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BFH-Urteil vom 25.4.1989 (VII R 105/87) BStBl. 1989 II S. 949

Bei der Aufrechnung durch den Steuerpflichtigen gegen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis findet das Erfordernis der Kassenidentität gemäß § 395 BGB keine Anwendung.

AO 1977 § 226; BGB §§ 387 ff., 395.

Vorinstanz: FG Hamburg (EFG 1987, 596)

Entscheidungsgründe

Die Aufrechnung durch die Kläger mit dem abgetretenen Kostenerstattungsanspruch war nicht deshalb unwirksam, weil dieser Anspruch von der Landeshauptkasse zu berichtigen war, während die Steuerschulden der Kläger an das Finanzamt - FA - (Finanzkasse) zu entrichten waren. Das in § 395 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) statuierte Erfordernis der Kassenidentität findet bei der Aufrechnung durch den Steuerpflichtigen gegen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis keine Anwendung.

1. Nach § 226 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) gelten für die Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis sowie für die Aufrechnung gegen diese Ansprüche sinngemäß die Vorschriften des bürgerlichen Rechts, soweit nichts anderes bestimmt ist. Es ist umstritten, ob die sinngemäße Anwendung der bürgerlich-rechtlichen Aufrechnungsvorschriften (§§ 387 ff. BGB) sich auch auf das Erfordernis der Kassenidentität gemäß § 395 BGB erstreckt. Nach dieser Vorschrift ist die Aufrechnung gegen eine Forderung einer öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaft (Bund, Land, Gemeinde, Kommunalverband) nur zulässig, wenn die Leistung an dieselbe Kasse zu erfolgen hat, aus der die Forderung des Aufrechnenden zu berichtigen ist. Die Frage nach der Anwendbarkeit des § 395 BGB im Steuerrecht stellt sich damit nur für den Fall der Aufrechnung durch den Steuerpflichtigen. Dem Steuergläubiger steht schon nach dem Wortlaut der Vorschrift die Aufrechnung ohne Rücksicht auf eine Identität oder Verschiedenheit der Kassen frei.

Die Finanzverwaltung vertritt die Auffassung, bei der Aufrechnung durch den Steuerpflichtigen sei das Erfordernis der Kassenidentität nach § 395 BGB zu beachten (vgl. Einführungserlaß zur AO 1977, BStBl I 1976, 576, 618; ebenso der Anwendungserlaß zur AO vom 24. September 1987, BStBl I 1987, 664, 708). Im Schrifttum und in der Rechtsprechung der Finanzgerichte (FG) wird indes überwiegend - allerdings mit unterschiedlicher Begründung - das Erfordernis der Kassenidentität bei der Aufrechnung gegen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis abgelehnt. Das gilt insbesondere für die zivilrechtliche Kommentarliteratur, die § 226 Abs. 3 AO 1977 insoweit als abschließende Spezialregelung gegenüber § 395 BGB ansieht (vgl. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 48. Aufl., § 395 Anm. 2; von Feldmann in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2. Aufl., § 395 Rdnr. 1; Staudinger/Kaduk, Bürgerliches Gesetzbuch, 12. Aufl., § 395 Rz. 15, 16). Im steuerrechtlichen Schrifttum wurde unter der Geltung der Reichsabgabenordnung (AO) die einhellige Meinung vertreten, daß bei der Aufrechnung durch den Steuerpflichtigen § 395 BGB nicht anwendbar sei, weil die Voraussetzungen dieser Aufrechnung abschließend in § 124 AO geregelt seien (vgl. Becker/Riewald/Koch, Reichsabgabenordnung, 9. Aufl., § 124 Anm. 2; Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung, 7. Aufl., § 124 Tz. 1 und 3; Rössler, Die Aufrechnung im Steuerrecht, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1969, 494). Seitdem für die Aufrechnung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis in § 226 Abs. 1 AO 1977 die sinngemäße Anwendung der Aufrechnungsvorschriften des BGB ausdrücklich angeordnet ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, werden im steuerrechtlichen Schrifttum zur Anwendbarkeit des § 395 BGB unterschiedliche Auffassungen vertreten. Überwiegend wird weiterhin bei der Aufrechnung durch den Steuerpflichtigen auf das Erfordernis der Kassenidentität verzichtet, wobei die den § 395 BGB ausschließende Spezialregelung aus den Absätzen 3 oder 4 des § 226 AO 1977 unter Heranziehung der Entstehungsgeschichte der Norm entnommen wird (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 226 AO 1977, Tz. 6; Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 226 AO 1977, Anm. 3 d; Frotscher in Schwarz, Kommentar zur Abgabenordnung, § 226 Anm. 2; Decker, Aufrechnung im Steuerrecht, Steuerwarte 1979, 9, 10). Dieselbe Meinung und Begründung findet sich in der Rechtsprechung der FG (vgl. die Vorentscheidung in Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1987, 596; Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 19. Dezember 1985 IV 159/84, EFG 1986, 215; FG München, Urteil vom 17. Juli 1985 V 99/86 AO, EFG 1988, 98). Nach der gegenteiligen Auffassung soll sich indes aus den Bestimmungen in § 226 AO 1977 keine Ausnahmeregelung herleiten lassen, die die in Absatz 1 angeordnete Geltung des § 395 BGB ausschließen könnte (vgl. v. Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 226 AO 1977, Anm. 8; Helsper in Koch, Abgabenordnung, 3. Aufl., § 226, Rz. 16; Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 3. Aufl., § 226, Anm. 6 b; Bublitz, Zum Erfordernis der Kassenidentität gemäß § 395 BGB bei der Aufrechnung gegen Steuerschulden, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1988, 313; Kohls, Die Aufrechnung gegenüber Kommunalabgaben, Kommunale Steuer-Zeitschrift 1985, 181, 183).

2. Der Senat folgt der Rechtsprechung der FG und der im Schrifttum verbreiteten Meinung, daß das Erfordernis der Kassenidentität bei der Aufrechnung durch den Steuerpflichtigen gegen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis keine Anwendung finde. § 226 Abs. 1 AO 1977 schreibt zwar für die Aufrechnung im Steuerrecht die sinngemäße Anwendung der bürgerlich-rechtlichen Aufrechnungsvorschriften, zu denen auch § 395 BGB gehört, vor. Aus dem Wortlaut der nachfolgenden Absätze ergibt sich auch keine Sonderregelung hinsichtlich des Erfordernisses der Kassenidentität. Denn § 226 Abs. 2 AO 1977 schließt abweichend von § 390 Abs. 2 BGB generell die Aufrechnung mit erloschenen Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis aus, § 226 Abs. 3 AO 1977 stellt für die Aufrechnung durch den Steuerpflichtigen besondere, einschränkende Voraussetzungen auf und § 226 Abs. 4 AO 1977 enthält eine Spezialregelung, welche Körperschaft für das Aufrechnungsmerkmal der Gegenseitigkeit als Gläubiger oder Schuldner eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis gilt. Das Merkmal der Kassenidentität ist in der Aufrechnungsvorschrift der AO 1977 nicht erwähnt. Der Senat entnimmt aber aus der Entstehungsgeschichte der steuerrechtlichen Aufrechnungsnormen und der zwischenzeitlichen Entwicklung des § 226 Abs. 4 AO 1977 sowie aus dem Sinn und Zweck des Gebots der Kassenidentität zahlreiche Anhaltspunkte dafür, daß § 395 BGB bei der Aufrechnung durch den Steuerpflichtigen gegen Ansprüche des Steuergläubigers keine Anwendung findet.

a) Die Regelung des § 226 Abs. 3 AO 1977, wonach die Steuerpflichtigen gegen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nur mit unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Gegenansprüchen aufrechnen dürfen, entspricht - wie die Vorentscheidung zu Recht ausgeführt hat - nahezu wörtlich den §§ 103 AO 1919, 124 AO 1931. Unter der Geltung dieser Bestimmungen war - wie oben unter Angabe von Schrifttumsnachweisen ausgeführt worden ist - anerkannt, daß die Aufrechnung durch den Steuerpflichtigen dort abschließend und unter Verzicht auf das Erfordernis der Kassenidentität geregelt war. Da der Gesetzgeber der AO 1977 die Vorschrift des § 226 Abs. 3 AO 1977 bewußt den Bestimmungen der §§ 103 AO 1919, 124 AO 1931 nachgebildet hat (vgl. BTDrucks VI/1982, 170) liegt die Schlußfolgerung des FG nahe, daß die bestehende Rechtslage nicht geändert, also auch das Erfordernis der Kassenidentität nicht eingeführt werden sollte (ebenso Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 226 AO 1977, Tz. 6). Denn es erscheint nicht plausibel anzunehmen, daß der Gesetzgeber die Aufrechnung durch den Steuerpflichtigen gegenüber dem vorangegangenen Rechtszustand erschweren wollte.

Dieser Auslegung steht auch die nunmehr in § 226 Abs. 1 AO 1977 vorgeschriebene sinngemäße Geltung der Vorschriften des bürgerlichen Rechts nicht zwingend entgegen. Denn bereits unter der Geltung der §§ 103 AO 1919, 124 AO 1931 war anerkannt, daß die Vorschriften der §§ 387 ff. BGB bei der Aufrechnung im Steuerrecht anwendbar waren, wenn auch die Begründung für diese Anwendung - unmittelbar, analog oder als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens - umstritten war (vgl. Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung, 7. Aufl., § 124 AO, Tz. 1; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 226 AO 1977 Tz. 3 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung). Es erscheint deshalb vertretbar, § 226 Abs. 3 AO 1977 als Spezialregelung für die Aufrechnung durch den Steuerpflichtigen anzusehen, die ebenso wie ihre Vorgänger-Vorschriften auf das Erfordernis der Kassenidentität verzichtet (ebenso FG München, EFG 1988, 98, 99).

Wenn auch diese historische Auslegung für sich allein nicht zwingend sein mag, so ist sie doch durch die Einwendungen der Revision (ebenso Bublitz, DStR 1988, 313, 314) nicht widerlegt worden. Aus der Tatsache, daß im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zur AO 1919 eine Aufrechnungsmöglichkeit für den Steuerpflichtigen gegenüber dem Steuerfiskus zunächst nicht vorgesehen, sondern ausdrücklich ausgeschlossen war (Nachweis bei Bublitz, DStR 1988, 313, 314 Fußnote 14), folgt nicht, daß auch nach der - gegenteiligen - Kodifizierung der §§ 103 AO 1919, 124 AO 1931 und des § 226 Abs. 3 AO 1977 diese Bestimmungen in dem Sinne restriktiv auszulegen sind, daß jedenfalls das Erfordernis der Kassenidentität zu beachten ist. Bei der Auslegung des im Streitfalle maßgeblichen § 226 AO 1977 darf vielmehr das in der zeitlichen Entwicklung seit 1919 gewandelte Verhältnis zwischen Steuerbürger und Staat, das im Bereich der Aufrechnung - von der Einschränkung gemäß Absatz 3 abgesehen - von dem Grundsatz der Gleichordnung geprägt ist (vgl. Urteil des Senats vom 2. April 1987 VII R 148/83, BFHE 149, 482, 484, BStBl II 1987, 536) nicht außer Betracht bleiben. Deshalb geht hinsichtlich der Anwendbarkeit des § 395 BGB auch die Berufung der Revision auf das zu § 124 AO ergangene Urteil des Senats vom 3. April 1973 VII R 89/70 (BFHE 109, 218, BStBl II 1973, 602) fehl. Der Senat hat dort die Aufrechnungsbefugnis eines Steuerpflichtigen gegenüber einer Kostenforderung des FA verneint, weil § 124 AO die Aufrechnung nur gegenüber Steueransprüchen zuließ. Er hat sodann ausgeführt, daß dem § 395 BGB eine allgemeine Zulässigkeit der Aufrechnung auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts nicht entnommen werden könne. Zur Anwendbarkeit des § 395 BGB bei der Aufrechnung des Steuerpflichtigen nach § 124 AO (§ 226 Abs. 3 AO 1977) hat der Senat entgegen dem Vorbringen der Revision nicht Stellung genommen.

b) Nach § 226 Abs. 4 AO 1977 in der bis 1986 geltenden Fassung, die auch dem Streitfall zugrunde zu legen ist, gilt für die Aufrechnung als Gläubiger oder Schuldner eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis die Körperschaft, die die Steuer verwaltet. In Schrifttum und Rechtsprechung wird dazu die Auffassung vertreten, die Bedeutung der Vorschrift gehe über die Bestimmung der Verwaltungshoheit als maßgeblich für die Gegenseitigkeit auf seiten des Fiskus hinaus. Aus ihr ergebe sich, daß die steuerverwaltende Körperschaft dem Steuerpflichtigen als Einheit gegenüberstehe, so daß es gleichgültig sei, welcher Behörde oder Dienststelle die kassenmäßige Rechnungsführung hinsichtlich der Hauptforderung und Gegenforderung obliege (Kühn/Kutter/Hofmann, a.a.O., § 226 AO 1977, Anm. 3 d; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 226 AO 1977, Tz. 6; Schleswig-Holsteinisches FG, EFG 1986, 215, 216; FG München, EFG 1988, 98, 99). Diese Begründung für den Verzicht auf das Erfordernis der Kassenidentität stellt auf die Zumutbarkeit bzw. Praktikabilität der Aufrechnung (Verrechnung) bei unterschiedlichen Kassen innerhalb derselben, die Steuer verwaltenden Gebietskörperschaft ab. Die Revision zieht nicht in Zweifel, daß auf die Anwendung des § 395 BGB bei der Aufrechnung aus Gründen der Praktikabilität verzichtet werden könnte. Sie hält selbst diese Vorschrift für rechtspolitisch zweifelhaft, wegen ihres Fortbestehens aber für anwendbar. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob die vorstehende Auslegung des § 226 Abs. 4 AO 1977 für sich allein betrachtet, den Verzicht auf das Erfordernis der Kassenidentität zu rechtfertigen vermag. Er sieht darin aber ein zusätzliches Argument, das gemeinsam mit den anderen Auslegungskriterien das vom FG gewonnene Ergebnis stützt.

c) Für die Zulässigkeit der Aufrechnung durch den Steuerpflichtigen auch bei unterschiedlicher Kassenzuständigkeit für die Hauptforderung und die Gegenforderung spricht insbesondere die ab dem 1. Januar 1987 geltende Neufassung des § 226 Abs. 4 AO 1977 durch Art. 1 Nr. 40 des Steuerbereinigungsgesetzes (StBereinG) 1986 (vom 19. Dezember 1985, BGBl I 1985, 2436). Danach wird für die Aufrechnung nunmehr auf die Ertragshoheit abgestellt (Gläubiger- und Schuldneridentität gemäß § 226 Abs. 1 AO 1977 i.V.m. § 387 BGB); daneben läßt der Gesetzgeber - wie bisher - "auch" die Verwaltungshoheit für die Bestimmung des Gläubigers oder Schuldners eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis maßgebend sein. Es kann demnach auf der Grundlage der Verwaltungshoheit aufgerechnet werden, wenn die Identität auf der Basis der Ertragshoheit nicht besteht (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 226 AO 1977 Tz. 11 c). Die Vorentscheidung führt mit Recht aus, daß in den Fällen unterschiedlicher Verwaltungshoheit, in denen nunmehr - im Gegensatz zur früheren Rechtslage - aufgerechnet werden kann, wenn die Identität auf der Basis der Ertragshoheit besteht, niemals Kassenidentität im Sinne des § 395 BGB bestehen kann. Sie folgert daraus, daß das Erfordernis der Kassenidentität jedenfalls seit der Neufassung des § 226 Abs. 4 AO 1977 nicht gilt, daß es aber widersinnig wäre, für die Zeit vor der Gesetzesänderung, die Notwendigkeit der Kassenidentität anzunehmen.

Der Senat hält diese Argumentation für überzeugend. Er ist der Auffassung, daß der Gesetzgeber sich nicht mit der Einfügung des Wortes "auch" in § 226 Abs. 4 AO 1977 durch das StBereinG 1986 begnügt hätte, wenn er davon ausgegangen wäre, daß vor der Gesetzesänderung bei der Aufrechnung durch den Steuerpflichtigen § 395 BGB über § 226 Abs. 1 AO 1977 anzuwenden war. Da nunmehr in allen Fällen, für die der Gesetzgeber die Aufrechnung gegenüber der Rechtslage vor dem 1. Januar 1987 erweitert hat - unterschiedliche Verwaltungshoheit, aber Schuldner/Gläubiger-Identität auf der Basis der Ertragshoheit - die Kassenidentität regelmäßig nicht mehr gewahrt sein kann, hätte es nahegelegen, eine so bedeutsame Änderung in der Anwendbarkeit des § 395 BGB in der Gesetzesfassung zum Ausdruck zu bringen. Daß dies nicht geschehen ist, zeigt, daß die Rechtslage hinsichtlich der Kassenidentität vor der Änderung des § 226 Abs. 4 AO 1977 keine andere gewesen ist.

Die Einwendungen, die von der Revision gegen die vorstehend dargestellte Argumentation des FG vorgebracht werden (ebenso Bublitz, DStR 1988, 313, 315), sind nicht überzeugend. Zwar mögen in Ausnahmefällen Aufrechnungskonstellationen denkbar sein, in denen die Gegenseitigkeit auf der Basis der Ertragshoheit auch bei unterschiedlicher Verwaltungshoheit gegeben ist und zugleich das Merkmal der Kassenidentität vorliegt, so daß das Festhalten an diesem Erfordernis nicht denknotwendig ausgeschlossen wäre. Die Revision räumt aber selbst ein, daß diese Fälle in der Praxis kaum auftreten werden. Es kann daher nicht angenommen werden, daß der Gesetzgeber, der mit der Änderung des § 226 Abs. 4 AO 1977 die Aufrechnungsmöglichkeiten erweitern wollte, zur Frage der Anwendbarkeit des § 395 BGB geschwiegen hätte, wenn er bisher von der Geltung dieser Vorschrift auch bei der Aufrechnung im Steuerrecht überzeugt gewesen wäre. Dem steht nicht entgegen, daß bei Anwendung des § 395 BGB nur die Aufrechnung des Steuerpflichtigen, nicht aber die Aufrechnung durch den Steuergläubiger eingeschränkt wäre. Denn es ist nicht ersichtlich, daß die Erweiterung der Aufrechnungsmöglichkeiten nur dem Steuerfiskus zugute kommen sollte (vgl. BTDrucks 10/1636 S. 86). Der von der Revision angeführte Beispielsfall - Aufrechnung mit einem gegen das Land Bayern gerichteten zivilrechtlichen Anspruch gegen einen Erbschaftsteueranspruch des Steuerfiskus in Hamburg - ist als Argumentation für oder gegen das Erfordernis der Kassenidentität ungeeignet. Hier scheitert die Aufrechnung bereits an der mangelnden Gegenseitigkeit, und zwar sowohl auf der Grundlage der Ertragshoheit als auch auf der Basis der Verwaltungshoheit.

d) Schließlich spricht auch der Sinn und Zweck des § 395 BGB gegen seine Anwendbarkeit im Falle der Aufrechnung des Steuerpflichtigen gegen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis. Die Regelung dient, wie die Revision mit Recht ausführt, der Verwaltungsvereinfachung. Sie beruht "auf Gründen der administrativen Zweckmäßigkeit und der Organisation der Staatsbehörden" (Motive zu dem Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches, Bd. II S. 114). Mit ihr sollten im Interesse einer ordnungsgemäßen Kassenführung die Aufrechnungsmöglichkeiten gegen Forderungen des Fiskus über das Erfordernis der Gegenseitigkeit hinaus beschränkt werden (Staudinger/Kaduk, Bürgerliches Gesetzbuch § 395 Rz. 2). Eine Gefahr der Verwirrung und Erschwerung der Kassenführung ist aber - wie die Revision einräumt - bei dem heutigen Stand der Technisierung der Kassenverwaltung und der Kommunikationsmöglichkeiten zwischen den einzelnen Kassen auch dann nicht zu befürchten, wenn bei der Aufrechnung durch den Steuerpflichtigen - ebenso wie bei der Aufrechnung durch den Fiskus - auf das Erfordernis der Kassenidentität verzichtet wird. Das gilt um so mehr als in den meisten Fällen der Aufrechnung im Steuerrecht nur Kassen der Finanzverwaltung berührt sein werden (vgl. FG München, EFG 1988, 98, 99). Es erscheint deshalb nicht gerechtfertigt, den Steuerpflichtigen bei der Aufrechnung im Falle unterschiedlicher Kassenzuständigkeit gegenüber dem Fiskus zu benachteiligen, zumal die Regelung der Kassenorganisation - wie der Streitfall zeigt - oft auf Zufälligkeiten beruht und bei den einzelnen Gebietskörperschaften unterschiedlich sein kann.

Die generelle Verweisung in § 226 Abs. 1 AO 1977 auf die Vorschriften des bürgerlichen Rechts zwingt nicht zur Anwendung auch des § 395 BGB, da diese Vorschriften nur "sinngemäß" gelten. Es ist demnach zu prüfen, ob die jeweiligen zivilrechtlichen Aufrechnungsvorschriften nach ihrem Sinn und Zweck und nach den sonstigen Auslegungskriterien auf den Tatbestand der Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis übertragbar sind. Das ist bei dem Erfordernis der Kassenidentität bei einer Gesamtbetrachtung der vorstehend dargestellten Auslegungsgründe nicht der Fall.