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BFH-Urteil vom 11.2.1988 (IV R 191/85) BStBl. 1988 II S. 661

Ob für drohende Verluste aus einem Chartervertrag eine Verlustrückstellung gebildet werden muß, hängt auch von den Zinsen ab, die aus zum Ankauf des Schiffes aufgenommenen Darlehen anfallen werden. Hierbei handelt es sich um Einzelkosten der zu erbringenden Charterleistung.

AktG a.F. § 152 Abs. 7; HGB n.F. § 249 Abs. 1; EStG 1977 § 5 Abs. 1.

Vorinstanz: FG Schleswig-Holstein

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine 1973 gegründete GmbH & Co. KG, ist Eigentümerin eines 1976 in Dienst gestellten Massengutfrachters; weitere Schiffe besitzt sie nicht.

Die Klägerin schloß im März 1978 einen Zeitchartervertrag für die Zeit von April 1978 bis November 1979 ab. Sie errechnete hieraus für die Zeit vom 1. Januar bis 19. November 1979 folgenden Verlust:

Chartereinnahmen (bis 19. 11. 1979 = 212 Tage)                            2.396.300 DM

  

./. Reisekosten                                              209.600 DM                                

Betriebskosten                                                                                                

(geschätzt 7.106 DM/Tag)                           2.295.200 DM                                

Absetzung für Abnutzung                                                                                 

- AfA - (für 323 Tage)                                   2.982.900 DM                                

Zinsen                                                       1.134.000 DM             6.621.700 DM

                                                                                                   -------------------

Verlust                                                                                        4.225.400 DM

Im September 1979 schloß die Klägerin einen weiteren Zeitchartervertrag für die Zeit bis zum 30. Juni 1980. Hieraus errechnete sie folgenden Verlust nach dem 1. Januar 1980:

Chartereinnahmen

(bis 30. 6. 1980 = 182 Tage)                                                         3.535.350 DM

./. Reisekosten                                              309.343 DM

Betriebskosten                                           1.921.374 DM

AfA                                                            1.256.341 DM

Zinsen                                                       1.103.476 DM             4.590.534 DM

                                                                                                    ------------------

Verlust                                                                                        1.055.184 DM

In Höhe dieser Verluste bildete die Klägerin in ihren Bilanzen zum 31. Dezember 1978 und 31. Dezember 1979 Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erkannte die Rückstellungen zunächst an. Nach einer Betriebsprüfung vertrat er jedoch die Auffassung, daß die Zinsaufwendungen aus Darlehen für die Anschaffung des Schiffes nicht in die Verpflichtungen aus dem Chartervertrag einbezogen werden könnten; sie gehörten zum allgemeinen Unternehmensrisiko. Das FA änderte dementsprechend die Gewinnfeststellungsbescheide 1978 und 1979.

Die hiergegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg.

Gegen das abweisende Urteil hat die Klägerin die vom Finanzgericht (FG) zugelassene Revision eingelegt; sie rügt die Verletzung materiellen Rechts.

Entscheidungsgründe

Auf die Revision muß das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen werden.

1. Nach dem in den Streitjahren geltenden § 152 Abs. 7 des Aktiengesetzes (AktG) hatte eine AG für drohende Verluste aus einem schwebenden Geschäft eine Rückstellung zu bilden; darin lag ein für alle Kaufleute verbindlicher Grundsatz ordnungsmäßiger Buchführung, der sich nunmehr aus § 249 Abs. 1 des Handelsgesetzbuches (HGB) n. F. ergibt. Er ist auch bei der Ermittlung des für die Besteuerung maßgebenden Gewinns zu beachten (§ 5 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG -) und gilt insbesondere auch für die Beurteilung von schwebenden Dauerschuldverhältnissen (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 19. Juli 1983 VIII R 160/79, BFHE 139, 244, BStBl II 1984, 56); um solche Dauerschuldverhältnisse handelte es sich auch bei den in Frage stehenden Charterverträgen.

Die Höhe der zu bildenden Verlustrückstellung wird in der Weise ermittelt, daß Anspruch und Verpflichtung aus dem schwebenden Geschäft einander gegenübergestellt werden und der Verpflichtungsüberschuß passiviert wird (BFH-Urteil vom 25. Februar 1986 VIII R 377/83, BFHE 146, 146, BStBl II 1986, 465). Hierbei wird die Verpflichtung nach denselben Grundsätzen bewertet, die für eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten gelten (BFHE 139, 244, BStBl II 1984, 56). Eine solche Rückstellung wird nach dem für die Erfüllung der Verbindlichkeit maßgebenden Geldbetrag bemessen (BFH-Urteil vom 7. Juli 1983 IV R 47/80, BFHE 139, 154, BStBl II 1983, 753; vgl. auch § 253 Abs. 1 HGB n. F.). Handelt es sich, wie im Streitfall, um eine Sachleistungsverpflichtung, sind die für die Erfüllung beim Verpflichteten anfallenden Aufwendungen maßgebend (BFH-Urteil vom 19. Januar 1972 I 114/65, BFHE 104, 422, BStBl II 1972, 392).

2. Ob und in welchem Umfang hierbei auch sog. Gemeinkosten zu berücksichtigen sind, wird unterschiedlich beurteilt (vgl. dazu BFH-Urteile in BFHE 104, 422, BStBl II 1972, 392; vom 24. November 1983 IV R 22/81, BFHE 139, 544, BStBl II 1984, 301; vom 25. Februar 1986 VIII R 134/80, BFHE 147, 8, BStBl II 1986, 788; Abschn. 38 Abs. 1 Satz 4 der Einkommensteuer-Richtlinien - EStR - 1987). Hierauf braucht im Streitfall jedoch nicht eingegangen zu werden, weil es sich bei den fraglichen Zinsen nicht um Gemeinkosten, sondern um Einzelkosten der aufgrund der Charterverträge zu erbringenden Leistungen handelte.

Als Einzelkosten sind Aufwendungen anzusehen, die einer bestimmten Leistungseinheit als Kostenträger unmittelbar zugerechnet werden können; demgegenüber entstehen Gemeinkosten für eine Mehrzahl von Kostenträgern und können ihnen nicht unmittelbar, sondern nur aufgrund bestimmter Annahmen zugerechnet werden (vgl. BFH-Urteil vom 31. Juli 1967 I 219/63, BFHE 90, 128, BStBl II 1968, 22; Erlaß des Bundesministers der Finanzen - BMF - vom 11. November 1974, BStBl I, 994, 1000). Ob Einzelkosten oder zurechenbare Gemeinkosten gegeben sind, ist in der Regel zu entscheiden, wenn ein Wirtschaftsgut mit seinen Anschaffungs- oder Herstellungskosten aktiviert werden soll. Im Streitfall geht es aber nicht um Aufwendungen, die durch einen abgeschlossenen Anschaffungs- oder Herstellungsvorgang verursacht worden sind. Zu ermitteln sind vielmehr Aufwendungen, die aus der Überlassung eines Wirtschaftsguts als der übernommenen Leistungspflicht entstehen. Als Leistungseinheit und Kostenträger ist darum die im Zeitablauf zu vollziehende Überlassung des Wirtschaftsguts anzusehen. Aufwendungen, die sich dieser Leistung unmittelbar zurechnen lassen, können als ihre Einzelkosten bezeichnet werden, Aufwendungen, bei denen dies nur mittelbar möglich ist, dagegen als ihre Gemeinkosten.

Aufgrund dieser Unterscheidung stellen sich die fraglichen Zinskosten als Einzelkosten der von der Klägerin geschuldeten Nutzungsüberlassung dar. Die Zinsleistungspflicht geht zwar auf Darlehensverträge zurück, die in Zusammenhang mit der Anschaffung des Schiffes abgeschlossen worden sind; gleichwohl handelt es sich dabei nicht um Kosten des Anschaffungsvorgangs. Die Aufwendungen fielen vielmehr erst nach Abschluß der Anschaffung an und dienten dem Ziel, das Wirtschaftsgut trotz Mangels an eigenen Mitteln für die betriebliche Verwendung zu erhalten. Sie besteht vorliegend in der zeitweisen Überlassung des Schiffes gegen ein Entgelt. Dieser Leistung lassen sich aber die anfallenden Zinsen unmittelbar zuordnen; sie dienen der Finanzierung des überlassenen Wirtschaftsguts und fallen entsprechend der Leistungsdauer an, nach der sich auch das der Klägerin zustehende Entgelt bemißt. Als Gemeinkosten erscheinen demgegenüber die Anschaffungskosten des Schiffes, die der Nutzungsüberlassung nur mittelbar mit Hilfe einer AfA zugerechnet werden können; über ihre Berücksichtigung besteht zwischen den Beteiligten aber kein Streit.

3. Nach der Auffassung des Urteils in BFHE 139, 244, BStBl II 1984, 56 müssen zur Ermittlung des Verpflichtungsüberschusses und der Verlustrückstellung die Ansprüche und Verpflichtungen aus dem Dauerschuldverhältnis abgezinst werden. Hierdurch kann sich der Betrag der Verlustrückstellung insbesondere dann ändern, wenn Aufwendungen und Erträge innerhalb des Vertragszeitraums zeitlich auseinanderfallen. Dies trifft im Streitfall nicht zu. Da außerdem die Restdauer der Charterverträge jeweils weniger als ein Jahr betrug, es sich also um kurzfristige Vorgänge handelte, braucht auf die Frage nicht näher eingegangen zu werden.

4. Die Klägerin beansprucht eine Verlustrückstellung für die Zeit vom 1. Januar 1979 bis zum 19. November 1979 und vom 1. Januar 1980 bis zum 30. Juni 1980. Die zugehörigen Charterverträge sind bereits im April 1978 bzw. im November 1979 in Lauf gesetzt worden. Nach der bisherigen Rechtsprechung des BFH hängt die Bildung einer Verlustrückstellung für ein Dauerschuldverhältnis davon ab, daß sich aus dem Vertrag über die gesamte Laufzeit, nicht allein für die nach dem Bilanzstichtag verbleibende Restlaufzeit, ein Verlust ergibt (sog. Ganzheitsbetrachtung, z.B. BFH-Urteile vom 20. März 1980 IV R 89/79, BFHE 130, 165, BStBl II 1980, 297; BFHE 139, 244, BStBl II 1984, 56). Demgegenüber geht Abschn. 38 Abs. 5 Satz 1 EStR 1987 von dieser Betrachtung ab und hält nunmehr die Verhältnisse während der Restlaufzeit des Vertrages für maßgebend.

Im Streitfall braucht auch auf diese Frage nicht näher eingegangen zu werden. Die Umstände ergeben, daß die Charterverträge auch im ganzen gesehen jeweils einen Verlust mit sich brachten; für die Höhe des zurückzustellenden Verlustes ist daher in jedem Fall auf die Verhältnisse während der Restlaufzeit abzustellen (Urteil in BFHE 139, 244, BStBl II 1984, 56).

5. Das FG wird nunmehr zu prüfen haben, welche Einnahmen und Ausgaben aus den Charterverträgen nach den Verhältnissen an den Bilanzstichtagen zu erwarten waren; hierfür kann die später tatsächlich eingetretene Entwicklung Anhaltspunkte geben.