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BFH-Beschluß vom 16.3.1989 (VII R 82/88) BStBl. 1989 II S. 569

Versäumt das Finanzamt die Revisionsbegründungsfrist, weil nach dem innerdienstlichen Organisationsablauf keine Überwachung des rechtzeitigen Rücklaufs des Vorgangs mit der Begründungsschrift zur Absendestelle gewährleistet war, so liegt ein die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließender Organisationsmangel vor. Ein der Absendestelle vor der innerdienstlichen Versendung des Vorgangs gegebener Hinweis auf die Eilbedürftigkeit der Bestellung stellt für sich allein die Überwachung nicht sicher.

FGO § 56 Abs. 1.

Sachverhalt

Das beklagte Finanzamt (FA) legte gegen das der Klage stattgebende Urteil des Finanzgerichts (FG) Revision ein. Die Revisionsbegründung vom 8. September 1988 ging nicht bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist (am 22. September 1988), sondern erst am 17. Oktober 1988 ein. Das FA beantragte wegen der Versäumung der Frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Es trug vor, der zuständige Sachgebietsleiter habe nach Unterzeichnung der Begründungsschrift diese dem zuständigen Beamten der Vollstreckungsstelle, Steueroberinspektor (StOI) B, überbracht und den Beamten sowie dessen Mitarbeiterin K ausdrücklich darauf hingewiesen, daß es sich um ein fristgebundenes Schreiben handele, dessen rechtzeitiger Versand sichergestellt werden müsse. Unter dem 9. September 1988 habe StOI B den Entwurf einer Kurzmitteilung gefertigt, mit welcher die Begründung nach ihrer Versendung der zuständigen Oberfinanzdirektion zur Kenntnis gebracht werden sollte, und den Vorgang dem Vorsteher des FA zugeleitet. Die Unterzeichnung (der Kurzmitteilung) durch den Vorsteher sei am 19. September 1988 erfolgt. Die rechtzeitige Absendung der Begründungsschrift sei versäumt worden: StOI B sei seit dem 15. September 1988 dienstunfähig erkrankt, Frau K erst ab 19. September 1988 im Dienst und der Sachgebietsleiter von diesem Tage an in Urlaub gewesen. Frau K und der Vertreter von StOI B hätten nicht angeben können, aus welchem Grunde die rechtzeitige Absendung der Begründungsschrift unterblieben sei. StOI B habe nach Dienstantritt den unerledigten Vorgang festgestellt (am 10. Oktober 1988) und die Versendung veranlaßt. Eine besondere Überwachung des Postlaufs von der Vollstreckungsstelle zum Vorsteher und zurück sei angesichts der bis zum Fristablauf verbleibenden Zeit nicht erforderlich gewesen, da es völlig unüblich und nicht zu erwarten gewesen sei, daß ein Vorgang, dessen Weiterleitung an den Vorsteher am 9. September 1988 verfügt worden sei, diesem erst am 19. September 1988 zur Unterschrift vorliegen würde.

Das FA hat später den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Die Klägerin, die zunächst beantragt hatte, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hat gleichfalls den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist ungeachtet der beiderseitigen Erledigungserklärungen als unzulässig zu verwerfen (§ 124, § 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), weil sie nicht innerhalb der dafür bestimmten Frist (§ 120 Abs. 1 FGO) begründet worden ist und die vom FA wegen der Fristversäumung beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) versagt werden muß.

Beiderseitige Erledigungserklärungen sind zwar auch in der Revisionsinstanz möglich und zulässig, doch tritt die verfahrensrechtliche Wirkung - die auf Grund der übereinstimmenden Erklärungen anzunehmende Erledigung (§ 138 Abs. 1 FGO) - nur ein, wenn die Revision statthaft und zulässig ist (Bundesfinanzhof - BFH -, Beschlüsse vom 14. Juli 1971 I R 127, 154/70, BFHE 103, 36, 41, BStBl II 1971, 805; vom 12. Dezember 1984 I R 78/83, BFHE 143, 8, BStBl II 1985, 258; vom 24. April 1987 IX R 80/86, BFH/NV 1988, 95, und vom 29. September 1987 IX R 42/86, BFH/NV 1988, 323; vgl. auch Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl. 1987, § 138 Anm. 18 m.w.N.). Hier ist die Revision, weil nicht fristgerecht begründet, unzulässig.

Wiedereinsetzungsgründe liegen nicht vor. Das FA war nicht ohne Verschulden verhindert, die Frist zur Begründung der Revision einzuhalten (vgl. § 56 Abs. 1 FGO).

Fehl geht allerdings die Ansicht der Klägerin, der "zuständige Sachbearbeiter" (Sachgebietsleiter) hätte - persönlich - die rechtzeitige Absendung der Begründungsschrift sicherstellen müssen. Der Sachgebietsleiter ist ebensowenig wie der Vorsteher oder ein Sachbearbeiter verpflichtet, die Durchführung der Anordnung über die Absendung persönlich zu überwachen oder sich von der Beachtung der Anweisung zu überzeugen (BFH, Urteil vom 28. März 1969 III R 2/67, BFHE 96, 85, 88, BStBl II 1969, 548). Die Unterlassung einer persönlichen Überwachung durch den Sachgebietsleiter vermag somit einen Verschuldensvorwurf gegen das FA nicht zu begründen.

Ein Verschulden der Bediensteten in der Absendestelle (Vollstreckungsstelle), die den Vorgang nach Rücklauf vom Vorsteher noch fristwahrend hätten absenden können (Dienstag, 20. September 1988), braucht das FA grundsätzlich nicht gegen sich gelten zu lassen, weil solche Bediensteten als "Boten" gelten, deren Versäumnisse nicht in gleicher Weise wie die von Bevollmächtigten zu werten sind. Voraussetzung für die Nichtberücksichtigung des Verschuldens eines Boten ist jedoch, daß eine wirksame Ausgangskontrolle besteht oder daß - mindestens - der Bote auf die Bedeutung und Eilbedürftigkeit der Bestellung ausdrücklich hingewiesen wird (BFH, a.a.O., und Urteil vom 7. Dezember 1982 VIII R 77/79, BFHE 137, 221, 223, BStBl II 1983, 229, sowie Beschluß vom 9. April 1987 V B 111/86, BFHE 149, 146, 149, BStBl II 1987, 441; Senat, Beschluß vom 9. Juni 1988 VII R 125/87, BFH/NV 1989, 180).

Nach dem Vorbringen des FA kann nicht davon ausgegangen werden, daß eine Ausgangskontrolle bestanden hat. Dagegen ist glaubhaft gemacht worden, daß der Sachgebietsleiter die Bediensteten der Absendestelle, darunter Frau K, ausdrücklich auf die Bedeutung der Begründungsschrift und die Notwendigkeit fristgerechter Bestellung hingewiesen hat. Dieser Hinweis reichte indessen nach den vorliegenden Umständen nicht aus, um die rechtzeitige Absendung sicherzustellen. Nach dem Vortrag des FA muß angenommen werden, daß es üblich ist, Vorgänge mit bereits in Reinschrift fertiggestellten und unterzeichneten Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsschriften zunächst dem Vorsteher vorzulegen, damit dieser die Kurzmitteilung über Rechtsmittel/Rechtsmittelbegründung an die vorgesetzte Behörde zeichne. Bei einem derartigen Ablauf muß in Rechnung gestellt werden, daß bis zum Rücklauf des betreffenden Vorgangs an die Absendestelle Verzögerungen eintreten, mit der Wirkung, daß die dort tätigen Bediensteten sich nicht an die ihnen ausdrücklich erteilte Weisung erinnern.

Dem FA mag zugegeben werden, daß eine Rücklaufdauer von 10 Tagen ungewöhnlich ist, insbesondere, da es nur um die Zeichnung einer einfachen Kurzmitteilung durch den Behördenvorstand ging. Aber auch bei wesentlich kürzerer Rücklaufdauer durfte nicht ohne weiteres damit gerechnet werden, daß den zuvor besonders unterrichteten Bediensteten der ihnen gegebene Hinweis noch oder wieder gewärtig sein würde. Bei Verschulden eines Boten, wie es hier in der nicht rechtzeitigen Absendung der Begründungsschrift nach deren Rücklauf gegeben ist, kann das FA sich durch den dem Boten für die Absendung erteilten besonderen Hinweis nur entlasten, wenn diese Weisung unmittelbar anschließend auszuführen war (vgl. BFHE 96, 85, BStBl II 1969, 548: Übergabe der Begründungsschrift mit entsprechendem Hinweis am vorletzten Tage der Frist; siehe auch BFHE 149, 146, 149 a.E., BStBl II 1987, 441).

Eine solche Art der Bestellung dürfte auch im Streitfalle durchaus möglich gewesen sein. Jedenfalls vermag der Senat keinen Grund zu erkennen, der es erfordert hätte, mit der Versendung der fertigen Begründungsschrift bis zur Rückkehr der vom Vorsteher gezeichneten Kurzmitteilung zu warten. Wenn aber schon nach dem innerbehördlichen Organisationsablauf Begründungsschrift und Kurzmitteilung gleichzeitig herausgehen sollten, so reichte der Hinweis auf die Dringlichkeit der Bestellung (Fristsache) nicht aus. Hinzukommen mußte vielmehr eine besondere Überwachung, um zu gewährleisten, daß die Absendestelle entsprechend der zuvor erteilten Weisung verfuhr (vgl. BFHE 137, 221, BStBl II 1983, 229 - Fristenkontrolle -; Gräber/Koch, a.a.O., § 56 Anm. 37; siehe auch BFH, Beschlüsse vom 25. Juni 1986 II R 144/85, BFH/NV 1987, 588, und vom 16. Juli 1986 II R 24/86, BFH/NV 1987, 518). Ohne eine derartige Überwachung liegt ein Organisationsmangel vor, der es ausschließt, ein Verschulden des FA an der Versäumung der Frist zu verneinen.