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BFH-Urteil vom 10.3.1988 (IV R 218/85) BStBl. 1988 II S. 731

Eine Vollmachtsurkunde entspricht auch dann den Anforderungen des § 62 Abs. 3 Satz 1 FGO, wenn sie selbst zwar den Namen des Prozeßbevollmächtigten nicht erkennen läßt, sich aber erkennbar auf den konkreten Rechtsstreit bezieht und der Klagebegründung angeheftet ist, in der sich der mit der Führung des Rechtsstreits beauftragte Rechtsanwalt zum Prozeßbevollmächtigten bestellt und die von ihm unterschrieben ist (Fortführung von BVerwG-Beschluß vom 16. August 1983 1 CB 19/81, HFR 1984, 493 und Abgrenzung von BFH-Urteil vom 17. Juli 1984 VIII R 20/82, BFHE 141, 463, BStBl II 1984, 802).

FGO § 62; VGFG-EntlG Art. 3 § 1.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betreibt einen Reinigungsbetrieb. Die Klage richtet sich gegen den nach einer Betriebsprüfung gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Einkommensteuerbescheid 1978. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) hatte einen Mehrgewinn von 35.820,36 DM nachträglich der Einkommensteuer unterworfen.

Die Klage wurde vom Steuerberater A und Rechtsanwalt B durch Schriftsatz vom 18. Dezember 1984 mit der Ankündigung erhoben, eine Prozeßvollmacht der Kläger nachzureichen. Hierfür räumte das Finanzgericht (FG) durch Verfügung des Senatsvorsitzenden vom 28. Dezember 1984 eine Frist bis zum 31. Januar 1985 ein, die fruchtlos verstrich. Mit Verfügung des Berichterstatters vom 4. Februar 1985, abgesandt am 5. Februar und zugestellt am 7. Februar 1985, setzte das FG den Prozeßvertretern für das Einreichen einer auf sie lautenden Vollmacht gemäß Art. 3 § 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) eine Frist mit ausschließender Wirkung bis zum 25. Februar 1985. Am 5. Februar 1985 ging bei Gericht die von Rechtsanwalt B unterschriebene Klagebegründung vom 30. Januar 1985 ein, in der auch der Rechtsanwalt B allein als Prozeßbevollmächtigter benannt war. Der Klagebegründung war eine unter dem 14. Dezember 1984 vom Kläger unterzeichnete Vollmachtsurkunde und ein Zettel angeheftet. In der Urkunde erteilte der Kläger in Sachen der namentlich benannten Kläger gegen das FA Alzey wegen Einkommensteuer 1978 Prozeßvollmacht. Der Raum für die Angabe des Prozeßbevollmächtigten war unausgefüllt. Auf dem Zettel war ohne weitere Angaben handschriftlich vermerkt: "Prozeßvollmacht von Frau K wird unaufgefordert nachgereicht." Am 8. März 1985 ging ein "Kurzbrief" von Rechtsanwalt B vom 7. März 1985 mit einer unter dem 5. Januar 1985 unterzeichneten Vollmachtsurkunde der Klägerin ein. Sie entsprach inhaltlich der vom Kläger erteilten Prozeßvollmacht.

Der Berichterstatter wies mit Schreiben vom 8. März 1985, abgesandt am Montag, dem 11. März darauf hin, die Vollmacht der Klägerin sei erst nach Ablauf der Ausschlußfrist eingegangen. Er ergänzte diesen Hinweis mit Schreiben vom 21. März 1985 dahin, es bestünden Zweifel, ob die vorgelegten Urkunden den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Vollmacht genügten; beide Vollmachten gäben nicht an, wer bevollmächtigt sei. Mit Schriftsatz vom 27. März 1985, eingegangen am 1. April 1985, legten die Prozeßvertreter eine auf sie lautende Prozeßvollmacht beider Kläger vom 26. März 1985 vor.

Das FG hat die Klage als unzulässig abgewiesen.

Mit der Revision machen die Kläger geltend, das FG habe zu Unrecht die Ordnungsmäßigkeit der Vollmachtsurkunden verneint; außerdem wird die Verletzung des rechtlichen Gehörs und die Nichtgewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gerügt.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet; das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Die Revision der Klägerin ist unbegründet.

Zu Recht hat das FG entschieden, daß die Vollmacht der Klägerin verspätet vorgelegt worden und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu gewähren ist. Dagegen ist die Vollmacht des Klägers rechtzeitig vorgelegt worden.

I. 1. Läßt sich ein Beteiligter vor einem Gericht der Finanzgerichtsbarkeit durch einen Bevollmächtigten vertreten, so hat er eine schriftliche Prozeßvollmacht zu erteilen (§ 62 Abs. 3 Satz 1 FGO). Nach Art. 3 § 1 VGFGEntlG kann für das Einreichen der Vollmacht (§ 62 Abs. 3 Satz 2 FGO) eine Frist mit ausschließender Wirkung gesetzt werden. Wird die Vollmacht innerhalb der gesetzten richterlichen Ausschlußfrist nicht eingereicht, so ist die Klage wegen Fehlens einer Prozeßvoraussetzung durch Prozeßurteil als unzulässig abzuweisen (zum Vorstehenden vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 15. Mai 1981 VI R 212/78, BFHE 133, 344, BStBl II 1981, 678; vom 17. Juli 1984 VIII R 20/82, BFHE 141, 463, BStBl II 1984, 802, m.w.N., und vom 26. August 1987 I R 135/84, BFHE 151, 1, BStBl II 1988, 280). Der nicht fristgerechten Vorlage der Vollmacht steht es gleich, wenn die rechtzeitig vorgelegte schriftliche Vollmacht mit wesentlichen Mängeln behaftet ist. Das ist der Fall, wenn die Vollmacht nicht erkennen läßt, wer bevollmächtigt hat, wer bevollmächtigt ist und wozu er bevollmächtigt wurde (BFH in BFHE 141, 463, BStBl II 1984, 802, und BFH-Beschluß vom 28. September 1987 III B 100/86, BFH/NV 1988, 183).

a) Die Prozeßvollmacht kann grundsätzlich durch einseitige schriftliche Erklärung gegenüber dem Prozeßbevollmächtigten, dem Prozeßgegner oder dem Gericht erteilt werden (BFH-Urteil vom 23. Juni 1987 IX R 77/83, BFHE 150, 309, 312, BStBl II 1987, 717). Insbesondere kann die Vollmacht dadurch erteilt werden, daß der Vollmachtgeber dem Vertreter die Vollmachtsurkunde aushändigt und dieser sie dem Gericht vorlegt (vgl. § 172 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -).

b) Ebenso entspricht eine Vollmachtsurkunde den Anforderungen des § 62 Abs. 3 Satz 1 FGO, wenn der Mandant sie blanko erteilt und der beauftragte Rechtsanwalt sie - wie vereinbart - für die Zwecke des konkreten Rechtsstreits vervollständigt und dann dem Gericht vorlegt (vgl. Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 16. August 1983 1 CB 19/81, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1984, 493, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK - § 62 FGO R.55). Für das Erfordernis der Schriftform (§ 126 Abs. 1 BGB) muß nach allgemeiner Ansicht nur die Unterschrift eigenhändig sein, so daß die fehlenden Angaben in Übereinstimmung mit dem Unterzeichner von hierzu Ermächtigten ergänzt werden können (vgl. z.B. Urteil des Bundesgerichtshofes - BGH - vom 12. Januar 1984 IX ZR 83/82, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1984, 798, m.w.N.; a.A. wohl Urteil in BFHE 141, 463, BStBl II 1984, 802).

c) Eine wirksame Prozeßvollmacht liegt ferner dann vor, wenn sich ein Rechtsanwalt in der von ihm unterzeichneten Klage- oder Klagebegründungsschrift zum Prozeßbevollmächtigten bestellt (§ 89 ZPO; vgl. BFH-Urteil vom 27. Februar 1986 IV R 72/85, BFHE 146, 206, BStBl II 1986, 547) und daran angeheftet eine vom Kläger eigenhändig unterzeichnete Blankovollmacht einreicht, die sich auf den Rechtsstreit bezieht. Durch die körperliche Verbindung des bestimmten Schriftsatzes und der Vollmachtsurkunde wird ausreichend erkennbar, daß der Rechtsanwalt die noch fehlenden Angaben, wer wozu bevollmächtigt sei, durch seine Bestellung zum Bevollmächtigten ergänzt und vervollständigt hat (vgl. BGH-Urteile vom 31. Oktober 1956 V ZR 177/55, BGHZ 22, 128, 132, und vom 13. November 1963 V ZR 8/62, BGHZ 40, 255, 263).

Dafür reicht das Zusammenheften mit einer Heftmaschine aus (BGH-Urteil vom 13. November 1963 V ZR 8/62, BGHZ 40, 255, 263, und vgl. weiter BGH-Urteil vom 19. März 1969 VIII ZR 66/67, BGHZ 52, 25, 29). Das Prinzip der Rechtssicherheit verlangt für das Prozeßrecht kein Abweichen von diesen Grundsätzen (BVerwG-Beschluß vom 16. August 1983 1 CB 19/81, a.a.O.).

2. a) Entsprechend den obigen Grundsätzen sieht der erkennende Senat die am 5. Februar 1985 eingegangene Vollmacht des Klägers als wirksam an. Der Prozeßbevollmächtigte des Revisionsverfahrens hatte in der von ihm unterzeichneten Klageschrift vom 18. Dezember 1984 zwar noch sich und den Steuerberater A als die Prozeßvertreter bezeichnet und dabei angekündigt, Begründung und Vollmacht würden nachgereicht. Letzteres ist binnen der vom Gericht bis zum 31. Januar 1985 gesetzten Frist nicht geschehen. Mit dem von ihm unterzeichneten Schriftsatz vom 30. Januar 1985, bei Gericht eingegangen am 5. Februar 1985, hat sich aber der jetzige Prozeßbevollmächtigte zum alleinigen Prozeßbevollmächtigten des Klägers bestellt (BFH-Urteil in BFHE 146, 206, BStBl II 1986, 547), die Klage begründet und die vom Kläger unterzeichnete, auf den 14. Dezember 1984 datierte Blankovollmacht des Klägers vorgelegt. Diese Vollmacht war ebenso wie der Zettel mit dem handschriftlichen Vermerk, daß die Prozeßvollmacht der Klägerin unaufgefordert nachgereicht werde, der Klagebegründung - wie die Kläger unwidersprochen vorgetragen haben und der Augenschein erkennen läßt - angeheftet. Insoweit ist die Schriftform hinsichtlich der Prozeßvollmacht des Klägers gewahrt. Die Vollmacht ist auch rechtzeitig vorgelegt worden.

b) Unter diesen Umständen kann der Senat dahingestellt sein lassen, ob der Auffassung des VIII. Senats im Urteil in BFHE 141, 463, BStBl II 1984, 802 zu folgen ist. Ein dem Streitfall vergleichbarer Sachverhalt war dort nach den getroffenen Feststellungen nicht gegeben. Das gilt auch für das Urteil des VII. Senats vom 2. Juli 1985 VII K 16/84 (BFH/NV 1986, 39).

Dem steht nicht entgegen, daß der VIII. Senat in BFHE 141, 463, BStBl II 1984, 802 ausgeführt hat, die Auslegung der Vollmacht durch das FG als Tatsachengericht sei vom Revisionsgericht nur beschränkt nachprüfbar. Denn das Vorliegen jener Voraussetzungen, von denen die Zulässigkeit des auf sachliche Entscheidung gerichteten Verfahrens als solches und im ganzen abhängt, ist in jeder Lage des Verfahrens ohne Beachtung der in § 118 Abs. 3 Satz 1 FGO enthaltenen Einschränkung zu überprüfen (BFH-Urteil vom 24. September 1985 IX R 47/83, BFHE 145, 299, BStBl II 1986, 268, m.w.N.). Das Revisionsgericht muß von Amts wegen die Tatsachen selbst feststellen; es unterliegt insoweit auch keinen Beschränkungen, wenn Ergänzungen im Sachverhalt notwendig werden (BFH-Urteil in BFHE 145, 299, BStBl II 1986, 268). Das gilt auch für die Auslegung der Prozeßvollmacht. Zudem ist die Auslegung des tatsächlich festgestellten Erklärungstatbestands Rechtsanwendung. Die Auslegung durch die Tatsacheninstanz unterliegt insoweit der Nachprüfung durch die Revisionsinstanz (BFH-Urteil vom 9. März 1983 I R 202/79, BFHE 138, 81, BStBl II 1983, 433).

3. Aus diesen Gründen ist nicht mehr darauf einzugehen, daß die Ausschlußfrist nach Art. 3 § 1 VGFGEntlG gemäß § 53 FGO erst mit der Zustellung wirksam geworden ist (vgl. BFH-Urteil vom 14. Juni 1984 I R 152/81, BFHE 141, 455, BStBl II 1984, 841), also erst nach Eingang der Prozeßvollmacht des Klägers. Ebenso ist nicht zu entscheiden, ob das FG den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) gegenüber dem Kläger verletzt hat, weil es entgegen seiner Prozeßfürsorgepflicht (§ 76 Abs. 2 FGO) nicht auf die Beseitigung eines Formfehlers hingewirkt und trotz dieses objektiven Fehlverhaltens eine Präklusionsvorschrift zu Lasten des Betroffenen angewandt hat (vgl. BVerfG-Beschluß vom 14. April 1987 1 BvR 162/84, NJW 1987, 2003). Schließlich kommt es im Fall des Klägers nicht darauf an, ob ihm das FG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) hätte gewähren müssen.

II. Dagegen ist eine wirksame Prozeßvollmacht der Klägerin binnen der wirksam gesetzten Ausschlußfrist nicht vorgelegt worden.

Die an die Klagebegründung angeheftete Vollmacht war allein vom Kläger unterzeichnet worden. Die vom Berichterstatter mit Verfügung vom 4. Februar 1985 gesetzte Ausschlußfrist war daher hinsichtlich der Klägerin wirksam. Diese Frist war am 25. Februar 1985 fruchtlos verstrichen. Insoweit hat das Gericht den Grundsatz des rechtlichen Gehörs nicht verletzt. Denn der Klagebegründung vom 30. Januar 1985 war ein Zettel mit dem Vermerk beigefügt, daß die Prozeßvollmacht der Klägerin unaufgefordert nachgereicht werde. Das Gericht konnte dementsprechend davon ausgehen, daß den Prozeßvertretern der Klägerin das Fehlen der Vollmacht bekannt war.

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war nicht zu gewähren. Die Fristversäumnis war nicht unverschuldet. Da wie ausgeführt, die Prozeßvollmacht der Kläger unaufgefordert nachgereicht werden sollte, hätte das binnen der am 25. Februar 1985 ablaufenden Ausschlußfrist geschehen müssen. Auf das Fehlen der Vollmacht der Klägerin hatte der Berichterstatter mit Schreiben vom 8. März 1985 hingewiesen. Danach haben die Prozeßvertreter des Klageverfahrens binnen der Wiedereinsetzungsfrist von zwei Wochen indes nichts dafür vorgetragen (vgl. zur Pflicht, die Tatsachen binnen dieser Frist vorzutragen, zuletzt BFH-Beschluß vom 1. Dezember 1986 GrS 1/85, BFHE 148, 414, BStBl II 1987, 264), warum trotz des Versprechens, die Vollmacht unaufgefordert nachzureichen, die Fristversäumnis unverschuldet sei. Insbesondere der Schriftsatz vom 27. März 1985 enthält dazu keine Ausführungen.