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BFH-Urteil vom 30.9.1988 (VI R 157/85) BStBl. 1989 II S. 103

1. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG in der ab 1978 geltenden Fassung kann eine aus beruflichem Anlaß begründete doppelte Haushaltsführung durch bloßen Zeitablauf ihre berufliche Veranlassung nicht verlieren.

2. Eine bereits früher begründete doppelte Haushaltsführung ist ab dem Veranlagungszeitraum 1978 nach der neuen Rechtslage zu beurteilen.

EStG § 9 Abs. 1 Nr. 5 in der ab 1978 geltenden Fassung, § 12 Abs. 1, § 52 Abs. 11a (EStG 1979).

Vorinstanz: FG Nürnberg

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist türkischer Staatsangehöriger und seit 1972 in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) als Arbeitnehmer tätig. Seine Ehefrau und seine vier Kinder leben in der Türkei. In seinem Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich für das Streitjahr 1979 machte der Kläger u.a. Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung als Werbungskosten geltend, die der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) auch in der Einspruchsentscheidung nicht anerkannte, weil der Kläger seine maßgebliche finanzielle Beteiligung am Familienhaushalt nicht nachgewiesen habe.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab und führte aus: Mehraufwendungen wegen doppelter Haushaltsführung seien nur dann als Werbungskosten i.S. des § 9 Abs. 1 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) abziehbar, wenn nicht nur die Entstehung, sondern auch die Beibehaltung der doppelten Haushaltsführung beruflich veranlaßt sei (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 2. September 1977 VI R 114/76, BFHE 123, 444, BStBl II 1978, 26). Da der Kläger bis zum Streitjahr bereits etwa acht Jahre habe verstreichen lassen, ohne eine Zusammenlegung der beiden Haushalte herbeizuführen, gehe der Senat davon aus, daß private Gründe die ehemals berufliche Veranlassung der doppelten Haushaltsführung derart überlagerten, daß die Mehraufwendungen als Kosten der allgemeinen Lebensführung i.S. des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG anzusehen und deshalb nicht zu berücksichtigen seien. Dieses Ergebnis werde nicht durch die erstmals ab 1978 und damit auch für das Streitjahr anzuwendende geänderte Fassung des § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG beeinflußt. Denn die Neufassung bringe hinsichtlich des Streitfalles keine Änderung der bisherigen Rechtslage. Es bleibe dabei, daß privat veranlaßte Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung auch dann nicht abziehbar seien, wenn die Begründung der doppelten Haushaltsführung beruflich veranlaßt gewesen sei. Die privaten Gründe bestünden hier darin, daß der Kläger den Wohnsitz seiner Familienangehörigen nicht an seinen Beschäftigungsort verlegt habe.

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung. Hiernach sei die Dauer der doppelten Haushaltsführung unbedeutend, es komme nur auf die Umstände der ursprünglichen Entstehung an. Die Auffassung des FG sei vom Gesetz nicht gedeckt.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

Gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung sind Werbungskosten notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlaß begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen, und zwar unabhängig davon, aus welchen Gründen die doppelte Haushaltsführung beibehalten wird.

Im Streitfall ist das FG stillschweigend davon ausgegangen, daß die Begründung der doppelten Haushaltsführung des Klägers im Jahre 1972 beruflich veranlaßt war. Diese Annahme ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, da der Kläger als türkischer Gastarbeiter in der Bundesrepublik eine Beschäftigung aufnahm, während seine Familie in der Türkei zurückblieb.

Zu Unrecht hat das FG jedoch angenommen, daß allein wegen des Zeitablaufs von etwa acht Jahren seit der beruflich veranlaßten Begründung der doppelten Haushaltsführung die durch die Haushaltsführung am Beschäftigungsort entstandenen Mehraufwendungen gemäß § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG vom Abzug ausgeschlossen seien. Der Senat braucht im Streitfall nicht die grundsätzliche Frage zu entscheiden, ob die Beibehaltung der doppelten Haushaltsführung überhaupt noch beruflich veranlaßt sein muß. Denn nach der Neufassung des § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG (Art. 2 Nrn. 2 und 4 b des Gesetzes zur Änderung des Entwicklungsländer-Steuergesetzes und des Einkommensteuergesetzes vom 21. Mai 1979, BStBl I 1979, 288), die nach § 52 Abs. 11 a EStG 1979 erstmals für den Veranlagungszeitraum 1978 anzuwenden ist, hat der Gesetzgeber jedenfalls klargestellt, daß eine aus beruflichem Anlaß begründete doppelte Haushaltsführung durch bloßen Zeitablauf ihre berufliche Veranlassung nicht verlieren kann. Auf die Zumutbarkeit eines Umzugs kommt es also - entgegen der Auffassung des FG - nicht mehr an. Dies ergibt sich aus dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes; hierüber besteht, soweit ersichtlich, in der Literatur auch kein Streit.

Im vorliegenden Streitfall ergibt sich auch nicht deshalb ein anderes Ergebnis, weil die doppelte Haushaltsführung des Klägers bereits im Jahre 1972, also noch vor Inkrafttreten der Neufassung des § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG, begründet worden war. Denn gemäß dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung hat der Senat die Voraussetzung des Werbungskostenabzugs bei Aufwendungen wegen doppelter Haushaltsführung nach der für das Streitjahr geltenden Gesetzeslage zu beurteilen. Durch diese aber ist der entgegenstehenden Rechtsprechung des BFH, die nach Ablauf von zwei Jahren grundsätzlich nicht mehr von der beruflichen Veranlassung einer doppelten Haushaltsführung ausging, ab dem Veranlagungszeitraum 1978 der Boden entzogen worden.

Die Vorentscheidung, die der Rechtsauffassung des Senats nicht entspricht, ist aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif, so daß sie gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an das FG zurückzuverweisen ist. Dieses wird nunmehr zu prüfen haben, ob sich der Kläger finanziell am Haushalt in der Türkei beteiligt hat und ggf. wie hoch die durch die doppelte Haushaltsführung entstandenen Mehraufwendungen waren.