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BFH-Urteil vom 10.6.1988 (III R 248/83) BStBl. 1988 II S. 814

Aufwendungen eines Spätaussiedlers zur Wiederbeschaffung von Hausrat sind - unbeschadet der weiteren Voraussetzungen des § 33 EStG - auch insoweit im Veranlagungszeitraum der Verausgabung als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen, als die Aufwendungen aus einem Darlehen bestritten worden sind, das erst in späteren Jahren zu tilgen ist (Änderung der Rechtsprechung).

EStG 1979 §§ 11, 33.

Vorinstanz: FG Hamburg (EFG 1983, 450)

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), der 1978 zusammen mit seiner Ehefrau als Spätaussiedler aus Polen in die Bundesrepublik Deutschland gekommen ist, beantragte im Lohnsteuer-Jahresausgleich für das Streitjahr 1979, Aufwendungen für die Wiederbeschaffung von Hausrat in Höhe von 10.988 DM als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu berücksichtigen. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) erkannte die Aufwendungen dem Grunde nach als außergewöhnliche Belastung an, kürzte sie jedoch u.a. um 5.000 DM. Diesen Betrag hatte der Kläger im Streitjahr als Darlehen zur Anschaffung des Hausrats aufgenommen. Das Darlehen ist ab 1. April 1981 in 96 Monatsraten zu tilgen.

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren gab das Finanzgericht (FG) der Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1983, 450 veröffentlichten Urteil statt. Es führte zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen aus: Mit den Prozeßbeteiligten sei davon auszugehen, daß die Aufwendungen zur Wiederbeschaffung des aufgrund der Spätaussiedlung verlorenen Hausrats dem Grunde nach außergewöhnlich und dem Kläger zwangsläufig erwachsen seien. Auch die aus Darlehensmitteln geleisteten Aufwendungen seien im Jahr der Verausgabung und nicht erst im Jahr der Schuldentilgung als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen. Die abweichende Rechtsauffassung von Bundesfinanzhof - BFH - (vgl. z.B. Urteile vom 23. Juni 1961 VI 99/61 U, BFHE 73, 331, BStBl III 1961, 387, und vom 4. Oktober 1968 IV R 59/68, BFHE 94, 442, BStBl II 1969, 179) und Finanzverwaltung (vgl. nun Abschn. 189a Abs. 1 der Einkommensteuer-Richtlinien 1987 - EStR 1987 -), wonach erst die im jeweiligen Veranlagungszeitraum auf das Darlehen geleisteten Tilgungsbeträge zu einer Steuerermäßigung nach § 33 EStG führten, sei weder durch Wortsinn und Bedeutungszusammenhang des § 33 EStG noch durch den erkennbaren Gesetzeszweck und die Regelungsabsicht des Gesetzgebers gerechtfertigt.

Das FA rügt mit der Revision einen Verstoß der Vorentscheidung gegen § 33 EStG und beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Das FG hat die Aufwendungen des Klägers zur Wiederbeschaffung des Hausrats zu Recht auch insoweit im Zeitpunkt ihrer Verausgabung als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 EStG berücksichtigt, als die Aufwendungen aus Mitteln bestritten wurden, die der Kläger aufgrund eines im Streitjahr aufgenommenen und in späteren Jahren getilgten Darlehens erlangt hat.

Nach § 33 Abs. 1 EStG kann die Einkommensteuer ermäßigt werden, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommens- und Vermögensverhältnisse sowie gleichen Familienstandes erwachsen. Aufwendungen erwachsen dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann, soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen.

1. Aufwendungen für die Wiederbeschaffung von Hausrat sind nach ständiger Rechtsprechung des BFH (vgl. z.B. die Urteile vom 16. Oktober 1952 IV 376/51 S, BFHE 56, 773, BStBl III 1952, 298; vom 15. Februar 1974 VI R 67/70, BFHE 111, 491, BStBl II 1974, 335) und Verwaltungsübung (vgl. zuletzt Abschn. 189 Abs. 1 Satz 2 EStR 1987, Abschn. 66 Abs. 8 Satz 2 der Lohnsteuer-Richtlinien 1987 - LStR 1987 -) dem Grunde nach eine außergewöhnliche Belastung (vgl. auch § 52 Abs. 23 letzter Satz EStG 1979), wenn der Hausrat durch ein unabwendbares Ereignis - insbesondere Spätaussiedlung aus den Ostblockstaaten - verlorengegangen ist und wiederbeschafft werden muß. Aufwendungen dieser Art erwachsen - unbeschadet anderer Voraussetzungen - zwangsläufig i. S. von § 33 Abs. 2 EStG, wenn es sich um die Wiederbeschaffung von Gegenständen handelt, die zu einer angemessenen Auffüllung des Hausrats notwendig sind (BFH-Urteil vom 3. September 1976 VI R 185/74, BFHE 120, 47, BStBl II 1976, 712). Diese Rechtsgrundsätze hat das FG - wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist - auf den hier vorliegenden Sachverhalt zutreffend angewendet.

2. Der erkennende Senat folgt der Vorinstanz auch in der Auffassung, daß zwangsläufige Aufwendungen i. S. von § 33 Abs. 1 EStG unabhängig davon, ob sie aus eigenen oder fremden Mitteln geleistet werden, im Veranlagungszeitraum der Verausgabung als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen sind.

a) Die Vorschrift des § 33 EStG enthält keine ausdrückliche Regelung über den Zeitpunkt des Abzugs zwangsläufig erwachsener Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung. Nach der bisherigen Rechtsprechung des BFH sind mit einem Darlehen bestrittene Aufwendungen, die ihrer Art nach eine außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 Abs. 1 EStG darstellen, erst im Jahr der Tilgung des Darlehens steuerermäßigend zu berücksichtigen, da erst zu diesem Zeitpunkt eine Belastung des Einkommens des Steuerpflichtigen eintrete (sog. Belastungsprinzip - vgl. z.B. Urteile in BFHE 73, 331, BStBl III 1961, 387, und in BFHE 94, 442, BStBl II 1969, 179; so auch Abschn. 189a Abs. 1 EStR 1987, Abschn. 66 Abs. 4 LStR 1987 und die Verfügung der Oberfinanzdirektion (OFD) Düsseldorf vom 4. Oktober 1983 S 2.284 A - St. 211, Steuererlasse in Karteiform (StEK), Einkommensteuergesetz, § 33 Nr. 78 -). In der Rechtsprechung der FG (vgl. außer der Vorentscheidung z.B. das Urteil des Hessischen FG vom 4. Februar 1987 IX 169/81, EFG 1987, 358) und im Schrifttum stößt diese Rechtsansicht zunehmend auf Ablehnung (vgl. z.B. Arndt in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 33 Rdnr. B 16; Eisenberg, Steuerberater-Jahrbuch - StbJb - 1968/69, S. 297, 331; Fitsch in Lademann/Söffing/Brockhoff, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 33 Anm. 40; Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 147. Lieferung, § 33 EStG Anm. 59; Philipowski, Steuerkongreß-Report 1976, S. 71, 94; Rose, Finanz-Rundschau - FR - 1959, 373; Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 6. Aufl., § 33 Anm. 3; Seitrich, FR 1984, 524; Stuhldreier, Deutsche Steuer-Zeitung - DStZ - 1984, 606; Tipke, Steuer und Wirtschaft - StuW - 1980, 1, 8; Vangerow, StuW 1955, Sp. 327). Der Auffassung des BFH folgen z.B. Gericke in Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin (Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 33 Rdnr. 6b); Giloy in FR 1979, 133, 135; Hartz/Meeßen/Wolf (ABC-Führer Lohnsteuer "Wiederbeschaffung von Hausrat"); Oeftering/Görbing (Das gesamte Lohnsteuerrecht, § 33 EStG Rdnr. 20a); Oepen in Blümich/Falk (Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 33 Anm. 6 "Schuldentilgung"). Sunder-Plassmann in Littmann/Bitz/Meincke (Das Einkommensteuerrecht, 14. Aufl., § 33 EStG Anm. 98a) will dem Steuerpflichtigen ein Wahlrecht dahingehend einräumen, daß entweder der Abzug der zwangsläufigen Aufwendungen oder der Tilgungsleistungen gemäß § 33 EStG als außergewöhnliche Belastung geltend gemacht werden kann (zustimmend Arndt in Kirchhof/Söhn, a.a.O., § 33 Rdnr. C 62).

b) Wortsinn, Zweck und Bedeutungszusammenhang des § 33 EStG gebieten es nach Auffassung des erkennenden Senats, den Abzug kreditfinanzierter Aufwendungen bereits im Veranlagungszeitraum der Verausgabung zuzulassen.

aa) Unbeschadet der Zweifel an der gesetzlichen Grundlage für das u.a. im Urteil in BFHE 73, 331, BStBl III 1961, 387 angeführte sog. Belastungsprinzip (vgl. Beschluß des Senats vom 3. Juni 1987 III R 49/86, BFHE 150, 41, 47, BStBl II 1987, 629) geht die neuere Rechtsprechung des BFH davon aus, daß das Belastungsprinzip lediglich ein Korrektiv für den Fall ist, daß der Steuerpflichtige im Zusammenhang mit dem belastenden Ereignis steuerfreie Zuwendungen in Geld oder Geldeswert erhält, die den Abzugsbetrag i. S. von § 33 EStG mindern (Urteil vom 30. Juli 1982 VI R 67/79, BFHE 136, 396, 398, BStBl II 1982, 744). Danach wird durch das Erfordernis der Belastung durch Aufwendungen i. S. von § 33 EStG nur die Höhe des Abzugsbetrags beeinflußt; auf den Abzugszeitpunkt dagegen ist das Belastungsprinzip ohne Einfluß (so auch Schmidt/Drenseck, a.a.O.).

Für die Bestimmung des Abzugszeitpunkts ist jedoch von Bedeutung, daß nach der vorstehend zitierten Entscheidung des VI. Senats in BFHE 136, 396, BStBl II 1982, 744 - insoweit abweichend von der früheren Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 21. August 1974 VI R 236/71, BFHE 113, 367, BStBl II 1975, 14) - die Vorschrift des § 11 Abs. 2 EStG auch für außergewöhnliche Belastungen gilt. Letzterer Rechtsauffassung schließt sich der erkennende Senat an. Mit dem in § 33 Abs. 1 EStG verwendeten Begriff der "Aufwendungen" stellt das Gesetz - wie bei den Begriffen "Werbungskosten", "Betriebsausgaben" und "Sonderausgaben" auch - auf das Merkmal der tatsächlichen Verausgabung ab. Für einen insoweit einheitlich geltenden Aufwendungsbegriff spricht insbesondere auch der Wortlaut des § 33 Abs. 2 Satz 2 EStG, wonach bei den zwangsläufig erwachsenen außergewöhnlichen Aufwendungen solche Aufwendungen, die zu den Betriebsausgaben, Werbungskosten oder Sonderausgaben gehören, außer Betracht bleiben. Es sind keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, daß der Gesetzgeber den Begriff "Aufwendungen" in demselben Satz mit unterschiedlichem Inhalt verwendet hat. Außerdem folgt aus dem Zusammenhang der Vorschriften des § 33 Abs. 1 EStG und des § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG, daß außergewöhnliche Belastungen für das Kalenderjahr abzusetzen sind, in dem die Aufwendungen tatsächlich geleistet worden sind (Urteil in BFHE 136, 396, BStBl II 1982, 744).

bb) Ist für den Zeitpunkt des Abzugs von Aufwendungen i. S. des § 33 EStG das Abflußprinzip des § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG maßgebend, ist auch für die steuerliche Berücksichtigung von kreditfinanzierten Aufwendungen auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem die Aufwendungen tatsächlich geleistet worden sind. Daß es auf die Art der Finanzierung nicht ankommen kann, folgt zudem aus dem für Betriebsausgaben, Werbungskosten, Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen einheitlich geltenden Aufwendungsbegriff. Sind kreditfinanzierte Aufwendungen im Einzelfall vom Abzug ausgeschlossen, so ist dies im EStG - wie z.B. in § 10 Abs. 2 Nr. 1 EStG - ausdrücklich geregelt. Aus dem Wortlaut des § 33 EStG ist jedoch kein Anhaltspunkt für eine unterschiedliche steuerliche Behandlung der Ausgaben danach, ob sie aus eigenen oder aus vom Steuerpflichtigen darlehensweise aufgenommenen Mitteln stammen, erkennbar.

Diese Auslegung entspricht auch dem Sinn und Zweck des § 33 EStG, die Minderung der wirtschaftlichen und damit der steuerlichen Leistungsfähigkeit durch zwangsläufige außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Steuerpflichtigen, als deren Gradmesser das Einkommensteuerrecht das zu versteuernde Einkommen ansieht, wird indes unabhängig davon, welche eigenen liquiden Mittel der Steuerpflichtige im Veranlagungszeitraum zur Verfügung hat, durch die im jeweiligen Veranlagungszeitraum abgeflossenen außergewöhnlichen und zwangsläufig erwachsenen Aufwendungen gemindert. Die bisherige Rechtsprechung hat demgegenüber zur Folge, daß die Steuerermäßigung nicht für das Jahr gewährt wird, in dem die kreditfinanzierten außergewöhnlichen Aufwendungen den Steuerpflichtigen zwangsläufig treffen und in seiner Leistungsfähigkeit beeinträchtigen, sondern in dem - vom Steuerpflichtigen häufig selbst bestimmten - Zeitpunkt der Rückzahlung der Schuld. Erstrecken sich - wie im Streitfall - die künftigen Tilgungsleistungen auf mehrere Veranlagungszeiträume und sind deshalb die jährlich erbrachten Tilgungsraten verhältnismäßig niedrig, kann die bisherige Rechtsprechung wegen der in jedem Veranlagungszeitraum der Rückzahlung erneut anrechenbaren zumutbaren Belastung dazu führen, daß sich die zwangsläufig erwachsenen außergewöhnlichen Aufwendungen entgegen Wortlaut und Sinn des § 33 EStG überhaupt nicht steuerermäßigend auswirken.

Auch Gründe der Praktikabilität sprechen, worauf die Vorinstanz zutreffend hinweist, gegen die bisherige Rechtsprechung des BFH. So kann es - wie auch im vorliegenden Fall - für den Steuerpflichtigen schwierig sein, nachzuweisen, inwieweit nichtabziehbare Kosten der allgemeinen Lebensführung und inwieweit zwangsläufig erwachsene außergewöhnliche Belastungen aus Darlehensmitteln bestritten worden sind. Insbesondere bei Bestehen eines Kontokorrentkredits müßte das FA bei jedem Antrag auf Berücksichtigung außergewöhnlicher Belastungen feststellen, ob die gemäß § 33 EStG geltend gemachten Aufwendungen aus eigenen Mitteln stammen oder mit dem Kredit in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. Im übrigen ermöglicht es die bisherige Rechtsprechung des BFH dem Steuerpflichtigen, wie das FG zutreffend ausgeführt hat, die Steuerermäßigung wegen außergewöhnlicher Belastung mittels Aufnahme eines Darlehens in einen für den Steuerpflichtigen günstigeren Veranlagungszeitraum zu verlagern. Diese Auswirkung könnte insbesondere im Falle der vorzeitigen Rückzahlung eines Darlehens eintreten. Dies liefe jedoch im Ergebnis auf die Ausübung eines Wahlrechts hinaus, dessen Einräumung und Regelung Aufgabe des Gesetzgebers ist.

Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß die Finanzverwaltung selbst kreditfinanzierte Aufwendungen i. S. von § 33a Abs. 1 EStG im Zeitpunkt ihrer Verausgabung und nicht erst im Zeitpunkt der Schuldentilgung als außergewöhnliche Belastung zum Abzug zuläßt (vgl. den übereinstimmenden Ländererlaß, z.B. Nordrhein-Westfalen vom 15. August 1985 S 2.285 - 30 - VB 3, StEK, Einkommensteuergesetz, § 33a Abs. 1 Nr. 112). Die unterschiedliche steuerrechtliche Beurteilung des Aufwendungsbegriffs i. S. von § 33 Abs. 1 Satz 1 und von § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG läßt sich nach Auffassung des erkennenden Senats aus dem Gesetz nicht überzeugend begründen.