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BFH-Urteil vom 11.7.1989 (VII R 109/88) BStBl. 1989 II S. 858

Der Prüfungsausschuß für die schriftliche Steuerberaterprüfung ist nur dann ordnungsgemäß besetzt, wenn die zu Gutachtern für die Aufsichtsarbeiten bestellten Mitglieder bei der Festsetzung der Noten mitwirken.

DVStB §§ 10, 24 Abs. 1.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) nahm an der Steuerberaterprüfung 1987 teil. Für die von ihm gefertigten Aufsichtsarbeiten setzte der Prüfungsausschuß des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzministerium) in seiner Sitzung vom 18. Dezember 1987 aufgrund der Begutachtung der Arbeiten durch je zwei Prüfer die Noten 5, 4,5 und 4,5 fest. Mit Bescheid vom 29. Dezember 1987 teilte das Finanzministerium dem Kläger mit, seine Gesamtnote für die schriftliche Prüfung (4,66) übersteige die Zahl 4,5. Er sei deshalb nach § 25 Abs. 2 der Verordnung zur Durchführung der Vorschriften über Steuerberater, Steuerbevollmächtigte und Steuerberatungsgesellschaften (DVStB) von der mündlichen Prüfung ausgeschlossen und habe die Prüfung nicht bestanden.

Die Prüfungsarbeit des Klägers aus dem Gebiet Buchführung und Bilanzwesen ist vom Erstgutachter mit 54 Punkten und der Note 4 und vom Zweitgutachter mit 39 Punkten und der Note 5 bewertet worden. Der Erstgutachter, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater B, der durch Erlaß des Finanzministeriums zum stellvertretenden Mitglied des Prüfungsausschusses für Steuerberater bestellt worden war, war an der Teilnahme an der Sitzung des Prüfungsausschusses am 18. Dezember 1987 verhindert; er wurde durch Rechtsanwalt Dr. G als ordentliches Mitglied des Prüfungsausschusses vertreten. Der Prüfungsausschuß setzte in dieser Sitzung die Note für die Aufsichtsarbeit des Kläger aus dem Gebiet Buchführung und Bilanzwesen mit 4,5 fest.

Die Klage des Klägers, mit der dieser beantragte, das Finanzministerium zu verpflichten, seine Aufsichtsarbeiten neu zu bewerten und ihn zur mündlichen Prüfung zuzulassen, blieb erfolglos.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung von Bundesrecht (Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes - GG -, § 158 des Steuerberatungsgesetzes - StBerG - i.V.m. § 10 Abs. 3 und § 24 Abs. 1 Sätze 1 und 2 DVStB). Er ist der Auffassung, in der vom FG gebilligten Verfahrensweise des Prüfungsausschusses bei der Festsetzung der Note für seine Aufsichtsarbeit auf dem Gebiet Buchführung und Bilanzwesen liege eine schwerwiegende Verletzung des Prüfungsverfahrensrechts. Der Prüfungsausschuß sei nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen, weil der Erstgutachter für diese Arbeit nur stellvertretendes Mitglied des Prüfungsausschusses gewesen sei und er an der entscheidenden Sitzung vom 18. Dezember 1987 nicht teilgenommen habe.

Aus dem Zusammenhang der Sätze 1 und 2 des § 24 Abs. 1 DVStB, dem Sinn und Zweck der Regelung und der gebotenen verfassungskonformen Auslegung ergebe sich, daß die mindestens zwei Mitglieder des Prüfungsausschusses, die die schriftliche Arbeit selbständig zu begutachten hätten, ordentliche Mitglieder des Prüfungsausschusses sein müßten, die sodann zusammen mit den anderen Mitgliedern des Ausschusses im Rahmen einer Kollegialentscheidung über die Benotung zu entscheiden hätten. Die Begutachtung der Arbeiten durch stellvertretende Mitglieder des Prüfungsausschusses sei nicht zulässig. Ein mit der Begutachtung betrauter Stellvertreter werde im Vertretungsfall, der aktenkundig zu machen sei, zum ordentlichen Prüfungsausschußmitglied. Sei er in der Sitzung des Prüfungsausschusses zur Festsetzung der Note verhindert, so müsse diese verlegt werden. Der rein formalen Betrachtung des FG, daß der Prüfungsausschuß nach § 10 Abs. 3 DVStB ordnungsgemäß besetzt gewesen sei, könne nicht gefolgt werden.

Der Bundesfinanzhof (BFH) habe im Urteil vom 11. Mai 1982 VII R 18/82 (BFHE 136, 173, BStBl II 1982, 674) ausgeführt, daß den Mitgliedern des Prüfungsausschusses bei abweichenden Gutachten Gelegenheit gegeben werden müsse, ihre Gutachten zu erläutern und in eine Erörterung darüber einzutreten, worauf die abweichenden Gutachten beruhen könnten. Das setze voraus, daß die Gutachter bei der entscheidenden Sitzung über die Festsetzung der Note anwesend seien. Von einer wirksamen Festsetzung der Note durch den Prüfungsausschuß könne somit nur dann gesprochen werden, wenn sie nach Abschluß der Einzelbegutachtung durch eine gemeinsame Beratung sämtlicher mit dem konkreten Prüfungsverfahren befaßten Mitglieder des Ausschusses und in Kenntnis der erteilten Noten erfolgt sei, d.h. wer begutachtet habe, müsse auch votieren.

Wenn im Streitfall dem Erstgutachter keine Gelegenheit gegeben worden sei, seinen Notenvorschlag dem Prüfungsausschuß zu erläutern und lediglich der Zweitgutachter, der 15 Punkte weniger vergeben habe, angehört worden sei, so stelle das einen schwerwiegenden Verfahrensfehler dar, der für die getroffene Prüfungsentscheidung möglicherweise erheblich sei. Es sei nicht auszuschließen, daß bei Anhörung und Mitwirkung des Erstgutachters im Prüfungsausschuß für die Buchführungsklausur die Note 4 festgesetzt worden wäre. Das hätte zur Gesamtnote 4,5 für die schriftliche Prüfung und zu seiner (des Klägers) Zulassung zur mündlichen Prüfung geführt. Der Kläger beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung den Prüfungsbescheid des Finanzministeriums aufzuheben und dieses zu verpflichten, ihn (den Kläger) gemäß der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden.

Das Finanzministerium beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet.

1. Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats, die auf der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) beruht, können Prüfungsentscheidungen gerichtlich nur beschränkt überprüft werden. Der Richter kann nur prüfen, ob die Prüfer bzw. der Prüfungsausschuß allgemein gültige Bewertungsgrundsätze nicht beachtet haben, sich von sachfremden Erwägungen haben leiten lassen, von unzutreffenden Tatsachen ausgegangen sind und ob die für die Prüfung maßgebenden Verfahrensbestimmungen eingehalten worden sind (vgl. BFH-Urteile vom 24. August 1976 VII R 17/74, BFHE 120, 106, BStBl II 1976, 797; vom 30. Januar 1979 VII R 13/78, BFHE 127, 290, BStBl II 1979, 417, und vom 20. Dezember 1983 VII R 123/83, BFHE 140, 125, BStBl II 1984, 280). Die Einwendungen des Klägers gegen die angefochtene Prüfungsentscheidung des Finanzministeriums richten sich gegen die Art und Weise und die Besetzung, in der der Prüfungsausschuß die Note für die schriftliche Arbeit aus dem Gebiet Buchführung und Bilanzwesen festgesetzt hat. Der Kläger rügt damit eine Verletzung der für die Prüfung geltenden Verfahrensvorschriften, deren Einhaltung der gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Nach Auffassung des Senats ist dem Prüfungsausschuß - im Gegensatz zu der Entscheidung der Vorinstanz - bei der Benotung der streitigen Prüfungsarbeit ein Verfahrensfehler unterlaufen, der für die getroffene Prüfungsentscheidung - Nichtzulassung zur mündlichen Prüfung, Nichtbestehen der Prüfung - ursächlich gewesen sein kann.

2. Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 DVStB ist jede schriftliche Arbeit von mindestens zwei Mitgliedern des Prüfungsausschusses selbständig zu begutachten. Satz 2 des § 24 Abs. 1 DVStB bestimmt, daß der Prüfungsausschuß die Note festsetzt. Aus der Vorschrift folgt zunächst, daß die Gutachter für die schriftlichen Arbeiten - Erstgutachter und Zweitgutachter - Mitglieder des Prüfungsausschusses sein müssen. Sodann ergibt sich aus dem Zusammenhang beider Sätze des § 24 Abs. 1 DVStB, daß der Prüfungsausschuß seine Entscheidung auf der Grundlage der Benotungsvorschläge der Gutachter zu treffen hat (vgl. Urteil des Senats in BFHE 136, 173, BStBl II 1982, 674, 677).

a) Die Prüfungsordnung für Steuerberater und Steuerbevollmächtigte unterscheidet in sachlicher Hinsicht nicht zwischen ordentlichen und stellvertretenden Mitgliedern des Prüfungsausschusses (vgl. auch § 10 DVStB). Auch Personen, die durch den behördlichen Bestellungsakt (§ 10 Abs. 3 Satz 2 DVStB) zu stellvertretenden Mitgliedern berufen worden sind, sind, wenn der Vertretungsfall eintritt und sie mit der Begutachtung von Prüfungsarbeiten betraut werden, Mitglieder des Prüfungsausschusses im Sinne des § 24 DVStB. Das hat aber zur Folge, daß sich ihre Tätigkeit nicht nur auf die Begutachtung der Aufsichtsarbeiten beschränken darf, sondern daß sie als Mitglieder des Prüfungsausschusses auch an der Festsetzung der Note nach § 24 Abs. 1 Satz 2 DVStB beteiligt werden müssen. Der Senat folgt nicht der Auffassung des Finanzministeriums und dem Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 15. Dezember 1981 2 K 186/81 (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1982, 491), wonach eine große Zahl von Prüfungskandidaten es rechtfertigen kann, die Begutachtung der schriftlichen Prüfungsarbeiten zum Teil durch stellvertretende Mitglieder des Prüfungsausschusses durchführen zu lassen, diese aber dann am weiteren Prüfungsverfahren nicht mehr zu beteiligen und die Festsetzung der Noten den Mitgliedern des Prüfungsausschusses zu überlassen, die zu ordentlichen Mitgliedern bestellt worden sind. Eine derartige Verfahrensweise reduziert die Bedeutung und den Einfluß der als Gutachter herangezogenen stellvertretenden Prüfungsausschußmitglieder auf eine Stellung, die derjenigen von Korrekturassistenten entspricht, was mit der persönlichen und fachlich-wissenschaftlichen Unabhängigkeit eines Prüfers nicht zu vereinbaren wäre. Nach § 10 Abs. 1 Satz 2 DVStB können bei Bedarf mehrere Prüfungsausschüsse gebildet werden. Daraus folgt, daß die Prüfungsordnung zur verfahrensmäßigen Bewältigung einer großen Zahl von Prüflingen vorsieht, daß die notwendige Zahl von Prüfungsausschüssen mit unabhängigen und untereinander rechtlich gleichwertigen Prüfern gebildet wird.

Der Prüfungsausschuß bei der schriftlichen Steuerberaterprüfung des Klägers war demnach - wie die Revision mit Recht ausführt - fehlerhaft besetzt, weil der als stellvertretendes Mitglied des Prüfungsausschusses zum Erstgutachter für die Buchführungsklausur bestellte Wirtschaftsprüfer und Steuerberater B am weiteren Prüfungsverfahren (Festsetzung der Noten) nicht beteiligt worden ist. Für die ordnungsgemäße Besetzung des Prüfungsausschusses reicht im Gegensatz zur Auffassung der Vorinstanz die Erfüllung der formalen Besetzungsanforderungen gemäß § 10 Abs. 3 DVStB nach den verschiedenen am Prüfungsverfahren interessierten Behörden, Organisationen und Berufen nicht aus.

Der Senat hat zwar in seinem Urteil vom 28. November 1978 VII R 70/78 (BFHE 126, 502, BStBl II 1979, 207, 209) entschieden, daß es einer Neubewertung der schriftlichen Arbeiten nicht bedarf, wenn in der mündlichen Prüfung ein anderer Prüfer an die Stelle des Prüfers tritt, der als Gutachter bei der Bewertung der schriftlichen Arbeiten tätig geworden ist. Die Entscheidung stellt darauf ab, daß sich die Steuerberater- und Steuerbevollmächtigtenprüfung in eine schriftliche und eine mündliche Prüfung gliedert (vgl. § 11 DVStB), wobei über den Ausgang der schriftlichen Prüfung mit einer hierfür zu bildenden Gesamtnote (§ 25 Abs. 1 DVStB) der Prüfungsausschuß in seiner Zusammensetzung zu diesem Zeitpunkt zu entscheiden hat. Aus dieser Begründung muß entnommen werden, daß ein Austausch von Prüfern während des selbständigen Verfahrensabschnitts der schriftlichen Prüfung nicht zulässig ist (vgl. Niehues, Schul- und Prüfungsrecht, 2. Aufl., Rdnr. 396, 396 a). Die unrichtige Besetzung des Prüfungsausschusses ist ein wesentlicher Verfahrensfehler, der die Prüfungsentscheidung rechtswidrig macht (vgl. Niehues, a.a.O., Rdnr. 382).

b) Die Ersetzung des Erstgutachters für die Buchführungsklausur B durch Rechtsanwalt Dr. G als ordentliches Mitglied des Prüfungsausschusses bei der Beschlußfassung über die Festsetzung der Note in der Sitzung vom 18. Dezember 1987 kann nicht mit der Verhinderung des B an der Teilnahme an dieser Sitzung gerechtfertigt werden. Denn die Vertretung des zum Gutachter bestellten Mitglieds des Prüfungsausschusses bei Festsetzung der Note für die Prüfungsarbeit war aus sachlich rechtlichen Gründen ausgeschlossen.

Wie der Senat in seinem Urteil in BFHE 136, 173, BStBl II 1982, 674 entschieden hat, hat der Prüfungsausschuß für die Steuerberaterprüfung die Note für jede schriftliche Arbeit jedenfalls dann aufgrund gemeinsamer Beratung festzusetzen, wenn sie vom Erst- und Zweitgutachter unterschiedlich begutachtet worden ist. Der Wortlaut des § 24 Abs. 1 Satz 2 DVStB ist bei abweichenden Benotungsvorschlägen durch die Ausschußmitglieder so auszulegen, daß die Festsetzung der Note in gemeinsamer Beschlußfassung und in Kenntnis der von den begutachtenden Ausschußmitgliedern vorgeschlagenen Noten geschieht. Dabei muß den begutachtenden Ausschußmitgliedern bei abweichenden Gutachten Gelegenheit gegeben werden, ihre Gutachten zu erläutern und in eine Erörterung darüber einzutreten, worauf die abweichenden Gutachten beruhen können. Der Senat geht also nach seiner bisherigen Rechtsprechung davon aus, daß die zu Gutachtern für die Prüfungsarbeiten bestellten Mitglieder des Prüfungsausschusses an der Beschlußfassung über die Festsetzung der Note nach § 24 Abs. 1 Satz 2 DVStB zu beteiligen sind.

Auch im Schrifttum und in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung wird einhellig die Auffassung vertreten, daß bei der Bewertung der Prüfungsleistungen alle zur Entscheidung berufenen Prüfer mitzuwirken haben und daß die Abwesenheit von Mitgliedern des Prüfungsausschusses während der abschließenden Beratung Verfahrensverstöße darstellen, die zur Aufhebung der Prüfungsentscheidung führen (vgl. Niehues, a.a.O., Rdnr. 417 m.w.N.). Das Zusammenwirken sämtlicher Prüfer ist u.a. deshalb geboten, um einseitige Beurteilungen nach Möglichkeit auszugleichen. Die Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit der Entscheidung des einzelnen Prüfers (vgl. § 24 Abs. 1 Satz 1 DVStB) geht aber verloren, wenn ein Prüfer bei der Beratung und Entscheidung den anderen vertritt (vgl. Niehues, a.a.O., Rdnr. 419).

c) Im Streitfall war - ausgehend von den vorstehend dargestellten Rechtsgrundsätzen - die persönliche Mitwirkung des Erstgutachters der Buchführungsklausur des Klägers an der Beratung und Festsetzung der Note durch den Prüfungsausschuß in besonderem Maße geboten. Die Buchführungsklausur des Klägers war von den beiden Gutachtern mit erheblich voneinander abweichenden Punktzahlen (54 und 39 Punkte) und Benotungsvorschlägen (Noten 4 und 5) bewertet worden, wobei der Erstgutachter B, der an der Sitzung des Prüfungsausschusses am 18. Dezember 1987 nicht teilgenommen hat, die bessere Note vorgeschlagen hatte. Der Prüfungsausschuß hätte daher unter Beachtung des Gebots eines fairen Prüfungsverfahrens die Note nicht festsetzen dürfen, ohne dem Erstgutachter Gelegenheit zur Erläuterung seines Gutachtens zu geben. Dem Erstgutachter mußte als Mitglied des Prüfungsausschusses auch die Möglichkeit gegeben werden, seinen für den Kläger günstigeren Benotungsvorschlag in die Beratung und Beschlußfassung des Ausschusses einzubringen und über die Festsetzung der Note mitabzustimmen, wobei im Falle seiner Verhinderung am 18. Dezember 1987 die Sitzung des Prüfungsausschusses notfalls zu vertagen war. Bei länger dauernder Verhinderung des B hätte ggf. an dessen Stelle ein anderer Gutachter für die Buchführungsklausur bestellt werden müssen, der dann auch an der Festsetzung der Note durch den Prüfungsausschuß hätte mitwirken müssen.

Das gilt um so mehr, wenn man in die Beurteilung die näheren Umstände einbezieht, die nach dem Vorbringen des Finanzministeriums - wie im Urteil der Vorinstanz dargestellt - für die Benotung der Buchführungsklausur ausschlaggebend waren. Danach ist die Notenskala bezogen auf die jeweils erreichten Punktzahlen gegenüber dem Bewertungsvorschlag, der den Gutachten zugrunde lag, durch den Prüfungsausschuß angehoben worden, so daß sich selbst nach der vom Zweitgutachter ermittelten Punktzahl von 39 für die Arbeit des Klägers die (bessere) Note 4,5 ergab. Der Prüfungsausschuß hat sich sodann in der Sitzung vom 18. Dezember 1987 der Beurteilung des Zweitgutachters angeschlossen, daß eine höhere Punktzahl als 39 und eine bessere Benotung als 4,5 nicht gerechtfertigt sei. Die Abweichung von der Bewertung des nicht anwesenden Erstgutachters, der bereits nach der ursprünglichen, für die Prüflinge nachteiligen Notenskala die Note 4 vorgeschlagen hatte, ist damit begründet worden, daß der Erstgutachter bei der Vergabe von Punkten (54) nicht immer dem Lösungsvorschlag gefolgt sei. Diese Begründung ist nicht geeignet, die unterbliebene Anhörung des Erstgutachters zu rechtfertigen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats sind Prüfungsentscheidungen höchstpersönliche Werturteile der Mitglieder des Prüfungsausschusses, die ihre fachlich-wissenschaftliche Beurteilung nach bestem Wissen und Gewissen frei und unabhängig zu treffen haben. Daher können Lösungshinweise und Bewertungsvorschläge aufgrund eines Punkteschemas nur eine unverbindliche Hilfe für die gleichmäßige Beurteilung der inhaltlichen Lösung von Prüfungsarbeiten durch die Prüfer sein, die deren Unabhängigkeit und Unvoreingenommenheit als Prüfer jedoch nicht beeinträchtigen dürfen. Die Prüfer sind an die Lösungsvorschläge und die diesen beigefügten Punktebewertungen nicht gebunden (vgl. Urteil des Senats vom 8. April 1986 VII R 9/84, BFH/NV 1986, 768, 769 m.w.N.). Der Prüfungsausschuß hätte deshalb den Benotungsvorschlag des Erstprüfers nicht unberücksichtigt lassen dürfen, ohne diesem Gelegenheit zu geben, seine Abweichung von dem Lösungs- und Bewertungsvorschlag zu begründen.

d) Die Nichtteilnahme des Erstgutachters B an der Sitzung des Prüfungsausschusses am 18. Dezember 1987 stellt einen wesentlichen Verfahrensfehler dar. Denn es läßt sich nicht ausschließen, daß der Prüfungsausschuß bei der Anhörung des B dessen Bewertungsvorschlag gefolgt und die Arbeit des Klägers auf dem Gebiet Buchführung und Bilanzwesen mit der Note 4 beurteilt hätte, zumal in der Sitzung des Prüfungsausschusses für die Benotung dieser Klausur allgemein eine günstigere Notenskala verwendet worden ist, als sie den Gutachten zugrunde lag. Die bloße Kenntnisnahme von dem schriftlichen Gutachten des B reicht nicht aus, da auf diese Weise der Benotungsvorschlag des in der Sitzung anwesenden Zweitgutachters ein unzulässiges Übergewicht gewinnen konnte. Die Beurteilung der Buchführungsklausur durch den Prüfungsausschuß mit der Note 4 hätte zur Gesamtnote 4,5 für die schriftliche Prüfung und damit zur Zulassung des Klägers zur mündlichen Prüfung geführt (§ 25 Abs. 1 und 2 DVStB).

3. Da das FG von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist, war seine Entscheidung aufzuheben. Die Erheblichkeit des Verfahrensmangels führt auch zur Aufhebung der angefochtenen Prüfungsentscheidung (§ 100 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -; vgl. Niehues, a.a.O., Rdnr. 426). Das Finanzministerium war auf Antrag des Klägers zu verpflichten, das fehlerhaft durchgeführte Prüfungsverfahren ohne den beanstandeten Verfahrensmangel zu wiederholen (vgl. § 101 Satz 2 FGO; Niehues, a.a.O., Rdnr. 435 und Rdnr. 486). Zu diesem Zwecke wird der Prüfungsausschuß unter Mitwirkung des Erstgutachters B erneut über die Benotung der Aufsichtsarbeit des Klägers aus dem Gebiet Buchführung und Bilanzwesen zu entscheiden und sodann die Gesamtnote für die schriftliche Prüfung festzusetzen haben.