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BFH-Urteil vom 30.3.1988 (I R 140/87) BStBl. 1988 II S. 836

1. Ersatzzustellung an vorübergehend Beschäftigten bei Abwesenheit des Geschäftsführers einer GmbH.

2. Zur Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör.

3. Ermächtigung eines Steuerberater-Geschäftsführers zur Einzelvertretung einer Wirtschaftsprüfungs-GmbH mit organschaftlicher Gesamtvertretung bei Klageerhebung durch die Gesellschaft als Prozeßbevollmächtigte.

4. Zu den Voraussetzungen wirksamer Setzung einer Frist gemäß Art. 3 § 1 VGFGEntlG.

GG Art. 103 Abs. 1; ZPO § 184 Abs. 1, § 195 Abs. 2; VGFG-EntlG Art. 3 § 1; GmbHG § 35 Abs. 1.

Vorinstanz: FG des Saarlandes (EFG 1987, 630)

Sachverhalt

A.

Die ABC Treuhand GmbH, Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und Steuerberatungsgesellschaft (ABC), hat mit Schriftsatz vom 19. März 1987 für die S-GmbH, die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), Klage erhoben. Die Klageschrift ist von dem Steuerberater K, der Geschäftsführer der ABC ist, unterzeichnet. Eine Prozeßvollmacht war nicht beigefügt. Auf Veranlassung des Vorsitzenden forderte die Geschäftsstelle des Finanzgerichts (FG) die ABC mit Schreiben vom 26. März 1987 auf, die Prozeßvollmacht binnen vier Wochen vorzulegen. Die Aufforderung blieb erfolglos. Mit Verfügung vom 19. Mai 1987 - zugestellt am 21. Mai 1987 - forderte der Berichterstatter des FG die ABC erneut zur Vollmachtsvorlage auf. Die Aufforderung hat folgenden Wortlaut:

"In dem Rechtsstreit S-GmbH gegen FA ... wegen ... werden Sie hiermit aufgefordert, bis spätestens 10. Juni 1987 dem Gericht eine Vollmacht Ihrer Mandanten vorzulegen.

Ich weise darauf hin, daß nach Art. 3 § 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit vom 31. März 1978, BGBl I 1978, 446 nach Ablauf dieser Frist eine Vollmacht nicht mehr eingereicht werden kann."

Eine Vollmacht der Klägerin ist innerhalb der gesetzten Frist bei dem FG nicht eingegangen.

Das FG hat zunächst einen die Klage als unzulässig abweisenden Vorbescheid erlassen, der der Klägerin und der ABC jeweils am 16. Juni 1987 zugestellt wurde. Die ABC hat unter Vorlage einer Prozeßvollmacht der Klägerin vom 17. März 1987 mit Schriftsatz vom 14. Juli 1987, bei dem FG eingegangen am 16. Juli 1987, Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt und die Klage begründet. Sie machte geltend, die Ausschlußfrist sei ermessenswidrig zu früh gesetzt und zu kurz bemessen worden, da für Streitsachen üblicherweise erst nach 2 1/2 bis 3 Jahren mündliche Verhandlung anberaumt werde. In der mündlichen Verhandlung vom 12. August 1987 erklärte der Geschäftsführer der ABC, bei Ergehen der Verfügung vom 19. Mai 1987 habe ihm die Prozeßvollmacht bereits vorgelegen.

Das FG hat die Klage durch sein in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1987, 630 veröffentlichtes Urteil erneut abgewiesen. Es sah die Klage als unzulässig an, weil die Vollmacht nicht binnen der mit ausschließender Wirkung gesetzten Frist eingegangen sei.

Das Urteil des FG wurde der ABC lt. Postzustellungsurkunde (PZU) am 25. August 1987 zugestellt. Da der Steuerberater Erich K, der Geschäftsführer der ABC, nicht anwesend war, übergab der Postbote die zuzustellende Sendung der bei der ABC aushilfsweise beschäftigten Studentin C K, der Tochter des Steuerberaters E K. Der Postbote unterließ es, den Tag der Zustellung auf der zugestellten Sendung zu vermerken. In der PZU ist das Gegenteil beurkundet worden.

Die Revisionsschrift der Klägerin ging am 28. September 1987, also später als einen Monat nach Zustellung des angefochtenen Urteils, bei dem FG ein. Nachdem die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin auf den verspäteten Eingang der Revisionsschrift hingewiesen worden waren, hat die Klägerin geltend gemacht, die Zustellung des angefochtenen Urteils sei unwirksam, so daß die Frist für die Einlegung der Revision nicht zu laufen begonnen habe und deshalb nicht versäumt worden sei. Die Zustellung sei unwirksam, weil das Zustellungsdatum auf der zugestellten Sendung nicht vermerkt worden sei (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 29. Oktober 1986 I R 2/83, BFHE 148, 404, BStBl II 1987, 223).

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung von Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), § 62 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. Art. 3 § 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG), § 53 FGO i.V.m. § 122 der Abgabenordnung (AO 1977) und § 9 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) sowie von § 76 FGO. Zur Begründung macht sie geltend:

Die ABC sei zunächst eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft gewesen. Als solche habe sie gemäß § 28 des Gesetzes über die Berufsordnung der Wirtschaftsprüfer (Wirtschaftsprüferordnung) - WPO - nur wirksam unter Mitwirkung eines Wirtschaftsprüfers vertreten werden können. Dies ergebe sich auch aus den Eintragungen im Handelsregister. Der Geschäftsführer der ABC K sei aber nicht Wirtschaftsprüfer, sondern Steuerberater. Daher sei die Klageerhebung unwirksam und auch die der ABC zugestellten Verfügungen vom 6. Mai und 19. Mai 1987 hätten keine Frist in Lauf setzen können. Das FG hätte den Mangel der Vertretung anhand des Briefkopfes und der Unterzeichnung der Klageschrift erkennen können und für Abhilfe sorgen müssen. Dies unterlassen zu haben, bedeute einen Verstoß gegen § 76 Abs. 2 FGO.

In der Verfügung vom 19. Mai 1987 sei in der Aufforderung zur Vollmachtvorlage selbst nicht auf die Ausschlußfrist des Art. 3 § 1 VGFGEntlG verwiesen worden, sondern diese Vorschrift sei lediglich in einer Anfügung zitiert worden. Die Aufforderung zur Vollmachtvorlage selbst müsse aber die Ausschlußfrist unter Hinweis auf die gesetzliche Vorschrift enthalten.

Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage für zulässig zu erklären.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

B.

I. Die Revision ist zulässig.

1. Ist die Revision wie im Streitfall infolge Zulassung in dem angefochtenen Urteil statthaft (§ 115 Abs. 1 FGO, Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs vom 8. Juli 1975 - BFHEntlG -, BGBl I, 1861, BStBl I, 932 i.d.F. des Gesetzes vom 3. Dezember 1987, BGBl I, 2442, BStBl I, 800), ist sie innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich einzulegen (§ 120 Abs. 1 FGO).

2. a) Das angefochtene Urteile ist der ABC am 25. August 1987 zugestellt worden. Die Zustellung war wirksam.

Finanzgerichtliche Urteile sind nach den Vorschriften des VwZG zuzustellen (§ 53 Abs. 2 FGO). Die Zustellung besteht in der Übergabe der zuzustellenden Urkunde in Urschrift, Ausfertigung oder beglaubigter Abschrift (§ 2 Abs. 1 Satz 1 VwZG). Wird der gesetzliche Vertreter einer Korporation, dem zugestellt werden soll, in dem Geschäftslokal während der gewöhnlichen Geschäftsstunden nicht angetroffen, so kann die Zustellung an einen anderen in dem Geschäftslokal anwesenden Bediensteten bewirkt werden (§ 184 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung - ZPO -, § 3 Abs. 1 und Abs. 3 VwZG). Korporation ist jede juristische Person, und Geschäftslokal sind die dem Bürodienst dienenden Geschäftsräume (BFH-Urteil vom 4. Oktober 1983 VII R 16/82, BFHE 139, 232, BStBl II 1984, 167).

Der Steuerberater K war als Geschäftsführer der ABC, einer juristischen Person, deren gesetzlicher Vertreter (§ 35 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung - GmbHG -). Er war durch Abwesenheit gehindert, das zuzustellende Schriftstück in den Geschäftsräumen entgegenzunehmen. Die zuzustellende Sendung konnte deshalb nach § 184 Abs. 1 ZPO ersatzweise einem anderen in den Geschäftsräumen anwesenden Bediensteten übergeben werden. Bediensteter ist jede Person, die im Dienst der juristischen Person steht, sofern sie auch mit der Entgegennahme von Postsendungen betraut ist (BFHE 139, 232, BStBl II 1984, 167). Nach den Umständen ist davon auszugehen, daß die bei der ABC zeitweise beschäftigte Tochter des Steuerberaters K während seiner Abwesenheit auch die Post entgegenzunehmen hatte. Auf eine längere Dauer des Beschäftigungsverhältnisses kommt es entgegen der Auffassung der Revision nicht an; eine dahingehende Einschränkung läßt sich dem Gesetz nicht entnehmen.

Mit der Zustellung des finanzgerichtlichen Urteils wurde der Klägerin die Möglichkeit eröffnet, dagegen Revision einzulegen.

b) Die Revision ist rechtzeitig eingelegt worden.

Der Postbedienstete hat dem Zustellungsempfänger eine Abschrift der aufzunehmenden PZU zu erteilen oder den Tag der Zustellung auf der zugestellten Sendung zu vermerken (§ 3 Abs. 2 VwZG, § 195 Abs. 2 ZPO). § 195 Abs. 2 ZPO ist eine zwingende Zustellungsvorschrift (Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluß vom 9. November 1976 GmS-OGB 2/75, BFHE 121, 1, BStBl II 1977, 275). Da der Postbedienstete der Zustellungsempfängerin C K weder eine Abschrift der Zustellungsurkunde erteilt noch den Tag der Zustellung auf der Sendung vermerkt hat, ist § 195 Abs. 2 ZPO verletzt. Dies hat zur Folge, daß die Frist für die Einlegung der Revision gemäß § 9 Abs. 2 VwZG nicht zu laufen begonnen hat. Die später als einen Monat nach der Zustellung des angefochtenen Urteils eingelegte Revision ist daher nicht verspätet.

3. Die von der Klägerin erhobene Rüge der Verletzung des Art. 3 § 1 VGFGEntlG ist als Rüge der Verletzung des Anspruchs auf Gehör vor Gericht (Art. 103 Abs. 1 GG) aufzufassen. Die Rüge ist wirksam erhoben.

a) Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs erfordert die Darlegung, wodurch der Anspruch auf Gehör verletzt worden sei und darüber hinaus grundsätzlich die Darlegung, was bei Gewährung ausreichenden Gehörs vorgetragen worden wäre.

Die Klägerin macht geltend, die Verfügung vom 19. Mai 1987 verletze Art. 3 § 1 VGFGEntlG dadurch, daß sie die gesetzte Frist nicht als Ausschlußfrist bezeichne und lediglich auf die gesetzliche Regelung verweise. Damit hat die Klägerin ausreichend dargetan, aufgrund welcher Umstände sie ihren Anspruch auf Gehör als verletzt ansieht.

Die Klägerin hat in ihrer Revisionsbegründung nicht ausgeführt, was sie bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen hätte. Wie sich aus ihrem Revisionsantrag, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage für zulässig zu erklären, ergibt, wendet sich die Klägerin mit der Revision dagegen, daß das FG die von ihr behauptete Rechtsverletzung nicht sachlich geprüft habe. Ist das gesamte Vorbringen infolge eines Verfahrensfehlers ungeprüft geblieben, bedarf es nicht der Darlegung dessen, was bei ausreichendem Gehör vorgetragen worden wäre (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 119 Rz. 13, m.w.N.).

So liegt es im Streitfall; denn die Klägerin rügt als Verfahrensfehler das Übergehen ihres gesamten Sachvortrags durch das FG.

II. Der Senat ist zu einer Sachentscheidung über die Revision befugt, da die Klage bei dem FG wirksam erhoben worden ist. Etwas anderes ergibt sich nicht aus Mängeln der Vertretung der ABC durch den Steuerberater K.

Die Wirksamkeit der Klageerhebung ist Sachurteilsvoraussetzung und als solche vom BFH von Amts wegen zu prüfen (Urteil vom 24. September 1985 IX R 47/83, BFHE 145, 299, BStBl II 1986, 268).

Die wirksame Erhebung einer Klage durch einen Bevollmächtigten setzt voraus, daß auch der Bevollmächtigte, wenn es sich bei ihm um eine juristische Person handelt, wirksam vertreten wird. Die vormalige Prozeßbevollmächtigte der Klägerin war eine GmbH. Sie wurde organschaftlich durch ihre Geschäftsführer vertreten (§ 35 Abs. 1 GmbHG). Zur Zeit der Klageerhebung waren der Wirtschaftsprüfer und Steuerberater F und der Steuerberater K Geschäftsführer der ABC. Das ergibt sich aus dem vom erkennenden Senat angeforderten beglaubigten Handelsregisterauszug vom 26. Februar 1988. Steuerberater K konnte die Gesellschaft ausweislich der aus dem Handelsregister ersichtlichen Vertretungsregelung nur zusammen mit dem Wirtschaftsprüfer F vertreten. Steuerberater K hat aber die Klageschrift allein unterzeichnet. Gleichwohl kann daraus nicht abgeleitet werden, die Klage sei mangels ausreichender organschaftlicher Vertretung der ABC nicht wirksam erhoben worden und deshalb unzulässig.

Ihre Mandanten auch in Klageverfahren vor den FG zu vertreten, gehört zu den Aufgaben von Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaften. Es kann deshalb davon ausgegangen werden, daß der andere Geschäftsführer F den Steuerberater K zu der alleinigen Erhebung der Klage im Streitfall ermächtigt hatte (vgl. zur Einzelvertretungsermächtigung bei Gesamtvertretung Roth, GmbHG, 2. Aufl., § 35 Anm. 4.2.3; Hachenburg/Mertens, GmbHG, Bd. 2, 7. Aufl. 1979, § 35 Rz. 263, 266), da die ABC das Mandat zur Klageerhebung übernommen hatte.

III. Die Revision ist unbegründet; sie war nach § 126 FGO zurückzuweisen.

Nach Art. 3 § 1 VGFGEntlG kann der Vorsitzende oder der von ihm nach § 79 FGO bestimmte Richter, also in der Regel der Berichterstatter, für das Einreichen der Vollmacht eine Frist mit ausschließender Wirkung setzten. Eine Verfügung, mit der eine Frist mit ausschließender Wirkung zur Nachreichung der Prozeßvollmacht gesetzt wird, muß von dem Richter unterschrieben sein (BFH-Urteile vom 26. August 1982 IV R 31/82, BFHE 136, 351, BStBl II 1983, 23) und sie muß den Text der Fristsetzung enthalten (BFH-Urteil vom 14. April 1983 V R 4/80, BFHE 138, 21, BStBl II 1983, 421). Die Verfügung muß darüber hinaus wegen der mit der Nichteinhaltung der Frist verbundenen Folge der Unzulässigkeit der Klage (BFH-Urteil vom 11. Januar 1980 VI R 11/79, BFHE 129, 305, BStBl II 1980, 229), die nur unter den Voraussetzungen des § 56 Abs. 2 FGO wieder beseitigt werden kann, auch inhaltlich richtig sein und insbesondere die Wirkung einer Fristversäumnis unzweideutig mitteilen; anderenfalls kommt der Fristsetzung wegen inhaltlicher Unbestimmtheit der Verfügung keine ausschließende Wirkung zu.

Diesen Anforderungen genügt die Verfügung vom 19. Mai 1987. Sie ist inhaltlich richtig, da es darin heißt, eine Vollmacht könne nach Ablauf der Frist nicht mehr eingereicht werden; denn eine verspätet eingereichte Vollmacht hat nicht die Wirkung, die auf dem Mangel der Vollmacht beruhende Unzulässigkeit der Klage zu beseitigen. Auf diese hauptsächliche Wirkung der Versäumung der Frist mit ausschließender Wirkung ist in der Verfügung vom 19. Mai 1987 hingewiesen worden. Es ist demgegenüber unschädlich, daß über die weiteren Wirkungen der Vollmachtsvorlage für die Kostenentscheidung (vgl. BFHE 129, 305, BStBl II 1980, 229) und über die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Art. 3 § 1 Satz 2 VGFGEntlG) keine Belehrung erteilt worden ist. Daher hat das FG die Klage zu Recht wegen Fehlens der Vertretungsberechtigung der ABC zur Klageerhebung als unzulässig angesehen und abgewiesen.