| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

 

BFH-Zwischenurteil vom 18.7.1989 (VIII R 30/89) BStBl. 1989 II S. 1020

1. Eine unvollständige Rechtsmittelbelehrung setzt die Rechtsmittelfrist nicht in Lauf.

2. Die Jahresfrist des § 55 Abs. 2 FGO beginnt mit der Bekanntgabe des Zulassungsbeschlusses, mit dem die Revision statthaft wird, nicht bereits mit der Bekanntgabe des FG-Urteils, das angefochten werden soll.

FGO § 54 Abs. 1, § 55 Abs. 2, § 120 Abs. 1.

Vorinstanz: FG Bremen

Sachverhalt

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) abgewiesen. Das FG-Urteil wurde der Klägerin am 25. Februar 1987 zugestellt. Die Revision war vom FG nicht zugelassen worden.

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde hat der Senat mit Beschluß vom 16. Dezember 1988 VIII B 30/87 die Revision zugelassen. Der Zulassungsbeschluß ist der Klägerin am 24. Januar 1989 zugestellt worden. Dem Zulassungsbeschluß war eine Rechtsmittelbelehrung nicht beigefügt.

Die Klägerin legte mit einem an den Bundesfinanzhof (BFH) gerichteten Schreiben vom 21. Februar 1989, das bei diesem am 22. Februar 1989 einging, Revision ein. Das Schreiben wurde von der Geschäftsstelle des Senats dem FG zugeleitet und ging bei diesem am 23. März 1989 ein.

In der Rechtsmittelbelehrung, die dem FG-Urteil beigefügt ist, sind u.a. folgende Ausführungen enthalten:

"Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich einzulegen und spätestens innerhalb eines weiteren Monats zu begründen." ...

"Die Revision oder Beschwerde ist von dem Bevollmächtigten beim FG ... schriftlich einzulegen."

Dem Senat erscheint es angezeigt, durch Zwischenentscheidung zu erkennen, ob die Revision in zulässiger Weise eingelegt worden ist (vgl. BFH-Urteil vom 16. Dezember 1971 I R 212/71, BFHE 104, 493, BStBl II 1972, 425).

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig. Sie ist zwar nicht innerhalb der Monatsfrist des § 120 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO), aber in der Jahresfrist des § 55 Abs. 2 FGO eingelegt und begründet worden.

1. a) Nach § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO ist die Revision beim FG innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils oder nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision schriftlich einzulegen und spätestens innerhalb eines weiteren Monats zu begründen.

Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben, denn die Revision ist nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision beim FG eingegangen. Die Frist war am 24. Februar 1989 abgelaufen.

b) Die Einlegung der Revision beim BFH ist nach ständiger Rechtsprechung nicht geeignet, die Revisionsfrist zu wahren (BFH-Beschluß vom 2. Dezember 1988 X R 92/88, BFHE 155, 36, BStBl II 1989, 147, m.w.N.). Das gilt auch dann, wenn die Revision vom BFH aufgrund einer Nichtzulassungsbeschwerde zugelassen wurde (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 120 Rz. 1, m.w.N.). Das Risiko des verspäteten Eingangs der Revisionsschrift, die beim BFH statt beim FG eingereicht wird, trägt der Revisionsführer (BFH-Beschluß vom 1. August 1985 V R 84/85, BFH/NV 1986, 287, m.w.N.). Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) kann unter diesen Umständen nicht gewährt werden (BFH-Beschluß vom 5. Juni 1985 VII R 65/85, BFH/NV 1986, 161 m.w.N.).

2. a) Nach § 55 Abs. 2 FGO ist die Einlegung eines Rechtsbehelfs innerhalb eines Jahres seit Bekanntgabe i.S. des § 54 Abs. 1 FGO zulässig, wenn eine Rechtsmittelbelehrung unterblieben oder unrichtig erteilt ist.

Diese Voraussetzungen sind gegeben.

b) Der Beschluß des FG oder des BFH über die Zulassung der Revision erfordert keine Rechtsmittelbelehrung (vgl. BFH-Beschluß vom 30. August 1988 V B 3/87, BFH/NV 1989, 376, m.w.N.). Eine derartige Belehrung ist im Gesetz - im Gegensatz zum Urteil (vgl. § 105 Abs. 2 Nr. 6 FGO), zum Vorbescheid (§ 90 Abs. 3 Satz 4 FGO) oder Beschluß (§ 113 i.V.m. § 105 Abs. 2 Nr. 6 FGO) - nicht vorgesehen. Maßgebend ist die Rechtsmittelbelehrung des FG, die dem Urteil beizufügen ist. Aus dieser Belehrung ist zu beurteilen, ob die Revisions- und die Revisionsbegründungsfrist in Lauf gesetzt worden sind (vgl. BFH-Zwischenurteil vom 12. Februar 1987 V R 116/86, BFHE 149, 120, BStBl II 1987, 438).

c) Die Rechtsmittelbelehrung des FG ist unvollständig. Sie belehrt zwar über das Gericht, bei dem die Revision einzulegen ist, und über die Frist, die einzuhalten ist, wenn bereits im FG-Urteil die Revision zugelassen wird. Sie enthält aber keine Aussage über den Beginn der Revisionsfrist, wenn die Revision aufgrund einer Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision vom FG oder vom BFH zugelassen wird (vgl. BFH-Beschluß vom 12. Januar 1968 VI R 140/67, BFHE 90, 395, BStBl II 1968, 121).

Eine unvollständige Rechtsmittelbelehrung setzt die Rechtsmittelfrist nicht in Lauf. Unter diesen Umständen kann die Revision noch innerhalb der Jahresfrist des § 55 Abs. 2 FGO wirksam eingelegt werden. Das gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit der Belehrung für den Fehler bei Einlegung der Revision nicht ursächlich ist (vgl. Urteil in BFHE 149, 120, BStBl II 1987, 438).

d) Die Jahresfrist des § 55 Abs. 2 FGO ist im Streitfall nicht überschritten. Sie beginnt nicht mit der Zustellung des FG-Urteils am 25. Februar 1987, sondern erst mit der Zustellung des Zulassungsbeschlusses des Senats am 24. Januar 1989.

Nach dem Wortlaut des § 55 Abs. 2 FGO beginnt die Jahresfrist mit der Bekanntgabe i.S. des § 54 Abs. 1 FGO. Dort ist vorgeschrieben, daß der Lauf einer Frist, soweit nichts anderes bestimmt ist, mit der Bekanntgabe der Entscheidung oder mit dem Zeitpunkt, an dem die Bekanntgabe als bewirkt gilt, beginnt. Entscheidung in diesem Sinn kann das FG-Urteil sein, das angefochten werden soll, aber auch der Zulassungsbeschluß, mit dem die Revision statthaft wird.

Der Senat geht davon aus, daß Entscheidung i.S. des § 55 Abs. 2 FGO der Beschluß über die Zulassung der Revision ist. Eine derartige Auslegung ist nach dem Wortlaut der Vorschrift mindest nicht ausgeschlossen. Sie wird Sinn und Zweck der Regelung besser gerecht als eine Auslegung, die auf die Zustellung des FG-Urteils abstellt. Die Jahresfrist wäre dann weitgehend von der Verfahrensdauer innerhalb der Finanzgerichtsbarkeit abhängig und könnte im Zeitpunkt der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde bereits abgelaufen sein. Dies wäre mit dem Schutzzweck des § 55 Abs. 2 FGO nicht vereinbar. Nach dieser Regelung soll einem potentiellen Rechtsmittelführer bei fehlender, unvollständiger oder unrichtiger Rechtsmittelbelehrung zwar keine zeitlich unbeschränkte, aber doch eine großzügig bemessene Frist eingeräumt werden, in der er sich im Regelfall ohne Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen darüber schlüssig werden kann, ob er sich mit einer ihm ungünstigen Entscheidung abfinden soll oder nicht.

Der IX. Senat des BFH hat in seinem nicht veröffentlichten Urteil vom 29. Mai 1984 IX R 36/80 ebenfalls die Auffassung vertreten, daß die Jahresfrist des § 55 Abs. 2 FGO mit der Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision beginnt.