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BFH-Urteil vom 10.2.1988 (II R 145/85) BStBl. 1988 II S. 547

Ist die Aufhebung eines Grundstückskaufvertrags grunderwerbsteuerrechtlich nicht anzuerkennen und verkauft der bisherige Eigentümer das Grundstück erneut (unter Einflußnahme des Erstkäufers), so kommt für diesen Erwerbsvorgang eine Steuervergünstigung wegen des Überganges auf eine Gesamthand nicht deshalb in Betracht, weil der Erstkäufer Gesellschafter (Kommanditist) der Zweitkäuferin ist.

AO 1977 §§ 42, 174 Abs. 1; GrEStG Bln §§ 1 Abs. 1, 2, 5, 15 Abs. 2, 28 Abs. 1 Nr. 1.

Vorinstanz: FG Berlin (EFG 1986, 34)

Sachverhalt

I.

Durch Kaufvertrag vom 7. Mai 1979 erwarb die Klägerin, eine Kommanditgesellschaft, von der A-KG in Berlin ein in Berlin gelegenes Grundstück zu einem Kaufpreis von 790.000 DM. Für diesen Grunderwerb setzte das beklagte Finanzamt (FA) durch Bescheid vom 15. Juni 1979 Grunderwerbsteuer gegen die Klägerin fest. Der Bescheid wurde bestandskräftig.

Mit Schreiben vom 12. Oktober 1981 beantragte die Klägerin die Änderung des Grunderwerbsteuerbescheides vom 15. Juni 1979 "gemäß § 174 Abs. 1 AO aufgrund des § 15 Abs. 2 Grunderwerbsteuergesetz Berlin". Hierzu verwies sie auf folgenden Sachverhalt:

Ursprünglich hatte der alleinige Kommanditist der Klägerin mit einem Anteil von 10/12 am Gesellschaftskapital, B, durch Kaufvertrag vom 12. Oktober 1978 dieses Grundstück zu einem Kaufpreis von 790.000 DM von der A-KG erworben. Für diesen Erwerb hatte das FA ebenfalls Steuern festgesetzt. Dieser Vertrag war durch Vereinbarung vom 7. Mai 1979 aufgehoben worden. B hatte deshalb beantragt, die für den Erwerbsvorgang vom 12. Oktober 1978 bereits gezahlte Grunderwerbsteuer zu erstatten. Antrag, Einspruch und die Klage des B sind ohne Erfolg geblieben. Die Klägerin vertritt zur Begründung ihres Änderungsantrags die Auffassung, daß sie, nachdem die Rückgängigmachung des Erwerbsvorganges des B nicht anerkannt worden sei, zumindest wirtschaftlich das Grundstück nicht von der A-KG, sondern von B erworben habe. Deshalb sei die Steuer in Höhe des Gesellschaftsanteils des B nach § 15 Abs. 2 des früheren Berliner Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG Bln) nicht zu erheben.

Das FA hat den Änderungsantrag abgelehnt und den Einspruch der Klägerin zurückgewiesen. Das Finanzgericht (FG) hat beide Entscheidungen aufgehoben und das FA verpflichtet, den Grunderwerbsteuerbescheid vom 15. Juni 1979 entsprechend dem Antrag der Klägerin zu ändern. Die Entscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1986, 34 veröffentlicht.

Ausnahmsweise sei hier nicht die bürgerlich-rechtlich im Vertrag vom 7. Mai 1979 als Veräußerin auftretende A-KG, sondern der an der Klägerin als Gesellschafter beteiligte B als Veräußerer anzusehen.

Der Grunderwerbsteuerbescheid vom 15. Juni 1979 sei unter entsprechender Anwendung des § 174 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung (AO) abzuändern. Denn das FA habe zuungunsten mehrerer Steuerpflichtiger den Umstand, daß wirtschaftlich gesehen B das Grundstück an die Klägerin veräußert habe, nur einmal, nämlich in dem Ablehnungsbescheid betreffend den Antrag des B auf Erstattung der gezahlten Grunderwerbsteuer wegen des Erwerbsvorganges vom 12. Oktober 1978, berücksichtigt. Dies führe zu einer nach § 174 Abs. 1 AO unzulässigen zweimaligen belastenden Auswirkung bei B und bei der Klägerin.

Mit der Revision rügt das FA unrichtige Anwendung des § 174 Abs. 1 AO, des § 15 Abs. 2 i.V.m. § 28 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG Bln und des § 42 AO und beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet.

Das angefochtene FG-Urteil beruht auf unrichtiger Anwendung der §§ 15 Abs. 2 und 28 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG Bln (= §§ 5 Abs. 2 und 17 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1940); die Frage einer etwaigen Anwendbarkeit des § 174 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) muß deshalb unerörtert bleiben.

1. Der Grunderwerbsteuerbescheid des FA vom 15. Juni 1979 ist entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht fehlerhaft. Die Grunderwerbsteuer konnte nicht in Höhe des Gesellschaftsanteils des B an der Klägerin nach § 15 Abs. 2 GrEStG Bln unerhoben bleiben. Soweit das FG die Voraussetzungen für eine teilweise Nichterhebung nach § 15 Abs. 2 GrEStG Bln als gegeben angenommen hat, weil "ausnahmsweise nicht die bürgerlich-rechtlich im Vertrag vom 7. Mai 1979 als Veräußerin auftretende A-KG, sondern der an der Klägerin als Gesellschafter beteiligte B" als Veräußerer anzusehen sei, vermag der Senat ihm nicht zu folgen.

Der Grunderwerbsteuerbescheid vom 15. Juni 1979 erfaßt zutreffend den Grunderwerb der Klägerin von der A-KG. Denn aufgrund des Kaufvertrags vom 7. Mai 1979 zwischen der Klägerin und der A-KG war die A-KG und nicht etwa B der Klägerin gegenüber verpflichtet, das Eigentum an dem Grundstück zu übertragen. Hierin liegt der Rechtsvorgang, der nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG Bln der Grunderwerbsteuer unterliegt. Dieser Erwerbsvorgang erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 15 Abs. 2 GrEStG Bln, da die Veräußerin (A-KG) nicht am Vermögen der Klägerin (Gesamthand) beteiligt war.

Diese Betrachtung knüpft - wie es dem Wesen der Grunderwerbsteuer als Rechtsverkehrssteuer entspricht - formal an die tatsächlich gewählte bürgerlich-rechtliche Gestaltung an. Dabei bildet jeder Erwerbsvorgang einen in sich abgeschlossenen Steuerfall, dessen gesetzliche Tatbestandsmerkmale (auch hinsichtlich eines Befreiungstatbestandes) je für sich gesondert zu würdigen sind (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 29. Oktober 1986 II R 59/85, BFHE 147, 540, 543, BStBl II 1987, 133 m.w.N.). Daraus folgt, daß es für die Frage der Steuerbarkeit eines Rechtsvorgangs ohne Bedeutung ist, ob diesem in bezug auf dasselbe Grundstück ein anderer Rechtsvorgang vorausgegangen ist, und ob für diesen Grunderwerbsteuer anfällt, insbesondere, ob der Erwerbsvorgang wirksam rückgängig gemacht wurde. Dies ergibt sich auch aus § 1 Abs. 5 GrEStG Bln (entspricht dem § 1 Abs. 5 GrEStG 1940), wonach bei mehrfacher Verfügung eines Eigentümers über ein und dasselbe Grundstück grunderwerbsteuerrechtlich jeder einzelne Erwerbsvorgang getrennt zu beurteilen und zu besteuern ist.

Für den Streitfall bedeutet dies, daß die Rechtsbeziehungen zwischen der A-KG und B, der A-KG und der Klägerin sowie der Klägerin und B jeweils getrennt auf ihre grunderwerbsteuerrechtliche Bedeutung zu untersuchen sind. Im Verhältnis A-KG zu B ist die Steuer bestandskräftig festgesetzt und ein Antrag auf Erstattung der Grunderwerbsteuer unanfechtbar abgelehnt worden. Im Verhältnis A-KG zur Klägerin liegen die Voraussetzungen des Steuertatbestandes nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG vor. Im Verhältnis von B zur Klägerin ist ein steuerbarer Erwerbsvorgang nicht erkennbar. Soweit aber ein steuerbarer Erwerbsvorgang nicht vorliegt, kommt auch die Anwendung einer Steuerbefreiung nicht in Betracht.

Entgegen der Auffassung des FG kann im Verhältnis der Klägerin zu B nicht berücksichtigt werden, daß B aufgrund des früheren Kaufvertrages vom 12. Oktober 1978 gegenüber der A-KG einen Anspruch auf Übereignung des Grundstücks erworben hatte, und dieser Erwerbsvorgang aus grunderwerbsteuerrechtlicher Sicht nicht als rückgängig gemacht im Sinne des damals geltenden § 28 GrEStG Bln anzusehen ist.

Zum einen hat sich B bürgerlich-rechtlich gegenüber der Klägerin nicht verpflichtet, das Eigentum an dem Grundstück zu verschaffen oder seinen Übereignungsanspruch abzutreten, wozu er nach Aufhebung des Kaufvertrages vom 12. Oktober 1978 rechtlich auch nicht mehr in der Lage war. Auch wenn - wirtschaftlich - das Handeln des B einem "Weiterverkauf des Grundstücks oder als eine Abtretung der Rechte des Käufers an den Dritten" (vgl. BFH-Urteil vom 4. Dezember 1985 II R 171/84, BFHE 145, 448, BStBl II 1986, 271) gleichkommt, so ist die Verwirklichung eines Rechtsgeschäfts im Sinne des § 1 Abs. 1 GrEStG Bln nicht erkennbar. Denn soweit B im Hinblick auf das Grundstück auch nach formeller Aufhebung des Kaufvertrages vom 12. Oktober 1978 im Sinne von § 1 Abs. 2 GrEStG Bln verwertungsbefugt blieb und von der Verwertungsmöglichkeit durch Einflußnahme auf die Weiterveräußerung an die Klägerin Gebrauch gemacht hat, führt dies lediglich zur Aufrechterhaltung der Steuerpflicht im Verhältnis der A-KG zu B, nicht aber zu einem steuerbaren Rechtsvorgang im Verhältnis zur Klägerin.

Zum anderen können die Gründe, die einer wirksamen Rückgängigmachung des vorangegangenen Erwerbsvorgangs des B entgegenstehen (Verbleib der Verwertungsbefugnis bei B), keine rechtlichen Auswirkungen haben auf das Verhältnis zwischen B und der Klägerin. Denn für die Frage der wirksamen Rückgängigmachung eines Erwerbsvorganges ist lediglich entscheidend, ob rechtliche oder wirtschaftliche Beziehungen zwischen den Vertragsbeteiligten (hier: B und A-KG) von grunderwerbsteuerlicher Bedeutung noch bestehenbleiben (vgl. das bereits genannte Urteil in BFHE 145, 448, BStBl II 1986, 271, und BFH-Beschluß vom 16. September 1987 II R 84/86, BFHE 150, 570, BStBl II 1987, 826, und Urteil vom 7. Oktober 1987 II R 123/85, BFHE 152, 193, BStBl II 1988, 296).

Auch die auf wirtschaftlicher Betrachtungsweise beruhenden Hilfserwägungen des FG im Zusammenhang mit § 42 AO 1977 (früher § 6 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG -) führen nicht zu einer anderen Beurteilung. Denn soweit der Anwendungsbereich des § 28 GrEStG Bln reicht, ist die Anwendung des § 42 AO 1977 ausgeschlossen, weil § 42 AO 1977 eine am Gesetzeszweck vorbeizielende rechtliche Gestaltung verlangt. Kann die gewählte rechtliche Gestaltung nicht unter die Begünstigungsvorschrift subsumiert werden, so kann eine ihrem Zweck widersprechende Gesetzesumgehung nicht vorliegen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. z.B. Urteile vom 29. September 1976 II R 163/71, BFHE 120, 405, BStBl II 1977, 87, und vom 6. Oktober 1976 II R 131/74, BFHE 120, 557, BStBl II 1977, 253) läßt sich die Frage der Wirksamkeit der Rückgängigmachung eines Erwerbsvorgangs unmittelbar der Begünstigungsvorschrift des § 28 GrEStG Bln entnehmen, ohne daß es der Heranziehung des § 42 AO 1977 bedarf. Da die Aufhebung des Kaufvertrages vom 12. Oktober 1978 nicht als wirksame Rückgängigmachung des Erwerbsvorganges angesehen werden kann, bleibt demnach für die Anwendung des § 42 AO 1977 kein Raum.

Die hier vertretene Rechtsauffassung stellt auch entgegen der Meinung des FG keine "Überreaktion" auf die "nicht echte Aufhebung" des Kaufvertrages dar, noch kommt ihr ein "unzulässiger Strafcharakter" zu. Sie ist vielmehr lediglich Folge der von den Vertragsbeteiligten gewählten bürgerlich-rechtlichen Gestaltung und der konsequenten Anwendung des GrEStG.

Ist danach der Bescheid vom 15. Juni 1979 rechtmäßig, so kann er auch nicht über § 174 Abs. 1 AO 1977 aufgehoben werden. Denn nach dieser Vorschrift kann nur ein fehlerhafter Bescheid aufgehoben werden.

2. Die Sache ist spruchreif. Der Senat konnte deshalb in der Sache selbst entscheiden (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).

Da das FA rechtsfehlerfrei die Voraussetzungen für eine Änderung des bestandskräftig gewordenen Grunderwerbsteuerbescheides vom 15. Juni 1979 verneint hat, war die gegen diese Entscheidung des FA gerichtete Klage abzuweisen.