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BFH-Urteil vom 20.4.1989 (IV R 299/83) BStBl. 1989 II S. 727

Zur Abgrenzung der freiberuflichen (eigenverantwortlichen) Tätigkeit von der gewerblichen Tätigkeit bei beratenden Bauingenieuren im Rahmen einer GbR.

EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1.

Vorinstanz: Hessisches FG

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Ingenieure und Gesellschafter der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) "Diplom-Ingenieure A/B/C, Ingenieur D, Beratende Ingenieure VBI für Bauwesen" in X. Zweck der GbR ist die gemeinsame statische und konstruktive Bearbeitung von Bauaufträgen und die Durchführung von Bauleitungen. Der Kläger zu 1 betrieb außerdem in H als Einzelunternehmer ein Ingenieurbüro und war noch an zahlreichen anderen Gesellschaften beteiligt, die z.T. ebenfalls Ingenieurbüros betrieben.

Im Anschluß an eine Betriebsprüfung vertrat der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -FA-) die Auffassung, die Kläger seien im Rahmen der GbR gewerblich tätig gewesen, denn nicht jeder der Kläger sei im Rahmen des gemeinsam betriebenen Ingenieurbüros in X eigenverantwortlich tätig gewesen. Das FA stellte deshalb -zum Teil durch geänderte Bescheide- die Gewinne der GbR für die Jahre 1971 bis 1976 als gewerbliche Gewinne fest und erließ für dieselben Jahre Gewerbesteuermeßbescheide.

Nach erfolglosem Einspruch gab das Finanzgericht (FG) der Klage statt.

Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Das FA beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß auch die Kläger zu 1 bis 3 im Rahmen der GbR eigenverantwortlich tätig waren.

1. Die Rüge mangelhafter Sachaufklärung schlägt nicht durch.

a) Hinsichtlich der Ablehnung des Beweisantrags, den Kläger zu 1 zu der Frage zu hören, an wievielen Unternehmen er in den Streitjahren beteiligt gewesen sei, gilt dies schon deshalb, weil das FA die Ablehnung seines dahingehenden Beweisantrags durch das FG im finanzgerichtlichen Verfahren nicht gerügt und dadurch auf diesen Beweisantritt verzichtet hat (§ 155 der Finanzgerichtsordnung -FGO- i.V.m. § 295 der Zivilprozeßordnung -ZPO-; vgl. hierzu Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 115 Rz. 37, m.w.N.). Ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem FG am 7. September 1983 ist das Gericht um 15.20 Uhr nach einer Unterbrechung in die mündliche Verhandlung wieder eingetreten und hat den Beschluß verkündet, daß der hier erörterte Beweisantrag des FA abgelehnt werde. Daraufhin wurde um 15.22 Uhr die mündliche Verhandlung geschlossen, ohne daß zuvor das FA die Ablehnung seines Beweisantrages gerügt hätte.

Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß das FG zugunsten des FA unterstellt hat, der Kläger zu 1 sei an 50 Unternehmen beteiligt gewesen.

b) Soweit das FA geltend macht, der Kläger zu 1 hätte von ihm auch darüber befragt werden sollen, wie die Vertretung in der GbR geregelt gewesen sei, liegt eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht des FG deshalb nicht vor, weil das FA einen dahingehenden Beweisantrag nicht gestellt hat. Das FG brauchte in diesem Punkt auch nicht von Amts wegen weitere Ermittlungen anzustellen, weil sich ihm angesichts des gesamten Sachverhalts die Notwendigkeit einer weiteren Aufklärung nicht aufdrängen mußte. Das FG hat in seinem Urteil auf den Betriebsprüfungsbericht vom 2. Juni 1978 Bezug genommen. In diesem sind Ausführungen über die Vertretung enthalten. Danach waren alle Gesellschafter zur Vertretung berechtigt.

2. Nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ist ein Angehöriger eines freien Berufs, der sich der Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte bedient, nur dann freiberuflich tätig, wenn er auf Grund seiner Fachkenntnisse leitend und eigenverantwortlich tätig ist.

a) Nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die hierzu von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs -BFH- (vgl. Beschluß vom 7. Oktober 1987 X B 54/87, BFHE 151, 147, BStBl II 1988, 17, m.w.N.) entwickelt worden sind, ist unter Leitung die Festlegung der Grundzüge für die Organisation des Tätigkeitsbereiches und für die Durchführung der Tätigkeiten, die Entscheidung grundsätzlicher Fragen und die Überwachung des Aufgabenablaufs nach den festgelegten Grundzügen zu verstehen. Für den Begriff der eigenverantwortlichen Tätigkeit genügt es nicht, daß der Berufsträger seinen Auftraggebern gegenüber die Verantwortung für die ordnungsgemäße Ausführung der Aufträge übernimmt. Weiterhin genügt es nicht, daß der Berufsträger durch Arbeitsplanung und Arbeitsverteilung, durch stichprobenweise Überprüfung, Erteilung von Ratschlägen, Entscheidung von Zweifelsfällen und durch Festlegung von Grundsätzen für die Organisation des Tätigkeitsbereichs und der dienstlichen Aufsicht über die Mitarbeiter -somit leitend- tätig wird. Vielmehr muß für die Bejahung der Voraussetzung "eigenverantwortlich" eine persönliche Teilnahme des Berufsträgers an der praktischen Arbeit in ausreichendem Umfang gewährleistet sein. Gegenstand der eigenverantwortlichen Einflußnahme des Berufsträgers ist das einzelne, von ihm in Auftrag genommene Werk oder die einzelne Dienstleistung, für deren ordnungsmäßige Ausführung er vor allem die fachliche Verantwortung trägt. Die fehlende Mitarbeit am einzelnen Auftrag muß auf Ausnahmen und Routinefälle beschränkt bleiben. Überträgt der Berufsträger Aufgaben, die nicht lediglich einfacher oder mechanischer Art sind, auf qualifizierte Mitarbeiter, ist erforderlich, daß die Mitarbeiter nicht nur überwacht werden, sondern auch deren Tätigkeit als solche des Berufsträgers erkennbar ist. Ein Steuerpflichtiger leistet nur dann freiberufliche Arbeit, wenn die Ausführung jedes einzelnen ihm erteilten Auftrags auch ihm selbst -und nicht dem qualifizierten Mitarbeiter, den Hilfskräften oder dem Unternehmen als ganzes - zuzurechnen ist. Es reicht nicht aus, wenn der Berufsträger sich nur noch um besonders wichtige oder besonders schwierige Aufträge kümmert, die einfachen oder weniger bedeutsamen aber ganz seinen Mitarbeitern überläßt.

Wo die Grenze zwischen gewerblicher und freiberuflicher Tätigkeit verläuft, richtet sich nach der Art der Tätigkeit (BFH in BFHE 151, 147, BStBl II 1988, 17, 19). Bei technischen und naturwissenschaftlichen Berufen ist z.B. infolge Einsatzes von Rechenmaschinen und Analyseautomaten der Anteil der als "freiberuflich" individuell bestimmbaren Arbeitsleistung entsprechend kleiner geworden. Dem entspricht es, daß den grundsätzlichen Entscheidungen über die Anwendung von Berechnungs- und Analysemethoden und den bei der Durchführung der Berechnungen und Analysen zu beachtenden Besonderheiten, die außerhalb eines vorgesehenen Schemas liegen, zunehmende Bedeutung zukommt (Schmidt/Seeger, Einkommensteuergesetz, 7. Aufl., § 18 Anm. 6). Inwieweit eine unschädliche Arbeitsdelegierung im einzelnen möglich ist, ist anhand aller Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der technischen Besonderheiten der Berufsausübung zu entscheiden.

b) Üben mehrere Berufsträger gemeinsam eine Tätigkeit aus, so sind sie nur dann gemeinsam tätig, wenn jeder von ihnen auf Grund eigener Fachkenntnisse leitend und eigenverantwortlich tätig ist. Dabei ist es nicht erforderlich, daß jeder von ihnen in allen Unternehmensbereichen leitend tätig ist und an jedem Auftrag eigenverantwortlich mitarbeitet. Es reicht aus, wenn sich die gemeinsam tätigen Berufsträger die mit der Leitung des Unternehmens und der eigenverantwortlichen Bearbeitung der Aufträge verbundenen Aufgaben untereinander aufteilen und jeder von ihnen in seinem Aufgabenbereich aufgrund seiner Fachkenntnis leitend und eigenverantwortlich tätig ist (BFH-Urteil vom 16. Juli 1964 IV 372/62 in Steuerrechtsprechung in Karteiform -StRK-, Einkommensteuergesetz -bis 1974-, § 18, Rechtsspruch 336). Dabei ist es nicht erforderlich, daß jedem Gesellschafter von Anfang an ein bestimmter Aufgabenbereich zugewiesen wird. Die Aufgabenverteilung kann von Fall zu Fall erfolgen. Auch der Umfang der Tätigkeit eines einzelnen Gesellschafters spielt keine Rolle. Es ist unschädlich, wenn ein Gesellschafter quantitativ leitend und eigenverantwortlich in einem größeren Umfang tätig ist als seine Mitgesellschafter. Es ist ferner unschädlich, wenn die einzelnen Gesellschafter qualitativ unterschiedlich tätig sind (einer oder einigen obliegt die Bearbeitung besonders schwieriger Aufträge). Wesentlich ist lediglich, daß nicht nur die Gesellschafter in ihrer gesamthänderischen Tätigkeit leitend und eigenverantwortlich tätig sind, und daß darüber hinaus jeder einzelne Gesellschafter für sich bei den von ihm wahrgenommenen Aufgaben leitend und eigenverantwortlich tätig wird.

c) Das FG ist von diesen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Es hat sie -entgegen der Ansicht des FA- nicht verletzt.

Die gegenteilige Ansicht des FA dürfte vornehmlich darauf beruhen, daß es zum Teil die Besonderheiten unberücksichtigt läßt, die sich ergeben, wenn mehrere Berufsträger eine freiberufliche Tätigkeit in der Rechtsform einer Personengesellschaft ausüben. So kann die in einem solchen Fall vorgenommene Aufgabenverteilung durchaus darin bestehen, daß ein oder mehrere Gesellschafter sich nur mit besonders wichtigen oder besonders schwierigen, andere Gesellschafter nur mit einfachen, weniger bedeutsamen Aufträgen beschäftigen. Jeder braucht sich nicht um alles leitend und eigenverantwortlich zu kümmern. Ein allein tätiger Berufsträger hingegen muß dies tun.

Rechtsirrig ist die Ansicht des FA, daß im Rahmen einer Betriebsprüfung getroffene Feststellungen durch eigene Feststellungen des FG widerlegt werden müßten. Von einem Betriebsprüfer getroffene Feststellungen haben im finanzgerichtlichen Verfahren keinerlei Bindungswirkungen.

Im übrigen wendet sich das FA dem Inhalt seiner Revisionsbegründung nach in erster Linie nicht gegen die Verletzung der unter a) und b) wiedergegebenen Rechtsgrundsätze, sondern gegen die Würdigung des FG, die Kläger zu 1 bis 3, insbesondere der Kläger zu 1, seien eigenverantwortlich tätig gewesen.

d) Die Abgrenzung, ob im Einzelfall noch freiberufliche oder schon gewerbliche Tätigkeit ausgeübt wird, also auch die Beantwortung der Frage, ob bei einer von Angehörigen eines freien Berufs betriebenen Personengesellschaft sowohl die Gesellschafter gemeinsam als auch jeder von ihnen für sich leitend und eigenverantwortlich tätig ist, liegt weitgehend auf dem Gebiet der Tatsachenfeststellung und Tatsachenwürdigung. Die Würdigung des FG, auch die Kläger zu 1 bis 3, insbesondere auch der Kläger zu 1, seien im Rahmen der GbR leitend und eigenverantwortlich tätig gewesen, ist möglich. Sie verstößt weder gegen Denkgesetze noch Erfahrungssätze noch gegen den Inhalt der Akten und ist deshalb, da in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Verfahrensrügen nicht vorgebracht sind, für den BFH als Revisionsgericht bindend (§ 118 Abs. 2 FGO).

Im einzelnen ist zu dem in diesem Zusammenhang vom FA Vorgetragenen zu bemerken:

aa) Die Frage, ob sich einige frühere Mitarbeiter der Kläger selbständig gemacht haben oder nicht, ist unerheblich, weil das FG aus einer solchen Tatsache weder unmittelbar noch mittelbar irgendwelche Schlüsse gezogen hat.

bb) Das Vorbringen, das FG habe keine Feststellungen getroffen, daß der Kläger zu 1 in ausreichendem Umfang persönlich an der praktischen Arbeit der GbR teilgenommen habe, ist unbegründet. Das FA versteht insoweit die Ausführungen des FG, wonach die Kläger zu 1 bis 3 -wenn auch in geringem Umfang- der GbR erteilte Aufträge bearbeiteten, falsch. Diese Ausführungen können nur dahingehend verstanden werden, daß auch die Kläger zu 1 bis 3 -wenn auch in geringerem Umfang als der Kläger zu 4- der GbR erteilte Aufträge als "Objektleiter" betreut und alle die Tätigkeiten ausgeübt haben, die in dem FG-Urteil vorher in bezug auf den Kläger zu 4 dargestellt worden sind. Daß es sich bei diesen Tätigkeiten um leitende und eigenverantwortliche Tätigkeiten handelte, ist unstreitig.

cc) Soweit das FA meint, die Kläger zu 1 bis 3 hätten schon deshalb nicht eigenverantwortlich tätig sein können, weil sie nur wenige Tage im Jahr im Büro in X anwesend gewesen seien, übersieht das FA, daß daraus keine zwingenden Schlüsse auf das Fehlen einer eigenverantwortlichen Tätigkeit im Rahmen des Aufgabenbereichs eines Gesellschafters einer Ingenieur- Personengesellschaft gezogen werden können. Zum ersten deshalb nicht, weil sich eine eigenverantwortliche Tätigkeit nicht nur im Büro eines Bauingenieurs, sondern auch außerhalb (z.B. an Baustellen, bei Verhandlungen mit Behörden oder bei Verhandlungen im Büro des Auftraggebers) abwickeln kann. Zum anderen kann als Folge der heute vorhandenen Kommunikationsmittel eine leitende und eigenverantwortliche Tätigkeit eines Ingenieurs auch von außerhalb seines Büros her erfolgen.

dd) Entgegen der Auffassung des FA läßt sich auch aus der Tatsache, daß der Kläger zu 1 an mehreren anderen Unternehmen beteiligt war, kein zwingender Schluß darauf ziehen, daß er in der GbR nicht eigenverantwortlich tätig sein konnte. Das FG hat -anders als das FA meint- geprüft, ob der Kläger wegen seiner anderweitigen Belastung durch Beteiligung an anderen Unternehmen und der geringen Zahl der Anwesenheitstage in X überhaupt in der Lage war, in der GbR eigenverantwortlich mitzuarbeiten. Es hat diese Frage bejaht, wobei es sogar unterstellt hat, daß der Kläger zu 1 dies auch könne, wenn er an 50 anderen Unternehmen beteiligt gewesen sei. Diese Beweiswürdigung ist möglich.

ee) Soweit das FA zu den Aussagen der vernommenen Zeugen Stellung nimmt, würdigt es diese Aussagen lediglich anders als das FG. Damit kann es jedoch, da das FG bei seiner Beweiswürdigung weder Denkfehler gemacht noch Erfahrungssätze verletzt hat, nicht durchdringen.