auf den im Erlebensfall erst nach zwölf Jahren fälligen Teil der Versicherungssumme entfielen. Es schätzte diesen Teil der Beiträge auf 60 v.H.

Mit seiner vom Bundesfinanzhof (BFH) zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG. Diese Vorschrift verlange, daß der Versicherungsvertrag für die Dauer von mindestens zwölf Jahren abgeschlossen worden sei. Ein einheitliches Versicherungsverhältnis könne aus versicherungstechnischen Gründen nicht aufgespalten werden.

Das FA beantragt sinngemäß, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Entscheidung in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Das angefochtene Urteil war aufzuheben, weil es § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG verletzt. Das FG hat die vom Kläger auf den Erlebens- oder Todesfall abgeschlossene Versicherung mit vorzeitigen Teilleistungen rechtsfehlerhaft in mehrere selbständige Verträge aufgeteilt und Beiträge insoweit als Sonderausgaben berücksichtigt, als der Kläger Teilleistungen erst nach Ablauf von zwölf Jahren verlangen kann.

Beiträge zu Versicherungen auf den Erlebens- oder Todesfall sind nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG als Sonderausgaben abziehbar, "wenn der Vertrag für die Dauer von mindestens zwölf Jahren abgeschlossen worden ist."

Diese vertragliche Mindestdauer ist nur dann erfüllt, wenn der Versicherer - abgesehen von dem jederzeit gegebenen Todesfallrisiko - seine Leistung auf den Erlebensfall weder ganz noch teilweise vor Ablauf einer Versicherungsdauer von zwölf Jahren zu erbringen verpflichtet ist.

Der Wortlaut des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG läßt sich allerdings auch dahin verstehen, daß es für die Mindestvertragsdauer erforderlich, aber auch genügend ist, wenn das Versicherungsverhältnis als solches eine Vertragsdauer von mindestens zwölf Jahren aufweist. Die Systematik und der Zweck des Gesetzes gebieten es jedoch, bei der Auslegung des Erfordernisses einer mindestens zwölfjährigen Vertragsdauer auf die Versicherungsdauer bis zum Eintritt einer Leistungspflicht des Versicherers für den Erlebensfall abzustellen, damit dem Gedanken einer steuerlichen Förderung der Zukunftsvorsorge Rechnung getragen wird.

Der Gesetzgeber begünstigt mit dem Recht zum Sonderausgabenabzug nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG Beiträge zu Versicherungen auf den Erlebens- oder Todesfall sowie Beiträge zu Witwen-, Waisen-, Versorgungs- und Sterbekassen. Alle diese Versicherungen dienen in der Regel der eigenen Altersversorgung und/oder der Versorgung Hinterbliebener. Während das Bedürfnis Hinterbliebener nach einer Versorgung unabhängig von einer bestimmten Versicherungsdauer mit dem Tode des Versicherten eintritt, benötigt der Versicherungsnehmer zu seiner eigenen Versorgung die Leistung des Versicherers im allgemeinen erst nach einer längeren Versicherungsdauer. Diese Versicherungsdauer hat der Gesetzgeber mit mindestens zwölf Jahren angenommen. Die Versicherungsdauer verkürzt sich nur bei einem Versicherungsnehmer, der bei Vertragsabschluß schon das 48. Lebensjahr vollendet hat, bei laufender Beitragsleistung um die Zahl der angefangenen Lebensjahre, um die er älter als 48 Jahre ist, höchstens jedoch auf sieben Jahre. Der Gesetzgeber hat sich bei einem solchen Versicherungsnehmer im Hinblick auf dessen größere zeitliche Nähe zum Versorgungsfall mit einer kürzeren Versicherungsdauer begnügt.

Daß der Gesetzgeber nur solche Lebensversicherungen auf den Erlebens- oder Todesfall durch den Sonderausgabenabzug für Versicherungsprämien begünstigen wollte, denen ein Versorgungscharakter infolge einer mindestens zwölfjährigen Versicherungsdauer bis zu einer Leistung auf den Erlebensfall beigemessen werden kann, wird auch durch die Begründung zum Entwurf des Steueränderungsgesetzes (StÄndG) 1966 bestätigt. Damals war die Mindestvertragsdauer verlängert worden, um die Sonderausgabenbegünstigung in stärkerem Maße als bis dahin auf Beiträge zu beschränken, die einer echten Zukunftssicherung dienen (BT-Drucks. V/1.068 zu Art. 1 Nr. 3 StÄndG 1966 S. 25).

2. Aufgrund dieser Auslegung des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG sind Beiträge zu einer Versicherung auf den Erlebens- oder Todesfall nicht als Sonderausgaben abziehbar, wenn der Versicherungsnehmer Teilleistungen auf den Erlebensfall schon vor Ablauf einer Versicherungsdauer von zwölf Jahren verlangen kann. Ein solches Versicherungsverhältnis besitzt nicht den Zukunftssicherungscharakter, den der Gesetzgeber mit der zwölfjährigen Mindestvertragsdauer angestrebt hat. Es führt nicht zu einer zwölfjährigen Festlegung des in den Versicherungsprämien enthaltenen Sparanteils. Die vorzeitigen Teilleistungen ermöglichen es dem Versicherungsnehmer, schon vorher das bis zur Teilleistung angesammelte Sparkapital ganz oder teilweise zurückzuerhalten.

Es ist nach dem Ergebnis dieser Auslegung auch nicht möglich, eine Lebensversicherung mit vorzeitigen Teilleistungen - wie es das FG getan hat - gedanklich in mehrere Versicherungsverhältnisse entsprechend den einzelnen Teilleistungen aufzuteilen und Versicherungsbeiträge anteilig zum Sonderausgabenabzug zuzulassen, soweit sie auf Vertragsteile mit einer Versicherungsdauer von mindestens zwölf Jahren entfallen.

Es kann dahinstehen, ob ein Lebensversicherungsverhältnis sich entsprechend aufteilen läßt, wie § 10 Abs. 2 Nr. 1 EStG i.V. m. § 30 Satz 4 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung bei der Nachversteuerung von der Teilbarkeit einer Einmalprämie ausgeht. Denn nach der Auslegung des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG durch den erkennenden Senat sind mit dem Erfordernis der zwölfjährigen Mindestvertragsdauer vorzeitige Teilleistungen auf den Erlebensfall unvereinbar. Sie bleiben auch bei einer gedanklichen Aufteilung des Versicherungsverhältnisses Leistungen des Versicherers, die es ermöglichen, das bis dahin angesammelte Sparkapital vor Ablauf einer zwölfjährigen Versicherungsdauer an den Versicherungsnehmer auszukehren. Dies aber hat der Gesetzgeber nach den vorstehenden Ausführungen durch das Erfordernis der zwölfjährigen Mindestvertragsdauer verhindern wollen. Wohl aus diesem Grunde hat es auch die Verwaltung abgelehnt, Beiträge zu Versicherungen mit vorzeitigen Teilleistungen auf den Erlebensfall auch nur teilweise als Sonderausgaben anzuerkennen (Erlaß Nordrhein-Westfalen vom 15. August 1974 S 2.221 - 219 - VB 2, Steuererlasse in Karteiform - StEK -, Einkommensteuergesetz, § 10 Abs. 1 Ziff. 2b Nr. 42; Niedersächsisches Finanzministerium, Erlaß vom 13. Dezember 1984 S 2.221 - 51 - 31 3, Betriebs-Berater - BB - 1985, 170). Der Gesetzgeber hat es nicht einmal zugelassen, aus einer gemischten Lebensversicherung auf den Erlebens- oder Todesfall mit einer Versicherungsdauer von weniger als zwölf Jahren die Versicherung gegen das Todesfallrisiko auszusondern und den hierauf entfallenden Prämienanteil als Sonderausgabe abzuziehen. Nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b Satz 3 EStG sind Versicherungsbeiträge "ohne Rücksicht auf die Vertragsdauer" "nur" bei einer reinen Risikoversicherung auf den Todesfall als Sonderausgabe abziehbar.

3. Die Sache ist spruchreif. Die Klage ist abzuweisen. Nach den vorstehenden Ausführungen sind die strittigen Versicherungsbeiträge des Klägers nicht als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG abziehbar.