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BFH-Urteil vom 8.6.1988 (II R 243/82) BStBl. 1988 II S. 808

1. Die Erbeinsetzung unter Zwischenschaltung eines executors nach amerikanischem Recht ist selbst dann nicht aufschiebend bedingt, wenn dem executor für die Zeit der Nachlaßabwicklung unbeschränkte Verfügungsmacht eingeräumt ist (Aufgabe von BFHE 79, 481, BStBl III 1964, 408).

2. Das dem Erbbegünstigten zustehende Vermögen, hinsichtlich dessen er mit dem Erbfall equitable interests erlangt, ist diesem vermögensteuerrechtlich zuzurechnen.

VStG § 4; BewG § 4; BGB § 158 Abs. 1, §§ 2205, 2206, 2207 Satz 1, § 2211; StAnpG § 11; AO 1977 § 39.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg (EFG 1983, 260)

Sachverhalt

Die Kläger werden gemeinsam zur Vermögensteuer veranlagt. Der Vater der Klägerin, amerikanischer Staatsbürger (Erblasser), ist am 7. September 1971 im Staat New York verstorben. In seinem Testament vom 4. November 1970 bestimmte er seine Witwe und die Klägerin je zur Hälfte zu Erbinnen, wobei alle Verbindlichkeiten, Unkosten und Steuern dem Anteil der Klägerin angelastet werden sollten. Die Zuwendungen erfolgten uneingeschränkt ("absolutely and free from any trust"). Als executors bestellte der Erblasser seine Witwe und die United States Trust Company of New York. Den executors wurden zusätzlich zu den durch das Gesetz vorgegebenen Aufgaben zahlreiche weitere Befugnisse hinsichtlich der Verwaltung des Nachlaßvermögens eingeräumt; entsprechend einer beglaubigten Übersetzung heißt es in Abschnitt 5 des Testaments nach Aufzählung mehrerer Einzelbefugnisse in Nummer 12 abschließend, die executors seien berechtigt

"sämtliche Handlungen vorzunehmen, sämtliche Verfahren durchzuführen und sämtliche Rechte und Privilegien auszuüben, wenn diese auch nicht im obigen spezifisch aufgeführt sind, die im Zusammenhang mit jeglichem solchen Vermögen stehen und zwar so, als ob sie uneingeschränkte Eigentümer davon wären ('as if the absolute owners thereof') und, im Zusammenhang damit, jegliche juristische Instrumente zu machen, auszufertigen und auszuhändigen und sämtliche Vereinbarungen oder Übereinkünfte einzugehen, die im Hinblick auf meinen Nachlaß bindend sind".

Die executors sollten zumindestens einen Teil des Nachlasses alsbald nach Zahlung aller Verbindlichkeiten auf die Erben übertragen, ohne auf den Ablauf der Anspruchsperiode von sieben Monaten zu warten. Die Schlußabrechnung der executors vom 10. März 1976 umfaßt den Abrechnungszeitraum vom 7. September 1971 bis 7. Oktober 1975. Danach hat die Klägerin erst ab dem Jahre 1972 Zuwendungen aus dem Nachlaß erhalten.

In ihrer Vermögensteuererklärung auf den 1. Januar 1972 gaben die Kläger Vermögenswerte aus dem Nachlaß des Erblassers nicht an. Sie legten dem Finanzamt (FA) eine gutachtliche Äußerung ihres Prozeßbevollmächtigten vor, wonach der unverteilte Nachlaß vermögensteuerrechtlich nicht den Erben zuzurechnen sei. Das FA stellte bei der für die Erbschaftsteuer zuständigen Finanzbehörde fest, daß der Nachlaß im wesentlichen aus Wertpapieren im Wert von rd. 2,3 Mio US-$ bestanden hatte. In dem Vermögensteuerbescheid auf den 1. Januar 1972 vom 21. August 1974 in der Fassung des berichtigten Bescheids vom 29. August 1974 setzte das FA im Zusammenhang mit dem Nachlaß Aktivwerte in Höhe von rd. 3,7 Mio DM und Schulden in Höhe von etwas über 1 Mio DM an.

Nach erfolgloser Durchführung des Einspruchsverfahrens begehren die Kläger mit der Klage die Aufhebung der Vermögensteuerfestsetzung. Zur Begründung führen sie aus, der Erwerb der Klägerin aus dem Nachlaß sei aufschiebend bedingt; ohne Zurechnung des Nachlaßvermögens würden die Besteuerungsgrenzen des Vermögensteuergesetzes (VStG) nicht überschritten.

Das Finanzgericht (FG) hat der Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1983, 260 veröffentlichten Urteil stattgegeben.

Mit der Revision beantragt das FA, die Klage unter Aufhebung des angefochtenen Urteils abzuweisen. Es rügt Verletzung der §§ 4 und 114 des Bewertungsgesetzes (BewG), § 4 VStG und § 39 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977).

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an das FG zu anderweitiger Verhandlung und Entscheidung.

1. Die unbeschränkte Vermögensteuerpflicht erstreckt sich auf das Gesamtvermögen (§ 1 Abs. 3, § 4 VStG), soweit nicht aufgrund von Befreiungsvorschriften oder nach in Kraft befindlichen Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) eine Steuerpflicht entfällt (vgl. § 114 Abs. 2 BewG). Im Streitfall ergibt sich eine Befreiung weder aus innerstaatlichen Normen noch aus einem DBA.

Das der Klägerin durch den Tod ihres Vaters zugefallene Vermögen gehört zum Gesamtvermögen und damit zum zusammenzurechnenden Vermögen der Veranlagungsgemeinschaft (§ 11 Abs. 1 VStG). Unter Gesamtvermögen einer Person ist das ihr steuerrechtlich zuzurechnende Gesamtvermögen i.S. des BewG zu verstehen (§ 4 VStG). Die Frage, wem ein Wirtschaftsgut gehört, ist grundsätzlich nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen. Darüber hinaus kann aber im Steuerrecht für eine Zurechnung ausreichen, daß einer der Tatbestände des § 11 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG - (vgl. nunmehr § 39 AO 1977) erfüllt ist. Da sich das Gesamtvermögen, soweit es der inländischen unbeschränkten Vermögensteuerpflicht unterliegt, auf das sog. "Weltvermögen" erstreckt, ist es für die Zurechnung eines Wirtschaftsguts unerheblich, aufgrund welcher Rechtsordnung es erworben worden ist.

Für die Beantwortung der Frage, ob ein die steuerrechtliche Zurechnung rechtfertigender Erwerb aufgrund eines Rechtsinstituts ausländischen Rechts vorliegt, ist die Rechtsstellung nach ausländischem Recht an die Strukturen des deutschen Rechts anzupassen (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 7. Mai 1986 II R 137/79, BFHE 147, 70, 74, BStBl II 1986, 615). Dabei ist eine vergleichende Betrachtung zwischen dem ausländischen und dem deutschen bürgerlichen Recht nicht schlechthin ausgeschlossen und das ausländische Rechtsinstitut rechtlich in das inländische Rechtssystem einzuordnen (vgl. Senatsurteil vom 20. Juli 1960 II 262/57 U, BFHE 71, 360, BStBl III 1960, 385). Sofern das deutsche Steuerrecht, wie in den §§ 4 ff. BewG, an Begriffe des inländischen bürgerlichen Rechts anknüpft (BFH-Urteil vom 26. Mai 1972 III R 61/71, BFHE 106, 110, BStBl II 1972, 693), erfordert die Einordnung nach der sog. lex fori eine Prüfung, ob in dem ausländischen Sachverhalt die Voraussetzungen erfüllt sind, wie sie das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) z.B. für eine aufschiebende Bedingung vorschreibt. Die Einordnung nach diesen Grundsätzen führt dazu, daß die Zurechnung im Ausland erworbener Wirtschaftsgüter genauso behandelt wird wie der entsprechende Erwerb im Inland.

Beim Erwerb von Vermögenswerten aufgrund ausländischen Rechts ist weiterhin nicht dessen formale Gestaltung maßgebend, sondern die wirtschaftliche Bedeutung des ausländischen Rechtsinstituts. Denn nur insoweit als diese Bedeutung der ausländischen Rechtsnorm eine Zurechnung nach den inländischen Zurechnungsvorschriften rechtfertigt, wird der Tatbestand der Vermögensteuerpflicht erfüllt (vgl. BFH-Urteil vom 12. Januar 1973 III R 30/72, BFHE 108, 546, 549, BStBl II 1973, 440).

2. Das FG ist unter Hinweis auf das Senatsurteil vom 15. Mai 1964 II 177/61 U (BFHE 79, 481, BStBl III 1964, 408) bei seiner Entscheidung davon ausgegangen, der Klägerin seien Vermögensgegenstände aus dem Nachlaß ihres Vaters deshalb zum 1. Januar 1972 noch nicht zuzurechnen, weil der Vermögensanfall i.S. des § 4 BewG im Hinblick auf die Einsetzung der executors und deren Verfügungsmacht aufschiebend bedingt sei. Diese Auffassung wird dem Gebot der Anpassung der Rechtsstellung der Klägerin in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung an das inländische Recht nicht gerecht. Das angefochtene Urteil war deshalb aufzuheben.

a) Mit dem FG ist davon auszugehen, daß der Erblasser nach dem Recht des Staates New York beerbt worden ist, denn er war US-Bürger und hatte sein letztes Domizil in New York (vgl. die Grundsätze der Art. 24 Abs. 1, Art. 25 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch - EGBGB - i.d.F. vor der Änderung durch das Gesetz zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts vom 25. Juli 1986, BGBl I 1986, 1142, nunmehr Art. 25, 26 EGBGB). Angloamerikanischer Rechtstradition entsprechend geht das Recht des Staates New York davon aus, daß der gesamte Nachlaß von einer Amtsperson abgewickelt wird, die vom Gericht ernannt und überwacht wird. Der Abwickler des Nachlasses ist der Administrator (bei gesetzlicher Erbfolge) bzw. der executor (bei testamentarischer Erbfolge). Die gesetzlichen Befugnisse des executors können - wie nach den Feststellungen des FG im vorliegenden Fall geschehen - durch Testament erweitert werden.

Trotz einheitlicher Nachlaßabwicklung für das gesamte Vermögen ist der Titelübergang im Staate New York nicht einheitlich: das Eigentum an dem unbeweglichen Vermögen geht unmittelbar auf den Begünstigten über, das Eigentum am beweglichen Nachlaß jedoch auf den Personal repräsentative, nämlich den executor bei testamentarischer Erbfolge (ohne Trusterrichtung), andernfalls auf den Administrator. Diese Amtspersonen werden durch Beschluß des ausländischen Nachlaßgerichts rückwirkend auf den Erbfall fiduziarische Eigentümer der beweglichen Nachlaßgegenstände, ohne daß dem "Erben" diese Gegenstände schon angefallen wären.

Die formale Stellung des executors als "legal owner" geht zwar über die Stellung eines Testamentsvollstreckers nach deutschem Recht hinaus (ohne jedoch die Stellung eines Erben nach deutschem Recht als Gesamtrechtsnachfolger zu erreichen). Die mit dem formalen Rechtstitel verbundene Verfügungsmacht des executors hält aber einem Vergleich mit der des Testamentsvollstreckers nach inländischem Recht stand (vgl. §§ 2205, 2206, s. auch § 2211 Abs. 1 BGB). Soweit dem executor durch Testament erweiterte Befugnisse, insbesondere zur Eingehung von Verbindlichkeiten bzw. zum Abschluß von Rechtsgeschäften, eingeräumt sind, entsprechen sie der umfassenderen Verpflichtungsbefugnis nach § 2207 Satz 1 BGB.

b) Soweit die beweglichen Nachlaßgegenstände treuhänderisch auf den executor (oder Administrator) als "legal owner" übergehen, stehen den Erbbegünstigten zwar lediglich equitable interests zu. Diese jedoch entstehen unmittelbar mit dem Erbfall; sie sind frei veräußerlich und frei vererblich. Lediglich die Fälligkeit dieser Ansprüche gegenüber dem executor (Administrator) als "legal owner" ist hinausgeschoben, um diesem Zeit zu geben, die Gläubiger zu ermitteln und deren Ansprüche zu befriedigen (vgl. hierzu Mueller in Rabels Zeitschrift 1935, 808, 814). Die Erbberechtigten erwerben mit dem Todesfall nicht nur eine gewisse Anwartschaft, sondern die volle materielle Berechtigung an dem Nachlaß, die nur formell durch die Erfordernisse der Nachlaßabwicklung seitens des executors (Administrators) eingeschränkt ist (vgl. auch Ferid/Firsching, Internationales Erbrecht, USA, Texte, New York S. 4).

Die von den Erbbegünstigten mit dem Erbfall erworbene Rechtsposition als eine gegenwärtige läßt es nicht zu, von einem Erwerb unter aufschiebender Bedingung i.S. von § 158 Abs. 1 BGB, § 4 BewG auszugehen. An der gegenteiligen Auffassung in BFHE 79, 481, BStBl III 1964, 408 hält der Senat nicht mehr fest. Denn diese Entscheidung stützt sich zu Unrecht auf das Urteil vom 31. Mai 1961 II 284/58 U (BFHE 73, 120, BStBl III 1961, 312), weil in jenem Fall der executor gleichzeitig als trustee eingesetzt war.

c) Aus der Vergleichbarkeit der mit der Stellung eines executors verbundenen Verfügungsmacht (über den Titel als legal owner) mit der Verfügungsmacht eines Testamentsvollstreckers nach inländischem Recht sowohl wie aus der mit dem Erbfall erworbenen Rechtsposition der Klägerin folgt, daß das vom Erblasser hinterlassene Vermögen quotal und entsprechend den übrigen mit dem Erwerb verbundenen Verpflichtungen der Klägerin zum Stichtag (1. Januar 1972) zuzurechnen war (zur Zurechnung an den Erben bei bestehender Testamentsvollstreckung vgl. BFH-Urteile vom 25. Oktober 1951 III 225/51 U, BFHE 55, 567, BStBl III 1951, 229, und vom 9. Juli 1954 III 84/54 U, BFHE 59, 107, BStBl III 1954, 250).

Entgegen der Auffassung des FG ergibt sich auch nicht daraus etwas anderes, daß aufgrund der möglichen Verfügung der executor über die Nachlaßgegenstände im Zeitpunkt des Erbfalls nicht bestimmbar ist, welche Vermögensgegenstände die Erben letztlich aus dem Nachlaß erhalten werden. Denn insoweit ist die Lage keine andere als die nach inländischem Recht bei Anordnung einer Testamentsvollstreckung. Auch hier kann es für die Frage der Zurechnung des Nachlaßvermögens keine Rolle spielen, welche einzelnen Gegenstände schließlich in die freie Verfügung des Erbberechtigten gelangen.

3. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat von seinem Standpunkt aus zu Recht keine Feststellungen zu Umfang und Wert des steuerpflichtigen Vermögens getroffen. Die Sache war deshalb an das FG zurückzuverweisen.