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BFH-Beschluß vom 28.6.1989 (I R 110/85) BStBl. 1989 II S. 853

Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften wird folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Erlaubt Art. 4 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 69/335/EWG den Mitgliedstaaten, ein zinsloses Darlehen, das ein Gesellschafter seiner überschuldeten Kapitalgesellschaft gewährt, mit dem Nutzungswert (ersparte Zinsaufwendungen) der Gesellschaftsteuer zu unterwerfen?

KVStG 1972 § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c; Richtlinie 69/335/EWG Art. 4 Abs. 2 Buchst. b.

Vorinstanz: FG Schleswig-Holstein

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine durch Vertrag vom 27. Juni 1975 errichtete und in das Handelsregister eingetragene Kapitalgesellschaft im Sinne des § 5 Abs. 2 Nr. 3 des Kapitalverkehrsteuergesetzes (KVStG 1972). Sie wurde gegründet, um die Risiken abzudecken, die einer ihrer Kommanditisten aus Anlaß eines größeren Bauvorhabens eingegangen war. Die Klägerin übernahm die Verpflichtungen aus dem Bauvorhaben. Gleichzeitig verpflichteten sich die Kommanditisten der Klägerin, dieser Darlehen zu gewähren. Insgesamt wurden der Klägerin von ihren Kommanditisten Darlehen in Höhe von 131 Mio DM gewährt. Nach den insoweit den erkennenden Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des Finanzgerichts (FG) wurden die Darlehen für die Jahre 1977 bis 1983 zinslos gewährt.

Die Klägerin erlitt in den genannten Jahren erhebliche Verluste. Zum 31. Dezember 1983 wurden die auf die Kommanditisten entfallenden Verlustanteile mit deren Darlehensforderungen verrechnet. Gleichzeitig wurde die Liquidation der Klägerin beschlossen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) sah in der Zurverfügungstellung zinsloser Darlehen gesellschaftsteuerpflichtige Leistungen im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c KVStG 1972. Es setzte die Gesellschaftsteuer durch Steuerbescheid vom 7. Dezember 1984 auf 361.335 DM fest.

Die Klage blieb ohne Erfolg.

Der erkennende Senat beabsichtigt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Die Entscheidung über die Revision hängt jedoch davon ab, ob § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c KVStG 1972 bei richtlinienkonformer Auslegung zinslose Darlehensgewährungen eines Gesellschafters an seine stark überschuldete Kapitalgesellschaft mit ihrem Nutzungswert (ersparte Zinsaufwendungen) der Gesellschaftsteuer unterwirft. Für die Beurteilung dieser Frage ist es entscheidungserheblich, ob Art. 4 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 69/335/EWG den Mitgliedstaaten eine entsprechende Besteuerung gestattet oder nicht. Bezüglich dieser Frage ist die Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) gemäß Art. 177 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) geboten.

Entscheidungsgründe

II.

Der erkennende Senat bejaht die zur Vorabentscheidung vorgelegte Rechtsfrage aus folgenden Gründen:

Nach Art. 4 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie darf die Erhöhung des Gesellschaftsvermögens einer Kapitalgesellschaft durch Leistungen des Gesellschafters der Gesellschaftsteuer unterworfen werden, wenn die Leistung geeignet ist, den Wert der Gesellschaftsanteile zu erhöhen. Aus der Verwendung des weit gefaßten Leistungsbegriffs ergibt sich, daß unter Art. 4 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie nicht nur verdeckte Gesellschaftereinlagen im engeren Sinne, sondern ebenso sog. Erfolgsbeiträge, z.B. in der Form einer Nutzungsüberlassung, fallen. Zwar vollzieht sich bei einer Gesellschaftereinlage die Vermögensmehrung der Gesellschaft schon mit der Übertragung des Vermögensgegenstandes. Bei einem Erfolgsbeitrag ist sie dagegen davon abhängig, daß die Gesellschaft den Beitrag (z.B. das zinslose Darlehen) nutzt und durch die Nutzung eigene Aufwendungen erspart. Entsprechend tritt in diesem Fall die Vermögensmehrung erst mit der Nutzung und der damit verbundenen Ersparnis von Aufwendungen ein. Jedoch stellt Art. 4 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie auf diese Unterscheidung nicht ab. Die Vorschrift läßt die objektive Eignung des Erfolgsbeitrags, den Wert der Gesellschaftsrechte zu erhöhen, zur Begründung der Steuerpflicht genügen.

Die vom erkennenden Senat vertretene Auffassung entspricht der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - (vgl. Urteile vom 12. April 1972 II 37/63, BFHE 106, 123, BStBl II 1972, 714; vom 31. Januar 1979 II R 46/77, BFHE 127, 227, BStBl II 1979, 382, und vom 11. Juli 1984 II R 87/82, BFHE 141, 569, BStBl II 1984, 840). An dieser Rechtsprechung wird neuerdings Kritik geübt (vgl. Müller/Baumgarten, Europarecht und Gesellschaftsteuer, Diss. Bielefeld 1981, Band 6 der Studien zum Finanz- und Steuerrecht, 1983, S. 112 ff.; Klenk, UVR 1989, 10 ff.; Egly/Klenk, Gesellschaftsteuer, 4. Aufl., Rdnr. 160). Dabei wird geltend gemacht, § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c KVStG 1972 sei mit Art. 4 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie unvereinbar, weil letztere die Erhöhung des Gesellschaftsvermögens voraussetze. Eine Erhöhung des Gesellschaftsvermögens trete aber nur dann ein, wenn das sog. Reinvermögen der Gesellschaft, d.h. die Differenz zwischen Aktivvermögen und Schulden erhöht werde. Die Regelung beruhe insoweit auf einer bilanzrechtlichen Betrachtungsweise und erfasse nur die Kapitalzufuhr solcher Vermögensvorteile, die in der Bilanz als Mehrung der Aktiva oder als Minderung der Passiva ausgewiesen werden könnten. Ergänzend dazu wird auf die Regelungen in Art. 4 Abs. 2 Buchst. c und d der Richtlinie hingewiesen. Daraus wird abgeleitet, daß Darlehensüberlassungen, die nicht unter die genannten Vorschriften fielen, nicht der Gesellschaftsteuer unterworfen werden dürften.

Der erkennende Senat folgt dieser Auffassung nicht. Er hält es für ausreichend, wenn der Wert des Gesellschaftsvermögens pro rata temporis der Nutzung durch die Ersparnis von Aufwendungen vermehrt wird. Auch liegt der Richtlinienregelung keine bilanzrechtliche Betrachtungsweise zugrunde. Die Regelung knüpft vielmehr an Vorgänge des Zivilrechts an, wobei der weit zu fassende Leistungsbegriff darauf hinweist, daß alle Leistungen der Gesellschaftsteuer unterworfen werden können, die geeignet sind, das Gesellschaftsvermögen zu mehren. Die Vermögensmehrung muß nicht schon im Zeitpunkt der Überlassung des Darlehensbetrages eintreten.

Aus Art. 4 Abs. 2 Buchst. c und d der Richtlinie folgt im Umkehrschluß nichts anderes. In den geregelten Fällen besteht die zu besteuernde Leistung in der Überlassung des Darlehensbetrages seinem Vermögenswert und nicht nur seinem Nutzungswert nach. Die Regelungsbereiche des Art. 4 Abs. 2 Buchst. c und d der Richtlinie einerseits und des Art. 4 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie andererseits stehen deshalb selbständig nebeneinander und schließen sich wechselseitig aus. Gerade daraus folgt aber, daß die darlehensweise Nutzungsüberlassung grundsätzlich unter Art. 4 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie fällt.