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BFH-Urteil vom 17.9.1987 (III R 272/83) BStBl. 1988 II S. 441

Erwirbt ein Steuerpflichtiger eine orthopädische Fachwerkstätte, so reichen die Tatsachenfeststellungen des FG, daß die den individuellen Maßen angepaßten Schuhleisten als solche keinen eigenen Marktwert gehabt hätten und der für ihren Erwerb gezahlte Kaufpreisanteil nur die Gegenleistung für die Überlassung des Kundenstamms gewesen sei, nicht aus, um beurteilen zu können, ob die Schuhleisten wegen einer evtl. Möglichkeit einer Umarbeitung materielle Wirtschaftsgüter sind und die auf sie entfallenden Kaufpreisteile Anschaffungskosten i.S. von § 6 Abs. 2 EStG sind.

EStG § 6 Abs. 2; FGO § 118 Abs. 2.

Vorinstanz: FG Nürnberg

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Orthopädiemeister und Inhaber einer orthopädischen Werkstätte in A. Durch Vertrag vom 24. Januar 1975 erwarb er zum Kaufpreis von 160.000 DM brutto eine orthopädische Fachwerkstätte in M. Nach Ziffer 8 des Vertrages sollte der Kaufpreis u.a. für den Umbauaufwand des Veräußerers in den Mieträumen, für geringwertige Wirtschaftsgüter und den Firmenwert entrichtet werden. Die Aufteilung des Gesamtkaufpreises erfolgte - zusammen mit einer Auflistung sämtlicher übernommenen Wirtschaftsgüter - anläßlich der Geschäftsübergabe am 1. Februar 1975. In dieser Aufstellung waren weder der Umbauaufwand des Veräußerers in den Mieträumen noch der Firmenwert berücksichtigt. Andererseits war unter der Position "kurzlebige Wirtschaftsgüter" ein Nettowert von 61.500 DM für 750 Paar "gerichtete Schuhleisten" enthalten. Diesen Betrag machte der Kläger als Aufwand für geringwertige Wirtschaftsgüter gemäß § 6 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in voller Höhe als Betriebsausgaben des Streitjahres 1975 geltend.

Nach einer Betriebsprüfung lehnte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die Berücksichtigung der übernommenen Schuhleisten als geringwertige Wirtschaftsgüter ab, weil der Kläger mit der Übernahme der Schuhleisten, die den individuellen Maßen der Kunden angepaßt gewesen seien, letztlich nur die Geschäftsbeziehungen mit den Kunden erworben habe, die für die Dauer des Nutzungszeitraums der Leisten de facto an den Betrieb gebunden gewesen seien. Die Zuordnung des strittigen Kaufpreisteils zu den geringwertigen Wirtschaftsgütern könne auch deshalb nicht richtig sein, weil danach kein Anteil auf den Geschäftswert entfalle, obwohl ein Entgelt für ihn im Kaufvertrag ausdrücklich vereinbart worden sei. Das FA rechnete in den berichtigten Einkommensteuer- und Gewerbesteuermeßbescheiden 1975 43.500 DM dem Geschäftswert und 18.000 DM dem Umbauaufwand des Veräußerers in den Mieträumen zu. Außerdem berücksichtigte das FA in den berichtigten Einkommensteuerbescheiden 1975 Aufwendungen in Höhe von 37.084 DM für Baumaßnahmen im Hause des Klägers in A entgegen dessen Meinung nicht als Erhaltungs-, sondern als Herstellungsaufwand. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage hinsichtlich der Bauaufwendungen teilweise und hinsichtlich der Anerkennung des Kaufpreises in Höhe von 43.500 DM als sofort abzugsfähige Betriebsausgaben in vollem Umfange ab.

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

Er beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 1975 und den Gewerbesteuermeßbescheid 1975 in der Weise abzuändern, daß in Höhe von 43.500 DM Anschaffungskosten für geringwertige Wirtschaftsgüter angenommen werden.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Die Anschaffungskosten von geringwertigen abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens, die einer selbständigen Nutzung fähig sind, können nach § 6 Abs. 2 EStG im Wirtschaftsjahr der Anschaffung in voller Höhe als Betriebsausgaben abgesetzt werden. Dies gilt auch, wenn die geringwertigen Wirtschaftsgüter im Rahmen des Erwerbs eines ganzen Betriebs angeschafft worden sind. In diesem Fall ist der Gesamtkaufpreis auf die einzelnen erworbenen Wirtschaftsgüter aufzuteilen. Haben die Beteiligten bereits im Vertrag eine Aufteilung vorgenommen, so ist dieser im allgemeinen zu folgen (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 31. Januar 1973 I R 197/70, BFHE 108, 509, BStBl II 1973, 391). Entspricht sie jedoch nicht den wirtschaftlichen Gegebenheiten, ist der Gesamtkaufpreis im Verhältnis der Teilwerte aufzuteilen (BFH-Urteil vom 23. Februar 1984 IV R 128/81, BFHE 140, 548, BStBl II 1984, 516); dabei ist beim Erwerber des Betriebs ein Geschäftswert nur insoweit anzusetzen, als das gezahlte Entgelt die Summe der Teilwerte der anderen (materiellen oder immateriellen) Wirtschaftsgüter übersteigt (BFH-Urteile vom 5. August 1970 I R 180/66, BFHE 100, 89, BStBl II 1970, 804, und vom 18. Juli 1972 VIII R 16/68, BFHE 106, 432, BStBl II 1972, 884).

2. Das FG-Urteil entspricht diesen Grundsätzen nicht. Es muß deshalb aufgehoben werden.

Im Streitfall ist der Kläger der Meinung, daß er durch den Kaufvertrag vom 24. Januar 1975 die Schuhleisten zu Eigentum erworben habe, daß sie einen Marktwert von 43.500 DM hätten und daß damit die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 EStG erfüllt seien. Das FG hat demgegenüber entschieden, daß die Schuhleisten keinen eigenen Marktwert hätten und daß die Zahlung des Betrags von 43.500 DM als Gegenleistung für den Erwerb des Kundenstamms anzusehen sei; damit sei sie dem erworbenen Geschäftswert zuzuordnen.

Die tatsächlichen Feststellungen des FG tragen diese Entscheidung nicht. Zur Frage, ob die gemäß Kaufvertrag vom 24. Januar 1975 übertragenen Schuhleisten materielle Wirtschaftsgüter sind und welchen Teilwert sie haben, hat das FG lediglich ausgeführt, daß die Leisten praktisch keinen eigenen Marktwert hätten und daß sie letztlich nur die Chance verkörperten, daß die Patienten für die die Leisten angefertigt worden seien, aller Voraussicht nach auch in Zukunft zu den Kunden des Klägers gehörten. Diese Feststellungen reichen jedoch nicht aus, um beurteilen zu können, ob die Schuhleisten materielle Wirtschaftsgüter sind und ihnen ein Teilwert zukommt, wie der Kläger mit seinem Vortrag, die Schuhleisten hätten wie in der Praxis üblich zur Bedienung anderer Kunden umgearbeitet werden können und hätten ferner für ihn im Streitjahr 1975 einen Einkaufswert von netto 23 DM bis 45 DM gehabt, geltend gemacht hat.

Das FG hat auch keine Feststellungen zu der Frage getroffen, ob der Kläger Eigentümer der mit Kaufvertrag vom 24. Januar 1975 übertragenen Schuhleisten geworden ist.

Da der Senat nach § 118 Abs. 2 FGO die fehlenden Feststellungen nicht nachholen kann, war die Zurückverweisung der Sache an das FG geboten.

3. Kommt das FG nach erneuter Verhandlung zu dem Ergebnis, daß hinsichtlich der Schuhleisten die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 EStG nicht erfüllt sind, hat es bei der Frage, ob mit den der Übernahme der Schuhleisten erworbenen Nutzungsmöglichkeiten ein abnutzbares selbständiges immaterielles Wirtschaftsgut anzunehmen ist oder ob darin ein unselbständiger geschäftswertbildender Faktor zu sehen ist, die Grundsätze des BFH-Urteils vom 7. November 1985 IV R 7/83 (BFHE 145, 194, BStBl II 1986, 176) zu beachten.