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BFH-Urteil vom 23.8.1988 (VII R 40/88) BStBl. 1989 II S. 43

Die Verhängung eines strafgerichtlichen Berufsverbots gegen den Vorsitzenden eines Lohnsteuerhilfevereins hat nicht zur Folge, daß der Verein eines vertretungsberechtigten Organs ermangelt und deshalb prozeßunfähig wird.

 FGO §§ 58, 116 Abs. 1 Nr. 5, 119 Nr. 6; ZPO § 51 Abs. 1; StGB § 70.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg

Sachverhalt

Durch das angefochtene Urteil des Finanzgerichts (FG) wurde die Klage des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) gegen die Verfügung der Beklagten und Revisionsbeklagten (Oberfinanzdirektion - OFD -), mit der die Anerkennung des Klägers als Lohnsteuerhilfeverein widerrufen worden war, abgewiesen. Das Urteil ist ausweislich der Akten nach Schluß der mündlichen Verhandlung am 28. Januar 1986 verkündet worden. Am 5. März 1988 ist dem Kläger "- vertreten durch den ersten Vorsitzenden S -" das mit dem Tatbestand und den Entscheidungsgründen versehene Urteil zugestellt worden.

Mit der Revision - Schriftsatz vom 31. März 1988 - macht der Kläger, "vertreten durch den ersten Vorsitzenden S", geltend, die Vorentscheidung müsse als nicht mit Gründen versehen i.S. der §§ 116 Abs. 1 Nr. 5, 119 Nr. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) angesehen werden, weil zwischen dem Zeitpunkt der Verkündung und der Zustellung des Urteils mit den schriftlichen Urteilsgründen ein Zeitraum von über 25 Monaten liege. Bei einer derartigen Zeitspanne sei der Zusammenhang der schriftlichen Urteilsgründe mit der mündlichen Verhandlung und der Beratung des verkündeten Urteils nicht mehr gewährleistet. Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Die OFD beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen. Sie verweist auf das in Ablichtung vorgelegte rechtskräftige Urteil des Landgerichts (LG) S vom 4. Februar 1988, wonach dem ersten Vorsitzenden des Klägers für die Dauer von vier Jahren jede Tätigkeit in einem Lohnsteuerhilfeverein, die mit der geschäftsmäßigen Hilfe in Steuersachen in Zusammenhang steht, verboten worden ist. Unter Bezugnahme auf das gegen S verhängte Berufsverbot vertritt die OFD die Ansicht, die Revision sei unzulässig, weil die Vorentscheidung nicht mehr rechtswirksam an den ersten Vorsitzenden als Vertreter des Klägers habe zugestellt werden können, der Kläger folglich durch sie nicht beschwert sei. Ferner sei der Kläger nicht i.S. des Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) vertreten. Die für ihn auftretenden Prozeßbevollmächtigten handelten ohne Vertretungsmacht, ihre Prozeßvollmacht sei nichtig, weil Auftrag und Vollmacht von Herrn S erteilt worden seien, der wegen des gegen ihn verhängten strafgerichtlichen Berufsverbots den Kläger nicht mehr habe vertreten dürfen.

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

1. Die Revision des Klägers ist - ohne daß es ihrer Zulassung durch das FG oder den Bundesfinanzhof (BFH) bedarf - statthaft, weil die Entscheidung des FG i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO nicht mit Gründen versehen ist. Wie der Senat im Urteil vom 10. November 1987 VII R 47/87 (BFHE 151, 328, BStBl II 1988, 283, mit weiteren Nachweisen) entschieden hat, ist dieser Rechtsgrund für die zulassungsfreie Verfahrensrevision, der zugleich einen absoluten Revisionsgrund nach § 119 Nr. 6 FGO darstellt, gegeben, wenn zwischen der Beratung und Verkündung des Urteils und seiner schriftlichen Abfassung ein so langer Zeitraum liegt, daß die zutreffende Wiedergabe des Beratungsergebnisses nicht mehr gewährleistet erscheint. Das ist nach der genannten Entscheidung bei einer mehr als einjährigen Frist zwischen Verkündung und Zustellung regelmäßig der Fall, so daß im Streitfall, in dem das Urteil erst mehr als 25 Monate nach seiner Verkündung (28. Januar 1986) am 5. März 1988 zugestellt worden ist, gemäß §§ 116 Abs. 1 Nr. 5, 119 Nr. 6 FGO vom Fehlen der Entscheidungsgründe ausgegangen werden muß.

2. Die OFD hält die Revision des Klägers für unzulässig, weil durch das vor Zustellung der finanzgerichtlichen Entscheidung ergangene rechtskräftige Urteil des LG vom 4. Februar 1988 ein strafgerichtliches Berufsverbot gegen den ersten Vorsitzenden des Klägers verhängt worden ist, wodurch dieser, wie sie meint, an der weiteren prozessualen Vertretung des Klägers gehindert sei. Die auf das Berufsverbot gestützten Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Revision greifen nicht durch.

a) Die Beschwer des Klägers durch das angefochtene Urteil des FG wird durch das vor seiner Zustellung verhängte Berufsverbot nicht berührt. Das die Klage abweisende Urteil ist bereits durch seine Verkündung (Bekanntgabe) am 28. Januar 1986 wirksam geworden (§ 104 Abs. 1 FGO; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 104 FGO Tz. 1). Dadurch ist die Beschwer des Klägers eingetreten, wenn auch die Revisionsfrist erst mit der Zustellung des vollständigen, unterschriebenen und mit Rechtsmittelbelehrung versehenen Urteils in Lauf gesetzt wird (§ 120 Abs. 1 Satz 1 FGO).

b) Die Verhängung des Berufsverbots gegen den ersten Vorsitzenden des Klägers hat keinen Einfluß auf die für oder gegen den Kläger vorgenommenen Prozeßhandlungen.

Für juristische Personen - wie den Kläger - handeln im Prozeß die nach dem bürgerlichen Recht dazu befugten Personen (§§ 58 Abs. 2 FGO, 51 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Das ist bei einem eingetragenen (Lohnsteuerhilfe-)Verein der Vorstand (§ 26 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -), der im Falle des Klägers - wie die OFD vorträgt - nur aus dem ersten Vorsitzenden bestehen soll. Die Verhängung des strafgerichtlichen Berufsverbots gegen den ersten Vorsitzenden des Klägers hatte nicht zur Folge, daß der Kläger eines vertretungsberechtigten Organs ermangelt und deshalb prozeßunfähig geworden ist. Die angefochtene Entscheidung konnte daher wirksam an den ersten Vorsitzenden des Klägers zugestellt werden (§§ 53 Abs. 2 FGO, 7 Abs. 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes - VwZG -), und dieser konnte wirksam den Kläger bei der Einlegung der Revision vertreten sowie die Prozeßvollmacht für die Prozeßbevollmächtigten unterzeichnen.

Mit dem Berufsverbot nach § 70 des Strafgesetzbuches (StGB) ist dem ersten Vorsitzenden des Klägers zwar die weitere Tätigkeit als Vorstand eines Lohnsteuerhilfevereins verboten worden. Der Verstoß gegen das strafgerichtliche Berufsverbot löst aber nach § 145c StGB lediglich strafrechtliche Sanktionen aus (vgl. Dreher/Tröndle, Strafgesetzbuch, 44. Aufl., § 70 Rdnr. 11; Hanack in Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch, 10. Aufl., § 70 Rdnr. 83). Das Berufsverbot stellt dagegen mangels gesetzlicher Regelung nicht - wie die OFD meint - ein absolutes oder relatives Verfügungsverbot (vgl. §§ 135, 136 BGB) dar mit der Folge, daß verbotswidrig vorgenommene Rechtshandlungen absolut oder bestimmten Personen gegenüber unwirksam wären.

Das strafgerichtliche Berufsverbot entspricht insoweit in seinen Rechtsfolgen dem Berufs- oder Vertretungsverbot, das in einem ehrengerichtlichen/berufsgerichtlichen Verfahren gegen einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Steuerbevollmächtigten verhängt worden ist. Hier führt die Zuwiderhandlung gegen das Verbot in der Regel zum Ausschluß aus dem Beruf (§§ 156 Abs. 1 der Bundesrechtsanwaltsordnung - BRAO -, 140 Abs. 1 des Steuerberatungsgesetzes - StBerG -). Nach den §§ 155 Abs. 5 BRAO, 139 Abs. 5 StBerG wird aber die Wirksamkeit von Rechtshandlungen des Rechtsanwalts, Steuerberaters oder Steuerbevollmächtigten durch das Berufs- oder Vertretungsverbot nicht berührt; das gleiche gilt für Rechtshandlungen, die ihm gegenüber vorgenommen werden (z.B. Zustellungen, vgl. Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Tz. 441/2). Die Gerichte oder Behörden "sollen" nur einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Steuerbevollmächtigten, der entgegen einem Berufs- oder Vertretungsverbot vor ihnen auftritt, zurückweisen (§§ 156 Abs. 2 BRAO, 140 Abs. 2 StBerG). Dessen Prozeßhandlungen sind aber erst nach der Zurückweisung unbeachtlich (vgl. Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, a.a.O., Tz. 6327). Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat demgemäß Verfahrenshandlungen (Beschwerde, Revisionsbegründung) von Rechtsanwälten, gegen die ein Berufsverbot verhängt worden war, als wirksam angesehen (Beschluß des erkennenden Senats vom 22. April 1986 VII B 140/85, BFH/NV 1987, 47; Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 10. Mai 1971 - AnwSt (R) 8/70 -, Monatsschrift für Deutsches Recht - MDR - 1971, 773). Für die im Streitfall verbotswidrig vorgenommenen Verfahrenshandlungen des ersten Vorsitzenden des Klägers kann nichts anderes gelten.

3. Da - wie oben (1.) ausgeführt - für den BFH rechtlich beachtliche Gründe für die Abweisung der Klage nicht vorliegen und unwiderleglich vermutet wird, daß das Urteil auf diesem Verfahrensmangel beruht (§ 119 Nr. 6 FGO), war die Vorentscheidung aufzuheben und die nicht spruchreife Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.