| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

 

BFH-Urteil vom 27.7.1988 (X R 40/82) BStBl. 1988 II S. 1017

Werden Gebrauchtwagen unter Verwendung der den Erlassen des BMF vom 19. März 1968 IV A/2 - S 7.110 - 4/67 (USt-Kart. § 3 S 7.110 Karte 1), und vom 12. Dezember 1969 IV A/2 - S 7.110 - 8/69 (USt-Kart. § 3 S 7.110 Karte 3) als Anlage beigefügten Musterverträge ("Auftrag zur Vermittlung eines Kraftfahrzeug-Verkaufs", "Kaufvertrag für Agenturen") verkauft, so liegt - vom Fall der Inzahlungnahme abgesehen - kein Eigengeschäft des Vermittlers vor, wenn dieser dem Gebrauchtwagenverkäufer die Höhe des über den vereinbarten Mindestverkaufspreis hinaus erzielten Erlöses nicht mitteilt (Anschluß an Urteil des Senats vom 29. September 1987 X R 13/81, BFHE 151, 469, BStBl II 1988, 153).

UStG 1973 § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1, § 3 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Satz 4.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg (EFG 1983, 44)

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) handelt mit Gebrauchtwagen. Er tätigte unter Verwendung der vom Zentralverband des deutschen Kraftfahrzeughandels e. V. aufgelegten Formularverträge (Kaufvertrag für Agenturen, Vermittlungsauftrag für Kraftfahrzeug-Verkauf) sog. Agenturgeschäfte. Die Verkäufer der Gebrauchtwagen erhielten einen Mindestverkaufspreis. Ein Mehrerlös - die Differenz zum tatsächlich erzielten Verkaufspreis - stand dem Kläger als Provision zu. Der Kläger unterrichtete seine Auftraggeber über den Verkauf, nicht jedoch darüber, welchen Verkaufspreis er selbst erzielt hatte. Die formularmäßige Agenturabrechnung, die nach dem Verkauf zumeist erstellt wurde, händigte er den Auftraggebern nicht aus. Mit der Zahlung des im Vermittlungsauftrag festgelegten Mindestkaufpreises war das Agenturgeschäft abgeschlossen.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) vertrat die Auffassung, der Kläger habe nicht "für fremde Rechnung" gehandelt, da hierfür die Offenlegung des tatsächlich erzielten Verkaufserlöses unabdingbar sei (Bezugnahme auf die Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 24. August 1961 V 98/59 U, BFHE 73, 620, BStBl III 1961, 492; vom 30. November 1967 V 131/64, BFHE 91, 320, BStBl II 1968, 330; vom 11. November 1965 V 127/62, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1966, 93). Er unterwarf die Verkäufe als Eigengeschäfte nach dem vereinnahmten Nettoentgelt als Bemessungsgrundlage der Umsatzsteuer.

Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben. Sein Urteil ist veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1983, 44.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts. Es trägt vor:

Das angefochtene Urteil stehe im Widerspruch zu der bisherigen Verwaltungspraxis sowie zu dem Urteil in BFHE 73, 620, BStBl III 1961, 492. In diesem Urteil habe der BFH zu Recht ausgeführt, daß der Unterschiedsbetrag zwischen dem erzielten Verkaufspreis und dem Mindestverkaufspreis seinem Wesen nach keine Provision, sondern Rohgewinn sei. Es widerspreche dem Wesen einer Provision, daß sie in ihrer Höhe nicht vereinbart, sondern einseitig vom Provisionsempfänger festgesetzt werde. Unter diesem Aspekt müsse wenigstens verlangt werden, daß der Auftraggeber die Höhe der von ihm gewährten Provision kenne oder nach Abschluß des Kaufvertrages vom Beauftragten erfahre. Nur im Falle der hiernach gebotenen Rechnungslegung könne leicht nachgeprüft werden, ob die tatsächliche Abwicklung des Geschäfts die Annahme einer umsatzsteuerrechtlichen Agentur rechtfertige. Ein Verzicht auf das Erfordernis der Rechnungslegung würde den Sinn und Zweck der Musterverträge derart aushöhlen, daß letztere als umsatzsteuerlicher Nachweis für Agenturverträge nicht mehr verwendbar wären. Gerade bei Überlassung des vollen Mehrerlöses als Provision komme es in besonderem Maße darauf an, ob sich der Kfz-Händler im tatsächlichen Vollzug der Geschäfte wie ein Vermittler verhalte und die Interessen seines Auftraggebers wahrnehme; je offener der Kfz-Händler über die abgeschlossenen Geschäfte Rechnung lege, desto weniger würden am Handeln auf fremde Rechnung Zweifel erhoben werden können. In derartigen Fällen werde auch zivilrechtlich eine Offenlegung des erzielten Veräußerungspreises gegenüber dem Auftraggeber gefordert (Bezugnahme auf Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 25. Juni 1969 IV ZR 793/68, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1969, 1628). Nur durch die Offenlegung der erzielten Provision könne eine "deutliche Abgrenzung zum Eigengeschäft dargetan werden".

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

Das FG hat zu Recht angenommen, daß die fehlende Offenlegung der Abrechnung allein die Agenteneigenschaft des Klägers nicht berührt. Es ist jedoch nicht auszuschließen, daß die Vereinbarung von Mindestverkaufspreisen einem Agenturgeschäft entgegensteht.

1. Der Umsatzsteuer unterliegen die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes - UStG - 1973). Für die Besteuerung eines Unternehmers (§ 2 Abs. 1 UStG 1973) ist demnach maßgebend, ob und welche Lieferungen oder sonstige Leistungen er erbringt. Im Streitfall ist (daher) entscheidungserheblich, ob der Kläger die Lieferungen der Gebrauchtwagen an die Abnehmer erbracht hat (Eigengeschäft), oder ob die Gebrauchtwagenverkäufer die Fahrzeuge an die Abnehmer geliefert haben und der Kläger diese Lieferungen lediglich vermittelt hat (Agenturgeschäft).

2. Hinsichtlich der für die Unterscheidung zwischen Eigen- und Agenturgeschäft maßgebenden umsatzsteuerrechtlichen Grundsätze verweist der Senat auf sein Urteil vom 29. September 1987 X R 13/81 (BFHE 151, 469, BStBl II 1988, 153, dort unter 2., 3. und 5.). An diesen Grundsätzen hält der Senat fest.

3. Das FA trägt vor, der Kläger habe nicht auf fremde Rechnung gehandelt, weil er seinen Auftraggebern nicht die Höhe des gesamten Verkaufserlöses (einschließlich seiner erfolgsabhängigen Provision) mitgeteilt und insofern das Auftragsverhältnis nicht ordnungsgemäß abgerechnet habe. Es hebt damit darauf ab, daß der BFH die Vermittlungstätigkeit des Gebrauchtwagenhändlers dann als Agenturgeschäft beurteilt hat, wenn dieser den Vertrag im Namen und "für Rechnung" des Gebrauchtwagenverkäufers geschlossen hat (vgl. Urteile in BFHE 73, 620, 622, BStBl III 1961, 492; in HFR 1966, 93). Diese Urteile haben es für das Handeln "auf fremde Rechnung" als wesentlich angesehen, daß der Steuerpflichtige die Verpflichtung zur Veräußerung des Gebrauchtwagens als Agent seinen Kunden gegenüber durch Angaben insbesondere über den tatsächlich erzielten Verkaufspreis ordnungsgemäß (§ 675 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB - i.V. m. § 666 BGB) abrechnet (vgl. Urteil in BFHE 91, 320, 322, BStBl II 1968, 330). Soweit indes bisher zur Frage der Kennzeichnung des Vermittlers durch die Tatbestandsmerkmale "in fremdem Namen und für fremde Rechnung" auf § 5 Abs. 3 UStG 1951 (jetzt gleichlautend: § 10 Abs. 1 Satz 4 UStG 1967/1973/1980) Bezug genommen wurde (z.B. Urteile in BFHE 73, 620, 622, BStBl III 1961, 492; HFR 1966, 93), ist dem nicht mehr zu folgen (Urteil des Senats in BFHE 151, 469, BStBl II 1988, 153, dort unter 4.).

4. Das FG hat bislang nicht festgestellt, daß der Kläger die Fahrzeuge - etwa anläßlich des Verkaufs insbesondere neuerer Gebrauchtwagen - in Zahlung genommen hätte. Eine Inzahlungnahme gegen sofortige und endgültige Anrechnung eines vereinbarten Mindestverkaufspreises würde zu einem Eigengeschäft führen (vgl. BFH-Urteile vom 20. Februar 1986 V R 133/75, BFH/NV 1986, 311; vom 25. Juni 1987 V R 78/79, BFHE 150, 205, BStBl II 1987, 657; in BFHE 151, 469, BStBl II 1988, 153, unter 5.).

Anders dagegen ist die Rechtslage im Fall der "reinen" Agentur. Eine solche liegt dann vor, wenn die getroffenen Vereinbarungen nicht dahin ausgelegt werden können, daß der "Vermittler" auf eine einseitige Beendigung des Auftragsverhältnisses - es sei denn aus wichtigem Grunde - verzichtet und damit das Kaufpreisrisiko übernommen hat (vgl. BGH-Urteil vom 24. November 1980 VIII ZR 339/79, Lindenmaier/Möhring [LM], Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, Nr. 56 zu § 433 BGB, betreffend die Vermittlung von Jahreswagen in Abgrenzung u.a. zum BGH-Urteil vom 5. April 1978 VIII ZR 83/77, NJW 1978, 1.482). Für eine solche "reine" Agentur könnte der Wortlaut des Abschnitts V des vom Kläger verwendeten Formularvertrages sprechen, der die Kündigung des auf die Dauer von sechs Monaten befristeten Auftragsverhältnisses mit einer Frist von einer Woche, frühestens jedoch nach einem Monat zuläßt. Wird diese Vertragsklausel ernsthaft vereinbart und wie vereinbart durchgeführt, können umsatzsteuerrechtlich die Leistungsbeziehungen grundsätzlich nicht als Lieferungen des Gebrauchtwagenverkäufers an den Vermittler einerseits und des Vermittlers an den Abnehmer andererseits gewertet werden.

Indes kann nach Ansicht des Senats auch bei einem als "reine" Agentur formulierten Vermittlungsauftrag der Tatbestand des Eigengeschäfts erfüllt sein. Dies insbesondere dann, wenn aufgrund einer Gesamtwürdigung des Verkaufsgeschäfts unter Berücksichtigung der für die bürgerlich-rechtliche Einordnung maßgebenden Interessenlage und der tatsächlichen Vertragsdurchführung auf einen die Kündigung - es sei denn aus wichtigem Grunde - ausschließenden Bindungswillen der Vertragsparteien geschlossen werden kann. Hierbei ist - neben weiteren Beweisanzeichen - von Bedeutung, ob z.B. der sog. Mindestpreis oder zumindest ein nennenswerter Teilbetrag bereits bei Erteilen des Agenturauftrags an den Gebrauchtwagenverkäufer gezahlt wird, ohne daß der Kfz-Händler einen etwaigen Rückzahlungsanspruch absichert. Diese Auszahlung indiziert die sofortige Übereignung des Fahrzeugs, da einerseits der Händler nach den verwendeten Vertragsformularen zu einer Vorleistung nicht verpflichtet ist, er aber andererseits, wenn er bereits bei Abschluß des "Agenturvertrages" den "Mindestverkaufspreis" zahlt, typischerweise Zug um Zug (§ 320 BGB) das Eigentum am Kraftfahrzeug erhalten möchte. Allerdings können weder die Übernahme einer gegenständlich und zeitlich begrenzten Garantie gegenüber dem Gebrauchtwagenverkäufer (Urteil des Senats in BFHE 151, 469, BStBl II 1988, 153) noch die fehlende Agenturabrechnung - jeweils für sich genommen - dazu führen, daß die umsatzsteuerrechtlichen Leistungsbeziehungen abweichend vom bürgerlich-rechtlichen Zuordnungsprinzip des § 164 Abs. 1 BGB zu beurteilen sind.

5. Soweit nach den dargestellten Rechtsgrundsätzen steuerbare Eigengeschäfte des Kfz-Händlers anzunehmen sind, ist diese Rechtsfolge verfassungsgemäß.

Entgegen der von Prof. Dr. F in seinem Gutachten vertretenen Auffassung verstößt die Kumulation der Belastung mit Umsatzsteuer, die bei jeder Weiterveräußerung eines Fahrzeugs über den Eigengeschäfte tätigenden Gebrauchtwagenhändler anwächst, weder gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -) noch gegen das Sozialstaatsprinzip. Der rechtspolitisch erwägenswerte Gedanke einer sog. Restmehrwertsteuer ist nicht Gegenstand eines Verfassungsgebots. Die Nichtsteuerbarkeit von Gebrauchtwagenverkäufen durch Nichtunternehmer ist systemkonform. Die Besonderheit des Vertriebs durch einen umsatzsteuerrechtlichen Unternehmer mittels Eigengeschäften rechtfertigt die Erhebung der Umsatzsteuer bei jedem in dieser Weise verwirklichten Verkehrsvorgang (vgl. BFH-Urteil vom 26. April 1979 V R 46/72, BFHE 128, 110, BStBl II 1979, 530). Eine im Sinne der Verfassungsrechtsprechung zu Art. 3 Abs. 1 GG willkürliche Benachteiligung des Gebrauchtwagenhandels durch den deutschen Gesetzgeber kann für die Streitjahre 1976 und 1977 schon deswegen nicht angenommen werden, weil jedenfalls für diesen Zeitraum aus Art. 32 der 6. Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern vom 17. Mai 1977 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 145/1) das Verbot einer der geplanten 7: EG-Richtlinie vorgreifenden nationalen Regelung betreffend den Handel mit Gebrauchtgegenständen folgte.

Auch Art. 12 Abs. 1 GG ist mangels objektiv berufsregelnder Tendenz der hier einschlägigen umsatzsteuerrechtlichen Normen nicht verletzt (vgl. hierzu Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Oktober 1961 1 BvR 833/59, BVerfGE 13, 181, 185 f. - Schankerlaubnissteuer -; vom 11. April 1975 1 BvR 270/74, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Einkommensteuergesetz, § 34 Abs. 4 - ab 1955 -, Rechtsspruch 51; vom 18. Januar 1979 1 BvR 531/77, Umsatzsteuer-Rundschau 1979, 63; vom 2. Oktober 1984 1 BvR 419/82, HFR 1984, 587).

6. Die tatsächlichen Feststellungen des FG reichen für eine Entscheidung am Maßstab der vorstehenden Rechtsgrundsätze nicht aus. Das FG wird bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung die gebotene Gesamtwürdigung nachzuholen haben.