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BFH-Urteil vom 2.3.1988 (I R 396/83) BStBl. 1988 II S. 620

1. Ist der Wert von Gesellschaftsrechten gemäß § 8 Nr. 1 Buchst. c KVStG 1959 (heute: § 8 Nr. 1 Buchst. b KVStG 1972) zu einem vom letzten Bilanzstichtag abweichenden Zeitpunkt zu ermitteln, so kann von dem nach Abschn. 77 Abs. 1 bis 3 VStR zum letzten Bilanzstichtag ermittelten Wert ausgegangen werden. Diesem Wert ist der seitdem erzielte Gewinn hinzuzurechnen; zwischenzeitliche Entnahmen sind abzusetzen.

2. In der Regel ist es nicht zu beanstanden, wenn als hinzuzurechnender Gewinn der zeitanteilige Steuerbilanzgewinn angesetzt wird.

KVStG 1959 § 2 Nr. 1, § 6 Abs. 1 Nr. 4, § 8 Nr. 1 Buchst. c; BewG § 1 Abs. 1, § 9, § 11.

Vorinstanz: FG Düsseldorf

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine GmbH, die am 30. Juni 1970 als persönlich haftende Gesellschafterin in die S-KG eintrat. Kommanditisten waren bzw. wurden damals WS, MS und EL.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) sah in dem Eintritt der Klägerin in die S-KG einen gesellschaftsteuerpflichtigen Ersterwerb von Gesellschaftsrechten i.S. des § 2 Nr. 1 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 des Kapitalverkehrsteuergesetzes in der Fassung vom 24. Juli 1959 - KVStG 1959 - (BGBl I 1959, 530, BStBl I 1959, 596). Er setzte als Steuermaßstab den Wert der erworbenen Gesellschaftsrechte an, den er durch eine dem sog. Stuttgarter Verfahren (Abschn. 77 ff. der Vermögensteuer-Richtlinien - VStR -) angenäherte Schätzung ermittelte. Dabei berücksichtigte er als Teil des Substanzwertes die Vermögensmehrung, die als anteiliger Jahresgewinn in der Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 1970 von der S-KG erzielt worden war. Den anteiligen Jahresgewinn ermittelte er ausgehend vom Jahresgewinn 1970 unter Abzug kalkulatorischer Zinsen für Guthaben auf den Gesellschafterkonten, einer kalkulatorischen Geschäftsführervergütung und einer kalkulatorischen Risikovergütung für die Komplementär-GmbH. Der so bereinigte Jahresgewinn wurde auf das Geschäftsjahr 1970 gleichmäßig verteilt. Auf den Zeitraum 1. Januar bis 30. Juni 1970 entfielen 439.136 DM. Diesen Betrag setzte das FA dem Substanzwert zu.

Der gegen den Gesellschaftsteuerbescheid vom 14. Dezember 1977 gerichtete Einspruch blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es ging davon aus, daß der bis zum 30. Juni 1970 erzielte anteilige Jahresgewinn 1970 bei der Ermittlung des Wertes der Gesellschaftsrechte nicht berücksichtigt werden dürfe.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung des § 8 Nr. 1 Buchst. c KVStG 1959.

Es beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Der vom FA der Gesellschaftsteuer unterworfene Ersterwerb von Gesellschaftsrechten wurde tatbestandsmäßig am 30. Juni 1970 verwirklicht. Deshalb beurteilt sich die Rechtmäßigkeit der Vorentscheidung und des angefochtenen Gesellschaftsteuerbescheids materiell-rechtlich nach den Vorschriften des KVStG 1959.

2. Gemäß § 2 Nr. 1 KVStG 1959 unterliegt der Ersterwerb von Gesellschaftsrechten an einer inländischen Kapitalgesellschaft der Gesellschaftsteuer. Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 KVStG 1959 gelten als Gesellschaftsrechte an Kapitalgesellschaften auch die Anteile der Kommanditisten an einer KG, wenn zu den persönlich haftenden Gesellschaftern der KG eine Kapitalgesellschaft gehört. Deshalb löst nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 6. März 1986 I R 389/83, BFHE 146, 531, BStBl II 1986, 758, m.w.N.) der Eintritt einer GmbH als persönlich haftende Gesellschafterin in eine inländische KG bei den Kommanditisten den Ersterwerb von Gesellschaftsrechten an einer inländischen Kapitalgesellschaft i.S. des § 2 Nr. 1 KVStG 1959 aus.

Zu diesen Voraussetzungen hat das FG in einer den erkennenden Senat bindenden Weise (§ 118 Abs. 2 FGO) festgestellt, daß die Gesellschafter der S-KG bis zum 30. Juni 1970 ausschließlich natürliche Personen waren. Am 30. Juni 1970 trat die Klägerin als persönlich haftende Gesellschafterin in die S-KG ein. Der damalige Komplementär wurde Kommanditist. Damit erwarben die damaligen Gesellschafter der S-KG erstmalig als Kommanditisten Gesellschaftsrechte an einer GmbH & Co. KG, ohne dafür eine Gegenleistung erbringen zu müssen. Der Erwerb war gemäß § 2 Nr. 1 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 KVStG 1959 steuerpflichtig.

3. a) Gemäß § 8 Nr. 1 Buchst. c KVStG 1959 wird die Gesellschaftsteuer vom Wert der Gesellschaftsrechte berechnet, wenn eine Gegenleistung nicht zu bewirken ist. Unter dem Wert der Gesellschaftsrechte ist deren gemeiner Wert i.S. des § 9 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) zu verstehen (vgl. Egly/Klenk, Gesellschaftsteuer, 4. Aufl., Rdnr. 437a; Brönner/Kamprad, Kapitalverkehrsteuergesetz, 4. Aufl., § 8 Rdnr. 10; Klein, Kapitalverkehrsteuergesetz, § 8 S. 106). Maßgebend ist der gemeine Wert im Zeitpunkt des Ersterwerbs der Gesellschaftsrechte (Bewertungsstichtag). Der gemeine Wert wird in erster Linie durch den Preis bestimmt, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit der Wirtschaftsgüter (hier: der Kommanditanteile an der S-KG) bei deren Veräußerung am Bewertungsstichtag zu erzielen gewesen wäre (§ 9 Abs. 2 Satz 1 BewG). Dabei sind alle Umstände, die den Preis beeinflussen, zu berücksichtigen, soweit es sich nicht um ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse handelt (§ 9 Abs. 2 Sätze 2 und 3 BewG). Für Anteile an Kapitalgesellschaften, die an dem jeweiligen Bewertungsstichtag nicht an einer deutschen Börse zum amtlichen Handel zugelassen oder nicht in den geregelten Freiverkehr einer solchen Börse einbezogen sind, ist der gemeine Wert, wenn er sich nicht aus Verkäufen ableiten läßt, unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten der Kapitalgesellschaft zu schätzen (§ 11 Abs. 2 Satz 2 BewG). Für Zwecke einer solchen Schätzung hat die Finanzverwaltung das sog. Stuttgarter Verfahren entwickelt (Abschn. 77 ff. VStR). Die Rechtsprechung hat dieses Verfahren stets als eine mit dem Gesetz in Einklang stehende Schätzung des gemeinen Werts von Anteilen an Kapitalgesellschaften angesehen (vgl. BFH-Urteil vom 6. November 1985 II R 220/82, BFHE 145, 431, BStBl II 1986, 281, m.w.N.). Sie hat dem Stuttgarter Verfahren - wenn auch nur in modifizierter Anwendung - außerdem die grundsätzliche Eignung zugesprochen, bei der Schätzung des Wertes von Kommanditanteilen für Zwecke der Gesellschaftsteuer entsprechend angewendet zu werden (BFH-Urteil vom 12. März 1980 II R 143/76, BFHE 130, 336, BStBl II 1980, 463). Dem schließt der erkennende Senat sich an.

b) Bei der Ermittlung des gemeinen Wertes von Kommanditanteilen nach dem Stuttgarter Verfahren zu einem Bewertungsstichtag innerhalb des laufenden Geschäftsjahres kann von dem Wert aller an diesem Tag vorhandenen und zum Gesellschaftsvermögen zählenden Wirtschaftsgüter ausgegangen werden. Fehlt es allerdings an einer zum Bewertungsstichtag aufgestellten (Zwischen-)Bilanz, so kann auch von der letzten ordentlichen Bilanz ausgegangen werden. Die Bilanz ist zur Ermittlung des tatsächlichen Werts des Gesellschaftsvermögens nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten (vgl. Abschn. 77 Abs. 1 bis 3 VStR) zu korrigieren. Der zwischenzeitlich erzielte Gewinn ist hinzuzurechnen; die zwischenzeitlichen Entnahmen sind abzusetzen (BFH-Urteil vom 12. Dezember 1980 III R 1/80, BFHE 133, 297, BStBl II 1981, 557; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 14. Dezember 1979 IX 394/78, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1980, 355; FG Hamburg, Urteil vom 2. April 1986 II 268/85, EFG 1986, 617). Entgegen der in der Vorentscheidung vertretenen Auffassung kann von einer Hinzurechnung des bis zum Bewertungsstichtag erzielten laufenden Jahresgewinns nicht deshalb abgesehen werden, weil ihm ein Anspruch der Kommanditisten auf Auszahlung des Gewinns gegenüberstünde. Diese Auffassung des FG ist aus mehreren Gründen fehlerhaft.

aa) Zum einen muß eine KG den von ihr erzielten Gewinn nicht notwendigerweise in voller Höhe an ihre Gesellschafter verteilen. Sie kann ihn auch - ganz oder teilweise - den Rücklagen zuführen. Dies gilt ungeachtet des § 169 Abs. 1 des Handelsgesetzbuches (HGB), weil die dort getroffene Regelung im Gesellschaftsvertrag abbedungen sein kann und häufig auch abbedungen wird. Schon auf Grund dieser Überlegung kann die Auffassung des FG nicht zutreffen, der bis zum Bewertungsstichtag erzielte laufende Gewinn werde durch gleich hohe Gewinnauszahlungsansprüche der Gesellschafter ausgeglichen.

bb) Zum anderen besagt das Bestehen eines Anspruchs der Kommanditisten auf Auszahlung des ihnen zukommenden Gewinns nicht notwendigerweise etwas darüber, ob es sich bei dem Anspruch um eine selbständige schuldrechtliche Gesellschafterforderung oder aber nur um ein im Gesellschaftsverhältnis begründetes "Entnahmerecht" handelt. Nur im ersteren Falle könnte eine den Wert der Gesellschaftsrechte mindernde Verbindlichkeit der Gesellschaft angenommen werden. Im zweiten Fall wäre dagegen das Entnahmerecht nur unselbständiger Teil des Gesellschaftsrechts. Dem Kommanditisten würde sein Gewinnanteil im Rahmen seines Kapitalanteils gutgeschrieben. Die Frage, welche von beiden Auslegungsmöglichkeiten im Streitfall heranzuziehen ist, ist anhand des Gesellschaftsvertrags zu beantworten (vgl. BFH-Urteil vom 3. Februar 1988 I R 394/83, BFHE 152, 543, BStBl II 1988, 551; Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, Rz. 7121.1; Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil an Personengesellschaften des Handelsrechts, S. 236 ff.; Plassmann, Betriebs-Berater - BB - 1978, 413). Dazu hat das FG jedoch in tatsächlicher Hinsicht keine Feststellungen getroffen. Zwar wird der Gewinnauszahlungsanspruch des Kommanditisten in § 169 Abs. 1 HGB unter den dort genannten Voraussetzungen als eine individualisierte Gesellschafterforderung geregelt. Jedoch ist auch insoweit darauf hinzuweisen, daß der Gesellschaftsvertrag die Regelung des § 169 Abs. 1 HGB abbedingen kann und häufig abbedingt.

cc) Schließlich kann der Anspruch der Kommanditisten auf Auszahlung des Gewinns nicht vor dem Gewinn der Gesellschaft und damit nicht vor Ablauf des Geschäftsjahres entstehen, in dem der Gewinn erzielt wird. Häufig ist der Anspruch sogar von der Fassung eines Gewinnverteilungsbeschlusses der Gesellschafter abhängig. Dann entsteht er erst mit der entsprechenden Beschlußfassung. Zwar kann der Gesellschaftsvertrag laufende Entnahmen des Kommanditisten zu Lasten seines künftigen Gewinnanteils vorsehen. Solche Entnahmen mindern aber den Substanzwert des Unternehmens als "Entnahmen" und hindern nicht die Hinzurechnung des bis zum Bewertungsstichtag erzielten Gewinns. Eine andere Beurteilung rechtfertigt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt der "rechtlich gesicherten Anwartschaft". Die vom FG angenommene Anwartschaft ergibt sich ausschließlich auf Grund der Gesellschafterposition des Kommanditisten. Sie ist eine Komponente für den Wert der Gesellschaftsrechte. Sie hat sich aber nicht zu einem selbständigen schuldrechtlichen Anspruch entwickelt und abgespalten. Aus diesem Grunde hat der erkennende Senat - wenn auch in einem anderen steuerrechtlichen Zusammenhang - entschieden, daß das Gewinnbezugsrecht des Gesellschafters einer Kapitalgesellschaft solange unselbständiger Bestandteil seines Mitgliedschaftsrechtes an der Gesellschaft ist, als die Gesellschafter über die Gewinnverteilung nicht beschlossen haben (vgl. BFH-Urteil vom 21. Mai 1986 I R 190/81, BFHE 147, 27, BStBl II 1986, 815, m.w.N.). Ähnliches muß für den Gewinnauszahlungsanspruch eines Gesellschafters gegenüber einer Personengesellschaft gelten. Dieser Anspruch kann den Wert der Gesellschaftsrechte nur dann mindern, wenn er vor dem Bewertungsstichtag als individualisierte Gesellschafterforderung entstanden ist.

4. Die Vorentscheidung steht mit den unter 3. angestellten Überlegungen nicht in Einklang. Sie kann deshalb keinen Bestand haben. Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Das FG hat - aus seiner Sicht zu Recht - keine tatsächlichen Feststellungen zu der Frage getroffen, ob das FA den von der S-KG in der Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 1970 erzielten Gewinn zutreffend ermittelt hat. Insoweit ist zwar das Urteil in BFHE 133, 297, BStBl II 1981, 557 grundsätzlich anwendbar. Das FG wird jedoch prüfen müssen, ob im Streitfall Anhaltspunkte für die Annahme einer Ausnahme von der Regel bestehen. Außerdem fehlen die notwendigen tatsächlichen Feststellungen bezüglich der in der Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 1970 getätigten Entnahmen bezüglich des Jahresertrags und bezüglich des Ertragshundertsatzes. Das FG wird ggf. auch in Erwägung ziehen müssen, ob zum 30. Juni 1970 schuldrechtliche Forderungen der Gesellschafter in Eigenkapital der Gesellschaft umgewandelt wurden (vgl. Österreichischer Verwaltungsgerichtshof, Erk. vom 11. März 1982 Zl 15/0778/79, Deutsche Verkehrsteuer-Rundschau 1984, 43). Die Feststellungen nachzuholen ist Sache des FG. Zu diesem Zweck war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache war an das FG zurückzuverweisen.