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BFH-Urteil vom 13.6.1989 (VII S 32/88) BStBl. 1989 II S. 743

Zur kommerziellen Verwertung bestimmte Altreifen sind keine Abfälle. Zur Beförderung solcher Reifen eingesetzte Fahrzeuge werden nicht zur Abfallbeseitigung (Abfallentsorgung) verwendet. Das Halten dieser Fahrzeuge ist nicht nach § 3 Nr. 4 Buchst. b KraftStG 1979 kraftfahrzeugsteuerfrei.

KraftStG 1979 § 3 Nr. 4 Buchst. b; AbfG (a.F. und n.F.) § 1 Abs. 1, § 3 Abs. 2.

Sachverhalt

I.

Der Antragsteller, Halter von 10 Nutzfahrzeugen, betreibt ein Unternehmen zur Entsorgung und Verwertung von Altreifen sowie den Handel mit Gummirohstoffen. Mit den Fahrzeugen ließ er Altreifen bei sog. Reifendiensten, Kraftfahrzeugwerkstätten, Tankstellen usw. abholen. Die Altreifen wurden auf den Lagerplatz des Betriebes des Antragstellers gebracht und ohne Veränderung oder Bearbeitung nach Verwertbarkeit sortiert. Die wiederverwertbaren Reifen wurden zur Runderneuerung oder zum Export weitergegeben, die anderen zur Verbrennung oder - größtenteils - an Landwirte zur Abdeckung von Silagen abgegeben. Der Antragsgegner (das Finanzamt - FA -) sah in dieser Fahrzeugnutzung keine Verwendung ausschließlich zur Abfallbeseitigung im Sinne des Befreiungstatbestandes nach § 3 Nr. 4 Buchst. b des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG) 1979 und setzte gegen den Antragsteller Kraftfahrzeugsteuer fest. Die Besteuerungszeiträume liegen teilweise vor dem 1. November 1986 (frühester Beginn 16. Dezember 1985).

Das Finanzgericht (FG) bestätigte die Steuerfestsetzungen und die dazu ergangenen Einspruchsentscheidungen. Es führte in seinem die Klage des Antragstellers abweisenden Urteil aus, die vom Antragsteller für das Abholen und Verwerten der Altreifen benutzten Fahrzeuge würden nicht ausschließlich steuerbegünstigt verwendet. Denn zumindest die Abgabe der Reifen an Landwirte zur Verwendung in deren Betrieben stelle keine Abfallbeseitigung (Abfallentsorgung) dar. Eine solche liege bei Abtransport von industriellen Reststoffen zur weiteren Verwertung nicht vor, und zwar weder nach dem Abfallbeseitigungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. Januar 1977 (BGBl I 1977, 41) - AbfG a.F. - noch nach dem an seine Stelle getretenen Abfallgesetz vom 27. August 1986 (BGBl I 1986, 1410) - AbfG n.F. -. Für den Antragsteller seien die Reifen kein Abfall; er wolle sie vielmehr zumindest zum Teil wirtschaftlich weiterverwerten. Auf den Willen der die Altreifen abgebenden Unternehmer komme es nicht an. Der in rechtlich unbedenklicher Weise erweiterte Abfallbegriff (§ 1 Abs. 1 Satz 2 AbfG n.F.) umfasse gleichfalls nicht die kommerzielle Weitergabe der unbearbeiteten (nicht entsorgten) Sachen an Dritte.

Mit der Revision rügt der Antragsteller, daß das FG den subjektiven und den objektiven Abfallbegriff verkannt und nicht berücksichtigt habe, daß der erweiterte Abfallbegriff auch hier gelten müsse. Die Reifenabfälle würden von den Besitzern in Entledigungsabsicht weggegeben; darauf allein komme es an. Die Abfalleigenschaft würde selbst dann nicht beseitigt, wenn der Wille vorläge, die Reifen durch Verarbeitung wieder dem Wirtschaftskreislauf zuzuführen. Im übrigen handele es sich bei den Reifen auch um Abfälle im Sinne des objektiven Abfallbegriffs. Zumindest wären sie bei einem Transport durch die entsorgungspflichtige Körperschaft oder den von dieser beauftragten Dritten (§ 1 Abs. 1 Satz 2 AbfG n.F.) Abfälle. Die Beschränkung auf diesen Personenkreis müsse entfallen, weil sie verfassungswidrig sei.

Der Antragsteller beantragt, ihm für das Revisionsverfahren Prozeßkostenhilfe zu gewähren.

Entscheidungsgründe

II.

Der Antrag hat keinen Erfolg.

Prozeßkostenhilfe für das Revisionsverfahren kann dem Antragsteller nicht gewährt werden, weil die dafür erforderlichen Voraussetzungen (§ 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -, § 114 der Zivilprozeßordnung - ZPO -) nicht gegeben sind. Jedenfalls fehlt es an der sachlichen Bewilligungsvoraussetzung einer hinreichenden Aussicht auf Erfolg für die beabsichtigte Rechtsverfolgung. Die Revision des Antragstellers wird zurückzuweisen sein, weil das FG im Ergebnis richtig entschieden hat, daß dem Antragsteller für das Halten seiner Fahrzeuge Kraftfahrzeugsteuerbefreiung nach § 3 Nr. 4 Buchst. b KraftStG 1979 nicht zusteht.

1. Nach dieser Vorschrift kraftfahrzeugsteuerfrei ist das Halten von Fahrzeugen, solange sie ausschließlich zur Abfallbeseitigung (jetzt: Abfallentsorgung) im Sinne des AbfG verwendet werden. Der Befreiungstatbestand ist im Streitfalle nicht erfüllt.

Altreifen können zwar Abfälle sein (arg. § 12 Abs. 1 Nr. 2 AbfG n.F.; vgl. auch Bundesverwaltungsgericht - BVerwG -, Urteil vom 1. Dezember 1982 7 C 100.79, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des BVerwG, 451.22 Abfallgesetz Nr. 9). Ob sie es aber im Einzelfall sind, bestimmt sich nach dem gesetzlichen Abfallbegriff. Abfälle sind danach bewegliche Sachen, deren sich der Besitzer entledigen will - subjektiver Abfallbegriff - oder deren geordnete Beseitigung (jetzt: Entsorgung) zur Wahrung des Wohls der Allgemeinheit geboten ist - objektiver Abfallbegriff - (§ 1 Abs. 1 AbfG a.F., § 1 Abs. 1 Satz 1 AbfG n.F.).

2. Objektiv, ohne Rücksicht auf den Besitzerwillen, sind die mit den Fahrzeugen des Antragstellers beförderten Altreifen keine Abfälle. Der objektive Abfallbegriff wird in Rechtsprechung und Schrifttum unterschiedlich bestimmt. Teils werden als Abfälle im objektiven Sinne solche beweglichen Sachen angesehen, die keinem vernünftigen Zweck mehr dienen und denen aus diesem Grunde - objektiv gesehen - kein Gebrauchswert mehr zukommt (z.B. Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluß vom 9. Juli 1974 4 St 547/74 OWi, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1975, 396 f.; im Ergebnis zustimmend Schwermer in Kunig/Schwermer/Versteyl, Abfallgesetz, 1988, § 1 Rdnr. 29), teils wird - weitergehend - angenommen, daß im objektiven Sinne Abfall vorliegt, wenn durch das Verbleiben der Sache beim Besitzer oder durch die Verwertung das Wohl der Allgemeinheit so sehr beeinträchtigt wird, daß die Entsorgung "als Abfall" geboten ist (Hösel/v. Lersner, Recht der Abfallbeseitigung, § 1 Abs. 1 AbfG Rdnr. 9; vgl. auch Verwaltungsgerichtshof Kassel, Beschluß vom 21. April 1986 5 TH 592/86, NJW 1987, 393 - "Gefahrenpotential" -).

Der Senat braucht nicht zu entscheiden, welche dieser Begriffsbestimmungen zugrunde zu legen ist. Keine davon trifft im Streitfall zu. Daß die Altreifen keinem vernünftigen Zweck mehr dienen, kann im Hinblick auf ihre vom FG festgestellte Verwendung zu mehreren wirtschaftlichen Zwecken nicht angenommen werden. Auch ein zur Entsorgung im Allgemeininteresse nötigendes "Gefahrenpotential" weisen die mit den Fahrzeugen des Antragstellers beförderten Altreifen nicht auf. Das gilt auch unter dem Gesichtspunkt ihrer Ablagerung, auf den der Antragsteller sich mit dem Hinweis auf ein von ihm bezeichnetes, gegen einen Dritten ergangenes strafgerichtliches Berufungsurteil zu stützen scheint. Eine ungeordnete Ablagerung von Altreifen mag Gefahren für das Allgemeinwohl begründen - dann übrigens mit der Folge der (grundsätzlichen) Beseitigungs-(Entsorgungs-)Pflicht der zuständigen öffentlich-rechtlichen Körperschaft (§ 3 Abs. 2 AbfG) -, doch sind ungeordnete Lagerungsvorgänge bei den Besitzern der Altreifen nicht festgestellt worden. Von gefahrbegründenden Lagerungen kann um so weniger ausgegangen werden, als der Antragsteller selbst auf seinem Betriebsgelände - offenbar unbeanstandet - Altreifen ablagert, die nicht nur aus einem Betrieb, sondern aus einer Mehrzahl von Werkstätten usw. stammen. Auch durch die Verwertung der Reifen wird das Allgemeinwohl nicht derart beeinträchtigt, daß sie - unter der Geltung des AbfG n.F. - als Abfall im objektiven Sinne angesehen werden müssen. Von den festgestellten Verwendungen für die vom Antragsteller abgeholten Reifen kommt insoweit nur die Verbrennung in Betracht, eine Form der Verwertung von Altreifen - Reststoffe - (als Brennstoff in der Zementindustrie; vgl. Begründung zu § 5 Abs. 1 AbfG n.F. in BTDrucks 10/2885, S. 16). Die Schädlichkeit von Verbrennungsabgasen begründet jedoch noch nicht ohne weiteres die Abfalleigenschaft der Reifen (im objektiven Sinne), da eine Abgasreinigung möglich ist (vgl. Hösel/v. Lersner, a.a.O., Anm. 10).

3. Die Altreifen sind auch keine Abfälle im subjektiven Sinne. Es mag sein, daß die Vorbesitzer die Reifen zur Entledigung weggeben, so daß sie - zunächst - Abfälle im subjektiven Sinne sind. Damit kann jedoch, entgegen der Ansicht des Antragstellers, nicht davon ausgegangen werden, daß sie nach ihrer Übernahme durch den Antragsteller auch Abfälle geblieben sind. Hat der Neubesitzer selbst keinen Entledigungswillen, übernimmt er die Sachen vielmehr zur weiteren Verwertung, so sind sie nicht (mehr) Abfälle (BVerwG, Beschluß vom 18. März 1983 7 B 22.83, Buchholz, a.a.O., 451.22 Abfallgesetz Nr. 13 - Altglas; dazu Senat, Urteil vom 20. August 1985 VII R 182/82, BFHE 144, 465, BStBl II 1985, 716; FG Münster, Urteil vom 20. April 1982 VIII 3204/81, Entscheidungen der Finanzgerichte 1983, 81). So verhält es sich auch im Streitfalle. Die vom Antragsteller abgeholten Reifen sind zur kommerziellen Verwertung übernommene industrielle Reststoffe. Der Transport solcher Stoffe ist kraftfahrzeugsteuerrechtlich nicht begünstigt (vgl. amtliche Begründung zu § 3 Nr. 4 Buchst. b KraftStG 1979, BTDrucks 8/1679, S. 17; Senat, Urteil vom 9. Mai 1989 VII R 74/86, BFHE 157, 236, BStBl II 1989, 675).

4. Die Berufung des Antragstellers auf § 1 Abs. 1 Satz 2 AbfG n.F. geht fehl. Nach dieser erst seit dem 1. November 1986 geltenden Vorschrift sind der entsorgungspflichtigen Körperschaft oder deren Beauftragtem überlassene bewegliche Sachen auch im Falle der Verwertung Abfälle, bis sie oder die aus ihnen gewonnenen Stoffe oder erzeugte Energie dem Wirtschaftskreislauf zugeführt werden. Nach Maßgabe dieser Vorschrift wird Nichtabfällen die Abfalleigenschaft beigelegt. Richtig hat das FG entschieden, daß § 1 Abs. 1 Satz 2 AbfG n.F. bei kommerzieller Verwertung nicht eingreift. Zwar kann es zweifelhaft sein, ob schon eine Verwertung als solche ausscheidet, wenn die Sachen unbehandelt bleiben. § 1 Abs. 1 Satz 2 AbfG n.F. läßt erkennen, daß auch die überlassenen Sachen selbst nach einer Verwertung in den Wirtschaftskreislauf übergehen können, möglicherweise auch dann, wenn sie gar nicht bearbeitet oder sonst behandelt worden sind. Die Frage kann indessen offenbleiben. Jedenfalls ist mit dem FG davon auszugehen, daß § 1 Abs. 1 Satz 2 AbfG n.F. nicht die kommerzielle Verwertung meint. Gemeint ist vielmehr die in der Regel Kosten verursachende Abfallverwertung als (vorrangige) Art der Entsorgung durch die entsorgungspflichtige Körperschaft (vgl. § 3 Abs. 2 Satz 3 AbfG n.F.). Eine auf Gewinnerzielung gerichtete Verwertung durch den Entsorgungspflichtigen, sollte sie überhaupt in Betracht kommen, unterfällt nicht dem Verwertungsbegriff in § 1 Abs. 1 Satz 2 AbfG n.F. Insoweit beeinflußt diese Vorschrift den Abfallbegriff nicht (vgl. auch Hösel/v. Lersner, a.a.O., Rdnr. 11). Würde die entsorgungspflichtige Körperschaft Altreifen zur kommerziellen Verwendung übernehmen, so wären diese keine Abfälle; entsprechende Transporte wären nicht kraftfahrzeugsteuerbegünstigt. Die vom Antragsteller als verfassungswidrig gerügte Ungleichbehandlung liegt also nicht vor. Damit erübrigt es sich, auf die Frage einzugehen, ob eine aufgrund des erweiterten Abfallbegriffs weiterreichende Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 4 Buchst. b KraftStG 1979 verfassungswidrig wäre und welche Folgerungen aus einem Verfassungsverstoß zu ziehen wären (zur Problematik Senat, Urteil vom 9. August 1988 VII R 146/85, BFHE 154, 235, 237, BStBl II 1988, 964).