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BFH-Urteil vom 30.11.1988 (I R 168/84) BStBl. 1989 II S. 514

1. Die Berechtigung eines Prozeßbevollmächtigten zur Klageerhebung ist als Sachurteilsvoraussetzung - unabhängig von der Verpflichtung zur Vorlage einer Vollmacht (§ 62 Abs. 3 FGO) - von Amts wegen zu prüfen.

2. Die Prozeßführung eines vollmachtlosen Vertreters kann bis zum Ergehen eines Prozeßurteils nachträglich genehmigt werden (§ 89 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 155 FGO).

FGO §§ 62 Abs. 3, 155; ZPO § 89 Abs. 2.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

I.

Streitig ist der Nachweis einer Prozeßvollmacht.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), die ihren Sitz im Fürstentum Liechtenstein hat, ist Verpächterin einer Anlage zur Gewinnung und Aufbereitung von Diabas, Schotter und Splitt im Bezirk des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -). Mit Schreiben vom 20. Januar 1978 teilte Rechtsanwalt Dr. A. dem für die Pächterin zuständigen FA X mit, daß er Zustellungsbevollmächtigter der Klägerin sei. Ein entsprechendes Schreiben der Klägerin vom 20. Oktober 1977 fügte er bei. Nach einem Handelsregisterauszug des Fürstentums Liechtenstein war Dr. A. seit dem 30. Mai 1974 Mitglied des Verwaltungsrats der Klägerin mit "Kollektivzeichnungsrecht zu zweien". Am 3. Mai 1984 schied der weitere Verwaltungsrat aus und Dr. A. wurde allein zeichnungsberechtigt.

Das FA setzte die Körperschaftsteuer der Klägerin für die Jahre 1973 bis 1978 durch Körperschaftsteuerbescheide vom 7. Oktober 1980 fest. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob Steuerberater B (Bevollmächtigter) Klage namens der Klägerin, diese vertreten durch Dr. A.

Der Berichterstatter des Finanzgerichts (FG) forderte den Bevollmächtigten mit Schreiben vom 20. März 1981 auf, eine Vollmacht vorzulegen. Da der Bevollmächtigte dieser Aufforderung innerhalb der zunächst gesetzten Frist nicht nachkam, setzte der Berichterstatter dem Bevollmächtigten mit Verfügung vom 13. Mai 1981 eine Frist gemäß Art. 3 § 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) vom 31. März 1978 (BGBl I 1978, 446). Die Verfügung lautete auszugsweise:

"In dem Rechtsstreit ... haben Sie noch keine auf Sie lautende Prozeßvollmacht für das Verfahren vor dem Finanzgericht vorgelegt, obwohl Ihnen hierfür in den gerichtlichen Verfügungen vom 20.3. und 22.4.81 eine Frist bis zum 10.5.81 gesetzt worden war.

Gemäß Art. 3 § 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit vom 31. März 1978 (BGBl I 1978, S. 446) wird Ihnen hiermit für das Einreichen der Vollmacht eine Frist mit ausschließender Wirkung bis zum 1.6.81 gesetzt."

Es folgten Hinweise auf die Rechtsfolgen der Fristüberschreitung.

Innerhalb der gesetzten Frist ging am 22. Mai 1981 eine von Dr. A. ausgestellte und auf den Bevollmächtigten lautende Prozeßvollmacht beim FG ein.

Mit Beschluß vom 3. Januar 1983 trennte das FG das Verfahren für die Streitjahre 1977 und 1978 wegen veränderter Senatszuständigkeit beim FG ab. Am 4. Mai 1984 forderte das FG den Bevollmächtigten auf, eine von einem inländischen Notar beglaubigte Bestellung durch den zuständigen Vertreter der Klägerin vorzulegen, die gegebenenfalls auch die Berechtigung zur Unterbevollmächtigung enthalten solle. Es erscheine zweifelhaft, ob ein bloßer Zustellungsbevollmächtigter eine Prozeßvollmacht für die Vertretung der Klägerin erteilen könne.

In einem weiteren Schreiben vom 24. Mai 1984 teilte das FG dem Bevollmächtigten mit, daß sich die Ausschlußfrist der Verfügung vom 13. Mai 1981 auch auf die Vorlage einer Untervollmacht erstreckt habe. Darauf erwiderte der Bevollmächtigte, daß Dr. A. intern bevollmächtigt gewesen sei, die Klägerin in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) allein zu vertreten. Außerdem sei für einen ständigen Vertreter keine gesetzliche Vertretungsbefugnis erforderlich. Dr. A. habe als ständiger Vertreter alle steuerlichen Pflichten der Klägerin im Inland erfüllt.

Das FG verwarf die Klage im angefochtenen Urteil als unzulässig.

Im abgetrennten Verfahren für die Streitjahre 1977 und 1978 entschied das FG durch Zwischenurteil vom 28. Januar 1986 (IX 18/83 K), daß die Klage zulässig sei. Der Bevollmächtigte der Klägerin habe innerhalb der vom Berichterstatter gesetzten Frist eine auf ihn lautende Vollmacht eingereicht. Art. 3 § 1 VGFGEntlG sehe eine Ausschlußfrist nur für die Einreichung der Prozeßvollmacht, nicht aber für den Nachweis der sachlich-rechtlichen Vertretungsmacht vor.

Die Klägerin rügt mit der gegen das Urteil vom 28. August 1984 eingelegten Revision Verletzung des Art. 3 § 1 VGFGEntlG i.V.m. § 62 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil war aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Die Feststellungen des FG tragen die angefochtene Entscheidung nicht.

1. Entgegen der Auffassung des FG hat die Klägerin die ihr nach § 62 Abs. 3 FGO i.V.m. Art. 3 § 1 VGFGEntlG obliegenden prozessualen Pflichten fristgerecht erfüllt.

Nach § 62 Abs. 3 FGO ist die Vollmacht eines Bevollmächtigten schriftlich beim Gericht einzureichen. Für die Vorlage der Vollmacht kann der vom Vorsitzenden des Senats bestimmte Richter nach Art. 3 § 1 VGFGEntlG eine Frist mit ausschließender Wirkung setzen.

Das FG hat die Ausschlußfrist nach dieser Vorschrift durch die Verfügung vom 13. Mai 1981 wirksam in Lauf gesetzt. Es hat den Bevollmächtigten unter Hinweis auf Rechtsgrundlage und Rechtsfolgen in eindeutiger Weise zur Vorlage einer auf ihn lautenden Vollmacht aufgefordert (vgl. hierzu Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 9. Februar 1982 1 BvR 1379/80, BVerfGE 60, 1). Es kann im Streitfall dahinstehen, ob auf der Grundlage des § 62 Abs. 3 FGO i.V.m. Art. 3 § 1 VGFGEntlG neben der Vorlage einer auf den Bevollmächtigten lautenden Vollmacht auch der Nachweis der Vertretungsmacht des Vollmachtgebers gefordert werden kann. Jedenfalls war die Klägerin nicht wirksam aufgefordert worden, innerhalb der Ausschlußfrist auch die Vertretungsmacht des Vollmachtgebers Dr. A. nachzuweisen. Der Bevollmächtigte der Klägerin wurde entsprechend dem Wortlaut des § 62 Abs. 3 FGO lediglich aufgefordert, eine auf ihn lautende Prozeßvollmacht vorzulegen. Diesem Verlangen entsprach der Bevollmächtigte mit der Vorlage der Vollmacht innerhalb der Ausschlußfrist.

2. Unabhängig von der Verpflichtung zur Vorlage einer Prozeßvollmacht nach § 62 Abs. 3 FGO war die Berechtigung des Bevollmächtigten zur Klageerhebung allerdings von Amts wegen als Sachurteilsvoraussetzung zu prüfen. Eine durch einen Bevollmächtigten erhobene Klage ist nur dann mit Wirkung für den Vertretenen erhoben, wenn der Bevollmächtigte wirksam bevollmächtigt war. Nur der im Rahmen einer wirksamen Vollmacht handelnde Bevollmächtigte kann Prozeßerklärungen und Prozeßhandlungen mit Wirkung für den von ihm Vertretenen abgeben oder vornehmen. Die wirksame Vollmacht des Bevollmächtigten ist Prozeßvoraussetzung (vgl. Ziemer/Birkholz, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., vor § 63 Rdnr. 5; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 40 FGO Rdnr. 29; Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 62 FGO Anm. 4).

Nachdem im Streitfall die Vertretungsberechtigung des Dr. A. wegen seiner zunächst beschränkten Zeichnungsbefugnis zweifelhaft war, hat das FG zutreffend die Wirksamkeit der vom Bevollmächtigten eingereichten Vollmacht geprüft. Allerdings hat das FG hierbei verkannt, daß die Prozeßführung eines vollmachtlosen Vertreters bis zum Ergehen eines Prozeßurteils nachträglich genehmigt werden kann (§ 89 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO - i.V.m. § 155 FGO; Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 17. April 1984 GmS-OGB 2/83, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1984, 389; vgl. auch Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtordnung, § 155 FGO Tz. 4; Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 62 Tz. 14; Koch in Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 62 Rdnr. 86). Die Genehmigung konnte im Streitfall nach Ablauf der vom FG gesetzten Ausschlußfrist erfolgen, da sich die Ausschlußfrist nur auf die Vorlage einer auf den Bevollmächtigten lautenden Vollmacht bezogen hatte.

Nach den für den erkennenden Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 FGO) war Dr. A. ab dem 3. Mai 1984 allein zeichnungsbefugt für die Klägerin. Damit bestand spätestens ab diesem Zeitpunkt eine "geschlossene Vollmachtkette". Bei dieser Sach- und Rechtslage mußte das FG vor Erlaß eines Prozeßurteils prüfen, ob der nunmehr allein vertretungsberechtigte Dr. A. die bisherige Prozeßführung durch den Bevollmächtigten nachträglich genehmigt hatte.

Die dem Bevollmächtigten erteilte Vollmacht wäre auch dann wirksam, wenn Dr. A. eine zumindest für die Bundesrepublik geltende alleinige Vertretungsmacht besessen haben sollte.

Feststellungen zu diesen Möglichkeiten hat das FG nicht getroffen. Zwar kann das Revisionsgericht tatsächliche Feststellungen zu den Sachurteilsvoraussetzungen selbst treffen. Im Streitfall erscheint es jedoch zweckmäßig, daß das FG die noch erforderlichen Feststellungen im Zusammenhang mit der voraussichtlich ergehenden Sachentscheidung trifft. Sollte sich ergeben, daß Dr. A. die Prozeßführung durch den Bevollmächtigten ausdrücklich oder durch rügelose Fortführung genehmigt hatte, so ist die Klage zulässig. Gleiches würde gelten, wenn Dr. A. zur Zeit der Vollmachterteilung eine besondere Einzelvollmacht für das Gebiet der Bundesrepublik besaß, die ihn auch zur Erteilung von Prozeßvollmachten berechtigte.