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BFH-Urteil vom 26.11.1987 (V R 133/81) BStBl. 1988 II S. 199

Werden in einen Feststellungsbescheid nach § 251 Abs. 3 AO 1977 Steuerforderungen aufgenommen, die auf unterschiedlichen materiell-rechtlichen Entstehungsgründen beruhen, so handelt es sich - anders als bei der Steuerveranlagung - nicht um unselbständige Besteuerungsgrundlagen im Sinne von Teilen des Steuerbescheides, sondern um jeweils selbständig zu beurteilende Feststellungsakte. Sie unterliegen als selbständige Streitpunkte einer jeweils gesonderten revisionsrechtlichen Prüfung.

FGO § 120 Abs. 1 Satz 1, § 124; AO 1977 § 251 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3; KO §§ 12, 139, 144, 146 Abs. 2, 4, 5.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

I.

Über das Vermögen der N-KG ist am 1. November 1977 das Konkursverfahren eröffnet worden. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist der Konkursverwalter.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) meldete für den Umsatzsteuervoranmeldungszeitraum Oktober 1977 eine Umsatzsteuerforderung in Höhe von 914.000 DM mit dem Vorrecht nach § 61 Abs. 1 Nr. 2 der Konkursordnung (KO) zur Konkurstabelle an. Nachdem der Kläger im Prüfungstermin die Berechtigung der Forderung bestritten hatte, machte das FA durch Feststellungsbescheid vom 3. Mai 1978 eine Konkursforderung von 914.000 DM mit dem "Vorrecht nach § 61 Abs. 2 KO" geltend. Der Betrag von 914.000 DM setzte sich zusammen aus

- einer im Schätzungsweg ermittelten Umsatzsteuervorauszahlung für Oktober 1977 aus Leistungen der Gemeinschuldnerin in Höhe von 154.000 DM sowie

- der Rückforderung abgezogener Vorsteuerbeträge für den Zeitraum Januar bis September 1977 aus Lieferantenrechnungen, die von der Gemeinschuldnerin nicht bezahlt worden waren, in - ebenfalls geschätzter - Höhe von 760.000 DM.

Im Einspruchsverfahren ermäßigte das FA die Umsatzsteuer auf Leistungen der Gemeinschuldnerin im Voranmeldungszeitraum Oktober 1977 entsprechend dem Vorbringen des Klägers von 154.000 DM auf 129.445,21 DM. Die vom Kläger für Oktober 1977 als abziehbar geltend gemachten Vorsteuerbeträge in Höhe von 50.028,28 DM berücksichtigte das FA nicht, weil eine Bezahlung der entsprechenden Rechnungen nicht nachgewiesen und zu erwarten sei. Den Vorsteuerrückforderungsanspruch (in Höhe von 760.000 DM) beurteilte das FA weiterhin als eine vor Konkurseröffnung fällige und deshalb bevorrechtigte Konkursforderung, weil er als betagte Forderung anzusehen sei, die nach § 65 KO als fällig gelte.

Mit der Klage hatte der Kläger geltend gemacht, der Vorsteuerrückforderungsanspruch dürfe nicht als Konkursforderung angemeldet werden, weil es sich um eine bedingte Forderung i.S. des § 67 KO handele, deren endgültige Höhe erst im Zeitpunkt der Beendigung des Konkursverfahrens entsprechend der Konkursquote feststehe. Außerdem begehrte der Kläger, daß die Vorsteuer in Höhe von 50.028,28 DM berücksichtigt werde. Er beantragte, die als bevorrechtigte Konkursforderung festgestellte Umsatzsteuer für Oktober 1977 auf 79.416,93 DM herabzusetzen.

Die Klage hatte keinen Erfolg.

Die Revision stützt der Kläger auf Verletzung materiellen und formellen Rechts. Insbesondere liege in der Zuerkennung des Vorrechts der Steuerforderungen in dem vom FA beanspruchten Umfang eine Verletzung des Gleichheitssatzes. Die KO sehe ausdrücklich vor, wie bedingte Forderungen zu behandeln seien. Er könne nicht zustimmen, daß der Anspruch schon vor Abschluß des Konkursverfahrens uneingeschränkt anerkannt werde, weil die endgültige Höhe der Steuerforderungen erst am Schluß des Verfahrens feststellbar sei, wenn anhand des Schlußverzeichnisses bestimmt werden könne, ob auch in die nicht bevorrechtigten Forderungen eine Quotenzahlung ausgeschüttet werden könne. Das Finanzgericht (FG) habe verkannt, daß die Forderungen aus Vorsteuerrückforderungsansprüchen als aufschiebend bedingt gemäß § 67 KO zu behandeln seien.

Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die gemäß Einspruchsbescheid des FA vom 27. Mai 1980 als bevorrechtigte Konkursforderung festgestellte Umsatzsteuer für Oktober 1977 von 889.445,21 DM auf 79.416,83 DM herabzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Der Bundesminister der Finanzen ist dem Verfahren beigetreten.

Entscheidungsgründe

II.

1. Die Revision ist hinsichtlich der Konkursforderung von 129.445,21 DM unzulässig, weil insoweit zwar ein Revisionsantrag gestellt, eine Begründung aber nicht abgegeben worden ist (§ 120 Abs. 1 Satz 1, § 124 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Ausführungen in der Revisionsbegründung, daß die endgültige Höhe der Steuerforderung erst am Schluß des Verfahrens anhand der Quote feststellbar sei, betreffen lediglich den Vorsteuerrückforderungsanspruch aus § 17 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1973, nicht auch die Steuerforderung aus § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1973 in Höhe von 129.445,21 DM. Nur im Fall des § 17 UStG 1973 hängt die Höhe des Anspruchs davon ab, in welcher Höhe die dem Vorsteueranspruch zugrunde liegende Forderung getilgt wird. Die Quote hat auf den Umsatzsteueranspruch aus § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1973 im Konkurs des Leistenden keine Auswirkung auf die Höhe der Steuerforderung, sondern nur auf die Höhe, in der das FA aus dieser Steuerforderung befriedigt wird.

a) Zwar ist der Bundesfinanzhof (BFH) an die geltend gemachten materiell-rechtlichen Revisionsgründe nicht gebunden, so daß er im Rahmen des Revisionsantrages bei einer auf materiell-rechtliche Gründe gestützten (zulässigen) Revision berechtigt und verpflichtet ist, die gesamte materielle Rechtsanwendung durch das FG zu überprüfen (vgl. Beschluß vom 5. November 1968 II R 118/67, BFHE 94, 116, BStBl II 1969, 84). Dies gilt aber nicht, soweit das FG über unterschiedliche Streitgegenstände zu entscheiden hatte, die Gegenstand einer jeweils selbständigen Revision sein könnten. Das ist im Verhältnis der Konkursforderungen über 760.000 DM zu der Konkursforderung über 129.445,21 DM der Fall, denn es handelt sich um jeweils selbständig zu beurteilende Steuerforderungen mit jeweils eigenem materiell-rechtlichen Entstehungsgrund. Die Revision ist hinsichtlich der Konkursforderung über 129.445,21 DM demnach nicht etwa deshalb zulässig, weil in bezug auf die Konkursforderung über 760.000 DM eine Revisionsbegründung abgegeben worden ist.

b) Werden in einen Feststellungsbescheid nach § 251 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) Steuerforderungen aufgenommen, die auf unterschiedlichen materiell-rechtlichen Entstehungsgründen beruhen, so handelt es sich - anders als bei der Steuerveranlagung - nicht um unselbständige Besteuerungsgrundlagen im Sinne von Teilen des Steuerbescheides, die nicht selbständig mit Rechtsbehelfen anfechtbar sind (BFH-Urteil vom 30. September 1976 V R 109/73, BFHE 120, 562, 566, BStBl II 1977, 227), sondern um jeweils selbständig zu beurteilende Feststellungsakte i.S. des § 251 Abs. 3 AO 1977 i.V.m. §§ 139, 146 Abs. 5 KO, die als selbständige Streitpunkte einer jeweils gesonderten revisionsrechtlichen Prüfung unterliegen (vgl. BFHE 94, 116, BStBl II 1969, 84 unter 3., und Urteil vom 23. August 1978 II R 16/76, BFHE 126, 122, BStBl II 1979, 198 unter 3. der Gründe).

Gegenstand des Feststellungsbescheides nach § 251 Abs. 3 AO 1977 ist nicht die Rechtmäßigkeit des die Steuer festsetzenden Steuerbescheides (BFH-Beschluß vom 17. Juli 1967 GrS 1/66, BFHE 91, 393, BStBl II 1968, 344); denn der Feststellungsbescheid i.S. des § 251 Abs. 3 AO 1977 hat nicht die Anforderung des dort bezeichneten Steuerbetrages zum Gegenstand. Sein Regelungsinhalt geht vielmehr dahin, daß dem Steuergläubiger eine bestimmte Steuerforderung als Konkursforderung zustehe (vgl. Weiß, Anmerkung in Umsatzsteuer-Rundschau - UR - 1984, 186). Ob dies der Fall ist, richtet sich nach den Bestimmungen der KO.

Gemäß § 251 Abs. 2 Satz 1 AO 1977, § 12 KO muß der Steuergläubiger vor Konkurseröffnung entstandene Steuerschulden des Gemeinschuldners nach den Vorschriften über das Konkursverfahren (§§ 138 f.) geltend machen. Wird gegen die Anmeldung zur Konkurstabelle, wie im Streitfall durch den Konkursverwalter oder durch die Konkursgläubiger, Widerspruch erhoben (§ 144 KO), so ist die Feststellung der streitig gebliebenen nichttitulierten Forderungen nach § 146 KO außerhalb des Konkursverfahrens zu betreiben; bei Steuerforderungen ist, abweichend von § 146 Abs. 2 KO, der Feststellungsstreit nicht im Klagewege auszutragen, vielmehr ist das FA befugt, aufgrund eigener Rechtszuständigkeit das Bestehen der angemeldeten Forderungen mit der in § 147 KO bestimmten Rechtskraftwirkung durch besonderen - gegen den Konkursverwalter oder die Konkursgläubiger gerichteten (Urteil des Reichsfinanzhofs - RFH - vom 25. Oktober 1926 Gr.S. 1/26, RFHE 19, 355, 359) - Bescheid festzustellen (§ 146 Abs. 5 i.V.m. § 251 Abs. 3 AO 1977; vgl. BFH-Urteile vom 10. Dezember 1975 II R 150/67, BFHE 118, 412, BStBl II 1976, 506, und vom 26. Februar 1987 V R 114/79, BFHE 149, 98, BStBl II 1987, 471). Diese Feststellung kann zufolge § 146 Abs. 4 KO nur auf den Grund gestützt und nur auf den Betrag gerichtet sein, welcher in der Anmeldung oder in dem Prüfungstermin angegeben ist; sie beschränkt sich auf die zur Konkurstabelle angemeldeten Forderungen. Da diese nach Grund und Betrag als Einzelforderungen anzumelden sind (§ 139 KO), enthält der Feststellungsbescheid nach § 251 Abs. 3 AO 1977 so viele Einzelfeststellungen, wie materiell-rechtlich verschiedene Steuerforderungen gegeben sind (zu den Anforderungen an die Bezeichnung einer als Konkursforderung angemeldeten Umsatzsteuerforderung siehe das Urteil des erkennenden Senats vom 26. November 1987 V R 130/82, BFHE 151, 349). Demzufolge hat es der Senat im Urteil in BFHE 149, 98, BStBl II 1987, 471 für nicht zulässig angesehen, daß das FG bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Feststellungsbescheides im Wege der "Saldierung" eine gemäß § 144 KO bestrittene Umsatzsteuerforderung durch eine andere - zwischen den Beteiligten in dem Rechtsstreit unbestrittene - Umsatzsteuerforderung "ausgewechselt" hat. "Grund der Forderung" im Sinne von § 139 Satz 1, § 146 Abs. 4 KO ist der Sachverhalt, auf dem die Forderung beruht; bei der Umsatzsteuer ist dies der sich aus der Verwirklichung der im Umsatzsteuergesetz enthaltenen Tatbestände ergebende Steuerbetrag, unbeschadet der Zusammenfassung bei der Steuerberechnung (Urteil in BFHE 149, 98, BStBl II 1987, 471).

2. Hinsichtlich der Konkursforderung von 760.000 DM ist die Revision begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung durch das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Die Vorentscheidung war aufzuheben, weil das FG als Sachurteilsvoraussetzung für seine Entscheidung nicht geprüft hat, ob die zur Konkurstabelle angemeldete und die dem Feststellungsbescheid nach § 251 Abs. 3 AO 1977 zugrunde gelegte Steuerforderung identisch sind. Wie der Senat im Urteil vom 17. Mai 1984 V R 80/77 (BFHE 141, 7, BStBl II 1984, 545) ausgeführt hat, kann der Konkursgläubiger eine Feststellung gemäß § 146 KO nur bezüglich derjenigen Forderung betreiben, die er zuvor wirksam, d.h. nach Grund und Betrag, gemäß § 139 KO zur Konkurstabelle angemeldet und auch im Prüfungstermin nach § 141 KO angegeben hat (§ 146 Abs. 4 KO). Hierzu hat das FG zu prüfen, ob dem Feststellungsbescheid nach § 251 Abs. 3 AO 1977 dieselbe Forderung zugrunde liegt, die das FA angemeldet hat und die im Prüfungsverfahren erörtert worden ist.

Das FG wird bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung diese Feststellungen nachzuholen haben. Zur Frage des Konkursvorrechts weist der Senat auf sein Urteil vom 16. Juli 1987 V R 80/82 (BFHE 150, 211, BStBl II 1987, 691) hin. Danach kommt dem Anspruch auf Rückforderung von vor Konkurseröffnung abgezogenen Vorsteuerbeträgen das Vorrecht nach § 61 Abs. 1 Nr. 2 KO nicht zu.