| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

 

BFH-Beschluß vom 17.8.1989 (VII B 70/89) BStBl. 1989 II S. 899

1. Das Gesuch auf Richterablehnung ist auch im Tatbestandsberichtigungsverfahren nach § 108 Abs. 1 FGO statthaft.

2. Für das Ablehnungsgesuch besteht dann kein Rechtsschutzinteresse, wenn bei Begründetheit des Ablehnungsantrags eine weitere richterliche Tätigkeit im Berichtigungsverfahren ausgeschlossen wäre (hier: Ablehnung sämtlicher Richter des Spruchkörpers).

FGO §§ 51 Abs. 1, 108; ZPO § 42 Abs. 2.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) wandte sich vor dem Finanzgericht (FG) teilweise erfolglos gegen einen Duldungsbescheid des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt - FA -). Die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision und die Revision wurden als unzulässig verworfen. (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 17. August 1989 VII B 46/89 und VII R 37/89).

Das FG hatte sein Urteil im Anschluß an die mündliche Verhandlung vom 21. Oktober 1988 verkündet. Am 14. Dezember 1988 stellte die Klägerin einen Antrag auf Berichtigung des Urteilstatbestands und lehnte gleichzeitig die drei Berufsrichter wegen Besorgnis der Befangenheit mit der Begründung ab, diese hätten den Prozeß rechtswidrig geführt.

Durch einheitlichen Beschluß vom 18. Januar 1989 wies das FG den Berichtigungsantrag als unbegründet zurück und verwarf den Befangenheitsantrag wegen Rechtsmißbrauchs als unzulässig.

Die Beschwerde gegen die Ablehnung des Befangenheitsantrags begründet die Klägerin mit der "Erinnerungsunfähigkeit" des Vorsitzenden Richters über den Ablauf der mündlichen Verhandlung und dem "Rechtsunwillen" der abgelehnten Richter, die Befangenheitsanträge rechtmäßig zu behandeln. Der angefochtene Ablehnungsbeschluß enthalte keine Begründung für die Annahme des Rechtsmißbrauchs und sei mit einer fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung versehen.

Die Klägerin beantragt unter Aufhebung der Vorentscheidung, die Richter des ... Senats des FG in der erkennenden Besetzung vom 21. Oktober 1988 abzulehnen.

Das FA beantragt, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Beschwerde ist unbegründet, denn das FG hat das Ablehnungsgesuch im Ergebnis zu Recht als unzulässig verworfen.

1. Soweit die Klägerin mit ihrem Antrag beabsichtigt, die betreffenden Richter für das Klageverfahren (Urteilsverfahren) für befangen zu erklären, folgt die Unzulässigkeit ihres Gesuchs daraus, daß mit der Richterablehnung nach § 42 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 51 Abs. 1 FGO nur das Ziel verfolgt werden kann, den abgelehnten Richter an einer weiteren Tätigkeit in dem betreffenden Verfahren zu hindern. Von § 43 ZPO abgesehen, kommt ein Gesuch auf Richterablehnung deshalb nicht mehr in Betracht, wenn der Richter seine richterliche Tätigkeit im konkreten Verfahren beendet hat. Dies ist im allgemeinen der Fall, wenn er die Entscheidung, welche die Instanz beendet, erlassen hat (BFH-Beschluß vom 26. März 1980 I B 23/80, BFHE 130, 20, BStBl II 1980, 335; Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 14. Dezember 1967 BReg 1 bZ 117/67, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1968, 802). Im Streitfall ist nicht darüber zu befinden, welche Merkmale erfüllt sein müssen, damit eine Entscheidung als "erlassen" anzusehen ist. Eine Richterablehnung ist jedenfalls dann nicht mehr zulässig, wenn die Entscheidung von dem Gericht, dem der abgelehnte Richter angehört, nicht mehr abgeändert werden kann (BFH-Beschluß vom 12. März 1985 IV S 9/85, BFH/NV 1986, 738). Das Urteil des FG wurde im Anschluß an die mündliche Verhandlung vom 21. Oktober 1988 verkündet. Es war also von diesem Zeitpunkt an nicht mehr abänderbar. Das Ablehnungsgesuch hat die Klägerin erst mit Schriftsatz vom 14. Dezember 1988 - beim FG eingegangen am 20. Dezember 1988 - und somit nach Abschluß des Klageverfahrens beim FG angebracht.

2. Das Ablehnungsgesuch der Klägerin ist auch insoweit unzulässig, als mit ihm ein Mitwirken der betroffenen Richter an der Tatbestandsberichtigung verhindert werden soll. Einem solchen Antrag fehlt das Rechtsschutzinteresse.

Die Klägerin weist in ihrem Ablehnungsgesuch zwar zutreffend darauf hin, daß ein Ablehnungsantrag auch im Berichtigungsverfahren nach § 108 Abs. 1 FGO möglich ist, denn die Vorschriften der §§ 42 ff. ZPO i.V.m. § 51 Abs. 1 FGO gelten grundsätzlich für alle Verfahrensabschnitte, in denen eine Ausübung des Richteramtes in Betracht kommt. Sie gelten damit auch für das Tatbestandsberichtigungsverfahren (Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 3. Oktober 1962 V ZR 212/60, NJW 1963, 46; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl. 1988, § 108 FGO Tz. 5; Wieczorek, Zivilprozeßordnung und Nebengesetze, 2. Aufl. 1976, § 320 Anm. B III a). Das Ablehnungsrecht findet lediglich in den - hier nicht vorliegenden - zeitlichen Schranken der §§ 43, 44 ZPO eine Begrenzung.

Die Entscheidung über den Antrag auf Ablehnung aller Richter hätte im Streitfall bei begründeter Ablehnung aber zur Folge, daß die von der Klägerin angestrebte Tatbestandsberichtigung überhaupt nicht mehr möglich wäre, denn nach § 108 Abs. 2 Satz 3 FGO wirken an der Berichtigung nur die Richter mit, die - mit Ausnahme der ehrenamtlichen Richter (Senatsbeschluß vom 25. Juli 1978 VII B 20/78, BFHE 125, 490, BStBl II 1978, 675) - an dem Urteil selbst mitgewirkt haben. Eine Vertretung findet nicht statt (Tipke/Kruse, a.a.O., § 108 FGO Tz. 5), denn für die Berichtigung ist allein die Erinnerung der am Urteilsverfahren mitwirkenden Richter, unterstützt durch das Protokoll und private Aufzeichnungen, maßgebend (Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 47. Aufl. 1989, § 320 Anm. 5). Ist aber bei Begründetheit des Ablehnungsgesuchs eine weitere richterliche Tätigkeit im Tatbestandsberichtigungsverfahren überhaupt ausgeschlossen, so besteht an der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch kein Rechtsschutzinteresse (Beschluß des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 9. Mai 1979 3 W 5/79, Monatsschrift für Deutsches Recht 1979, 940).

3. Die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch führt auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 5. Februar 1970 2 AZR 242/69 (Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts - Arbeitsrechtliche Praxis - Nr. 2 zu § 320 ZPO) zu keinem anderen Ergebnis. Das BAG hat in dieser Entscheidung ausgeführt, daß über den Antrag auf Tatbestandsberichtigung nicht mehr entschieden werden könne, wenn der Revisionskläger vor dem Berufungsgericht einen Antrag auf Tatbestandsberichtigung gestellt und alle Richter, die das Urteil gefällt hatten, wegen Besorgnis der Befangenheit erfolgreich abgelehnt worden seien. Das Revisionsgericht müsse dann prüfen, ob der Antrag auf Tatbestandsberichtigung Erfolg gehabt hätte und ob das Urteil auf dem berichtigungsbedürftigen Teil beruhe. Im Streitfall ist indes über den Berichtigungsantrag der Klägerin bereits entschieden worden. Diese Entscheidung ist nach § 108 Abs. 2 Satz 2 FGO grundsätzlich unanfechtbar (zu den Ausnahmen vgl. Senatsbeschluß in BFHE 125, 490). Darüber hinaus kann der BFH als Revisionsgericht das Vorbringen der Klägerin im Tatbestandsberichtigungsantrag auch nicht mehr berücksichtigen, denn das FG-Urteil ist aufgrund der Senatsbeschlüsse vom heutigen Tage über die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin und die Revision einer revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht mehr zugänglich.

Das Richterablehnungsverfahren kann somit nur im Hinblick auf eine weitere richterliche Verfahrenstätigkeit stattfinden, nicht aber zur Überprüfung eines bereits abgeschlossenen Verfahrens, worauf aber eine sachliche Entscheidung über das Ablehnungsgesuch der Klägerin im Ergebnis hinauslaufen würde.