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BFH-Urteil vom 26.8.1988 (VI R 111/85) BStBl. 1989 II S. 89

Eine aus privatem Anlaß (Eheschließung) begründete doppelte Haushaltsführung wird beendet und es wird eine neue beruflich veranlaßte doppelte Haushaltsführung begründet, wenn der Arbeitnehmer an einem anderen Ort als dem bisherigen Beschäftigungsort unter Beibehaltung seines Familienwohnsitzes eine Beschäftigung aufnimmt und auch seine Wohnung dorthin verlegt.

EStG 1980 § 9 Abs. 1 Nr. 5.

Vorinstanz: FG München

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist seit dem 10. März 1961 als italienischer Gastarbeiter in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) beschäftigt. Er heiratete im Jahre 1962. Seine Ehefrau ist nicht berufstätig; sie lebt am gemeinsamen Familienwohnsitz in Italien. In seinem Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich für 1980 machte der Kläger Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung in Höhe von 5.950 DM als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) führte eine Einkommensteuerveranlagung durch, bei der er die Aufwendungen nicht als Werbungskosten anerkannte.

Zur Begründung seiner Klage verwies der Kläger darauf, daß er von 1961 bis 1966 jeweils für längere Zeit an vier verschiedenen Orten tätig gewesen sei; seit Oktober 1966 sei er in A beschäftigt. Schon hieraus ergebe sich die berufliche Veranlassung der doppelten Haushaltsführung. Wenn er nämlich bei der Heirat den ersten Familienwohnsitz im Inland begründet hätte, wäre durch den vierfachen Wechsel des Arbeitsortes eine doppelte Haushaltsführung erforderlich geworden oder die Ehefrau hätte jedesmal mit umziehen müssen. Auch die Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) gingen davon aus, daß bei einem Arbeitgeberwechsel im Inland eine beruflich veranlaßte doppelte Haushaltsführung entstehe. Im übrigen stehe § 9 Abs. 1 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) mit wesentlichen Grundsätzen des Einkommensteuerrechts nicht im Einklang, da es unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gleichgültig sei, ob ein Arbeitnehmer vor oder nach Begründung der doppelten Haushaltsführung heirate. In der Ungleichbehandlung liege auch ein Verstoß gegen Art. 3, 6 und 11 des Grundgesetzes (GG).

Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte im wesentlichen aus, wenn die Begründung eines vom Beschäftigungsort entfernt liegenden zweiten Hausstandes auf privaten Gründen beruhe, wie hier der Verheiratung, komme ein Abzug von Mehraufwendungen als Werbungskosten nicht in Betracht. Eine Ausnahme gelte nur dann, wenn der andere Ehegatte ebenfalls berufstätig sei. Dieser Fall liege hier nicht vor.

Zu Unrecht erblicke der Kläger in dieser Rechtsprechung einen Verstoß gegen den Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Dieser Grundsatz könne nicht dazu herangezogen werden, um unter Verstoß gegen § 12 Nr. 1 EStG aus privaten Aufwendungen Werbungskosten zu machen. Ferner lasse sich der Rechtsstandpunkt des Klägers nicht auf die von ihm herangezogenen Artikel des GG stützen. Schließlich könne sich der Kläger auch nicht mit Erfolg darauf berufen, daß er von 1961 bis 1966 an vier verschiedenen Orten beschäftigt gewesen sei. Hierdurch ändere sich nichts daran, daß die Entstehung der doppelten Haushaltsführung auf der Heirat beruhe und damit nicht beruflich bedingt gewesen sei. Auch der Hinweis, daß es, falls die Ehefrau des Klägers ins Inland nachgezogen wäre, sicherlich zu einer steuerlich anzuerkennenden doppelten Haushaltsführung gekommen wäre, vermöge die Entscheidung nicht zu beeinflussen; denn dabei handle es sich um einen fingierten Geschehensablauf, der hier nicht zu beurteilen sei. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus Abschn. 27 Abs. 1 Satz 5 der Neufassung der LStR 1984, wonach ein beruflicher Anlaß in der Regel vorliege bei einer Versetzung, beim erstmaligen Antritt einer Stellung oder bei einem Wechsel des Arbeitgebers. Diese Aussage sei im Zusammenhang zu sehen mit dem vorhergehenden Satz 4. Danach müsse die Begründung des doppelten Haushalts durch das Dienstverhältnis veranlaßt sein. Dem Satz 5 der genannten Bestimmung liege deshalb wohl die Annahme zugrunde, daß bei einem Wechsel des Arbeitgebers dann eine berufliche Veranlassung der doppelten Haushaltsführung gegeben sei, wenn der Arbeitnehmer wegen dieses Wechsels neben dem bisherigen Familienhaushalt am früheren Arbeitsort nunmehr am neuen Arbeitsort einen zweiten Hausstand begründe. Abschließend brauche der Senat sich damit jedoch nicht zu beschäftigen, weil es sich um eine Verwaltungsanweisung handle, an die er nicht gebunden sei.

Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers, mit der die Verletzung des § 9 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 1 Nr. 5 EStG gerügt wird. Der Kläger trägt im wesentlichen vor: Eine doppelte Haushaltsführung werde nicht nur bei der erstmaligen Einreise in die Bundesrepublik oder bei der Verheiratung begründet, sondern auch bei jedem einschneidenden Wechsel im Arbeitsleben, insbesondere bei gleichzeitigem Wechsel von Arbeitgeber und Arbeitsort. Dies komme auch in Abschn. 27 Abs. 1, Sätze 4 und 5 LStR 1984 zum Ausdruck, wo klargestellt werde, daß mit einem neuen Dienstverhältnis auch eine neue doppelte Haushaltsführung beginne. Diese Auffassung sei gesetzeskonform; sie entspreche insbesondere auch Verfassungsgrundsätzen. Denn es könne unmöglich rechtens sein, daß ein Arbeitnehmer wie er, der Kläger, - ohne Rücksicht auf jede Art von Änderungen in seinem Berufsleben - sein Leben lang keine steuerlich anzuerkennende doppelte Haushaltsführung haben könne. Damit werde den Gründungsumständen gegenüber allen wesentlichen Veränderungen der beruflichen Tätigkeit ein einseitiges Übergewicht eingeräumt.

Berücksichtige man dies, so liege bei der hier in Betracht kommenden doppelten Haushaltsführung eine berufliche Veranlassung vor. Denn sie beruhe auf der Arbeitsaufnahme in A und wäre auch dann entstanden, wenn der Familienwohnsitz vorher an dem bisherigen Arbeitsort G gewesen wäre. Diese Überlegung und das Abstellen auf einschneidende berufliche Veränderungen führten zu einer Gleichbehandlung verheirateter Arbeitnehmer, ohne daß es entscheidend darauf ankomme, ob sie bei der erstmaligen Arbeitsaufnahme bereits verheiratet gewesen seien.

Der Kläger beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung und Abänderung des angefochtenen Einkommensteuerbescheides 1980 vom 10. April 1981 in Gestalt der Einspruchsentscheidung weitere Werbungskosten in Höhe von 5.950 DM zum Abzug zuzulassen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.

Gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 EStG liegt eine doppelte Haushaltsführung vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) muß dabei die Begründung der doppelten Haushaltsführung, also die Aufsplitterung des ursprünglich einheitlichen Hausstandes auf zwei Haushalte, beruflich veranlaßt sein. Seine diesbezügliche Rechtsauffassung hat der Senat in den Urteilen vom 2. Dezember 1981 VI R 167/79 (BFHE 135, 37, BStBl II 1982, 297) und vom selben Tage VI R 22/80 (BFHE 135, 182, BStBl II 1982, 323) ausführlich unter Einbeziehung der verfassungsrechtlichen Problematik begründet. Auf diese Entscheidungen nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug.

Wie auch das FG nicht verkannt hat, war danach die anläßlich der Heirat im Jahre 1962 begründete doppelte Haushaltsführung nicht beruflich veranlaßt entstanden. Die Heirat ist ein ausschließlich dem Privatbereich zuzurechnender Umstand, der - von dem Ausnahmefall einer beiderseitigen Berufstätigkeit der Eheleute abgesehen - nicht zur Entstehung einer beruflich veranlaßten Haushaltsaufsplitterung führen kann (BFH-Urteil vom 13. Juli 1976 VI R 172/74, BFHE 119, 281, BStBl II 1976, 654).

Zu Unrecht hat das FG jedoch angenommen, daß die damals privat veranlaßt begründete doppelte Haushaltsführung ohne Rücksicht auf einen evtl. Wechsel des Beschäftigungsorts bis ins Streitjahr 1980 fortbestanden habe. Nach seinem Vortrag hatte der Kläger in den Jahren nach seiner Eheschließung mehrfach den Arbeitgeber im Inland gewechselt und dabei seine Wohnung stets an den jeweiligen Beschäftigungsort verlegt; seit Oktober 1966 arbeite er bei einem Arbeitgeber in A und wohne auch dort. Trifft dies zu, so konnte das FG die im Streitjahr bestehende doppelte Haushaltsführung nicht mit Rücksicht auf die Eheschließung im Jahre 1962 als privat veranlaßt ansehen.

Nimmt der Arbeitnehmer an einem neuen Beschäftigungsort eine Tätigkeit auf und verlegt er aus diesem Anlaß seine Wohnung - unter Beibehaltung des Familienwohnsitzes - dorthin, so führt er eine wegen des alten Beschäftigungsorts bestehende Aufsplitterung des früher einheitlichen Haushalts nicht einfach fort, sondern begründet eine neue Aufsplitterung des einheitlichen Haushalts, so daß auch die Motive für die Begründung der doppelten Haushaltsführung jeweils neu zu prüfen sind. Die Auffassung des FG, daß dem Wechsel des Arbeitsplatzes und dem damit verbundenen Umzug an einen neuen Beschäftigungsort in diesem Zusammenhang keinerlei Bedeutung zukomme, wird der Bedeutung, die dem jeweiligen Beschäftigungsort des Arbeitnehmers und seinem Wohnen dort im Rahmen des Rechtsinstituts der doppelten Haushaltsführung zukommt, nicht gerecht.

Gegen die Auffassung des FG spricht schon die Definition der doppelten Haushaltsführung in § 9 Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 EStG. Denn dort ist ausdrücklich als Voraussetzung einer doppelten Haushaltsführung genannt, daß der Arbeitnehmer am Beschäftigungsort wohnt. Damit kann nach der Gesamtkonzeption der Nr. 5 des § 9 Abs. 1 EStG nur der jeweilige Beschäftigungsort gemeint sein. Denn nur die auf den jeweiligen Beschäftigungsort bezogenen Mehraufwendungen sind abziehbar. Ob der Arbeitnehmer vorher oder nachher an anderen Orten ebenfalls außerhalb seines Familienwohnsitzes beschäftigt war, ist für den Umfang der abziehbaren Mehraufwendungen unerheblich. Der Senat hat deshalb bereits im Urteil vom 9. März 1979 VI R 192/77 (BFHE 127, 380 unter 1 b der Entscheidungsgründe) in anderem Zusammenhang ausgesprochen, daß es für die Beendigung einer laufenden und die Begründung einer neuen doppelten Haushaltsführung entscheidend auf einen Wechsel des Beschäftigungsorts und den damit verbundenen Umzug des Arbeitnehmers an den neuen Beschäftigungsort ankomme. Diese Auffassung bestätigt der Senat in vorliegendem Zusammenhang auch dahin, daß es nicht darauf ankommt, ob ein neuer Arbeitsvertrag abgeschlossen wurde oder der Arbeitnehmer in die Dienste eines neuen Arbeitgebers eingetreten ist, sondern allein darauf, daß er seinen Beschäftigungs- und Wohnort, sei es infolge einer Versetzung im Rahmen eines fortbestehenden Arbeitsverhältnisses oder auf Grund eines neuen Arbeitsverhältnisses, gewechselt hat.

Daß es richtig ist, einer Veränderung des Beschäftigungs- und Wohnorts im vorliegenden Zusammenhang entscheidende Bedeutung beizumessen, wird auch durch die vom Kläger angeführte Überlegung bestätigt, daß es beim Nachzug seiner Ehefrau ins Inland anläßlich seines Umzugs an einen anderen Beschäftigungsort zu einer - erstmaligen - beruflich veranlaßten doppelten Haushaltsführung hätte kommen können. Denn ebenso wie ein Arbeitnehmer mit eigenem Familienhausstand am bisherigen Beschäftigungsort bei Antritt der Tätigkeit an einem neuen Arbeitsort die Möglichkeit hat, frei zu entscheiden, ob er sich am neuen Beschäftigungsort eine Wohnung nimmt, ob er täglich zwischen Wohnung und Arbeitsstätte hin und her fährt oder ob er seine Familie zum Umzug veranlaßt, muß auch ein Arbeitnehmer, der - wie hier der Kläger - bereits an seinem bisherigen auswärtigen Beschäftigungsort allein wohnt, diese Wahlmöglichkeiten haben. Entscheidet er sich dann dafür, auch an seinem neuen Beschäftigungsort für sich allein eine Wohnung zu nehmen, seine Familienwohnung aber daneben weiterhin aufrechtzuerhalten, so begründet er damit eine neue - beruflich veranlaßte - doppelte Haushaltsführung.

Im Streitfall kann auch nicht deshalb etwas anderes gelten, weil der Kläger ausländischer Arbeitnehmer ist und seine Familie im Ausland wohnt. Der Senat hat vielmehr immer wieder betont, daß Vorschriften des Einkommensteuerrechts ohne entsprechende Anhaltspunkte im Gesetzestext auf Ausländer nicht anders angewandt werden können als auf Inländer (z.B. Urteil vom 17. Januar 1986 VI R 16/83, BFHE 145, 560, BStBl II 1986, 306; grundlegend Urteil vom 20. Januar 1978 VI R 193/74, BFHE 124, 508, BStBl II 1978, 338).

Die Vorentscheidung, die der Rechtsauffassung des Senats nicht entspricht, ist aufzuheben. Die Sache ist gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an die Vorinstanz zurückzuverweisen, da sie nicht spruchreif ist. Das FG wird zunächst zu überprüfen haben, ob der Kläger nach seiner Eheschließung im Jahre 1962 seinen Beschäftigungs- und Wohnort mindestens einmal gewechselt hat. Gegebenenfalls wird es ferner Feststellungen zur Höhe der vom Kläger geltend gemachten Mehraufwendungen zu treffen haben.