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BFH-Urteil vom 26.8.1987 (I R 376/83) BStBl. 1988 II S. 201

1. Eine Zerlegung kann i. S. des § 33 Abs. 1 GewStG dann unbillig sein, wenn eine Gemeinde, in der sich eine Betriebsstätte befindet, in erheblichem Umfang die sog. Folgekosten für die Arbeitnehmer der Betriebsstätte zu tragen hat, ohne daß dies im Zerlegungsmaßstab zugunsten der Gemeinde Berücksichtigung findet.

2. Lasten anderer Art, die durch das Vorhandensein einer Betriebsstätte der Gemeinde entstehen, führen nur dann zu einer Unbilligkeit i. S. des § 33 Abs. 1 GewStG, wenn sie einerseits ins Gewicht fallen und andererseits atypisch sind.

GewStG §§ 28 bis 31, § 33 Abs. 1.

Vorinstanz: FG Schleswig-Holstein (EFG 1984, 242)

Sachverhalt

I.

Die Beigeladene zu 1 ist eine Reederei, die u.a. den Linienverkehr mit Kauffahrtei-Schiffen betreibt. Sämtliche Schiffe der Beigeladenen zu 1 haben ihren Heimathafen in X. Dort befindet sich auch die Geschäftsleitung der Beigeladenen zu 1.

Im Streitjahr 1974 betrieb die Beigeladene zu 1 zeitweilig auch einen Linienverkehr (sog. Butterfahrten) zwischen Y und Z. In Y hatte die Beigeladene eine Anlegestelle (Schiffsanleger) mit Fahrkartenverkauf. An Bord der im Linienverkehr zwischen Y und Z eingesetzten Schiffe waren neben einem Restaurationsbetrieb auch Kioske zum Verkauf von Lebens- und Genußmitteln an die Fahrgäste eingerichtet.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) setzte den einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag 1974 gegenüber der Beigeladenen zu 1 auf 50.000 DM fest. Durch Zerlegungsbescheid 1974 vom 9. September 1976 wies er der als Klägerin auftretenden Stadt Y einen Zerlegungsanteil von 0 DM zu. Zur Begründung ging das FA von den von der Beigeladenen zu 1 gezahlten Arbeitslöhnen in Höhe von 7.194.000 DM aus. Davon entfielen nur 2.000 DM auf die in Y bestehende Betriebsstätte der Beigeladenen zu 1.

Der Einspruch der Klägerin blieb erfolglos. Auf die Klage hob das Finanzgericht (FG) den Zerlegungsbescheid vom 9. September 1976 und die Einspruchsentscheidung vom 22. Mai 1978 auf und verpflichtete das FA, einen neuen Zerlegungsbescheid unter Zugrundelegung eines Billigkeitszerlegungsmaßstabes gemäß § 33 Abs. 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) zu erteilen. Die weitergehende Klage wurde abgewiesen.

Gegen das in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1984, 242 veröffentlichte Urteil legte die beigeladene Stadt X (Revisionsklägerin) die vom FG zugelassene Revision ein. Sie rügt die Verletzung des § 33 Abs. 1 GewStG.

Die Revisionsklägerin beantragt, das Urteil vom 20. September 1983 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Das FA und die Beigeladenen zu 1 bis 6 haben im Revisionsverfahren keine Anträge gestellt.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

A.

Die Entscheidung des FG ist insoweit rechtmäßig, als nach §§ 28 bis 31 GewStG kein Zerlegungsanteil an dem einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag 1974 der Beigeladenen zu 1 auf die Klägerin entfällt.

1. Unterhält ein stehender Gewerbebetrieb im Erhebungszeitraum Betriebsstätten zur Ausübung des Gewerbes in mehreren Gemeinden, so ist der einheitliche Steuermeßbetrag gemäß § 28 Abs. 1 GewStG in die auf die einzelnen Gemeinden entfallenden Anteile (Zerlegungsanteile) zu zerlegen. Zu diesen Voraussetzungen hat das FG in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, daß die Beigeladene zu 1 die Stätte ihrer Geschäftsleitung im Streitjahr 1974 in X hatte. Außerdem besaß sie einen Schiffsanleger in Y. Die tatsächlichen Feststellungen sind nicht mit Revisionsrügen angefochten und deshalb für den erkennenden Senat bindend (§ 118 Abs. 2 FGO). Aus ihnen ergibt sich, daß die Beigeladene zu 1 in 1974 zumindest zwei Betriebsstätten in verschiedenen Gemeinden unterhielt. Denn die Stätte der Geschäftsleitung ist Betriebsstätte i. S. des § 16 Abs. 2 Nr. 1 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG). Der Schiffsanleger ist Betriebsstätte i. S. des § 16 Abs. 2 Nr. 2 StAnpG. Infolgedessen war der einheitliche Gewerbesteuermeßbetrag 1974 der Beigeladenen zu 1 zu zerlegen.

2. Nach § 29 Abs. 1 GewStG ist Zerlegungsmaßstab grundsätzlich das Verhältnis zwischen der Summe der Arbeitslöhne, die an die bei allen Betriebsstätten beschäftigten Arbeitnehmer gezahlt worden sind, zu der Summe der Arbeitslöhne, die an die bei den Betriebsstätten in den einzelnen Gemeinden beschäftigten Arbeitnehmer gezahlt worden sind. Bei Wareneinzelhandelsunternehmen ist allerdings das Verhältnis der Arbeitslöhne nur zur Hälfte Zerlegungsmaßstab. Zur anderen Hälfte ist auf das Verhältnis abzustellen, in dem die Summe der in allen Betriebsstätten erzielten Betriebseinnahmen zu den in den Betriebsstätten der einzelnen Gemeinden erzielten Betriebseinnahmen steht. Damit macht § 29 Abs. 1 Nr. 1 GewStG in erster Linie die Zuordnung der Arbeitslöhne zu den einzelnen Betriebsstätten erforderlich. Maßgebend ist insoweit die Beschäftigung der Arbeitnehmer, wobei ein Arbeitnehmer in der Betriebsstätte beschäftigt ist, in der er seine Tätigkeit ganz oder wesentlich ausübt. Das FG hat insoweit zutreffend die Arbeitslöhne der Schiffsbesatzung und des Verkaufspersonals nicht der Betriebsstätte in Y zugeordnet. Die Betriebsstätte in Y besteht nur aus dem Schiffsanleger mit Fahrkartenverkauf. Zu ihr gehören die für die Butterfahrten eingesetzten Schiffe nicht. Dies ergibt sich daraus, daß zwar der Schiffsanleger und die auf Butterfahrten eingesetzten Schiffe dem Reedereibetrieb der Beigeladenen zu 1 dienten. Es dienten aber nicht die die auf Butterfahrten eingesetzten Schiffe dem Schiffsanleger, sondern allenfalls umgekehrt der Schiffsanleger den auf Butterfahrten eingesetzten Schiffen. Da die Schiffe in Ermangelung einer dauernden Verbindung mit der Erdoberfläche für sich genommen keine Betriebsstätte i. S. des § 16 Abs. 1 StAnpG bildeten, ist die auf ihnen ausgeübte Tätigkeit dem Sitz der Geschäftsleitung als Schwerpunktbetriebsstätte zuzuordnen (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs - RFH - vom 28. Oktober 1939 I 169/39, RStBl 1940, 445). Dies gilt jedenfalls für die während der Fahrt der Schiffe ausgeübten Tätigkeiten. Zwar ist es denkbar, daß eine wesentliche Verknüpfung der Tätigkeit einer Schiffsmannschaft während des Aufenthaltes in einem Hafen mit einer bestimmten Schiffsanlegestelle besteht. Jedoch hat das FG insoweit in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, daß die Schiffsbesatzung und das Verkaufspersonal der Beigeladenen zu 1 mit keinen wesentlichen Be- und Entladungsarbeiten an den Anlegestellen beschäftigt war. Der erkennende Senat ist an diese Feststellung gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO). Aus ihr folgt, daß die von der Schiffsbesatzung und dem Verkaufspersonal ausgeübte Tätigkeit auch nicht teilweise der Betriebsstätte in Y zugeordnet werden kann. Entsprechend können die Arbeitslöhne der Schiffsbesatzung und des Verkaufspersonals auf der Grundlage des § 29 Abs. 1 GewStG nur der Betriebsstätte in X zugeordnet werden. Der Betriebsstätte in Y sind lediglich die Arbeitslöhne zuzuordnen, die im Zusammenhang mit dem Schiffsanleger und dem Fahrtenverkauf in Y stehen. Diese Arbeitslöhne betrugen im Streitjahr 1974 nach den Feststellungen des FG 2.000 DM.

3. Mit der getroffenen Entscheidung ist der erkennende Senat nicht von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 16. September 1977 VII C 7/76 (BVerwGE 54, 305) abgewichen. Das Urteil betrifft die Anwendung des § 1 Abs. 1 des Investitionszulagengesetzes (InvZulG) vom 18. August 1969 (BGBl I 1969, 1.211, BStBl I 1969, 477). Nach dieser Vorschrift hatte der Bundesminister für Wirtschaft u.a. zu bescheinigen, ob die Errichtung, Erweiterung, Umstellung oder Rationalisierung einer Betriebsstätte volkswirtschaftlich besonders förderungswürdig und geeignet ist, die Wirtschaftsstruktur bestimmter förderungsbedürftiger Gebiete zu verbessern. Zu dieser Vorschrift hat das BVerwG (BVerwGE 54, 305) entschieden, daß der Erwerb eines Fährschiffes der Betriebsstätte zuzuordnen ist, an der sich der Ort der Geschäftsleitung i. S. des § 16 Abs. 2 Nr. 1 StAnpG befindet. Der Ort der Geschäftsleitung setzt insoweit eine feste Stätte voraus, von der aus der Gewerbebetrieb (im Urteilsfall: der Fährbetrieb) durchgeführt wird. Dies entspricht den vom erkennenden Senat angewendeten Rechtsgrundsätzen. Soweit die Klägerin eine andere Auffassung vertritt, mißversteht sie die Entscheidung des BVerwG.

B.

Das FG hat allerdings § 33 Abs. 1 GewStG unzutreffend ausgelegt. Deshalb tragen die tatsächlichen Feststellungen des FG nicht die von diesem angenommene offenbare Unbilligkeit des Zerlegungsergebnisses.

1. a) Der Zweck der Zerlegung des einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrages besteht darin sicherzustellen, daß gewerbesteuerpflichtige Unternehmen in allen Gemeinden, in denen sie sich betrieblich betätigen, zur Tragung der Kosten herangezogen werden, die durch ihre betriebliche Tätigkeit den Gemeinden entstehen. Dazu folgt aus der Heranziehung der Arbeitslöhne als dem grundlegenden Zerlegungsmaßstab des § 29 Abs. 1 GewStG, daß nach Auffassung des Gesetzgebers vor allem die Angestellten und Arbeiter der Betriebsstätte die Gemeindelasten entstehen lassen, die durch die Erhebung der Gewerbesteuer abgegolten werden sollen. Die durch die Angestellten und Arbeiter ausgelösten Gemeindelasten bestehen aber im wesentlichen aus den Arbeitnehmerfolgekosten, d.h. aus den Aufwendungen einer Gemeinde für den Bau von Straßen, Schulen, Krankenhäuser, Altersheime u.a. m. für die dort wohnenden Arbeitnehmer. Eine Unbilligkeit i. S. des § 33 Abs. 1 GewStG ist deshalb dann denkbar, wenn eine Gemeinde, in der sich eine Betriebsstätte befindet, in erheblichem Umfang die sog. Folgekosten für die Arbeitnehmer zu tragen hat, ohne daß dies im Zerlegungsmaßstab zugunsten der Gemeinde Berücksichtigung findet.

b) Der Bundesfinanzhof - BFH - (vgl. Beschluß vom 13. Mai 1958 I 49/58 U, BFHE 67, 275, BStBl III 1958, 379) hat allerdings eine Unbilligkeit i. S. des § 33 Abs. 1 GewStG auch dann für denkbar gehalten, wenn durch das Vorhandensein einer Betriebsstätte einer Gemeinde Lasten anderer Art entstehen, die im Rahmen der Zerlegung nicht berücksichtigt werden können. Solche Lasten anderer Art führen jedoch nur dann zu einer Unbilligkeit i. S. des § 33 Abs. 1 GewStG, wenn sie einerseits ins Gewicht fallen und wenn sie andererseits atypisch sind. Deshalb ist zu prüfen, ob die in Betracht kommenden Lasten einmaliger oder laufender Natur sind. Sind sie einmaliger Natur, so sind sie auf ihre voraussichtliche Nutzungsdauer zu verteilen. Dienen die Lasten nicht nur einer Betriebsstätte, so ist der Teil der Aufwendungen im Wege der Schätzung zu ermitteln, der durch die Betriebsstätte veranlaßt ist. Dabei müssen solche Aufwendungen der Gemeinde aus der Billigkeitsprüfung ausscheiden, für die ein Gebührenerhebungsrecht besteht. Die Gebührenerhebung soll gerade die Aufwendungen abdecken. Deshalb kann es nicht die Funktion der Gewerbesteuer sein, insoweit für einen finanziellen Ausgleich zu sorgen. Dies gilt auch dann, wenn die Gemeinde keine Gebühren oder nur solche erhebt, die die anfallenden Aufwendungen nicht abdecken. Die Nichterhebung einer Gebühr läßt die Abgrenzung zwischen den Funktionen der Gebühr einerseits und der Gewerbesteuer andererseits unberührt.

2. Das FG hat in seiner Entscheidung diese Grundsätze nicht beachtet. Es hat keine Feststellungen über den konkreten Geschehensablauf und über die tatsächliche Höhe der bei der Klägerin angefallenen Lasten getroffen. Es hat sich statt dessen mit der Vermutung begnügt, daß der Klägerin bestimmte, allgemein umschriebene Aufwendungen entstanden seien. Das FG hat insbesondere nicht ermittelt, wieviele der bei der Beigeladenen zu 1 angestellten und auf den "Butterdampfern" tätigen Arbeitnehmer im Bereich der Klägerin wohnten. Nur dann, wenn auch die absolute Zahl dieser Arbeitnehmer bekannt ist, läßt sich beurteilen, ob der Klägerin durch sie ins Gewicht fallende Arbeitnehmerfolgekosten entstanden sind. Es genügt auch nicht, daß das FG die Entstehung bestimmter Aufwendungen nach der Lebenserfahrung annimmt. Es muß die absolute Höhe der Aufwendungen für den Erhebungszeitraum feststellen und prüfen, welche Aufwendungen einerseits durch die Beigeladene zu 1 ausgelöst und andererseits durch Gebühren abgegolten sind. Nur dann, wenn für den Erhebungszeitraum eine ins Gewicht fallende, atypische Belastung der Klägerin verbleibt, kann eine Unbilligkeit i. S. des § 33 Abs. 1 GewStG angenommen werden.

Es ist Sache des FG, die fehlenden tatsächlichen Feststellungen nachzuholen. Zu diesem Zweck war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache war an das FG zurückzuverweisen.

3. Sollte das FG im zweiten Rechtszug wiederum zu der Auffassung gelangen, daß die Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 GewStG erfüllt sind, so muß es auch bei einer Entscheidung gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO angeben, an welchem Maßstab sich die Billigkeitszerlegung orientieren soll und in welcher Hinsicht das FA seinerseits den Sachverhalt aufzuklären hat. Dabei ist darzulegen, welcher wesentliche Verfahrensmangel dem FA auf der Grundlage seiner materiell-rechtlichen Auffassung unterlaufen ist.