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BFH-Urteil vom 11.8.1987 (IX R 135/83) BStBl. 1988 II S. 141

Die Erklärung des einen Verfahrensbeteiligten, nicht auf mündliche Verhandlung zu verzichten, ist als Antrag auf mündliche Verhandlung i. S. von Art. 3 § 5 Satz 2 VGFGEntlG zu werten mit der Folge, daß auch der andere Verfahrensbeteiligte nicht nach Vorschrift des Gesetzes (§ 119 Nr. 4 FGO) vertreten war, wenn das FG ohne mündliche Verhandlung entscheidet (Ergänzung zum BFH-Beschluß vom 9. Juni 1986 IX B 90/85, BFHE 146, 395, BStBl II 1986, 679).

FGO § 119 Nr. 4; VGFG-EntlG Art. 3 § 5 Satz 2.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind zur Einkommensteuer zusammenveranlagte Ehegatten. Sie erzielen im Zusammenhang mit einem von ihnen durch notariellen Vertrag vom 26. Oktober 1979 gemeinsam angeschafften Zweifamilienhaus Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung.

Mit ihrer Klage begehrten die Kläger - nach erfolglosem Einspruchsverfahren - eine von der Einkommensteuerveranlagung des Streitjahres 1979 abweichende Aufteilung der durch die Anschaffung des bebauten Grundstückes entstandenen Kosten für das Gebäude und für den Grund und Boden.

Der Beklagte und Revisionbeklagte (das Finanzamt - FA -) teilte in seiner Klageerwiderung vom 16. April 1982 u. a. mit, daß auf mündliche Verhandlung nicht verzichtet werde.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage unter Hinweis auf Art. 3 § 5 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit vom 31. März 1978 - VGFGEntlG - (BGBl I 1978, 446, BStBl I 1978, 174) ohne mündliche Verhandlung durch Urteil mit abgekürztem Tatbestand und Entscheidungsgründen i. S. von § 105 Abs. 5 der Finanzgerichtsordnung (FGO) als unbegründet ab.

Mit ihrer vom FG zugelassenen Revision rügen die Kläger die Verletzung ihres Rechts auf rechtliches Gehör, weil das FG ohne mündliche Verhandlung entschieden habe. Die Erklärung des FA, nicht auf mündliche Verhandlung zu verzichten, sei von ihnen als Antrag auf mündliche Verhandlung i. S. von Art. 3 § 5 Satz 2 VGFGEntlG angesehen worden. Sie hätten darauf vertraut, daß das FG nach diesem Antrag verfahren werde und - weil überflüssig - selbst keinen entsprechenden Antrag gestellt.

Die Kläger beantragen die Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Die Kläger sind im Streitfall gemäß § 119 Nr. 4 FGO "nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten" gewesen.

Gemäß § 90 Abs. 1 FGO entscheidet das Gericht vorbehaltlich der Absätze 2 und 3 auf Grund mündlicher Verhandlung. Mit Einverständnis der Beteiligten kann es ohne mündliche Verhandlung entscheiden (Absatz 2).

Ein Verfahrensmangel i. S. des § 119 Nr. 4 FGO ist u. a. dann anzunehmen, wenn das FG irrtümlich einen Verzicht auf mündliche Verhandlung angenommen und unter Verstoß gegen § 90 Abs. 1 und § 90 Abs. 2 FGO durch Urteil entschieden hat (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 25. August 1982 I R 120/82, BFHE 136, 518, BStBl II 1983, 46). Das gleiche gilt, wenn das FG im Anwendungsbereich des Art. 3 § 5 VGFGEntlG übersehen hat, daß von einem der Beteiligten die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt worden ist. Entscheidet das FG in diesem Fall unter Verstoß gegen Art. 3 § 5 Satz 2 VGFGEntlG ohne mündliche Verhandlung durch Urteil, so liegt ein Verfahrensmangel i. S. des § 119 Nr. 4 FGO vor (Beschlüsse des Senats vom 9. Juni 1986 IX B 90/85, BFHE 146, 395, BStBl II 1986, 679, und vom 5. Juni 1986 IX R 152/84, BFH/NV 1986, 629, jeweils zu § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO).

Im Streitfall durfte das FG nicht gemäß Art. 3 § 5 Satz 2 VGFGEntlG ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Denn das FA hatte einen Antrag auf mündliche Verhandlung im Sinne dieser Vorschrift gestellt. Der Senat hat im Beschluß in BFHE 146, 395, BStBl II 1986, 679 die Auffassung vertreten, daß ein Antrag auf mündliche Verhandlung i. S. des Art. 3 § 5 Satz 2 VGFGEntlG in der Absichtserklärung eines Beteiligten gesehen werden könne, Sachanträge in der mündlichen Verhandlung stellen zu wollen. Er bejaht dies auch bei dem im Streitfall zu beurteilenden Sachverhalt, in dem ein Beteiligter ausdrücklich zu erkennen gegeben hat, er verzichte nicht auf mündliche Verhandlung. Hierin kommt ebenfalls hinreichend deutlich die auf Abhaltung einer mündlichen Verhandlung abzielende Prozeßerklärung des Beteiligten zum Ausdruck (so auch Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Tz. 12532). In diesem Zusammenhang ist unerheblich, daß die Kläger zur Frage der mündlichen Verhandlung im Verfahren vor dem FG keine Erklärung abgegeben haben. Durch den Antrag des FA war das FG verpflichtet, eine solche durchzuführen. Die Entscheidung des FG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung stellt damit einen Verfahrensmangel dar, der auch von dem Verfahrensgegner jedenfalls dann geltend gemacht werden kann, wenn dieser nicht auf mündliche Verhandlung verzichtet hat.

Die Kläger durften darauf vertrauen, daß das FG wegen der Erklärung des FA, es verzichte nicht auf mündliche Verhandlung, nicht ohne Rückfrage bei den Beteiligten von der Möglichkeit Gebrauch machen würde, gemäß Art. 3 § 5 VGFGEntlG ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden (s. dazu Beschluß des Senats in BFHE 146, 395, BStBl II 1986, 679).

Das angefochtene Urteil muß wegen dieses Verfahrensfehlers aufgehoben werden (§ 119 Nr. 4 FGO). Die Sache geht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).