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BFH-Urteil vom 19.1.1989 (IV R 21-23/87) BStBl. 1989 II S. 567

Wird dem Vertreter eines Verfahrensbeteiligten zur Nachreichung der Vollmacht eine Frist nach § 62 Abs. 3 Satz 2 FGO i.V.m. Art. 3 § 1 Satz 1 VGFGEntlG gesetzt, so genügt es zur Fristwahrung, daß innerhalb der Frist eine im Telebriefverfahren übermittelte Vollmacht bei Gericht eingereicht wird.

FGO § 62 Abs. 3 Sätze 1 und 2.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz (EFG 1987, 315)

Sachverhalt

Der Steuerberater S hatte namens der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) gegen die Gewerbesteuermeßbescheide 1975 bis 1977 Klagen erhoben. Während des finanzgerichtlichen Verfahrens forderte der Berichterstatter S durch Verfügungen vom 1. Oktober 1986 auf, eine auf ihn lautende Vollmacht vorzulegen; hierfür setzte der Berichterstatter gemäß Art. 3 § 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) eine Frist bis zum 23. Oktober 1986.

Die Vollmacht wurde innerhalb der Frist durch Telebrief (Telekopie) eingereicht. Die auf fernmeldetechnischem Weg über Fernkopierer an das Postamt Neustadt/Weinstraße übermittelte Telekopie ging am 23. Oktober 1986 beim Finanzgericht (FG) ein.

Das FG vertrat die Auffassung, daß es an einer fristgemäßen Vorlage der Vollmacht gefehlt habe. Es wies deshalb die Klagen als unzulässig ab.

Mit den - vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen - Revisionen rügt die Klägerin Verletzung des § 62 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

Die Klägerin beantragt sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidungen die Gewerbesteuermeßbescheide für die Streitjahre zu ändern.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) beantragt, die Revisionen als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die - gemäß § 73 Abs. 1 FGO zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen - Revisionen führen zur Aufhebung der Vorentscheidungen und zur Zurückverweisung der Sachen an das FG. Entgegen der Auffassung des FG reichte die am 23. Oktober 1986 beim FG eingegangene Telekopie der Vollmachtsurkunde zur Fristwahrung aus.

1. Nach § 62 Abs. 3 Satz 1 FGO ist die Vollmacht schriftlich zu erteilen. Liegt dem Gericht keine schriftliche Vollmacht vor, so kann der Vorsitzende oder ein von ihm bestimmter Richter anordnen, daß die schriftliche Vollmacht innerhalb einer - mit ausschließender Wirkung gesetzten - Frist nachgereicht wird (§ 62 Abs. 3 Satz 2 FGO i.V.m. Art. 3 § 1 Satz 1 VGFGEntlG).

a) Die Verpflichtung, die Vollmacht schriftlich einzureichen, umfaßt grundsätzlich das Erfordernis eigenhändiger Unterschrift auf der dem Gericht vorzulegenden Vollmachtsurkunde. Denn die Schriftlichkeit soll nicht nur gewährleisten, daß aus dem Schriftstück der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, und die Person, von der sie ausgeht, hinreichend zuverlässig entnommen werden können; es soll auch feststehen, daß das Schriftstück mit Wissen und Wollen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist und es sich nicht nur um einen Entwurf handelt (vgl. Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 30. April 1979 GmS-OGB 1/78, BGHZ 75, 340, 348 f., Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1980, 172, 174, unter V, 2).

b) Von dem Grundsatz, daß die bei Gericht einzureichende Vollmachtsurkunde eigenhändig unterzeichnet sein muß, hat die Rechtsprechung Ausnahmen zugelassen. So hat es der IX. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) in seinem Urteil vom 23. Juni 1987 IX R 77/83 (BFHE 150, 309, BStBl II 1987, 717) als ausreichend angesehen, daß eine Prozeßvollmacht gegenüber dem Gericht durch ein fernmündlich aufgegebenes Telegramm erteilt wird. Bei der Verwendung des Telegramms als Übermittlungsmedium entfällt zwangsläufig das Erfordernis der eigenhändigen Unterschrift auf dem einzureichenden Schriftstück (vgl. BFH-Beschluß vom 14. Juni 1985 III R 265/84, BFHE 143, 517, BStBl II 1985, 522, zur Revisionseinlegung durch Telegramm).

c) Der Schriftform wird auch durch Übermittlung eines Telebriefs (Telekopie) genügt, wenn ein Postamt der Deutschen Bundespost das Schriftstück fernmeldetechnisch im Telebriefverfahren aufnimmt und als Fernkopie dem Gericht auf postalischem Wege zuleitet. Das ist jedenfalls für die Übermittlung fristgebundener Prozeßerklärungen einhellige Auffassung sämtlicher oberster Gerichtshöfe des Bundes (vgl. BFH-Zwischenurteil vom 10. März 1982 I R 91/81, BFHE 136, 38, BStBl II 1982, 573, für die Revisionsbegründung; Beschluß des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 28. Februar 1983 AnwZ (B) 2/83, BGHZ 87, 63, 65, NJW 1983, 1498, hinsichtlich der Einlegung einer sofortigen Beschwerde; Urteil des Bundesarbeitsgerichts - BAG - vom 1. Juni 1983 5 AZR 468/80, BAGE 43, 46, NJW 1984, 199, hinsichtlich der Einlegung einer Revision; BAG-Beschluß vom 14. Januar 1986 1 ABR 86/83, NJW 1986, 1778, hinsichtlich der Einlegung und Begründung einer Rechtsbeschwerde; Beschluß des Bundessozialgerichts - BSG - vom 28. Juni 1985 7 BAr 36/85, NJW 1986, 1778; Breithaupt, Sammlung von Entscheidungen aus dem Sozialrecht, 1986, 75. Jahrgang, S. 363, hinsichtlich der Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 13. Februar 1987 8 C 25.85, BStBl II 1987, 475, 476, hinsichtlich der Einlegung der Revision).

Entsprechendes muß dann aber auch für eine als Telebrief dem Gericht übermittelte Prozeßvollmacht gelten. Mit einer telekopierten Vollmachtsurkunde kann deshalb die mit ausschließender Wirkung gemäß Art. 3 § 1 Satz 1 VGFGEntlG gesetzte Frist gewahrt werden.

Mit dieser Auffassung knüpft der Senat an das Bemühen der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. Nachweise im BGH-Urteil vom 9. März 1982 1 StR 817/81, BGHSt 31, 7, NJW 1982, 147) an, neuen technischen Nachrichtenübermittlungsverfahren Rechnung zu tragen (siehe auch Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 11. Februar 1987 1 BvR 475/85, BVerfGE 74, 228, 234 unter II., zur Begründung von Rechtsmitteln durch Fernschreiben; BAG-Urteil in BAGE 43, 46, NJW 1984, 199). Den Verfahrensbeteiligten soll durch die Zulassung neuer Übertragungstechniken im Hinblick auf die Eilbedürftigkeit fristgebundener Prozeßerklärungen die Wahrnehmung ihrer Rechte erleichtert werden (vgl. BGH-Urteil vom 27. Mai 1957 VII ZR 223/56, BGHZ 24, 297, 301, NJW 1957, 1275). Diese Erwägungen gebieten es, eine dem Gericht durch Telebrief übermittelte Prozeßvollmacht nicht anders zu beurteilen, als die mit neuen Übertragungstechniken eingereichten fristgebundenen Prozeßerklärungen.

Im Verhältnis zur Übermittlung einer Prozeßvollmacht durch Telegramm (vgl. Urteil in BFHE 150, 309, BStBl II 1987, 717) bietet die Einreichung im Telebriefverfahren sogar eine erhöhte Garantie für die Richtigkeit des Inhalts und für die Urheberschaft. Denn das Verfahren der Telekopie gibt den Inhalt des Schriftstückes und die Unterschrift einwandfrei und zuverlässig wieder (BFH-Urteil in BFHE 136, 38, BStBl II 1982, 573; BAG-Urteile in BAGE 43, 46, NJW 1984, 199, und vom 24. September 1986 7 AZR 669/84, NJW 1987, 341, Der Betrieb 1987, 183; BGH-Beschluß in BGHZ 87, 63, 65, NJW 1983, 1498). Die beim Gericht eingehende Telekopie einer Prozeßvollmacht läßt alle Einzelheiten des zur Übermittlung vorgelegten Originals, einschließlich der Unterschrift des Vollmachtgebers erkennen. Der Zweck der Vorschrift des § 62 Abs. 3 Satz 1 FGO, die Ernsthaftigkeit der Bevollmächtigung u.a. durch Identifizierung des Vollmachtgebers klarzustellen, wird somit durch die Übermittlung im Telebriefverfahren wesentlich besser erreicht, als bei der Vollmachtsübermittlung durch Telegramm, das nicht einmal schriftlich und eigenhändig unterschrieben aufgegeben werden muß.

d) Die Ansicht des erkennenden Senats steht nicht im Widerspruch zur Auffassung des II. Senats des BFH, die dieser im Urteil vom 18. Februar 1987 II R 213/84 (BFHE 149, 19, BStBl II 1987, 392) vertreten hat. Nach Auffassung des II. Senats wird eine zur Einreichung der Prozeßvollmacht gesetzte Frist mit ausschließender Wirkung dann nicht eingehalten, wenn innerhalb dieser Frist nur eine Fotokopie der schriftlichen Prozeßvollmacht eingereicht wird. Bei der Entscheidung über diesen Sachverhalt ging es indessen nicht - wie im Fall der telekopierten Vollmacht - um die Berücksichtigung neuer Übermittlungstechniken.

2. Unter Zugrundelegung dieser Rechtsauffassung reichte auch im Streitfall die vom Prozeßbevollmächtigten der Klägerin durch Telebrief übermittelte Prozeßvollmacht zur Wahrung der Schriftform aus. Mit der Einreichung der telekopierten Prozeßvollmacht am letzten Tag der gemäß Art. 3 § 1 Satz 1 VGFGEntlG gesetzten Frist konnte deshalb die Frist gewahrt werden.

Da das FG eine andere Auffassung vertreten hat, sind seine Entscheidungen aufzuheben und die Sachen zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).