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BFH-Urteil vom 15.12.1987 (VIII R 265/83) BStBl. 1988 II S. 336

Verfolgte i.S. von § 10a Abs. 1 Nr. 2 EStG sind nur solche Personen, die entweder aus Gründen der politischen Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus verfolgt worden sind oder ein solches Schicksal aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität oder Weltanschauung durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen erlitten haben.

EStG § 10a.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

Die verheirateten Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind als rumänische Staatsangehörige ungarischer Abstammung im Dezember 1975 legal in die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) gekommen. Mit Bescheid vom 7. Oktober 1976 wurden die Kläger vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge als Asylberechtigte gemäß § 28 des Ausländergesetzes (AuslG) vom 28. April 1965 (BGBl I, 353) anerkannt. In diesem Bescheid heißt es u.a.:

"Allein im Hinblick auf die ... dargelegten Entscheidungsgrundsätze kann die Gefahr einer politischen Verfolgung im Falle einer Rückkehr in das Herkunftsland nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden.

Daher ist auch ihre diesbezügliche Furcht nicht hinreichend zu entkräften."

Seit dem 1. Januar 1978 ist der Kläger als selbständiger Zahnarzt mit eigener Praxis tätig. Den Gewinn aus dieser Tätigkeit ermittelte der Kläger in den Streitjahren nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) durch Gegenüberstellung von Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben.

In den Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre haben die Kläger unter Hinweis auf den Kreis der Anspruchsberechtigten für die Gewinne aus der selbständigen Tätigkeit die Steuerbegünstigung nach § 10a EStG beantragt. Dies lehnte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) in den Einkommensteuerbescheiden der Streitjahre ab.

Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) ließ es dahinstehen, ob die Kläger die persönlichen Voraussetzungen des § 10a Abs. 1 Nr. 2 EStG erfüllten. Auf die insoweit bestehenden Zweifel, die nach Ansicht des FG daher rührten, daß in der Begründung des Anerkennungsbescheids das tatsächliche Vorliegen einer Verfolgung nicht festgestellt, sondern nur die Gefahr einer Verfolgung nicht ausgeschlossen werde, komme es nicht an, da die Gewährung des Sonderausgabenabzugs nach § 10a EStG daran gebunden sei, daß der Steuerpflichtige seinen Gewinn aufgrund eines Betriebsvermögensvergleichs nach § 4 Abs. 1 EStG oder § 5 EStG ermittle. Dies liege nicht vor.

Mit ihrer hiergegen erhobenen Revision machen die Kläger geltend, daß sowohl die persönlichen als auch die sachlichen Voraussetzungen von § 10a EStG erfüllt seien.

Die Kläger hätten zu der in Rumänien lebenden ungarischen Minderheit gehört, die vor politischer Verfolgung nicht geschützt gewesen sei. Da der Kläger aufgrund einer EDV-mäßigen Buchführung sämtliche Buchungsvorgänge betrieblicher und privater Art erfaßt habe, komme es für die Inanspruchnahme von § 10a EStG nicht darauf an, ob der Gewinn nach Einnahme-Überschußgrundsätzen (§ 4 Abs. 3 EStG) ermittelt worden sei. Die hiervon abweichende Auslegung des FG verstoße gegen den Gleichheitssatz. Sie wäre nur dann zu rechtfertigen, wenn der Steuerpflichtige seine Aufzeichnungen auf betriebliche Vorgänge beschränke.

Die Kläger beantragen, das Urteil des FG und die Einspruchsentscheidungen aufzuheben und die Einkommensteuer 1978 bis 1980 unter Abänderung der Bescheide so weit herabzusetzen, wie sie sich unter Berücksichtigung des § 10a EStG ergibt.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Die Kläger gehören nicht zu dem nach § 10a EStG begünstigten Personenkreis. Deshalb bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob das FG die sachlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift zu Recht verneint hat.

Da die Kläger nicht aufgrund des Bundesvertriebenengesetzes zur Inanspruchnahme von Rechten und Vergünstigungen berechtigt sind (§§ 1 bis 4, 10 des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge vom 19. Mai 1953 - BVFG -, BGBl I, 201, in der Fassung vom 3. September 1971, BGBl I, 1566), steht ihnen der Sonderausgabenabzug nach § 10a EStG nur dann zu, wenn sie i.S. von § 10a Abs. 1 Nr. 2 EStG "aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Weltanschauung oder politischen Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus verfolgt worden sind".

Hieran fehlt es im Streitfall.

Die Kläger berufen sich als rumänische Staatsangehörige ungarischer Abstammung auf den ihnen am 7. Oktober 1976 erteilten Bescheid über die Anerkennung als Asylberechtigte. Danach kann die Gefahr einer politischen Verfolgung im Falle der Rückkehr in das Herkunftsland nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Selbst wenn man, wie es die Kläger in der Revisionsschrift behaupten, davon ausgeht, daß die ungarische Minderheit in der Vergangenheit in Rumänien verfolgt worden ist und die Kläger hiervon betroffen waren, könnte dies die Gewährung der Vergünstigung nach § 10a EStG nicht rechtfertigen.

Zwar ließe sich bei einer streng am Wortlaut orientierten Auslegung von § 10a Abs. 1 Nr. 2 EStG - die Behauptungen der Kläger als richtig unterstellt - die Ansicht vertreten, daß sie aus Gründen der Rasse oder Nationalität verfolgt gewesen sind. Wie der Bundesfinanzhof (BFH) jedoch in seinem Urteil vom 11. Dezember 1973 VIII R 105/69 (BFHE 111, 254, BStBl II 1974, 205) im einzelnen dargelegt hat, ist für den Verfolgtenbegriff i.S. von § 10a Abs. 1 Nr. 2 EStG - ohne daß es auf die Berechtigung zur Inanspruchnahme von Entschädigungen ankommt - die in § 1 des Bundesergänzungsgesetzes zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung vom 18. September 1953 (BGBl I, 1387), in der Fassung des Bundesergänzungsgesetzes zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung vom 29. Juni 1956 (BGBl I, 559) - BEG -, niedergelegte Begriffsbestimmung maßgebend (vgl. auch Urteile des BFH vom 11. Dezember 1958 IV 304/57 U, BFHE 68, 287, BStBl III 1959, 113; vom 16. Dezember 1960 VI R 57-59/60 U, BFHE 72, 167, BStBl III 1961, 62). Danach sind als Verfolgte diejenigen Personen anzusehen, die aus Gründen politischer Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus oder aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen verfolgt worden sind. Der Senat hält an der Maßgeblichkeit des in § 1 BEG bestimmten Verfolgtenbegriffs für die Vergünstigungen des § 10a EStG fest.

Die Grundstruktur des § 10a EStG geht auf das Einkommensteueränderungsgesetz vom 19. Mai 1953 (BGBl I, 222) zurück. Sowohl die Gesetzesmaterialien (vgl. Verhandlungen des Deutschen Bundestags, I. Wahlperiode 1949, Stenographische Berichte, Bd. 15, 251. Sitzung, S. 12059) als auch die zeitliche Nähe zum Inkrafttreten des BVFG und des BEG geben unzweideutig zu erkennen, daß die zunächst bis 1956 befristete Vergünstigung darauf zielte, die Wiedereingliederung der Vertriebenen und der durch den Nationalsozialismus Verfolgten zu erleichtern. Dieser Gesetzeszweck fand in die Begründungen zu den Steueränderungsgesetzen vom 18. Juli 1958 (BGBl I, 473, BStBl I 1958, 412), vom 13. Juli 1961 (BGBl I, 981, BStBl I 1961, 444), vom 16. November 1964 (BGBl I, 885, BStBl I 1964, 553) und vom 22. Dezember 1967 (BGBl I, 1334, BStBl I 1967, 488), die die Geltungsdauer der Vorschrift jeweils verlängerten, ausdrücklichen Niederschlag. Die zeitliche Ausdehnung der Vergünstigungsnorm war danach durch die noch immer unzureichende Kapitalausstattung der Unternehmen von Vertriebenen, Flüchtlingen und Verfolgten geboten (Deutscher Bundestag, Drucksache III/260, S. 54; Bundesrat-Drucksache 17/61, S. 21; BTDrucks IV/2400, S. 65; BTDrucks V/2185, S. 8).

Angesichts dieser, sich aus der Entstehungsgeschichte eindeutig ergebenden Zielsetzung sieht der Senat keine Veranlassung, die Beschränkung des Verfolgtenbegriffs in § 10a Abs. 1 Nr. 2 EStG auf die in § 1 BEG genannte Personengruppe aufzugeben. Er wird hierin durch den systematischen Zusammenhang zu § 10a Abs. 1 Nr. 1 EStG bestärkt. Verfolgte i.S. von § 10a Abs. 1 Nr. 2 EStG sind deshalb nur solche Personen, die entweder - wie der Wortlaut dieser Vorschrift es in Übereinstimmung mit § 1 BEG bereits selbst ausdrückt - aus Gründen der politischen Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus verfolgt worden sind oder ein solches Schicksal aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität oder Weltanschauung durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen erlitten haben (gleicher Ansicht Lademann/Söffing/Brockhoff, Kommentar zum Einkommensteuerrecht, § 10a Rdziff. 7; Blümich/Falk, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 12. Aufl., § 10a Anm. 19; Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuergesetz und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, 19. Aufl., § 7e EStG Anm. 15).

Da die Kläger nicht zu diesem Personenkreis gehören, ist ihre Revision zurückzuweisen, ohne daß es auf die Richtigkeit der Begründung des finanzgerichtlichen Urteils im übrigen ankommt.