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BFH-Urteil vom 15.4.1987 (VII R 160/83) BStBl. 1988 II S. 167

Der Geschäftsführer einer GmbH kann als Haftungsschuldner für von der GmbH nicht abgeführte Lohnsteuer auch insoweit in Anspruch genommen werden, als die Steuer auf seinen eigenen Arbeitslohn entfällt.

AO 1977 §§ 34, 69, 191; AO a.F. §§ 97, 103, 109 Abs. 1.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war Geschäftsführer der PE-GmbH, die ihre Tätigkeit eingestellt hat. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) nahm ihn mit Haftungsbescheid gemäß §§ 103 und 109 der Reichsabgabenordnung (AO) wegen rückständiger Steuerabzugsbeträge dieser GmbH in Anspruch. Diese Steuerrückstände umfassen auch Lohnsteuern und steuerliche Nebenleistungen, die auf den Arbeitslohn des Klägers als Geschäftsführer entfallen.

Mit seiner Klage trug der Kläger u.a. vor, das FA gehe insoweit von einem unzutreffenden Steuerrückstand aus, als er von der GmbH keine Bezüge erhalten habe.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage im wesentlichen ab. Es hielt sie aber für begründet, soweit der Kläger für eigene Steuerschulden in Anspruch genommen worden war, weil die Haftung im Sinne des Steuerrechts stets Fremdhaftung als Einstehen für fremde Schuld sei. Das FG ließ es deshalb dahingestellt, ob der Kläger überhaupt Bezüge von der GmbH erhalten habe.

Mit der Revision beantragt das FA, das Urteil des FG insoweit aufzuheben, als darin die Inanspruchnahme des Klägers für eigene Steuerschulden für unzulässig erklärt worden ist. Es meint, der Haftungsbescheid sei auch insoweit rechtmäßig. Zwar sei es grundsätzlich zutreffend, daß ein Steuerschuldner nicht Haftender sein könne. Jedoch könne dieser aus § 97 Abs. 1 und 2 AO abgeleitete Grundsatz nur dann gültig sein, wenn der Steuerpflichtige eine Steuer als Steuerschuldner zu entrichten habe. Daran fehle es aber im Streitfall, weil nicht der Kläger, sondern die GmbH als Arbeitgeber und für diese ihr gesetzlicher Vertreter die auf ihn entfallende Lohnsteuer zu entrichten hätten. Wegen dieser Besonderheit ergebe sich aus den vom FG angeführten Urteilen des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 12. Mai 1970 VII R 34/68 (BFHE 99, 178, BStBl II 1970, 606) und vom 19. Oktober 1976 VII R 63/73 (BFHE 120, 329, BStBl II 1977, 255) nichts Gegenteiliges. Der Kläger werde nicht als Haftender für eigene Steuerschulden, sondern als Haftender für fremde Haftungsschulden - die der GmbH - in Anspruch genommen. Deshalb könne bei dieser zweistufigen Haftung der Grundsatz der Unvereinbarkeit von Steuerschuld und Haftungsschuld nicht gelten.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Der Haftungsbescheid ist dem Grunde nach auch insoweit rechtmäßig, als er eigene Lohnsteuern des Klägers als Steuerschuldner umfaßt.

Haftung bedeutet nach den Vorschriften des Steuerrechts Einstehenmüssen für fremde Schuld. Deshalb kann - wie das FG zutreffend ausgeführt hat - ein Steuerschuldner für dieselbe Abgabe grundsätzlich nicht Haftender im Sinne der steuergesetzlichen Haftungsvorschriften sein und umgekehrt. Denn die Stellung als Steuerschuldner ist mit der eines Fremdhaftenden begrifflich unvereinbar (vgl. die Urteile des Senats in BFHE 99, 178, BStBl II 1970, 606, und in BFHE 120, 329, BStBl II 1977, 255; ferner Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., Tz. 3 vor § 69 AO 1977, m.w.N.).

Im Streitfall wird der Kläger rechtlich aber nicht als Haftungsschuldner für seine eigenen Steuerschulden herangezogen. Vielmehr betrifft der im Streit befindliche Haftungsbescheid nur seine Inanspruchnahme als Geschäftsführer der GmbH gemäß §§ 103 und 109 AO für die Haftungsschulden der GmbH. Hierbei ist es unerheblich, daß es sich bei dem Steuerbetrag, der sich allein noch im Streit befindet, materiell um die auf den Kläger entfallende Lohnsteuer handelt. Zwar ist der Kläger, der als Geschäftsführer der GmbH Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezogen hat, gemäß § 38 Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) Schuldner der darauf entfallenden Lohnsteuer. Jedoch hindert der Umstand, daß es sich im Streitfall um die eigene Lohnsteuer des Haftungsschuldners handelt, nicht die Inanspruchnahme des Klägers als Haftungsschuldner auch für diese Beträge. In der Regel schließen sich zwar - wie das FG zutreffend ausgeführt hat - hinsichtlich derselben Abgabenschuld die Eigenschaft einer Person als Abgabenschuldner und Haftungsschuldner aus. Dieser Grundsatz gilt jedoch, wie der Senat in seinen Entscheidungen in BFHE 99, 178, BStBl II 1970, 606 und in BFHE 120, 329, 333, BStBl II 1977, 255, 257 unter Hinweis auf § 97 Abs. 1 AO ausgeführt hat, nur dann, wenn derjenige, der als Haftungsschuldner in Anspruch genommen werden soll, diese selbe Abgabe als Steuerschuldner "zu entrichten hat". Nach § 38 Abs. 3 i.V.m. § 41a Abs. 1 Nr. 2 EStG (im Streitjahr 1974: § 38 Abs. 4 Satz 2 EStG) hat aber nicht der Arbeitnehmer, sondern der Arbeitgeber dessen Lohnsteuer einzubehalten und an das FA abzuführen. Damit obliegt die Pflicht zur Entrichtung der Lohnsteuer nicht dem Arbeitnehmer, sondern dem Arbeitgeber (vgl. § 41a Abs. 1 EStG i.V.m. § 97 Abs. 1 AO, § 43 der Abgabenordnung - AO 1977 -).

Daraus ergibt sich, daß es zusätzlich zur Steuerschuldnerschaft entscheidend auf die Zahlungsverpflichtung ankommt, wenn die Eigenschaft als Steuerschuldner die gleichzeitige Inanspruchnahme des Steuerpflichtigen als Haftungsschuldner ausschließen soll. In der Literatur wird deshalb die Ansicht vertreten, daß in Fallgestaltungen, die dem Streitfall entsprechen, der Haftungsschuldner als Geschäftsführer für die Haftungsschuld der GmbH und damit für eine aus seiner Sicht fremde Schuld, nicht dagegen für die eigene Lohnsteuerschuld in Anspruch genommen wird (vgl. Lippross, Zur Vereinbarkeit von Steuerschuld und Haftungsschuld bei "mehrstufigen" Haftungsschulden, Der Betrieb - DB - 1985, 838; Tipke/Kruse, a.a.O., Tz. 3 vor § 69 AO 1977; Halaczinsky in Koch, Abgabenordnung, 3. Aufl., § 69 Tz. 5; Schwarz, Abgabenordnung, § 69 Tz. 17 a). Der Senat schließt sich dieser Beurteilung an.

Auch bei der Haftung des GmbH-Geschäftsführers für die auf den eigenen Arbeitslohn entfallende Lohnsteuer handelt es sich um eine sog. Neben- oder Fremdhaftung, weil aufgrund eines Nebentatbestandes eine weitere Person in eine dem Hauptverpflichteten gleiche Rechtsstellung einrückt (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., Tz. 3 vor § 69 AO 1977, und Hensel, Steuerrecht, S. 71). Eine solche Haftung ist aufgrund der Tatbestandskonkurrenz gerechtfertigt, weil es möglich ist, daß durch einzelne Tatbestandsverwirklichungen mehrere Steuertatbestände verwirklicht werden. Zudem kann nach § 42d Abs. 3 EStG (im Streitjahr ähnlich § 38 Abs. 4 EStG bis 1974) der Arbeitnehmer als Steuerschuldner nicht mehr in Anspruch genommen werden, wenn der Arbeitgeber die Lohnsteuer vorschriftsmäßig vom Arbeitslohn einbehalten und sie dem FA angemeldet hat. In diesem Falle kommt bei Nichtabführung der angemeldeten Lohnsteuer nur eine Inanspruchnahme des GmbH-Geschäftsführers als Haftungsschuldner in Betracht (vgl. Lippross, DB 1985, 838, 839).

Für ein Nebeneinander von Schuld und Haftung in einer Person spricht auch der unterschiedliche Umfang von Schuld und Haftung bei der Lohnsteuer. So ist bei der Lohnsteuer nur der Anmeldungsverpflichtete, der für Rechnung des Arbeitnehmers die Steuer einzubehalten hat, Schuldner des Verspätungszuschlages (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., § 152 AO 1977 Tz. 10). Hinsichtlich der Säumniszuschläge ist ebenfalls nicht der Steuerschuldner, sondern der gesetzlich zur Zahlung verpflichtete Arbeitgeber (hier: die GmbH) als Fremdschuldner säumig und dadurch Schuldner der Säumniszuschläge (vgl. Höllig in Koch, a.a.O., § 240 Tz. 31). Rechtlich tritt die Haftung durch Tatbestandsverwirklichung zur Tatbestandsverwirklichung durch den Hauptschuldner hinzu (vgl. Hensel, a.a.O., S. 71). Dieser Folge der Tatbestandsverwirklichung durch den Haftungsschuldner steht nicht die Personenidentität von Steuer- und Haftungsschuldner entgegen, weil die ursprüngliche Steuerschuld durch die Haftung einen größeren Umfang erhalten kann. Insofern handelt es sich nicht um eine unvereinbare Personenidentität zwischen Schuldner und Haftendem, sondern um mehrstufige Rechtsbeziehungen zwischen dem Lohnsteuerschuldner, dem Arbeitgeber als Entrichtungspflichtigem und dessen gesetzlichem Vertreter. Diese unterschiedlichen Rechtsbeziehungen der Beteiligten zum FA rechtfertigen auch eine Inanspruchnahme aus der jeweils tatbestandlich erfüllten Norm, wobei eine zufällige Personenidentität einer haftungsrechtlichen Inanspruchnahme nicht entgegensteht.

Das FG hat jedoch - von seinem Rechtsstandpunkt aus zu Recht - keine Feststellungen getroffen, die sich mit dem Vortrag des Klägers im Klageverfahren auseinandersetzen, die im Revisionsverfahren noch streitigen Steuerrückstände bestünden ganz oder teilweise nicht, weil er von der GmbH keine Bezüge erhalten habe.

Da der erkennende Senat Feststellungen der genannten Art seinerseits nicht vornehmen kann, ist die insoweit nicht spruchreife Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).