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BFH-Urteil vom 9.11.1988 (II R 61/87) BStBl. 1989 II S. 135

1. "Mitbenutzung" eines Grundstücks i.S. des § 75 Abs. 5 Satz 4 BewG kann nur vorliegen, wenn die Nutzung zu anderen als Wohnzwecken nicht den Umfang der Nutzung zu Wohnzwecken erreicht bzw. übersteigt. Überwiegt die Nutzung zu öffentlichen oder gewerblichen Zwecken, greift die Fiktion des § 75 Abs. 5 Satz 4 BewG nicht ein.

2. Ein im Wohnbereich belegenes (zusätzliches) häusliches Arbeitszimmer eines zu freiberuflichen Zwecken mitbenutzten Einfamilienhauses stellt bewertungsrechtlich lediglich einen Raum dar, dem innerhalb der Nutzung zu Wohnzwecken eine dieser Nutzung nicht widersprechende Funktion zugewiesen ist.

 BewG § 75 Abs. 1, 2, 4 und 5.

Vorinstanz: FG Nürnberg

Sachverhalt

Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks A-Straße in B. Das Grundstück hat eine Fläche von 754 qm.

In den Jahren 1980 und 1981 haben sie auf diesem Grundstück ein zweigeschossiges Wohnhaus mit Arztpraxis und - von der Straßenseite aus gesehen links - einen eingeschossigen Garagenanbau errichtet. Wohnhaus und Garagenanbau sind mit einem Satteldach eingedeckt. Das Dach der Garage wird, eingeschnitten durch das Wohnhaus, unterhalb des ersten Obergeschoßes des Wohnhauses fortgesetzt; es bildet so für den Eingang zum Wohnbereich ein großzügig gestaltetes Vordach. Wohnbereich und Arztpraxis haben getrennte Eingänge von außen. Die Eingangstür zur Praxis befindet sich etwa 4 m rechts neben dem Eingang zum Wohnbereich. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) anhand eines Fotos des Gebäudes haben die Fenster und die Eingangstüren eine für den Baukörper übliche Größe; sie sind in Reihe angeordnet. An der Außenwand ist ein Praxisschild üblicher Größe angebracht.

Zwischen dem Gebäude und der Straße befindet sich ein Vorplatz von ca. 7 m Tiefe. Er dient als Garagenauffahrt, Zugang zum Wohnbereich und zur Praxis und als Stellfläche für PKW (Markierung durch Pflastersteine für drei Plätze). Zwischen Garagenauffahrt und Zugang zum Wohnbereich sowie zwischen diesem Zugang und dem Eingangsbereich zur Praxis sind Grünstreifen mit Bepflanzung angelegt. Der rechts neben dem Gebäude liegende Grundstücksstreifen ist ebenfalls bepflanzt.

Der Hauseingang neben der Garage unter dem Dachvorbau führt über ein Treppenhaus in die Wohnung im Obergeschoß. Durch eine Verbindungstür ist vom Treppenhaus aus die Praxis erreichbar. Die Räume der Arztpraxis befinden sich im Erdgeschoß und im Kellergeschoß (Registratur). Nach dem Bescheid des Landratsamtes über die Anerkennung von Wohnungen als steuerbegünstigt nach den §§ 82 und 83 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes (II. WoBauG) entfallen auf die Wohnräume im Ober- und Dachgeschoß 158,27 qm. Der Arztpraxis räumlich zugeordnet sind Räume mit insgesamt 152,25 qm, wovon auf den Kelleranteil für die Registratur 21,93 qm entfallen.

Aufgrund der Angaben der Kläger zur Feststellung des Einheitswerts auf den 1. Januar 1982 (Wohnfläche wie oben, Praxis 130 qm) hat das Finanzamt (FA) auf diesen Stichtag eine Art- und Wertfortschreibung vorgenommen. Es hat den Einheitswert auf 109.400 DM und die Grundstücksart Einfamilienhaus bestandskräftig festgestellt.

Den Antrag der Kläger auf Änderung des Einheitswertbescheids zum 1. Januar 1983 in bezug auf die Artfeststellung - nunmehr gemischtgenutztes Grundstück - hat das FA abgelehnt. Der Einspruch blieb erfolglos.

Mit der Klage begehrten die Kläger, das FA unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids und der Einspruchsentscheidung zu der begehrten Artfortschreibung zu verpflichten. Zur Begründung ihrer Klage haben sie vorgetragen, neben den zu freiberuflichen Zwecken dienenden Räumen im Ausmaß von 152,25 qm werde auch ein im Wohnbereich gelegenes Arbeitszimmer mit 14,35 qm fast ausschließlich vom Kläger und nur in geringem Umfang von der Klägerin, die als Lehrerin tätig sei, genutzt.

Das FG hat die Klage abgewiesen. Durch die Mitbenutzung zu anderen als Wohnzwecken - insbesondere den Patientenverkehr - werde keine wesentliche Beeinträchtigung des Wohnhauscharakters herbeigeführt. Selbst wenn unter Einbeziehung des Arbeitszimmers die der Arztpraxis zuzuordnenden Räume eine etwas größere Fläche aufweisen sollten als die Wohnräume, könne allein aufgrund der Flächenverhältnisse nicht von einer wesentlichen Beeinträchtigung des Wohncharakters des Gebäudes gesprochen werden. Die zum 1. Januar 1982 getroffene Artfeststellung als Einfamilienhaus erweise sich deshalb nicht als fehlerhaft.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihr Klagebegehren weiter. Sie führen zur Begründung der Revision aus, das FG habe verkannt, daß bei Einbeziehung des Arbeitszimmers in den freiberuflich genutzten Teil die diesbezügliche Nutzung überwiege und demgemäß ein gemischtgenutztes Grundstück vorliege.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Kläger ist unbegründet.

1. Unbegründet ist die Verfahrensrüge der Versagung rechtlichen Gehörs durch Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, denn entgegen der Annahme der Revision hat das FA sich - ebenso wie die Kläger - mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

2. Die Entscheidung des FG, daß die zum 1. Januar 1982 vorgenommene Artfeststellung nicht fehlerhaft und infolgedessen die Ablehnung der begehrten fehlerbeseitigenden Artfortschreibung nicht rechtswidrig sei, läßt im Ergebnis keinen Rechtsfehler erkennen.

a) Wohngrundstücke (§ 75 Abs. 1 Nr. 1, 3 bis 5, Abs. 2, 4 bis 6 des Bewertungsgesetzes - BewG -) sind dadurch gekennzeichnet, daß sie - wenn auch in unterschiedlichem Umfang - Wohnzwecken dienen. Die Art der Wohngrundstücke wird ausgehend von der Anzahl der Wohnungen bestimmt: Wohngrundstücke mit nur einer Wohnung sind Einfamilienhäuser (§ 75 Abs. 5 Satz 1 BewG), Wohngrundstücke mit nur zwei Wohnungen sind Zweifamilienhäuser (§ 75 Abs. 6 Satz 1 BewG). Erst wenn ein Wohngrundstück weder ein Einfamilien- noch ein Zweifamilienhaus ist, stellt sich kraft des entsprechenden Vorbehalts in §75 Abs. 2 bzw. 4 BewG die Frage, ob es ein Mietwohngrundstück oder ein gemischtgenutztes Grundstück ist (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 12. November 1986 II R 48/85 , BFHE 148, 76, BStBl II 1987, 104, mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung).

Wird ein Wohngrundstück, das nur eine Wohnung enthält, zu öffentlichen, gewerblichen oder freiberuflichen (vgl. § 96 BewG) Zwecken mitbenutzt, so gilt es (auch dann) als Einfamilienhaus, wenn durch diese Mitbenutzung die Eigenart als Einfamilienhaus nicht wesentlich beeinträchtigt wird (§ 75 Abs. 5 Satz 4 BewG). Das Gesetz bietet damit zwei Abgrenzungskriterien, nämlich einmal den Begriff der "Mitbenutzung" und zum anderen die dadurch verursachte wesentliche Beeinträchtigung der Eigenart des (Wohn-)Grundstücks als Einfamilienhaus.

aa) "Mitbenutzung" i.S. des § 75 Abs. 5 Satz 4 BewG kann nur dann vorliegen, wenn die Nutzung zu anderen als Wohnzwecken nicht den Umfang der Nutzung zu Wohnzwecken erreicht bzw. übersteigt (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH- vom 23. September 1977 III R 18/77 , BFHE 124, 73, BStBl II 1978, 188; vom 6. Juli 1979 III R 77/77 , BFHE 128, 397, BStBl II 1979, 726, und vom 9. Oktober 1985 II R 249/81 , BFHE 145, 232, BStBl II 1986, 172). Überwiegt die Nutzung zu öffentlichen, gewerblichen oder freiberuflichen Zwecken, so kommt es nicht mehr darauf an, ob die Eigenart als Einfamilienhaus wesentlich beeinträchtigt wird, weil keine "Mit"-benutzung gegeben ist. Der Begriff der Mitbenutzung beschränkt sich dagegen nicht auf eine Nutzung von nur untergeordneter Bedeutung; denn das Gesetz enthält für die Grundstücksart gemischtgenutztes Grundstück nicht nur den Vorrang des Mietwohngrundstückes mit einer zulässigen Nutzung zu Wohnzwecken von weniger als 20 v.H., sondern auch den Vorrang der Einfamilien- und Zweifamilienhäuser ohne quotale Begrenzung der Nutzung zu anderen als Wohnzwecken (§ 75 Abs. 4 BewG). Daraus ergibt sich, daß die Mitbenutzung zu anderen als Wohnzwecken nicht auf 20 v.H. der Gesamtnutzung beschränkt werden kann. Unerheblich für den Begriff der Mitbenutzung ist, daß die nicht zu Wohnzwecken genutzten Räume baulich von der Wohnung getrennt sind und innerhalb eines äußerlich einheitlich erscheinenden Gebäudes eine gewisse Selbständigkeit aufweisen (vgl. Senatsurteile in BFHE 145, 232, BStBl II 1986, 172, und vom 5. Februar 1986 II R 31/85 , BFHE 146, 167, BStBl II 1986, 448).

bb) Ein Grundstück, das derart zu anderen als Wohnzwecken mitbenutzt wird, gilt nur dann nicht als Einfamilienhaus, wenn dadurch die Eigenart als Einfamilienhaus wesentlich beeinträchtigt wird. Diese Frage ist in erster Linie nach dem äußeren Erscheinungsbild des Grundstücks unter Berücksichtigung von bewertungsrechtlichen Einfamilienhäusern zu beantworten, die nicht zu öffentlichen, gewerblichen oder freiberuflichen Zwecken mitbenutzt werden. Da der Begriff des Einfamilienhauses im bewertungsrechtlichen Sinne nicht ein von der Verkehrsanschauung bestimmter Begriff, sondern ein durch die Umschreibung in § 75 Abs. 5 BewG gekennzeichneter Rechtsbegriff ist (vgl. Senatsurteil in BFHE 146, 167, BStBl II 1986, 448), kann nicht von einer etwa bestehenden allgemeinen Vorstellung vom Erscheinungsbild eines Einfamilienhauses ausgegangen werden. Daraus folgt, daß die Mitbenutzung des (Wohn-)Grundstücks zu anderen als Wohnzwecken, die dem Begriff des Einfamilienhauses entgegensteht, nach außen in der Weise hervortreten muß, daß sie die Eigenart des Grundstücks deutlich prägt, also in den Vordergrund tritt (vgl. auch Senatsurteile vom 23. Oktober 1985 II R 250/81 , BFHE 145, 92, BStBl II 1986, 173, und in BFHE 148, 76, BStBl II 1987, 104).

b) Im vorliegenden Fall enthält das Grundstück der Kläger nur eine einzige Wohnung; es wird nicht überwiegend zu anderen als Wohnzwecken genutzt. Denn entgegen der Auffassung der Kläger ist das in dem von der Arztpraxis abgegrenzten Wohnbereich belegene "Arbeitszimmer" räumlich der Nutzung zu Wohnzwecken zuzuordnen. Ungeachtet der ertragsteuerrechtlichen Qualifikation kann das häusliche Arbeitszimmer eines Freiberuflers (vgl. dazu § 96 BewG) nur dann bewertungsrechtlich von den Wohnzwecken dienenden Räumen getrennt gesehen werden, wenn es aus dem Wohnteil derart ausgegliedert ist, daß zwischen dem Arbeitszimmer und der der freiberuflichen Tätigkeit zugewiesenen Raumeinheit eine unmittelbare bautechnische Verbindung besteht. Eine derartige unmittelbare bautechnische Verbindung mit den der Arztpraxis zugewiesenen Räumen besteht im vorliegenden Fall nicht. Deshalb handelt es sich bei dem "Arbeitszimmer" bewertungsrechtlich lediglich um einen Raum, dem innerhalb des Wohnteils eine der wohnlichen Nutzung nicht widersprechende Funktion zugewiesen ist.

Da unter Einbeziehung des "Arbeitszimmers" der räumliche Anteil der Nutzung zu Wohnzwecken überwiegt, kommt es für die Entscheidung nicht mehr darauf an, welche Fläche der Nebenräume außerhalb der Wohnung dem Wohnbereich zuzuordnen ist. Denn für die Bestimmung des Verhältnisses der Nutzung zu Wohnzwecken und der Mitbenutzung zu anderen Zwecken sind auch Räume von Bedeutung, die, wie Zubehörräume (z.B. Kellerräume), nach der Zweiten Berechnungsverordnung nicht in der Wohnflächenberechnung enthalten sind, wenn auch die Mitbenutzung zu anderen als Wohnzwecken sich, wie im Streitfall (Registratur im Keller), auf derartige Räume erstreckt.

Soweit das FG unter Schilderung des äußeren Erscheinungsbildes des Wohngrundstücks der Kläger ausgeführt hat, daß die Mitbenutzung des Grundstücks zu freiberuflichen Zwecken nicht in den Vordergrund tritt, also nicht die Eigenart des Grundstücks prägt, läßt seine Entscheidung keinen Rechtsfehler erkennen. Einen für das gesamte Bewertungsgebiet bestehenden Erfahrungssatz dahingehend, daß ein nicht als Vorgarten angelegter Grundstücksstreifen zwischen Straße und Hausfront stets auf eine die Eigenart des Grundstücks bestimmende gewerbliche (freiberufliche) oder öffentliche Nutzung schließen lasse, besteht ebensowenig wie ein entsprechender Erfahrungssatz bei Vorhandensein von zwei Eingangstüren (vgl. auch zur baulichen Gestaltung Senatsurteil vom 5. Februar 1986 II R 245/82 , BFHE 146, 170, BStBl II 1986, 446).

Unbegründet sind in diesem Zusammenhang nicht nur die Angriffe der Revision auf die "Beweiswürdigung" durch das FG, sondern auch die Verfahrensrügen. Denn alle diese Angriffe sind von der Überlegung getragen, daß die Entscheidung anhand der Verkehrsauffassung entsprechend einem - möglicherweise sogar örtlich geprägten - Erscheinungsbild eines "typischen" Einfamilienhauses zu treffen sei; sie verkennen, daß das Gesetz eine wesentliche Beeinträchtigung der Eigenart als Einfamilienhaus fordert. Im übrigen sieht der Senat insoweit von einer Begründung ab (Art. 1 Nr. 8 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs).