| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

 

BFH-Beschluß vom 18.12.1986 (I B 49/86) BStBl. 1988 II S. 213

Es bestehen ernstliche Zweifel, ob die subjektiven Tatbestandsmerkmale einer Steuerhinterziehung (Vorsatz und Unrechtsbewußtsein) in einem Fall der mittelbaren Parteienfinanzierung über eine Organisation gegeben sind.

FGO § 69 Abs. 2 und 3; AO § 144 Abs. 1 Satz 1, § 392; AO 1977 § 370; StGB §§ 15, 17.

Vorinstanz: FG Bremen (EFG 1986, 257)

Sachverhalt

I.

Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) spendete im August 1972 der .... (im folgenden: SV) 200.000 DM. Die SV war als begünstigte juristische Person i.S. des § 49 Nr. 3 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) 1955 und des § 26 Nr. 1 der Körperschaftsteuer-Durchführungsverordnung (KStDV) 1955 anerkannt worden.

Die Antragstellerin machte den gespendeten Betrag in ihrer Körperschaftsteuererklärung 1972 als abziehbaren Aufwand geltend. Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt - FA -) berücksichtigte den Betrag in den zunächst vorläufigen bzw. unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen, mehrfach geänderten Körperschaftsteuerbescheiden für 1972 als Spende i.S. des § 11 Nr. 5 a des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1968. Dabei blieb es auch in der nach einer Außenprüfung vorgenommenen endgültigen Körperschaftsteuerfestsetzung für 1972.

Aufgrund von steuerstrafrechtlichen Ermittlungen erließ das FA einen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 der Reichsabgabenordnung (AO) geänderten Körperschaftsteuerbescheid für 1972, in dem der gezahlte Betrag nicht mehr als Spende nach § 11 Nr. 5 a KStG anerkannt war.

Gegen den geänderten Bescheid legte die Antragstellerin Einspruch ein. Gleichzeitig begehrte sie beim FA die Aussetzung der Vollziehung insoweit, als Körperschaftsteuer für die nicht zum Abzug zugelassenen Beträge nachgefordert wurde. Diesen Antrag lehnte das FA ab. Den Einspruch der Antragstellerin wies es zurück; über die Klage der Antragstellerin ist noch nicht entschieden.

Die Antragstellerin beantragte 1985 bei dem Finanzgericht (FG) die Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Körperschaftsteuerbescheids hinsichtlich der abgelehnten Beträge. Das FG gab dem Antrag mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1986, 257 veröffentlichten Beschluß statt und setzte die Vollziehung des angefochtenen Körperschaftsteuerbescheids aus.

Gegen diese Entscheidung hat das FA Beschwerde erhoben.

(Sachverhalt gekürzt)

Entscheidungsgründe

II.

Die zulässige Beschwerde des FA ist unbegründet; sie war deshalb zurückzuweisen.

Das FG hat im Ergebnis zutreffend das Bestehen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Körperschaftsteuer-(Änderungs-)Bescheides bejaht, gewichtige Gründe angeführt, die für eine Verjährung des geltend gemachten Steueranspruchs sprechen können und deshalb die Vollziehung des Steuerbescheides zu Recht ... ausgesetzt.

...

3. Das FG hat im Aussetzungsverfahren ernstliche Zweifel i.S. des § 69 FGO angenommen, soweit das FA den Erlaß des Steuerbescheides auf das Vorliegen einer Steuerhinterziehung gestützt hat. Bedenken gegen diese Auffassung bestehen bezüglich des Ergebnisses nicht. Das ergibt die in dem Beschwerdeverfahren gebotene Prüfung durch den erkennenden Senat. Dieser hat - im Rahmen der gestellten Anträge - die Sache in jeder Hinsicht entsprechend der gegebenen Sach- und Rechtslage zu würdigen und zu beurteilen.

a) Die Verjährungsfrist verlängerte sich nur dann auf zehn Jahre (§ 144 Abs. 1 Satz 1 AO), wenn der objektive und der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 392 AO; jetzt: § 370 AO 1977) erfüllt waren (BFH-Urteil vom 16. Januar 1973 VIII R 52/69, BFHE 108, 286, BStBl II 1973, 273; Beschluß vom 5. März 1979 GrS 5/77, BFHE 127, 140 - 145 -, BStBl II 1979, 570). Dabei kommt es nicht darauf an, wer die Steuer hinterzogen oder verkürzt hat, sondern (nur) darauf, daß sie hinterzogen oder verkürzt worden ist (BFH-Urteil vom 4. März 1980 VII R 88/77, BFHE 130, 131 - 133 -).

Eine Steuerhinterziehung setzt Vorsatz voraus, wobei bedingter Vorsatz genügt. Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe schließen die Erfüllung des (objektiven bzw. subjektiven) Tatbestandes der Steuerhinterziehung aus (vgl. FG Baden-Württemberg vom 25. Februar 1982 I 90, 94/78, EFG 1982, 499, m.w.N.; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 169 AO Tz. 7; § 173 AO Tz. 37).

Ob die aufgeführten objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale gegeben sind, ist auch in dem Verfahren der Aussetzung der Vollziehung nach den Vorschriften der AO und der FGO, nicht aber nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung (StPO) zu prüfen (BFHE 127, 140 - 145 -, BStBl II 1979, 570). Das Vorliegen dieser Tatbestandsmerkmale bildet lediglich eine strafrechtliche Vorfrage für die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Körperschaftsteuerbescheides. Deshalb kann § 203 StPO, wonach die Eröffnung des Hauptverfahrens zu beschließen ist, "wenn nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtigt erscheint", im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung nicht - auch nicht entsprechend - angewendet werden (vgl. dazu im einzelnen BFHE 127, 140 - 145/146 -, BStBl II 1979, 570). Die objektive Beweislast (Feststellungslast) für das Vorliegen aller Tatbestandsmerkmale der Steuerhinterziehung trägt die Finanzbehörde. Der Grundsatz des Strafverfahrensrechts "in dubio pro reo" ist auch in den Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit zu beachten (BFH-Urteile vom 10. Oktober 1972 VII R 117/69, BFHE 107, 168, BStBl II 1973, 68, und in BFHE 127, 140 - 146 -, BStBl II 1979, 570; a.A. Tipke/Kruse, a.a.O., § 169 AO Tz. 11, m.w.N.).

Entsprechend den Besonderheiten des Verfahrens der Aussetzung der Vollziehung ... darf in diesem Verfahren nicht abschließend über das Vorliegen einer Steuerhinterziehung entschieden werden; vielmehr ist insoweit nur ein Wahrscheinlichkeitsurteil abzugeben. Deshalb können ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheides (schon) dann bestehen, wenn nach dem maßgebenden Streitstoff aus gewichtigen Gründen zweifelhaft ist, ob in dem (nachfolgenden) Hauptsache-Verfahren die Tatbestandsmerkmale einer Steuerhinterziehung festgestellt werden können.

b) Selbst wenn die Körperschaftsteuer 1972 verkürzt worden sein sollte, so ergeben sich hinsichtlich der subjektiven Tatbestandsmerkmale einer Steuerhinterziehung bei einer Würdigung des bisherigen Streitstoffes nach Auffassung des Senats aus gewichtigen Gründen erhebliche Zweifel an deren Vorliegen.

Solchen Zweifeln begegnet die Annahme, der verantwortliche Geschäftsführer der Antragstellerin (G) habe vorsätzlich gehandelt. Vorsätzlich i.S. des § 392 AO handelt, wer mit dem Wissen handelt, daß er alle Tatbestandsmerkmale dieser Strafnorm verwirklicht (direkter Vorsatz) oder aber es zwar (nur) für möglich hält, daß er die Tatbestandsmerkmale verwirklicht, dies aber billigt oder doch in Kauf nimmt (bedingter Vorsatz). Dazu verweist die Antragstellerin darauf, sie sei davon überzeugt gewesen, daß die Zahlungen an die SV nicht für die unmittelbare oder mittelbare Unterstützung oder Förderung politischer Parteien vorgesehen waren. Die SV sei 1972 seit 18 Jahren als juristische Person anerkannt gewesen, die abziehbare Zuwendungen zur Förderung staatspolitischer Zwecke habe entgegennehmen dürfen. Die entsprechenden Veröffentlichungen im Bundessteuerblatt (I 1956, 457; wegen der Anerkennung anderer juristischer Personen vgl. BStBl I 1956, 344; I 1966, 850; I 1969, 376, und I 1974, 2) hätten auf staatliche Kontrollen der SV und die Berechtigung zum Abzug von Zahlungen an die SV schließen lassen. Sollte sich dieses Vorbringen in dem Hauptsache-Verfahren als richtig herausstellen, könnte davon auszugehen sein, daß das Wissen des G nicht alle Tatbestandsmerkmale einer Steuerhinterziehung (hier insbesondere nicht die unterstellte Steuerverkürzung) umfaßt habe und damit die vorsätzliche Begehung einer Steuerhinterziehung auszuschließen sei. Das könnte eintreten, wenn im Hauptsache-Verfahren die Angaben der Antragstellerin zum Wissen und Wollen des G bestätigt werden, ggf. aufgrund einer Beweisaufnahme, in der dazu (u.a.) auch G als Zeuge zu vernehmen wäre. Dem stehen bei summarischer Prüfung nicht gewisse Formulierungen entgegen, die in dem bekanntgewordenen Schriftwechsel über die Spendenzahlung enthalten sind. Diese Wendungen zwingen nicht zu dem Schluß, G habe um die Verwendung der eingezahlten Beträge für parteipolitische Zwecke gewußt. Sie lassen vielmehr - worauf die Antragstellerin hinweist - auch die Würdigung zu, G habe zwar gewußt, daß die Beträge durch die SV und durch deren Wirken für die Interessen einer bestimmten Partei eingesetzt würden, nicht aber, daß damit eine Partei unmittelbar gefördert und unterstützt würde.

Erhebliche Zweifel bestehen auch, ob G bewußt war, Unrecht zu tun. Das Unrechtsbewußtsein ist seit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 18. März 1952 GSSt 2/51 (BGHSt 2, 194 - 201 -; jetzt: § 17 des Strafgesetzbuches - StGB -) ein weiteres Merkmal der Schuld, dessen unvermeidbares Fehlen die Schuld ausschließt (so Jeschek, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 3. Aufl., 1978, § 41 I 2, S. 365; vgl. u.a. auch Roxin, LK, 10. Aufl., § 17 Rdnr. 3, und Dreher/Tröndle, Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 43. Aufl., § 17 Anm. 2). Gegenstand des Unrechtsbewußtseins ist nicht die (allgemeine) Kenntnis der verletzten Norm oder der Strafbarkeit der Tat: Das einem bestimmten Tatbestand zugeordnete Unrechtsbewußtsein kann nicht durch ein allgemeines oder ein anderes ersetzt werden; es muß vielmehr tatbestandsbezogen sein, sich also auf das dem jeweiligen Tatbestand zugrunde liegende Verbot erstrecken (so BGH vom 6. Dezember 1956 4 Str 234/56, BGHSt 10, 35 - 39 -). Daher reicht ein allgemeines Wissen oder Wissenkönnen, daß eine Verletzung des betreffenden Rechtsgutes verboten ist, nicht aus. Es genügt aber, wenn der Täter zwar nicht in rechtstechnischer Beurteilung, aber doch in einer seiner Gedankenwelt entsprechenden allgemeinen Bewertung das Unrechtmäßige seiner Tat erkennen mußte oder hätte erkennen können (vgl. BGHSt 10, 35 - 41 -). Ob ein derartiges tatbestandsbezogenes Bewußtsein, Unrecht zu tun, bei G bei Begehung der Tat vorhanden war, kann nach dem bisherigen Streitstoff im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung nicht eindeutig beurteilt werden. G hatte - wie die Antragstellerin vorgetragen hat - bei der Werbung um die Spende durch den ... die feste Überzeugung, daß die Zahlung an die SV nicht zur unmittelbaren oder mittelbaren Unterstützung oder Förderung politischer Parteien verwendet werden würde. Der von dem Spendenwerber empfohlene Weg sei als der richtige angesehen worden; die Verwendung der ausgestellten Spendenbescheinigung habe dem entsprochen, "was - jedenfalls damals - von den Finanzbehörden als korrekt angesehen wurde". Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß diese Erwägungen auf einem unvermeidbaren Irrtum des G beruhen. Ein entsprechendes Ergebnis des Hauptsache-Verfahrens müßte zum Wegfall einer Schuld des G und zum Ausschluß einer Steuerhinterziehung führen.

Erhebliche Zweifel bestehen auch hinsichtlich einer Steuerhinterziehung, begangen durch die Verantwortlichen der SV in mittelbarer Täterschaft. Es sind keine Anhaltspunkte erkennbar, die das maßgebende Geschehen (Ausstellen der unrichtigen Spendenbescheinigung, Absetzen der Beträge in der Steuererklärung und Vorlage der Steuererklärung und der Bescheinigung beim FA) und dessen Ablauf als alleiniges Werk des steuernden Willens der Verantwortlichen der SV erscheinen lassen könnten. Dieser fehlte es an den für eine mittelbare Täterschaft erforderlichen unmittelbaren oder mittelbaren Einwirkungsmöglichkeiten.

4. Nach allem bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Körperschaftsteuerbescheides i.S. des § 69 Abs. 2 FGO ... hinsichtlich der vom FA geltend gemachten Körperschaftsteueransprüche. Das allein rechtfertigt die vom FG gewährte Aussetzung der Vollziehung. Bei dieser Rechtsauffassung braucht der Senat nicht auf andere gewichtige Gründe (Durchbrechen der Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO 1977; Verstoß gegen Treu und Glauben; Spendenaufwendungen als Betriebsausgaben) einzugehen, die ggf. auch ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides begründen könnten.