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BFH-Urteil vom 22.9.1988 (VI R 14/86) BStBl. 1989 II S. 94

Hat ein Arbeitnehmer seine Familienwohnung von seinem Beschäftigungsort wegverlegt und zunächst keinen doppelten Haushalt geführt, kann die spätere Begründung einer doppelten Haushaltsführung auch dann beruflich veranlaßt sein, wenn die erneute Wohnungsnahme am Beschäftigungsort wegen einer zwischenzeitlich festgestellten schweren Erkrankung des Arbeitnehmers erfolgt (Anschluß an Urteil vom 30. Oktober 1987 VI R 76/84, BFHE 152, 78, BStBl II 1988, 358).

EStG 1980 § 9 Abs. 1 Nr. 5.

Vorinstanz: FG Münster (EFG 1986, 339)

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind seit 1977 verheiratet und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger ist seit Jahren in leitender Stellung bei einer Firma in W angestellt. Bis 1979 wohnten die Kläger in einem eigenen Haus in W. Im Juni 1979 gaben sie diese Wohnung auf und zogen in ein im selben Jahr in M erworbenes Einfamilienhaus um. Nach dem Umzug fuhr der Kläger zunächst arbeitstäglich von M nach W. Nachdem im Jahre 1980 beim ihm eine lymphatische Leukämie festgestellt worden war, stellte er auf Anraten seines Arztes die täglichen Fahrten nach W ein und mietete ab 1. Januar 1981 ein Einraumappartement in W, von dem aus er sich seitdem zu seiner Arbeitsstätte begibt.

Die Kläger machten für das Streitjahr 1981 Mehraufwendungen wegen doppelter Haushaltsführung in Höhe von 7.055 DM geltend, die der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) jedoch nicht als Werbungskosten anerkannte. Das FA vertrat die Ansicht, daß die Einrichtung der doppelten Haushaltsführung letztlich durch die 1979 aus privaten Gründen erfolgte Verlegung des Familienwohnsitzes vom Beschäftigungsort weg notwendig geworden sei.

Zur Begründung ihrer Klage machten die Kläger u.a. geltend, die privat veranlaßte Wohnsitzwegverlegung im Jahre 1979 dürfe in die steuerliche Würdigung nicht mit einbezogen werden, zumal die Erkrankung des Klägers damals nicht vorhersehbar gewesen sei. Die Kläger legten zwei ärztliche Bescheinigungen sowie ein Schreiben des Vorstands des Arbeitgebers vor, in dem bestätigt wird, daß dem Kläger aufgrund seines 1981 diagnostizierten Krankheitsbildes und der daraus zu erwartenden Probleme "zwingend angeraten" worden sei, am Arbeitsplatz in W eine Wohnung zu nehmen "im Interesse der weiteren Ausübung des Berufs".

Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte in den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1986, 339 veröffentlichten Gründen im wesentlichen aus:

Zwar sei eine beruflich veranlaßte doppelte Haushaltsführung nicht immer schon dann anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige am Beschäftigungsort oder in dessen unmittelbarer Umgebung einen und an einem anderen Ort einen weiteren Hausstand unterhalte. So sei nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) der Werbungskostenabzug ausgeschlossen, wenn bei einer privat veranlaßten Wegverlegung des Familienwohnsitzes vom Beschäftigungsort am Beschäftigungsort eine Zweitwohnung eingerichtet oder beibehalten werde. Der Gesetzgeber habe bei Abfassung des Gesetzes Fälle im Auge gehabt, in denen ein zweiter Hausstand wegen der Wegverlegung einer Arbeitsstelle vom Familienwohnort oder wegen der erstmaligen Aufnahme einer nichtselbständigen Tätigkeit in einem vom Familienwohnort entfernten Beschäftigungsort begründet werde (Hinweis auf BTDrucks 8/2501 S. 18). Im letzteren Falle könne die berufliche Veranlassung auch dann zu bejahen sein, wenn der Arbeitnehmer sich seine Zweitwohnung am Beschäftigungsort nicht bereits bei Antritt der auswärtigen Tätigkeit, sondern erst Jahre danach nehme. Das gleiche müsse trotz vorangegangener privat veranlaßter Wegverlegung des Familienwohnsitzes gelten, wenn der Beschäftigungsort nicht mehr derselbe sei oder wenn - bei unverändertem Beschäftigungsort - der Arbeitgeber erstmalig auf einer Wohnsitznahme am Beschäftigungsort bestehe. Aber auch im Streitfall könne letztlich nichts anderes gelten. Entscheidend sei, daß die Krankheit des Klägers als neu hinzutretendes, die Berufsausübung beeinflussendes Ereignis erst nach Wegverlegung des Familienwohnsitzes festgestellt worden sei, mithin vom Kläger nicht habe vorausgesehen werden können. Der Senat nehme dem Kläger ab, daß die 1980 festgestellte Erkrankung so schwer sei, daß ihm ein arbeitstägliches Fahren von M nach W und zurück wegen möglicherweise während der Fahrt auftretender bedrohlicher Zustände nicht mehr zuzumuten gewesen sei. Hinzu komme, daß der Arbeitgeber ausweislich der vorgelegten Bescheinigung auf den Kläger Druck ausgeübt habe und dieser offenbar habe befürchten müssen, seine leitende Stellung zu verlieren, wenn er dem Anraten seines Arbeitgebers nicht nachkomme.

Hiergegen richtet sich die Revision des FA, mit der die Verletzung des § 9 Abs. 1 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gerügt wird. Das FA führt im wesentlichen aus, nach höchstrichterlicher Rechtsprechung liege eine beruflich veranlaßte doppelte Haushaltsführung nicht vor, wenn ein Arbeitnehmer am Beschäftigungsort eine Zweitwohnung einrichte, nachdem er den Familienwohnsitz zuvor aus privaten Gründen vom Beschäftigungsort wegverlegt habe. Von diesem Grundsatz habe das FG im Streitfall zu Unrecht eine Ausnahme gemacht. Denn die Erkrankung des Klägers sei in erster Linie ein in seiner Person liegendes, also privates Ereignis. Die Einrichtung einer Zweitwohnung am Beschäftigungsort aus privaten Gründen könne aber nicht zu Werbungskosten führen.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 EStG liegt eine doppelte Haushaltsführung vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH muß dabei die Begründung der doppelten Haushaltsführung, also die Aufsplitterung des ursprünglich einheitlichen Hausstandes auf zwei Haushalte, beruflich veranlaßt sein. Seine diesbezügliche Rechtsauffassung hat der Senat in den Urteilen vom 2. Dezember 1981 VI R 167/79 (BFHE 135, 37, BStBl II 1982, 297), und vom selben Tage VI R 22/80 (BFHE 135, 182, BStBl II 1982, 323) ausführlich unter Einbeziehung der verfassungsrechtlichen Problematik begründet. Deshalb hat der Senat keine beruflich veranlaßte doppelte Haushaltsführung angenommen, wenn der Steuerpflichtige die Familienwohnung aus privaten Gründen vom Beschäftigungsort wegverlegt hat und weiterhin von der am Beschäftigungsort begründeten oder beibehaltenen Zweitwohnung seiner bisherigen Beschäftigung nachgeht (BFH-Urteil vom 10. November 1978 VI R 21/76, BFHE 126, 511, BStBl II 1979, 219).

Wie der Senat mit Urteil vom 30. Oktober 1987 VI R 76/84 (BFHE 152, 78, BStBl II 1988, 358) entschieden hat, schließen aber die vorstehenden Grundsätze die berufliche Veranlassung der späteren Begründung einer doppelten Haushaltsführung nicht aus. Allerdings muß dann die Errichtung des Zweithaushalts am Beschäftigungsort - für sich betrachtet - beruflich veranlaßt sein und es darf kein enger Zusammenhang mit der vorausgegangenen Wegverlegung des Familienwohnsitzes bestehen. Einen engen Zusammenhang in diesem Sinne hat der Senat im dortigen Streitfall verneint, weil angesichts des Zeitablaufs von mehr als fünf Jahren zwischen der Wegverlegung des Familienhaushalts und der erneuten Wohnungsnahme am Beschäftigungsort nicht mehr von einer nur vorübergehenden Aufgabe einer Wohnung am Beschäftigungsort ausgegangen werden könne.

Wendet man die Grundsätze dieser Entscheidung auf den Streitfall an, so ergibt sich folgendes:

Für sich betrachtet bestehen an der beruflichen Veranlassung der Errichtung eines zweiten Haushalts am Beschäftigungsort keine Zweifel. Denn auch wenn ein Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen nicht täglich hin- und herfahren kann, wie das hier der Fall war, kann dies eine berufliche Veranlassung für die Errichtung eines zweiten Haushalts am Beschäftigungsort darstellen (vgl. Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 7. Aufl. 1988, § 9 Anm. 9 d).

Entgegen der Auffassung des FA steht der Annahme der beruflichen Veranlassung aber auch nicht der Umstand entgegen, daß der Familienwohnsitz zuvor vom Beschäftigungsort wegverlegt worden war; denn ein enger Zusammenhang mit der Wegverlegung bestand nicht. Zwar beträgt der zeitliche Abstand hier nur eineinhalb Jahre. Die Frage, ob dieser Zeitablauf für sich allein ausreichen würde, um eine nur vorübergehende Aufgabe einer Wohnung am Beschäftigungsort auszuschließen, kann offen bleiben. Denn nach den tatsächlichen Feststellungen des FG ist die Erkrankung des Klägers erst nach der Wegverlegung des Familienwohnsitzes festgestellt worden, so daß die Notwendigkeit, eine Wohnung am Beschäftigungsort zu haben, vom Kläger damals noch nicht vorauszusehen war. In derartigen Fällen setzt die Neubegründung einer beruflich veranlaßten doppelten Haushaltsführung keinen größeren zeitlichen Abstand zu der Wegverlegung des Familienwohnsitzes vom Beschäftigungsort voraus.