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BFH-Urteil vom 14.6.1988 (VIII R 252/82) BStBl. 1988 II S. 992

Zinsen für einen Kredit, den ein Mitnacherbe aufwendet, um damit das Entgelt für den Erwerb des Anwartschaftsrechts eines anderen Mitnacherben auf die Nacherbschaft zu finanzieren, sind vor Eintritt des Nacherbfalls in der Regel nicht als vorweggenommene Betriebsausgaben oder Werbungskosten abziehbar.

EStG § 4 Abs. 4, § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

Der 1951 verstorbene Vater (V) der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) gründete als Versicherungsmakler die W-KG und die W-GmbH (GmbH). Er setzte testamentarisch seine Ehefrau (M) als Alleinerbin (Vorerbin) ein und wendete der Klägerin und ihren beiden Geschwistern Vermächtnisse zu. Zugleich bestimmte er, daß nach dem Tode der M sein einziger Sohn S, der Bruder der Klägerin, das väterliche Geschäft allein übernehmen und fortführen solle. M errichtete 1973 ein Testament, in dem sie dem Sohn S nur den Pflichtteil zuwendete.

Durch notariell beurkundeten Vertrag vom 4. Mai 1977 übertrug der Bruder der Klägerin sein Nacherbenrecht nach V und seinen künftigen gesetzlichen Erb- oder Pflichtteilsanspruch am Nachlaß der M je zur Hälfte auf die Klägerin und ihre Schwester. Als Gegenleistung verpflichteten sich die Klägerin und ihre Schwester gesamtschuldnerisch, an den Bruder 350.000 DM zu zahlen. Zur Finanzierung dieses Betrages nahmen die Klägerin und ihre Schwester ein Bankdarlehen über 350.000 DM auf, für welches sie im Streitjahr 1977 Zinsen in Höhe von 14.226,61 DM entrichteten.

Die Klägerin machte den auf sie entfallenden Zinsanteil von 7.113 DM in ihrer Einkommensteuererklärung 1977 als Sonderausgaben geltend.

Bei der Veranlagung der Klägerin zur Einkommensteuer 1977 lehnte es der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) ab, die Zinsen steuermindernd zu berücksichtigen.

Nach erfolglosem Einspruch erhob die Klägerin Klage, mit der sie nunmehr begehrte, die streitigen Schuldzinsen als vorweggenommene Betriebsausgaben bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb und als vorweggenommene Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen zu behandeln. Die Klage hatte zum überwiegenden Teil Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) vertrat die Ansicht, die von der Klägerin im Streitjahr entrichteten Zinsen seien vorweggenommene Betriebsausgaben, soweit die durch das Darlehen finanzierte Abfindungszahlung dem Erwerb der Beteiligung an der KG, und vorweggenommene Werbungskosten, soweit die Zahlung dem Erwerb des Anteils an der GmbH gedient habe. Steuerrechtlich handele es sich bei dem Vorgang um ein entgeltliches Veräußerungsgeschäft: Die Klägerin habe die Abfindung an den Bruder insoweit für den zukünftigen Erwerb von Einkunftsquellen geleistet.

Die Schuldzinsen seien jedoch nicht in der begehrten Höhe von 7.113 DM abziehbar, sondern nur in Höhe des Teilbetrages, der auf den Erwerb der Beteiligungen entfalle. Der Abfindungsbetrag von 350.000 DM sei in Höhe von 273.860 DM (= 78,2 v.H.) für den Erwerb der Beteiligungen an der KG und der GmbH gezahlt worden. Das entspreche einem anteiligen Zinsbetrag bei der Klägerin von 5.563 DM. Das FG hat unter Berücksichtigung dieses Betrages die Einkommensteuer 1977 auf 5.235 DM herabgesetzt. Es hat die Revision zugelassen.

Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung der §§ 4, 9, 12 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Das angefochtene Urteil stehe im Widerspruch zur neueren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), nach der im Erbfall ein unentgeltlicher auf außerbetrieblichem Gebiet liegender Vorgang zu sehen sei. Der Erbe setze nach dieser Rechtsprechung die Person des Erblassers fort, so daß einkommensteuerrechtlich relevante Vorgänge (z.B. Aufgabe eines Betriebes durch den Erblasser und Wiedereröffnung durch den Erben) nicht gegeben seien (BFH-Urteil vom 29. Mai 1969 IV R 238/66, BFHE 96, 182, BStBl II 1969, 614).

Von diesen Grundsätzen sei auch bei einer Erbauseinandersetzung auszugehen. Bei der Erbteilung komme es nicht zu entgeltlichen Geschäften der Miterben untereinander. Die Verteilung des Nachlasses unter die einzelnen Miterben stelle den Abschluß der Erbauseinandersetzung dar. Dabei sei es gleichgültig, ob der weichende Miterbe in bar abgefunden werde oder ob die Abfindung aus der Erbmasse oder aus anderen Vermögenswerten geleistet werde (BFH-Urteil vom 7. Oktober 1980 VIII R 111/78, BFHE 132, 32, BStBl II 1981, 157). Entsprechendes müsse für eine vorweggenommene Erbauseinandersetzung gelten. Die geleisteten Schuldzinsen seien deshalb im Streitfall weder als vorweggenommene Betriebsausgaben noch als vorweggenommene Werbungskosten abziehbar.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Der Bundesminister der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten (§ 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Er führt aus, nach der bisherigen Rechtsprechung des BFH zur Erbauseinandersetzung könnten die streitigen Schuldzinsen weder als Betriebsausgaben noch als Werbungskosten abgezogen werden. Die Kreditaufnahme liege danach ebenso wie der Erwerbsvorgang selbst außerhalb des Bereichs der Einkünfteerzielung. Der abweichenden Ansicht des IV. Senats in seinem Urteil vom 19. Mai 1983 IV R 138/79 (BFHE 138, 248, BStBl II 1983, 380) könne nicht zugestimmt werden.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO). Die von der Klägerin gezahlten Kreditzinsen können im Streitjahr nicht als vorweggenommene Betriebsausgaben oder als vorweggenommene Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen berücksichtigt werden.

1. Nach § 4 Abs. 4 EStG sind Betriebsausgaben Aufwendungen, die durch den Betrieb veranlaßt sind. Auch für den Begriff der Werbungskosten (§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG) wird ein entsprechender Veranlassungszusammenhang zu der Erzielung steuerpflichtiger Einnahmen gefordert (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 21. Juli 1981 VIII R 154/76, BFHE 134, 113, BStBl II 1982, 37). Schuldzinsen sind jedenfalls dann durch einen Betrieb oder durch die Überlassung von Kapital zur Nutzung veranlaßt, wenn der sie auslösende Kredit zur Finanzierung von Anschaffungskosten für Wirtschaftsgüter verwendet wurde, die zur Erzielung steuerpflichtiger Einkünfte aus Gewerbebetrieb oder aus Kapitalvermögen genutzt werden sollen (BFH-Urteile vom 21. Juli 1981 VIII R 154/76, BFHE 134, 113, BStBl II 1982, 37; vom 23. April 1985 IX R 39/81, BFHE 144, 362, BStBl II 1985, 720 - betreffend Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung -, und vom 19. Mai 1983 IV R 138/79, BFHE 138, 248, BStBl II 1983, 380 - betreffend Einkünfte aus Gewerbebetrieb -). Der BFH hat deshalb Zinsen für ein Darlehen, das ein Steuerpflichtiger zur Finanzierung des Erwerbs der Beteiligung an einer Personengesellschaft aufgenommen hat, als Sonderbetriebsausgaben angesehen, die in die Ermittlung des Gewinns der Personengesellschaft einzubeziehen sind (BFH-Urteile vom 30. Juni 1966 VI 273/65, BFHE 86, 576, BStBl III 1966, 582, und vom 9. April 1981 IV R 178/80, BFHE 133, 293, BStBl II 1981, 621).

Der BFH hat darüber hinaus Zinsen für einen Kredit, den ein Miterbe im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Kommanditanteils im Wege der Erbauseinandersetzung zur Finanzierung der Ausgleichszahlungen an die weichenden Miterben aufgenommen hat, als Sonderbetriebsausgaben beurteilt (BFHE 138, 248, BStBl II 1983, 380). Er hat dabei dem Gesichtspunkt entscheidende Bedeutung beigemessen, daß die Schuldzinsen bei finaler Betrachtung in unmittelbarem wirtschaftlichem Zusammenhang mit künftigen gewerblichen Einkünften stehen, also durch das Erzielen gewerblicher Einkünfte veranlaßt sind. Demgegenüber müsse der Gesichtspunkt zurücktreten, daß der Erwerb im Rahmen der Erbauseinandersetzung über ein zum Nachlaß gehöriges gewerbliches Unternehmen oder den Anteil an einer Personengesellschaft nach der bisherigen Rechtsprechung des BFH (vgl. z.B. Urteil vom 7. Februar 1980 IV R 178/76, BFHE 130, 42, BStBl II 1980, 383) als unentgeltlicher Erwerb anzusehen sei, der beim übernehmenden Miterben nicht zu Anschaffungskosten führe.

2. Diese Grundsätze, insbesondere die des Urteils in BFHE 138, 248, BStBl II 1983, 380, sind auf den Streitfall nicht übertragbar. Die Klägerin hat aufgrund des Vertrages vom 4. Mai 1977 noch keine Anteile an der KG und der GmbH erworben. Gegenstand des Vertrages vom 4. Mai 1977 war nicht die Veräußerung von Gesellschaftsanteilen, sondern die entgeltliche Übertragung der Rechtsstellung des Bruders der Klägerin als Mitnacherbe des V. Eine solche Verfügung des (Mit-)Nacherben über sein künftiges Erbrecht wird im Zivilrecht als wirksam angesehen (vgl. Urteile des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 4. Juli 1962 V ZR 14/61, BGHZ 37, 319, und vom 9. Juni 1983 IX ZR 41/82, BGHZ 87, 367; Staudinger/Behrends, Bürgerliches Gesetzbuch, 12. Aufl., § 2100 Rz. 58). Die Rechtsstellung des Nacherben, die mit der Veräußerung auf den Erwerber übergeht, bildet in ihrer Gesamtheit ein Anwartschaftsrecht (Urteil des Reichsgerichts vom 16. Dezember 1920 IV 62/20, RGZ 101, 185; BGHZ 87, 367). Dieses Anwartschaftsrecht gibt dem Nacherben (oder seinem Rechtsnachfolger) zwar eine Vielzahl von Kontroll- und Sicherungsrechten gegen den Vorerben. Gleichwohl ist für die Dauer der Vorerbschaft allein der Vorerbe Herr des Nachlasses. Er kann über die zur Erbschaft gehörenden Gegenstände verfügen, soweit nicht die Verfügungsbeschränkungen der §§ 2113 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) eingreifen. Der Nacherbe ist während dieses Zeitraums an jeder Verfügung über die einzelnen Nachlaßgegenstände gehindert (Grunsky in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, § 2100 Anm. 17). Auch die Nutzungen aus dem Nachlaß stehen bis zum Eintritt des Nacherbfalls allein dem Vorerben zu (Staudinger/Behrends, a.a.O., § 2111 Rz. 33, 39).

Die Klägerin konnte somit aus dem Anwartschaftsrecht, das sie durch den Vertrag vom 4. Mai 1977 erworben hatte, keine steuerpflichtigen Einkünfte erzielen. Die Anteile am Gewinn oder Verlust der KG und der GmbH standen weiterhin der M zu. Nur diese verwirklichte im Streitjahr den Tatbestand der Erzielung gewerblicher Einkünfte i.S. des § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG.

3. Ein Veranlassungszusammenhang der streitigen Schuldzinsen mit künftigen Einkünften aus Gewerbebetrieb ist allerdings nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil die Klägerin im Streitjahr nicht Mitunternehmerin geworden ist und keine Anteile am Gewinn der KG und der GmbH bezogen hat. Schuldzinsen können auch dann Betriebsausgaben oder Werbungskosten sein, wenn noch keine mit dem Aufwand zusammenhängenden Einnahmen erzielt werden. Voraussetzung für die Anerkennung solcher vorab entstandenen Betriebsausgaben (Werbungskosten) ist jedoch, daß ein klar erkennbarer wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen den Aufwendungen und einer bestimmten Einkunftsart besteht (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteile vom 3. November 1961 VI 196/60 U, BFHE 74, 319, BStBl III 1962, 123, und vom 29. November 1983 VIII R 160/82, BFHE 140, 216, BStBl II 1984, 307, m.w.N.; Birkholz in Lademann/Söffing/Brockhoff, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, §§ 4, 5 Anm. 133). Daran fehlt es im Streitfall. Schuldzinsen und andere Kreditkosten, die ein Steuerpflichtiger aufwendet, um das Anwartschaftsrecht eines (Mit-)Nacherben auf die Nacherbschaft zu erwerben, können in der Regel vor Eintritt des Nacherbfalls nicht mit einer bestimmten Einkunftsart in Verbindung gebracht werden. Denn das Anwartschaftsrecht des Nacherben ist (soweit es sich nicht um Grundstücke oder Grundstücksrechte i.S. des § 2113 BGB handelt) nicht gegenständlich konkretisiert. Bis zum Eintritt des Nacherbfalls hat der Nacherbe grundsätzlich keinen Einfluß auf die Zusammensetzung des Nachlasses und damit auf die Art der Einkünfte, die aus der Nutzung des Nachlaßvermögens erzielt werden. Dem Vorerben steht auch dann eine weitgehende Verfügungsmacht über die Nachlaßgegenstände zu, wenn er nicht von den Beschränkungen der §§ 2113 bis 2115 BGB befreit ist. Der Vorerbe kann z.B. im Rahmen seiner Befugnis zur Verwaltung des Nachlasses beschließen, ein zum Nachlaß gehöriges Handelsgeschäft zu liquidieren (Staudinger/Behrends, a.a.O., § 2112 Rz. 22) oder im Nachlaß befindliche Anteile an einer Kapitalgesellschaft oder Personenhandelsgesellschaft zu veräußern. Das gilt auch dann, wenn der Wert eines Gesellschaftsanteils wesentlich durch ein Nachlaßgrundstück bestimmt ist (BGH-Beschluß vom 10. März 1976 V ZB 7/72, Neue Juristische Wochenschrift 1976, 893; Staudinger/Behrends, a.a.O., § 2113 Rz. 2, 13; Palandt/Edenhofer, Bürgerliches Gesetzbuch, 47. Aufl., § 2113 Anm. 1 a; Karsten Schmidt, Nacherbenschutz bei Vorerbschaft an Gesamthandsanteilen, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 1976, 683). In diesen Fällen gehört zwar der Veräußerungs- oder Liquidationserlös zum Nachlaß (§ 2111 BGB). Der Nacherbe hat es jedoch für die Dauer der Vorerbschaft nicht in der Hand, eine Umschichtung des Nachlasses zu verhindern. Eine Ausnahme gilt allenfalls bei nicht befreiter Vorerbschaft für Grundstücke und Grundstücksrechte (vgl. § 2113 Abs. 1 BGB).

Da die streitigen Schuldzinsen nicht in einem hinreichend bestimmten Zusammenhang mit künftigen Einkünften der Klägerin aus Gewerbebetrieb oder Kapitalvermögen stehen, können sie schon deshalb nicht als vorweggenommene Betriebsausgaben oder Werbungskosten anerkannt werden.

Im Streitfall kommt hinzu, daß die Nacherbfolge erst mit dem Tod der Vorerbin eintreten soll. In einem solchen Fall ist regelmäßig nicht abzusehen, wann es zur Erzielung von Einkünften durch den Nacherben kommen wird. Der zeitliche Zusammenhang ist zwar kein zusätzliches Tatbestandsmerkmal für den Abzug von Betriebsausgaben oder Werbungskosten. Er ist jedoch bei der Prüfung, ob ein wirtschaftlicher Zusammenhang von Aufwendungen mit künftigen Einnahmen besteht, zu beachten (Urteil des Senats vom 8. Februar 1983 VIII R 130/79, BFHE 138, 195, BStBl II 1983, 554). Der erkennende Senat hat es deshalb abgelehnt, Aufwendungen eines Grundstückseigentümers als vorweggenommene Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu berücksichtigen, wenn an dem Grundstück ein lebenslängliches Nutzungsrecht zugunsten eines Dritten bestellt war (vgl. Urteile vom 7. Dezember 1982 VIII R 166/80, BFHE 139, 23, BStBl II 1983, 660; vom 8. Dezember 1982 VIII R 93/79, nicht veröffentlicht; vom 30. Juli 1985 VIII R 71/81, BFHE 144, 376, 384, BStBl II 1986, 327; vgl. dazu auch Döllerer in Steuerberater-Jahrbuch 1984/85, 55 ff., 67). An diesen Grundsätzen hält der Senat fest.