| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

 

BFH-Beschluß vom 23.2.1989 (V S 3/88) BStBl. 1989 II S. 424

Der BFH ist Gericht der Hauptsache i.S. des § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO, sobald das FG beschlossen hat, einer Nichtzulassungsbeschwerde nicht abzuhelfen.

FGO § 69 Abs. 3 Satz 1.

Sachverhalt

Der Kläger legte gegen das klagabweisende Urteil des Finanzgerichts (FG) Nichtzulassungsbeschwerde ein. Durch Beschluß vom heutigen Tage hat der Senat die Revision zugelassen.

Mit Schreiben vom 25. März 1988 teilte das FA dem Kläger mit, daß es die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheides 1980 nicht weiter aussetzen werde. Daraufhin stellte der Kläger beim Bundesfinanzhof (BFH) einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung.

Der Kläger beantragt, die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheides für 1980 auszusetzen.

Das FA ist dem Antrag entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist zulässig und begründet.

Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen.

a) Der BFH ist zuständiges Gericht der Hauptsache, da die Nichtzulassungsbeschwerde bei ihm anhängig ist. Als Gericht der Hauptsache ist im Regelfall das Gericht anzusehen, bei dem das Verfahren über die Rechtmäßigkeit desjenigen Verwaltungsakts anhängig ist, um dessen Vollziehungsaussetzung es geht (vgl. BFH-Beschluß vom 27. Juni 1986 V S 6/86, BFH/NV 1987, 778). Der BFH wird daher durch die Einlegung einer Revision Gericht der Hauptsache. Solange eine Revision mangels Zulassung nicht eingelegt werden kann, tritt das Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde an seine Stelle. Denn die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils (§ 115 Abs. 4 FGO). Sie zielt auf die Einlegung der Revision. Der Streit um die Rechtmäßigkeit des Bescheids wird in der Form weitergeführt, daß zunächst im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde um die Zulassung der Revision gestritten wird. Diese Erwägungen rechtfertigen es, das Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde als die Hauptsache anzusehen, solange keine Revision statthaft eingelegt worden ist.

Auch Gründe der Prozeßökonomie sprechen für dieses Ergebnis. Denn der BFH hat sich bereits aus Anlaß der Prüfung der Nichtzulassungsbeschwerde mit der Streitsache zu befassen. Ferner müssen bei der Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung die Erfolgsaussichten der Nichtzulassungsbeschwerde mitberücksichtigt werden, weil beispielsweise eine offensichtlich unzulässige oder unbegründete Nichtzulassungsbeschwerde die Aussetzung der Vollziehung nicht zu rechtfertigen vermag. Der BFH hat wegen der Zuständigkeit für die Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde die größere Sachnähe zur Entscheidung über den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung, während das FG nach Wirksamkeit seiner die Instanz abschließenden Entscheidung und nach Ergehen des Beschlusses, der Nichtzulassungsbeschwerde nicht abzuhelfen, nicht mehr mit der Streitsache befaßt ist. Die Gesichtspunkte der Prozeßökonomie und Sachnähe ergeben das Kriterium für eine sachgerechte Abgrenzung der Zuständigkeiten von FG und BFH. Danach ist Gericht der Hauptsache das Gericht, welches im Falle der Nichtzulassung der Revision und Einlegung einer diesbezüglichen Beschwerde mit der Entscheidung hierüber befaßt ist. Bis zum Beschluß über die Abhilfe oder Nichtabhilfe ist demnach das FG zuständig, danach der BFH.

Dieses Ergebnis entspricht der Rechtsprechung (z.B. BFH-Beschlüsse vom 24. Oktober 1986 VIII S 11/86, BFH/NV 1987, 298; vom 27. Juni 1986 III S 5/86, BFH/NV 1986, 684; vom 23. April 1986 I S 2/86, BFH/NV 1987, 811; vgl. auch BFH-Beschluß vom 30. Mai 1967 VI S 3/67, BFHE 89, 114, BStBl II 1967, 530 für die Rechtslage nach Zulassung der Revision durch den BFH; ferner Bundesverwaltungsgericht - BVerwG -, Beschluß vom 11. Dezember 1953 2 B 18/53, BVerwGE 1, 45/47) sowie den Auffassungen im Schrifttum (Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 69 Rz. 136; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 69 Tz. 10; Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Tz. 4221). An der im Beschluß vom 2. Februar 1988 V S 21/87 (BFH/NV 1989, 29) vertretenen Rechtsmeinung hält der Senat nicht fest.

b) Gemäß § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO kann nur die Vollziehung solcher Verwaltungsakte ausgesetzt werden, die angefochten sind. Diese Tatbestandsvoraussetzung erscheint hinsichtlich des Umsatzsteuerbescheids 1980 vom 6. Juli 1984 als zweifelhaft, weil das gegen den Kläger ergangene klagabweisende Urteil noch nicht mit der Revision angefochten worden ist, so daß zur Zeit der umstrittene Bescheid nicht als angefochten gelten könnte. Es ist jedoch auch hier zu berücksichtigen, daß der Kläger bisher mangels Zulassung keine Revision einlegen konnte und sich auf die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde beschränken mußte. Damit hat er sich infolge § 115 Abs. 4 FGO die Anfechtungsmöglichkeit offengehalten. Es wäre mit Sinn und Zweck des Gesetzes nicht zu vereinbaren, dem Kläger vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz gegenüber finanzbehördlichen Vollstreckungsakten erst dann zu gewähren, wenn er auf Grund der ausgesprochenen Revisionszulassung tatsächlich Revision eingelegt hat.

c) Das besondere Zulässigkeitserfordernis gemäß Art. 3 § 7 Satz 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) braucht nicht vorzuliegen, da das FA zu erkennen gegeben hat, daß es die Vollziehung nicht aussetzen werde (Satz 2 Nr. 1 der Vorschrift).