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BFH-Urteil vom 24.2.1989 (VI R 16/88) BStBl. 1989 II S. 544

Einem Berliner Arbeitnehmer, dem von seinem Arbeitgeber zu Unrecht fristlos gekündigt wurde, steht Berlin-Zulage auch für den Arbeitslohn zu, der ihm aufgrund eines arbeitsgerichtlichen Urteils wegen Fortbestehens des Dienstverhältnisses gemäß § 615 BGB nachgezahlt wird.

BerlinFG § 23 Nr. 4a, § 28 Abs. 1; BGB § 615.

Vorinstanz: FG Berlin

Sachverhalt

Dem Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) wurde von seinem damaligen Arbeitgeber zum 31. Dezember 1982 fristlos gekündigt. Durch rechtskräftiges Versäumnisurteil vom 1. Juni 1983 stellte das Arbeitsgericht fest, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst worden sei, sondern fortbestehe.

Der Kläger, der vom 1. Januar bis zum 23. Januar 1983 arbeitsunfähig krank gewesen war, hatte seinem Arbeitgeber am 24. Januar 1983 und danach wiederholt seine Arbeitskraft angeboten; der Arbeitgeber hatte sie zurückgewiesen. In einem weiteren arbeitsgerichtlichen Verfahren verurteilte das Arbeitsgericht den Arbeitgeber zur Zahlung eines Bruttolohns von 16.223 DM abzüglich des vom Kläger im Jahr 1983 bezogenen Arbeitslosengeldes von 6.308,72 DM. Hierfür beantragte der Kläger beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) die Festsetzung der Berlin-Zulage. Dies lehnte das FA ab. Im Einspruchsverfahren setzte es lediglich eine (passive) Berlin-Zulage von 59,20 DM für den auf den Zeitraum vom 1. bis 23. Januar 1983 entfallenden Lohnfortzahlungsanspruch fest.

Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte im wesentlichen aus, daß es sich um eine Unterbrechung eines gegenwärtigen Dienstverhältnisses i.S. des § 28 Abs. 1 des Berlinförderungsgesetzes (BerlinFG) handele. Nach § 28 Abs. 1 Satz 2 BerlinFG sei deshalb die Zulage weiter zu gewähren. Eine Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses liege vor, wenn - wie hier - das Arbeitsgericht die Unwirksamkeit einer Kündigung feststelle. Denn damit stehe fest, daß das Dienstverhältnis nicht aufgelöst worden sei und von den Parteien des Arbeitsvertrages mit allen sich daraus ergebenden Verpflichtungen fortgesetzt werden müsse. Aus der arbeitsgerichtlichen Entscheidung folge unter den Voraussetzungen des § 615 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Zahlung der vereinbarten Vergütung. Die Gewährung der Zulage entfalle unter derartigen Umständen nur dann, wenn das Dienstverhältnis aufgelöst oder beendet sei. Seine im Urteil vom 8. Februar 1985 III 535/85 (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1985, 484) vertretene gegenteilige Auffassung gebe der Senat ausdrücklich auf.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 28 BerlinFG.

Es meint, ein Anspruch nach § 28 Abs. 1 Satz 1 BerlinFG scheide aus, weil kein gegenwärtiges aktives Dienstverhältnis vorliege. Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 8. Februar 1985 VI R 50/81 (BFHE 143, 484, BStBl II 1985, 414) sei ein aktives gegenwärtiges Dienstverhältnis schon dann nicht mehr gegeben, wenn ein Arbeitnehmer wegen einer Erkrankung die entsprechende Tätigkeit nicht ausübe.

Auch ein Fall der "Unterbrechung" i.S. von § 28 Abs. 1 Satz 2 BerlinFG sei zu verneinen. Nach dem Wortsinn der Vorschrift könne von einer Unterbrechung nur gesprochen werden, wenn sowohl vom Arbeitgeber als auch vom Arbeitnehmer eine Wiederaufnahme der Tätigkeit beabsichtigt sei. Denn der Wortsinn beinhalte ein vorübergehendes Moment. Ein derartiger Sachverhalt liege hier nicht vor, da der Arbeitgeber sich durch die Kündigung endgültig vom Kläger habe trennen wollen. Wenn in derartigen Fällen Zahlungen aufgrund arbeitsgerichtlicher Entscheidungen erfolgten, so seien diese zwar als Arbeitslohn anzusehen, jedoch allenfalls nach § 21 Abs. 1 i.V.m. § 23 Nr. 4 BerlinFG präferenzbegünstigt.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, daß die Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 BerlinFG erfüllt sind. Denn dem Kläger ist für die Zeit vom 24. Januar bis 31. Dezember 1983 Arbeitslohn aus einem gegenwärtigen Dienstverhältnis zugeflossen. Unerheblich ist, wann der Kläger die Zahlung erhalten hat. Denn nach der Vorschrift des § 23 Nr. 4 a BerlinFG, auf die in § 28 Abs. 1 BerlinFG Bezug genommen ist, gehören zum Arbeitslohn aus einem gegenwärtigen Dienstverhältnis auch nachträglich gewährte Bezüge.

Daß das Arbeitsverhältnis trotz der ausgesprochenen Kündigung fortbestand, hat das Arbeitsgericht festgestellt. Hiergegen hat das FA auch keine Einwendungen erhoben. Der Kläger hat aber für den streitigen Zeitraum auch Arbeitslohn erhalten.

Bei dem Zahlungsanspruch, der dem Arbeitnehmer im Falle des Annahmeverzugs des Arbeitgebers gemäß § 615 BGB zusteht, handelt es sich um den Erfüllungsanspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitslohn und nicht etwa um einen Schadensersatzanspruch (Schaub in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2. Aufl., § 615 Rdnr. 38, m.w.N.). Stand dem Kläger aber der Erfüllungsanspruch zu, so ist der Anspruch auf die Zulage nicht deshalb ausgeschlossen, weil keiner der in § 28 Abs. 1 Satz 3 BerlinFG aufgeführten Fälle vorliegt. Denn bei den dort in Nr. 1 bis 10 der Vorschrift aufgezählten Beispielen handelt es sich sämtlich um Fälle von Lohnersatzleistungen.

Entgegen der Auffassung des FA steht der Gewährung der Zulage nicht entgegen, daß der Arbeitgeber des Klägers die angebotenen Dienste nicht angenommen hat, der Kläger deshalb in der fraglichen Zeit tatsächlich nicht für seinen Arbeitgeber tätig war. Denn nach Ansicht des Senats ist das Merkmal der Beschäftigung auch im Falle des Annahmeverzugs des Arbeitgebers erfüllt. Entscheidend ist insoweit, daß das Arbeitsverhältnis fortbestand und dem Kläger Lohn zugeflossen ist. Davon geht auch das Gesetz aus, wie sich aus § 28 Abs. 1 Satz 2 BerlinFG ergibt. Denn nach dieser Vorschrift ist es bei fortbestehendem Dienstverhältnis unschädlich, daß die Beschäftigung unterbrochen oder eingeschränkt ist, solange der Arbeitslohn fortgezahlt wird.

Diese Auslegung entspricht allein dem Sinn und Zweck der Berlinzulage. Wie der Senat wiederholt hervorgehoben hat, soll die Zulage nicht nur die mit der Situation der Stadt Berlin verbundenen Nachteile ausgleichen, sondern vor allem der Entspannung des Arbeitsmarkts in Berlin durch die Neugewinnung von Arbeitskräften dienen (Urteile vom 30. April 1981 VI R 228/77, BFHE 133, 208, BStBl II 1981, 555, und vom 25. März 1983 VI R 270/80, BFHE 138, 231, BStBl II 1983, 463). Mit diesem Zweck wäre es nicht vereinbar, die Zulage zu versagen, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitskraft anbietet, der Arbeitgeber sie aber - zu Unrecht - zurückweist. Der Werbeeffekt der Zulage würde nicht unerheblich beeinträchtigt, wenn ihre Gewährung davon abhinge, daß der Arbeitgeber seiner Beschäftigungspflicht nachkommt.