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BFH-Urteil vom 25.11.1987 (II R 227/84) BStBl. 1988 II S. 410

1. Ein einheitlicher Feststellungsbescheid (Einheitswertbescheid) wird zwar erst mit der Bekanntgabe an alle Feststellungsbeteiligten allen gegenüber wirksam, er entfaltet aber mit seiner Bekanntgabe an einzelne der notwendigen Bekanntgabeempfänger diesen gegenüber Wirksamkeit.

2. Ergeht ein Einheitswertfeststellungsbescheid erst nach dem Tode eines Beteiligten auf einen davor liegenden Stichtag, so bleibt der Verstorbene Zurechnungssubjekt unbeschadet des Umstandes, daß seine Erben Feststellungsbeteiligte sind und ihnen der Bescheid bekanntzugeben ist.

AO 1977 §§ 45, 124 Abs. 1 Satz 1, § 157 Abs. 2, § 179 Abs. 1 und 2, § 180 Abs. 1 Nr. 1, § 182 Abs. 2, § 183; BewG § 22.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz (EFG 1985, 60)

Sachverhalt

Am 1. Januar 1974 waren der Kläger und seine 1980 verstorbene Ehefrau Sigrid S. je zur Hälfte Miteigentümer des Grundstücks A-Straße. Frau Sigrid S. wurde beerbt vom Kläger zur Hälfte und von den beiden Kindern, Alexandra S. geboren 1963, und Mathias S., geboren 1967, zu je einem Viertel.

Auf diesem Grundstück hatten die Miteigentümer ein Haus mit zwei Wohnungen errichtet, das im Jahre 1971 bezugsfertig geworden war. Ohne Baugenehmigung wurden im Jahre 1973 die als Abstellräume ausgewiesenen Räume im Dachgeschoß zu einer Wohnung mit Flur, zwei Zimmern, Küche, Bad/WC, separatem Eingang mit Klingelanlage, Anschlüssen usw. mit einer Nutzfläche von 41,47 qm ausgebaut. Diese Wohnung war von 1973 bis 1982 an verschiedene Mieter fremdvermietet.

Einen Nachfeststellungsbescheid auf den 1. Januar 1974 sowie einen dazu ergangenen Zurechnungsbescheid hat das Finanzamt (FA) wegen unwirksamer Bekanntgabe aufgehoben. Mit Nachfeststellungsbescheid vom 25. November 1981 hat das FA auf den 1. Januar 1974 die Grundstücksart Mietwohngrundstück und den Einheitswert auf 99.700 DM festgestellt sowie dem Kläger und seiner Frau Sigrid S. zugerechnet. Der Bescheid wurde nur dem Kläger bekanntgegeben, und zwar mit dem Zusatz, daß er mit Wirkung für und gegen die übrigen Miteigentümer ihm bekanntgegeben werde. Der vom Kläger eingelegte Einspruch blieb erfolglos; eine Hinzuziehung weiterer Personen zum Einspruchsverfahren erfolgte nicht.

Der auf Aufhebung des Nachfeststellungsbescheids vom 25. November 1981 auf den 1. Januar 1974 gerichteten Klage hat das Finanzgericht (FG) stattgegeben (vgl. Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG- 1985, 60). Da der Bescheid nicht die Erben nach Frau Sigrid S. bezeichne und diesen nicht bekanntgegeben worden sei, sei er auch in bezug auf den Kläger nichtig. Im übrigen hätte die Nachfeststellung auf den 1. Januar 1972 erfolgen müssen. Auf den 1. Januar 1974 hätte dann zwar eine Artfortschreibung, mangels Erreichens der Wertfortschreibungsgrenzen jedoch keine Wertfortschreibung, stattfinden dürfen.

Mit der Revision beantragt das FA, das finanzgerichtliche Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen. Entgegen der vom FG vertretenen Ansicht mache die fehlende Benennung der Erben im Feststellungsbescheid und das Unterlassen der nach § 182 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977) erforderlichen Bekanntgabe an diese als Rechtsnachfolger von Sigrid S. den Bescheid nicht nichtig.

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zu anderweitiger Verhandlung und Entscheidung.

1. Entgegen der Auffassung des FG ist der angefochtene Nachfeststellungsbescheid nicht nichtig, sondern dem Kläger gegenüber wirksam geworden.

a) Abweichend von § 157 Abs. 2 AO 1977 werden die Einheitswerte als Besteuerungsgrundlage gesondert festgestellt (§ 179 Abs. 1, § 180 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977). Richtet sich ein Feststellungsbescheid gegen mehrere Personen, weil diesen der Gegenstand bei der Besteuerung zuzurechnen ist, so wird die gesonderte Feststellung ihnen gegenüber einheitlich vorgenommen (§ 179 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AO 1977). Da das Grundstück am Stichtag mehreren Personen zuzurechnen war, bedurfte es im vorliegenden Fall einer einheitlichen Feststellung. Im Rahmen dieser einheitlichen Feststellung war das Grundstück unbeschadet des Umstandes, daß die Miteigentümerin Sigrid S. bei Ergehen des Feststellungsbescheids bereits verstorben war, dieser entsprechend ihrer Mitberechtigung in dem vor ihrem Tod liegenden Feststellungszeitpunkt zuzurechnen (vgl. auch § 22 Abs. 2, Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 des Bewertungsgesetzes - BewG -). Dem steht nicht entgegen, daß die angeordnete Rechtsfolge die verstorbene Person nicht mehr treffen kann.

b) Sofern sich ein Einheitswertbescheid an mehrere Feststellungsbeteiligte richtet, muß er allen Feststellungsbeteiligten bekanntgegeben werden, um ihnen allen gegenüber wirksam zu werden. Das erfordert grundsätzlich - unbeschadet der Regelung in § 183 AO 1977 -, daß jedem Feststellungsbeteiligten gesondert eine Ausfertigung des Einheitswertbescheids zugeht (§ 122 Abs. 1, § 124 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Ist - wie im vorliegenden Fall - ein Zurechnungssubjekt bereits verstorben, bedeutet das, daß der Einheitswertbescheid insoweit den Erben unter Bezeichnung des Gesamtrechtsnachfolgeverhältnisses bekanntgegeben werden muß. Denn in einem solchen Fall sind diese diejenigen Personen, die die angeordnete Rechtsfolge trifft, und zwar unabhängig davon, daß eine Zurechnung auf sie als Feststellungsbeteiligte nicht in Frage steht. Auf sie sind die "Forderungen und Schulden aus dem Steuerrechtsverhältnis" nämlich auch insoweit übergegangen, als der Einheitswert als gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen von Bedeutung ist (§ 45 AO 1977). Die Notwendigkeit der Bekanntgabe an die Erben als Gesamtrechtsnachfolger beruht nicht auf § 182 Abs. 2 Satz 2 AO 1977. Diese Regelung betrifft - ebenso wie die in § 182 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 getroffene Regelung - nur die Frage, ob und unter welchen Umständen die in einem Feststellungsbescheid über einen Einheitswert getroffenen Regelungen über den Eintritt der Rechtsnachfolge hinaus gegenüber dem Rechtsnachfolger wirksam bleiben, also für in seiner Person originär entstehende Steueransprüche verbindlich fortwirkten (unbeschadet des Erfordernisses einer Zurechnungsfortschreibung).

Im vorliegenden Fall ist der angefochtene Einheitswertbescheid den Miterben A.S. und M.S. gegenüber nicht bekanntgegeben worden und damit ihnen gegenüber nicht wirksam geworden. Die Voraussetzungen des § 183 Abs. 1 AO 1977 lagen nicht vor. Dazu hätte es von seiten der bereits volljährigen A.S. der Bestellung des Klägers als ihres Empfangsbevollmächtigten bedurft (§ 183 Abs. 1 Satz 1 AO 1977), weil dieser nicht i.S. des § 183 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 Vertreter der Feststellungsbeteiligten war, noch das FA nach § 183 Abs. 1 Sätze 3 ff. AO 1977 vorgegangen ist. Soweit die Bekanntgabe an M.S. betroffen ist, ist zwar der Kläger gesetzlicher Vertreter, er ist aber nicht unter Benennung des Vertretenen in dieser Eigenschaft angesprochen.

c) Wenn der angefochtene Bescheid auch gegenüber A.S. und M.S. nicht wirksam geworden ist, so ist er doch dem Kläger gegenüber wirksam geworden. Das Gebot der Einheitlichkeit der Entscheidung, so wie es in § 179 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 enthalten ist, betrifft den Entscheidungsinhalt, nicht seine Bekanntgabe. Der Verwaltungsakt, der (auch) für den Kläger bestimmt ist, wurde ihm gegenüber im Zeitpunkt der Bekanntgabe an ihn gemäß § 124 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 wirksam. Diese gegenüber einem Feststellungsbeteiligten eintretende Wirksamkeit hat allerdings im Hinblick auf das Gebot der Einheitlichkeit der Entscheidung zur Folge, daß er nur noch nach Maßgabe der Vorschriften der AO 1977 abgeändert werden kann, folglich den anderen Feststellungsbeteiligten mit unverändertem Inhalt bekanntzugeben ist, um die volle Wirksamkeit zu erlangen.

Der Mangel der Bekanntgabe kann durch Nachholung der unterlassenen Bekanntgabe geheilt werden (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 6. Mai 1977 III R 19/75, BFHE 122, 389, BStBl II 1977, 783; vom 30. März 1978 IV R 72/74, BFHE 125, 116, BStBl II 1978, 503, und vom 19. Mai 1983 IV R 125/82, BFHE 139, 1, BStBl II 1984, 15). Damit ist die Annahme der Nichtigkeit mangels Bekanntgabe an alle notwendigen Bekanntgabeempfänger ausgeschlossen.

2. Auch soweit das FG der Auffassung war, der Nachfeststellungsbescheid sei deshalb rechtswidrig, weil auf den Stichtag 1. Januar 1974 keine Nachfeststellung hätte vorgenommen werden können, erweist sich seine Entscheidung nicht als zutreffend. Nach Art. 1 Abs. 2 des Gesetzes zur Änderung des Bewertungsgesetzes waren Nachfeststellungen von Einheitswerten des Grundbesitzes, denen die Wertverhältnisse vom 1. Januar 1964 zugrunde liegen, erstmals zum 1. Januar 1974 vorzunehmen.

3. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG wird dem FA Gelegenheit geben müssen, den angefochtenen Bescheid nunmehr auch gegenüber A.S. und M.S. bekanntzugeben. Zu diesem Zweck kann das FG in entsprechender Anwendung des § 74 FGO das Verfahren aussetzen. Falls nach der Bekanntgabe kein Rechtsbehelf eingelegt wird, hat das FG A.S. und M.S. gemäß § 60 Abs. 3 FGO zum Verfahren beizuladen. Legen sie Rechtsbehelfe ein, so sind die Verfahren zu verbinden (vgl. Urteil in BFHE 122, 389, BStBl II 1977, 783).