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BFH-Urteil vom 30.6.1988 (V R 79/84) BStBl. 1988 II S. 910

Eine Körperschaft des öffentlichen Rechts kann sich auch insoweit unternehmerisch i. S. von § 2 Abs. 3 UStG 1973 betätigen, als sie gesetzlich zugewiesene Aufgaben erfüllt und konkurrierende private Unternehmer nicht vorhanden sind. Entscheidend ist, ob die Körperschaft des öffentlichen Rechts Tätigkeiten ausführt, wie sie auch von einem privaten Unternehmer ausgeführt werden können.

UStG 1973 § 2 Abs. 3.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

I.

Die Klägerin, Revisionsklägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist gemäß § 1 Abs. 2 des Niedersächsischen Gesetzes über Landwirtschaftskammern (LWKG) i. d. F. vom 1. Juni 1967 (Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt - GVBl ND - 1967, 223) eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Sie hat nach § 2 Abs. 1 LWKG die Aufgabe, im Einklang mit den Interessen der Allgemeinheit die Landwirtschaft, zu der nach § 4 Abs. 1 LWKG auch die Forstwirtschaft gehört, zu fördern und ihre fachlichen Belange wahrzunehmen. Dabei hat sie (als Pflichtaufgaben nach § 2 Abs. 2 LWKG) u.a.

a) die landwirtschaftliche Erzeugung durch geeignete Einrichtungen und Maßnahmen zu fördern und zu steigern,

c) Wirtschaftsberatung und Wirtschaftsbetreuung durchzuführen,

e) Maßnahmen zur Güteförderung und Standardisierung zu treffen sowie bei Fragen der Verwertung und des Absatzes landwirtschaftlicher Erzeugnisse mitzuwirken,

i) die Behörden und Gerichte in Fachfragen der Landwirtschaft vor allem durch Erstattung von Gutachten zu unterstützen und

k) bei den Preisnotierungen der Produktenbörsen und Märkte nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften mitzuwirken.

Der Beklagte, Revisionsbeklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) unterwarf im Streitjahr 1977 ausgeführte Leistungen der Klägerin aus den Bereichen der Landwirtschaftlichen Untersuchungs- und Forschungsanstalt (LUFA), der Abteilung Wirtschaftsberatung, der Landbauabteilung, der Forstabteilung und der Milchwirtschaftlichen Lehr- und Untersuchungsanstalt (MLUA) als Leistungen im Rahmen eines Betriebs gewerblicher Art (§ 2 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes - UStG - 1973) der Umsatzsteuer. Im Umsatzsteuerbescheid für 1977 vom 15. Februar 1983 wurde die Steuer mit ... DM festgesetzt.

Die Klage mit dem Antrag, die Steuer auf ./. ... DM festzusetzen, hatte zum (geringen) Teil Erfolg.

Gegen das Urteil des Finanzgerichts (FG) haben FA und Klägerin Revisionen eingelegt.

Die Klägerin rügt mit ihrer Revision Verletzung des § 2 Abs. 3 UStG 1973 i.V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 6 und § 4 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1977. Sie vertritt im wesentlichen die Auffassung, bei den streitigen Tätigkeiten öffentliche Gewalt im Sinn der vorbezeichneten Vorschriften ausgeübt zu haben; denn sie habe dabei Aufgaben erfüllt, die ihr als Körperschaft des öffentlichen Rechts zugewiesen seien. Die Zuweisung allein genüge an sich. Darüber hinaus seien diese Tätigkeiten ihr als Körperschaft des öffentlichen Rechts eigentümlich und vorbehalten; denn es handle sich um Tätigkeiten im öffentlichen Interesse.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil aufzuheben und die Umsatzsteuer auf ./. ... DM festzusetzen.

Das FA rügt mit seiner Revision ebenfalls Verletzung des § 2 Abs. 3 UStG 1973, soweit das FG die Umsätze der Forstabteilung der Klägerin als Ausübung öffentlicher Gewalt beurteilte.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben, die Umsatzsteuer 1977 auf ... DM festzusetzen und die Klage (mit Ausnahme des Bereichs Wirtschaftsberatung) abzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

1. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des FG-Urteils und zur beantragten Umsatzsteuerfestsetzung für 1977 in Höhe von ... DM.

Das FA hat seine Revision auf fehlerhafte Beurteilung folgender Umsätze beschränkt:

Erstellung von Betriebsgutachten und Betriebswerken für Forstbetriebe (brutto ... DM),

Waldbewertung (brutto ... DM),

forstwirtschaftliche Beratung privater Waldbesitzer (brutto ... DM),

Holzaufmaß (brutto ... DM),

Betreuung forstwirtschaftlicher Zusammenschlüsse (brutto ... DM) und

Vermittlung von Forstpflanzen (brutto ... DM).

Das FG hat aufgrund der Feststellung, im Kammerbezirk der Klägerin gebe es keine nennenswerte Betreuung der privaten Waldbesitzer durch private Unternehmer, die Auffassung vertreten, die öffentliche Hand trete mit privaten Unternehmern insoweit nicht in Wettbewerb. Damit sei die Betreuung des Privatwalds, die die Klägerin nach § 9 des Landeswaldgesetzes Niedersachsen (GVBl ND 1973, 233) wahrzunehmen habe, ihr eigentümlich und vorbehalten, also nicht steuerbar. Der Senat teilt diese Auffassung nicht.

a) Umsätze einer Körperschaft des öffentlichen Rechts sind nicht nach § 2 Abs. 3 UStG 1973 steuerbar (beruhen also nicht auf einer gewerblichen oder beruflichen Betätigung im Rahmen eines Betriebs gewerblicher Art i. S. von § 1 Abs. 1 Nr. 6, § 4 KStG 1977), wenn sie aus einer Tätigkeit herrühren, die dem Träger der öffentlichen Gewalt eigentümlich und vorbehalten ist. Diese Auslegung des gesetzlich nicht umschriebenen Begriffs der Ausübung "öffentlicher Gewalt" - der früher unmittelbar in § 2 Abs. 3 UStG 1951 verwendet wurde und jetzt durch die Verweisung des § 2 Abs. 3 UStG 1967 bis 1980 auf das KStG weiterhin maßgeblich ist - entspricht der ständigen Rechtsprechung von Reichsfinanzhof (RFH) und Bundesfinanzhof - BFH - (Gutachten des RFH vom 9. Juli 1937 V D 1/37, RFHE 42, 253, RStBl 1937, 1306, und vom 2. Juli 1938 Gr. S. D 5/38, RFHE 44, 198, RStBl 1938, 743; Urteile des BFH z.B. vom 18. August 1966 V 21/64, BFHE 87, 228, BStBl III 1967, 100, und vom 14. April 1983 V R 3/79, BFHE 138, 260, BStBl II 1983, 491). Die Rechtsprechung hob stets hervor, daß bei dieser umsatzsteuerrechtlichen Abgrenzung ein strenger Maßstab anzuwenden sei, den der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung hier in besonderem Maß verlange. Der private Unternehmer dürfe nicht durch den Wettbewerb mit Körperschaften öffentlichen Rechts benachteiligt werden. Übernehme die öffentliche Hand in größerem Umfang Aufgaben, wie sie auch Privatpersonen ausübten, und trete sie dadurch auch nur ungewollt in Wettbewerb zur privaten Wirtschaft, so sei die Tätigkeit nicht mehr der öffentlichen Hand eigentümlich und vorbehalten, also keine hoheitliche Tätigkeit (vgl. BFHE 87, 228, BStBl III 1967, 100, und Urteil vom 13. April 1961 V 120/59 U, BFHE 73, 84, BStBl III 1961, 298). Unternehmerische Tätigkeit ist nach der Rechtsprechung somit anzunehmen, wenn sich die Körperschaft öffentlichen Rechts in Bereichen der privatunternehmerischen Berufs- und Gewerbeausübung bewegt.

Der BFH hat die Auslegungskriterien wegen im wesentlichen gleichförmiger Erläuterung und im wesentlichen gleichartiger Funktion des Begriffs der "Ausübung öffentlicher Gewalt" im Umsatz-, Körperschaft- und Gewerbesteuerrecht soweit möglich übereinstimmend herangezogen (zum Rechtszustand nach § 2 Abs. 2 der Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung - GewStDV -, § 4 der Körperschaftsteuer-Durchführungsverordnung - KStDV -, § 19 der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz - UStDB 1951 - vgl. BFH-Urteil vom 21. November 1967 I 274/64, BFHE 91, 98, BStBl II 1968, 218). Nach dem vorbezeichneten Urteil ist im Unterschied zu einer an sich möglichen privatwirtschaftlichen Tätigkeit der öffentlich-rechtlichen Körperschaft für die Ausübung der öffentlichen Gewalt kennzeichnend die Erfüllung öffentlich-rechtlicher Aufgaben, die aus der Staatsgewalt abgeleitet sind und staatlichen Zwecken dienen.

b) Aus diesen Grundsätzen folgt - entgegen der Ansicht des FG - nicht, daß die Klägerin wegen Zuweisung der Betreuung des Privatwaldes als Pflichtaufgabe durch § 9 des Landeswaldgesetzes Niedersachsen und mangels tatsächlichen Wettbewerbs durch private Unternehmer bezüglich der streitbefangenen Betätigung öffentliche Gewalt i. S. von § 2 Abs. 3 UStG 1967/1973 i.V. m. § 4 Abs. 5 KStG 1977 ausübte.

aa) Die gesetzliche Zuweisung der Privatwaldbetreuung als Pflichtaufgabe der Klägerin reicht nicht zur Begründung nichtsteuerbarer Umsätze in Ausübung öffentlicher Gewalt aus, weil es sich nicht um die Zuweisung hoheitlicher Tätigkeit handelt.

Nach der Rechtsprechung des Senats sind zwar einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft regelmäßig die Aufgaben eigentümlich und vorbehalten, die ihr durch Gesetz ausdrücklich zugewiesen sind. Dabei hat der Senat aber nicht das Bestehen einer Zuweisungsnorm allein als ausreichend angesehen, wie sich schon aus der Verknüpfung der Auslegungskriterien "eigentümlich und vorbehalten" ergibt. Der BFH hat "unter Anlegung eines strengen Maßstabs" jeweils geprüft, ob und welche konkreten Aufgaben der Körperschaft öffentlichen Rechts zugewiesen wurden und ob die Körperschaft öffentlichen Rechts eine ihr gesetzlich übertragene allgemeine Funktion nach dem Charakter der einzelnen Tätigkeiten (Umsätze) durch hoheitliche oder privatwirtschaftliche Mittel verwirklicht (vgl. BFHE 87, 228, BStBl III 1967, 10; BFHE 73, 84, BStBl III 1961, 298, und Urteil des BFH vom 18. Februar 1970 I R 157/67, BFHE 99, 42, BStBl II 1970, 519).

Die Zuweisung der Betreuung des Privatwalds als Pflichtaufgabe der Klägerin durch § 9 des Landeswaldgesetzes Niedersachsen beruht auf preußischem Vorbild aus dem 19. Jahrhundert. In Süddeutschland übt hingegen die Staatsforstverwaltung die forstliche Betreuung des Privatwalds aus (vgl. Kurt Mantel, Forstliche Rechtslehre, 2. Aufl., 1984, S. 14 f.). Forstliche Betreuung unterscheidet sich von den Aufgaben der Forstaufsicht. Sie wird als wichtige Maßnahme zur Förderung der nicht staatlichen Waldbesitzer angesehen und umfaßt die Beratung der Waldbesitzer und die überwiegend in deren betrieblichem Interesse liegenden forstbetrieblichen Maßnahmen. Es handelt sich nach Mantel (a.a.O., S. 41) um eine "Verwaltungs- oder Wohlfahrtspflege". Forstaufsicht kann hingegen mit staatlicher Zwangsgewalt vorgehen (z.B. zur Durchsetzung von Aufforstungen) oder sich fördernd auswirken, wie z.B. durch Genehmigung von Wirtschaftsplänen und durch laufende Betriebsaufsicht.

Die Betreuung des Privatwalds ist somit zwar eine öffentlich-rechtliche Aufgabe (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 11. Juli 1963 III ZR 227/61, Monatsschrift für Deutschen Recht - MDR - 1963, 990). Sie wurde durch die Organisationsvorschrift des § 9 des Landeswaldgesetzes Niedersachsen aus dem privatrechtlichen Wirkungskreis der öffentlichen Hand, zu dem sie grundsätzlich gehören würde, deren öffentlich-rechtlichem Bereich zugeordnet (vgl. auch BGH-Urteil vom 11. Juli 1963 III ZR 61/62, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1963, 1782). Wie bereits der BGH zur Vermittlung von Forstpflanzen ausgeführt hat (MDR 1963, 990), handelte die Klägerin insoweit bei Erfüllung ihrer Aufgaben aber nicht mit Mitteln des öffentlichen Rechts, sondern in den Formen des Privatrechts.

Diese Abgrenzung deckt sich im Ergebnis mit der umsatzsteuerrechtlichen Beurteilung der Betätigung der Klägerin gemäß § 2 Abs. 3 UStG 1973 nach dem Inhalt der Leistung. Die durch die Revision des FA zur Beurteilung gestellten Umsätze (Begutachtung, Pflanzenvermittlung, Holzaufmaß usw.) betreffen Leistungen, wie sie auch private Unternehmer mit entsprechenden Kenntnissen anhand der ggf. von der Klägerin aufgestellten oder sich aus besonderen Normen ergebenden Rahmenbedingungen erbringen könnten und die ein Waldbesitzer von diesen, wären sie vorhanden, verlangen könnte. Daß mit den genannten Leistungen der Klägerin, die im wesentlichen aus betrieblichem Interesse der Waldbesitzer erfolgen, zugleich Allgemeininteressen der Waldbewirtschaftung erfüllt werden, bewirkt nicht, daß die der Art nach unternehmerische Tätigkeit zu einer hoheitlichen Tätigkeit würde.

bb) In bezug auf die Umsätze der Forstabteilung der Klägerin (soweit von der Revision des FA betroffen) hat das FG insbesondere die Wettbewerbssituation rechtlich unzutreffend gewertet. Daß der Wettbewerbsvorbehalt im Sinn der eingangs dargestellten Abgrenzungsregeln der Rechtsprechung nicht auf tatsächlich vorhandenen Wettbewerb begrenzt sein kann, ergibt sich schon aus der Vorschrift des § 4 Abs. 5 Satz 2 KStG 1977, auf die sich § 2 Abs. 3 UStG 1973 bezieht: Danach reichen Zwangs- oder Monopolrechte (also der Ausschluß von Wettbewerb) für die Annahme eines Hoheitsbetriebs nicht aus. Eine andere Beurteilung ließe die gesetzlich nicht gewollte Ungleichbehandlung durch bloße Organisationsregelung zu (vgl. Prugger, Umsatzsteuer-Rundschau - UR - 1983, 147) und würde im wesentlichen zu Zufallsergebnissen führen. Soweit der BFH vereinzelt auf tatsächlichen Wettbewerb abgestellt hat (z.B. Urteil vom 13. April 1961 V 120/59 U, BFHE 73, 84, BStBl III 1961, 298), beruht dies auf dem jeweils festgestellten Sachverhalt (vgl. demgegenüber BFHE 87, 228, BStBl II 1967, 100). Übereinstimmend mit dieser Abgrenzung definiert auch der BGH im Rahmen der (vergleichbaren) Erfassung sog. wirtschaftlicher Unternehmen öffentlich-rechtlicher Körperschaften als Gewerbebetriebe i. S. des § 196 Abs. 1 Nr. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) letztere ausdrücklich als "solche Einrichtungen und Anlagen, die auch von einem Privatunternehmen mit der Absicht der Erzielung dauernder Einnahmen betrieben werden können und gelegentlich auch betrieben werden" (Urteil vom 2. Juli 1985 X ZR 77/84, NJW 1985, 3063, mit Nachweisen).

2. Die Revision der Klägerin ist unbegründet.

Wie bereits unter 1. dargelegt, kann entgegen der Auffassung der Klägerin eine gesetzliche Aufgabenzuweisung und das tatsächliche Fehlen von Wettbewerb bezüglich bestimmter Leistungen diese nicht zur "Ausübung öffentlicher Gewalt" machen. Das FG hat bezüglich der hier streitigen Leistungen der Klägerin (überwiegend Untersuchungs- und Beratungsleistungen sowie die Übernahme der Bauleitung bei landbautechnischen Maßnahmen z.B. von Wasser- und Bodenverbänden) die oben dargestellten Rechtsprechungsgrundsätze zur Erfassung unternehmerischer Betätigung der öffentlichen Hand zutreffend angewendet. Soweit das FG davon ausging, daß die einzelnen selbständigen Einrichtungen der Klägerin sich innerhalb ihrer Gesamtbetätigung wirtschaftlich heraushöben (§ 4 Abs. 1 KStG 1977), ergeben sich revisionsrechtlich keine Angriffspunkte.