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BFH-Urteil vom 30.3.1989 (I R 398/83) BStBl. 1989 II S. 647

1. Maßgebender Zeitpunkt für die Bewertung einer zinslos aufgeschobenen, vertraglich vereinbarten Leibrente ist das Alter des Berechtigten zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses.

2. Der Wert dieser Rente wird nach § 14 BewG i.V.m. der Anlage 9 zum BewG 1965 als Mittelwert zwischen dem Kapitalwert für jährlich vorschüssige und jährlich nachschüssige Zahlungsweise ermittelt. Von diesem Wert ist der nach den gleichen Grundsätzen durch Interpolation der entsprechenden Zahlen der Hilfstabellen 1 und 2 (Anhang 2a zu VStR 1977) ermittelte Wert einer fiktiven Zeitrente, der auf die zahlungsfreie Zeit entfällt, abzuziehen.

BewG 1965 § 14; KVStG 1972 §§ 5 Abs. 2 Nr. 3, 17, 18 Abs. 1, 19 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, 23 Nr. 1.

Vorinstanz: FG München (EFG 1984, 43)

Sachverhalt

I.

Der am ... 1907 geborene Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) übertrug am ... 1979 seine Kommanditbeteiligung an der Firma ... GmbH & Co. KG (R) auf seine Kinder, wobei folgendes vereinbart wurde:

1. Der Kläger erhält das Darlehen, das er der Firma R gewährt hatte (Höhe beim Ausscheiden ... DM), in monatlichen Raten von 10.000 DM zuzüglich einer Wertsicherung zurückbezahlt. Der jeweilige Restbetrag des Darlehens wird mit 5 v.H. verzinst.

2. Nach dem Auslaufen dieser Zahlungen erhält der Kläger eine Rente auf Lebenszeit, die bei Einsetzen der Rentenzahlung so hoch sein soll, wie die letzte vorangegangene regelmäßige Rentenzahlung (richtig: Ratenzahlung) auf das Darlehen.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) setzte Börsenumsatzsteuer (... DM) fest. Dabei legte es für die Berechnung des Kapitalwerts der Rente das Lebensalter des Klägers bei dem Einsetzen der Rentenzahlung zugrunde und nahm die letzte Darlehensrate mit 9.983 DM an. Es errechnete für das Darlehen eine Tilgungszeit von fünf Jahren und sieben Monaten. Den so ermittelten Kapitalwert zinste das FA nach der Hilfstafel 1 zu § 12 Abs. 3 des Bewertungsgesetzes (BewG) ab.

Auf den Einspruch des Klägers wurde die Kapitalverkehrsteuer in der Einspruchsentscheidung vom ... herabgesetzt.

Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) ermäßigte die Börsenumsatzsteuer antragsgemäß (§ 96 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) auf 270 DM. Dabei berechnete es die Laufzeit der Rente, indem es das Lebensalter des Klägers bei Vertragsschluß ansetzte und von dem so ermittelten Kapitalwert der Rente den Kapitalwert einer fiktiven Zeitrente für die Laufzeit von sechs Jahren und acht Monaten abzog (vgl. Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1984, 43).

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts. ...

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet; sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat im Ergebnis zu Recht der Klage stattgegeben.

1. Der Abschluß von Anschaffungsgeschäften über Wertpapiere unterliegt der Börsenumsatzsteuer (§ 17 Abs. 1 des Kapitalverkehrsteuergesetzes 1972 - KVStG 1972 - vom 17. November 1972, BGBl I 2129, BStBl I 533). Anschaffungsgeschäfte sind entgeltliche Verträge, die auf den Erwerb des Eigentums an Wertpapieren gerichtet sind (§ 18 Abs. 1 KVStG 1972). Dazu zählen auch Geschäfte über Anteile an einer Kommanditgesellschaft, deren persönlich haftender Gesellschafter eine Kapitalgesellschaft ist (§ 19 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2., § 5 Abs. 2 Nr. 3 KVStG 1972; vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 3. September 1975 II R 88/74, BFHE 117, 106, BStBl II 1976, 7; vom 13. Mai 1981 II R 167/80, BFHE 133, 450, BStBl II 1981, 649), auch wenn die Rechtsgeschäfte bedingt oder befristet sind (§ 18 Abs. 2 Nr. 3 KVStG 1972).

Die Steuer wird gemäß § 23 Nr. 1 KVStG 1972 regelmäßig von dem vereinbarten Preis ( = Gesamtheit der vereinbarten Gegenleistung) berechnet. Dazu gehört nicht nur der Barpreis, sondern auch eine neben diesem vereinbarte geldwerte Leistung (BFH-Urteil vom 8. Mai 1974 II 133/65, BFHE 112, 299, BStBl II 1974, 470). Diese ist Maßstab der Börsenumsatzsteuer, wenn neben ihr kein Barpreis vereinbart ist (BFH-Urteil vom 25. Januar 1978 II R 43/76, BFHE 124, 246, BStBl II 1978, 258). Die Höhe dieses Preises ist nach den allgemeinen Bewertungsvorschriften zu ermitteln. Diese gelten nach § 1 Abs. 1 BewG 1965 für alle öffentlich-rechtlichen Abgaben, die durch Bundesrecht geregelt und durch Bundes- oder Landesfinanzbehörden verwaltet werden (Urteil in BFHE 133, 450, 454, BStBl II 1982, 649).

2. Die Übertragung der KG-Anteile des Klägers gegen Zahlung einer Leibrente war, wie das FG zu Recht angenommen hat, kapitalverkehrsteuerpflichtig. Dabei kann dahinstehen, ob die Vereinbarung der Leibrente wegen der vorgeschalteten Tilgung des Darlehens ein bedingtes Rechtsgeschäft war. Auch ein solches unterliegt der Kapitalverkehrsteuer (§ 18 Abs. 2 Nr. 3 KVStG 1972).

3. a) Das FG hat rechtlich fehlerfrei die Wertsicherungsklausel bei der Berechnung der Rente außer Betracht gelassen. Die Börsenumsatzsteuer ist eine Verkehrsteuer, die einen (einmaligen) Erwerbsvorgang besteuert. Dabei ist grundsätzlich von den Verhältnissen an einem bestimmten Stichtag, dem Zeitpunkt der Entstehung der Schuld auszugehen (vgl. BFH-Urteile vom 14. November 1967 II 166/63, BFHE 90, 241, BStBl II 1968, 43; vom 14. November 1967 II R 27/67, BFHE 90, 245, BStBl II 1968, 45).

b) Zu Recht hat das FG den Rückzahlungsbetrag des Darlehens nicht als Gegenleistung angesetzt. Zur Tilgung war die R verpflichtet. Diese Verpflichtung traf nicht die Kinder als Übernehmer.

c) Das FG hat den Wert der Rente und dessen Ermittlung durch das FA zu Recht beanstandet. Das FA verkennt, daß der Kläger ein Leibrentenstammrecht erworben hat, das zu diesem Zeitpunkt mit dem Wert nach den allgemeinen Bewertungsvorschriften des § 14 BewG 1965 anzusetzen war. Danach sind lebenslängliche Nutzungen und Leistungen mit dem aus Anlage 9 zum BewG 1965 zu ermittelnden Wert zu berechnen. Dieser ist von der Laufzeit abhängig, die sich aus der noch zu erwartenden Lebensdauer des Berechtigten nach der allgemeinen Sterbetafel für die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) ergibt.

Diese Beurteilung entspricht dem wirtschaftlichen Gehalt der Vereinbarung zwischen dem Rentenberechtigten und dem Übernehmer der Wertpapiere. Bei der vertraglich vereinbarten Gewährung der Gegenleistung gehen die Vertragsparteien in der Regel von der Lebenserwartung des Berechtigten im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses aus.

4. Die Anwendung dieser Grundsätze führt dem Grunde nach zu dem gedanklichen Ausgangspunkt des FG. Zum Zeitpunkt des Entstehens des Rentenstammrechts, im Jahre 1979, hatte der Kläger das 72. Lebensjahr vollendet. Die Rente ist unter Berücksichtigung dieses Alters des Klägers zu bewerten. Die vertragschließenden Parteien gingen, wie das FG - in für den Senat bindender Weise (§ 118 Abs. 2 FGO) - festgestellt hat, bei der Bemessung der Gegenleistung von der Lebenserwartung aus, die der 72-jährige Kläger bei Vertragsabschluß noch hatte; diese betrug nach der allgemeinen Sterbetafel 1970/1972 noch acht Jahre.

5. Das FG hat jedoch - ausgehend von dem richtigen Ansatz - den Wert der Leibrente falsch berechnet.

a) Wird die Zahlung einer Kapitalforderung zinslos hinausgeschoben, so ist der Gegenwartswert der Forderung zu berechnen (vgl. Urteil in BFHE 133, 450, 454, BStBl II 1981, 649). Dasselbe gilt für eine Rente; sie ist eine besonders gestaltete Kapitalforderung.

Soll der Gegenwartswert einer Leibrente errechnet werden, deren Zahlung hinausgeschoben wird, so ist der Wert der Rente, der auf die zahlungsfreie Zeit entfällt, vom gesamten Wert der Leibrente abzuziehen. Der Wert einer Leibrente wird nach Anlage 9 zum BewG 1965 als Mittelwert zwischen dem Kapitalwert für jährlich vorschüssige und jährlich nachschüssige Zahlungsweise ermittelt. Eine Tabelle für den Wert einer vor oder nachschüssig in monatlichen Beträgen zahlbaren Leibrente steht der Finanzverwaltung nicht zur Verfügung. Der Wert der abzuziehenden Zeitrente muß nach denselben Grundsätzen ermittelt werden, die für die Leibrente gelten. Insoweit ist im Streitfall der Mittelwert maßgebend. Dieser ergibt sich durch Interpolation der entsprechenden Zahlen (Spalte 5) der Hilfstabellen 1 und 2 (Anhang 2a zu den Vermögensteuer-Richtlinien 1977 - VStR 1977 -). So beträgt der Kapitalisierungsfaktor einer sechsjährigen Zeitrente als Mittelwert zwischen dem Kapitalwert für jährlich vorschüssige und jährlich nachschüssige Zahlungsweise - (4,996 + 5,270) : 2 = 5,133 -. Der Wert der abzuziehenden Rente kann nicht aus den Hilfstafeln 1, 1a und 2 (vgl. Anhang 1 und 2 zu VStR 1977) entnommen werden. Der Hilfstafel 1 liegt ein nachschüssig zahlbares Fälligkeitsdarlehen, der Hilfstafel 1a ein nachschüssig zahlbares Tilgungsdarlehen und der Hilfstafel 2 eine vorschüssig im Jahresbetrag zahlbare Zeitrente zugrunde. Eine auf diese Weise errechnete Zeitrente darf nicht von einer nach Anlage 9 zum BewG 1965 ermittelten Leibrente abgezogen werden, wie es das FG getan hat.

b) Richtig ist, ausgehend von der Rente, wie sie das FG ermittelt hat, den Barwert einer fiktiven Zeitrente mit einer Laufzeit von sechs Jahren und acht Monaten abzuziehen, der nach dem Mittelwert aus den Hilfstabellen 1 und 2 Spalte 5 (Anhang 2a zu VStR 1977) berechnet wird. Damit wird der Barwert einer fiktiven Zeitrente abgezogen, der nach denselben Grundsätzen ermittelt worden ist wie der Barwert der Leibrente nach Anlage 9 zum BewG 1965. Somit ergibt sich folgender Ansatz:

Vervielfältiger der Rente bei Eintrittsalter 72 für Laufzeit ab Vertragsschluß: 6,379 (Anlage 9 zum BewG 1965)

abzüglich

Vervielfältiger für Laufzeit sechs Jahre und acht Monate:

5,6045 (Hilfstabellen 1 und 2, Spalte 5).

Berechnung des Vervielfältigers:

Laufzeit sechs Jahre: Mittelwert: 5,133 (vgl. unter 5a)

Laufzeit sieben Jahre: Mittelwert: (5,996 + 5,683) : 2

= 5,8395

Differenz: 5,8395 ./. 5,1330 = 0,7065

0,7065 : 3 (für vier Monate) = 0,2355

Vervielfältiger für sieben Jahre:                           5,8395

Vervielfältiger für vier Monate:                         ./. 0,2355

                                                                   - - - - - - -

                                                                       5,6045

    

Differenz der Vervielfältiger: 6,379 ./. 5,6045 = 0,7745

Kapitalwert: 0,7745 x 120.000 DM = 92.940 DM

Börsenumsatzsteuer: 2,5 v.T. von 92.940 DM = 232,35 DM.

6. Trotz anderer Berechnung ist das Urteil des FG im Ergebnis richtig. Das FG hat eine Börsenumsatzsteuer von 187,50 DM errechnet, hat aber den Klageantrag (in Höhe von 270 DM Börsenumsatzsteuer) gemäß § 96 FGO nicht überschreiten dürfen. Auch das Revisionsgericht ist daran gebunden.