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BFH-Urteil vom 11.10.1988 (VII K 5/88) BStBl. 1989 II S. 149

Beruht eine verbindliche Zolltarifauskunft auf unrichtigen Angaben des Antragstellers und wird sie deshalb aufgehoben, so darf dies nicht mit Wirkung für die Vergangenheit geschehen. Mit der Aufhebung einer solchen Auskunft entfällt deren Bindungswirkung vielmehr nur für die Zukunft.

FGO § 102; AO 1977 § 130 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 1; ZG § 23 Abs. 2; AZO § 31.

Sachverhalt

I.

Die beklagte Oberfinanzdirektion (OFD) erteilte der Klägerin auf deren Antrag eine verbindliche Zolltarifauskunft (vZTA) über "Orangenlimonade" mit einem Gehalt an Trockenstoff von 41,9 GHT und einem Gehalt an Saccharose von 41,7 GHT. Das Erzeugnis, das nach einer von der Klägerin im Antragsverfahren gemachten Angabe unmittelbar als Getränk eingesetzt werden sollte, wurde in der vZTA, durch die zwei Zollstellen gebunden wurden, als nichtalkoholisches Getränk, ohne Milch und Milchfett, mit Saccharose, der Tarifst. 22.02 A des Gemeinsamen Zolltarifs zugewiesen. Diese vZTA hob die OFD mit Verwaltungsakt vom 21. November 1986 auf, nachdem sie aufgrund einer Überprüfung zu der Auffassung gelangt war, daß die Ware wegen ihres hohen Zuckergehalts nicht als unmittelbar genußfertiges Getränk angesehen werden könne. Bereits in dieser auf § 23 des Zollgesetzes (ZG) i.V.m. § 31 der Allgemeinen Zollordnung (AZO) gestützten Verfügung wurde der Klägerin mitgeteilt, es werde noch geprüft, ob die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Vertrauensschutzes gegeben seien; dabei könne sich ergeben, daß die vZTA rückwirkend außer Kraft gesetzt werde (§ 130 Abs. 2 der Abgabenordnung - AO 1977 -).

Mit Verfügung vom 23. November 1987 änderte die OFD die - bestandskräftig gewordene - Aufhebungsverfügung dahin, daß die vZTA gemäß § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO 1977 rückwirkend vom Zeitpunkt der Erteilung an aufgehoben werde. Zur Begründung wurde angeführt, die Angaben zur Verwendung seien wesentlicher Bestandteil des Antrags auf Erteilung einer vZTA über Getränke (zum menschlichen Genuß bestimmte Flüssigkeiten). Eine im Januar 1987 vorgenommene Prüfung habe ergeben, daß die Ware von der Klägerin nicht als Getränk gehandelt, sondern an Getränkehersteller und an eine Zuckervertriebsgesellschaft geliefert worden sei. Der tatsächliche Verwendungszweck (Herstellung von Getränken und Verarbeitung in einer Raffinerie) stimme nicht mit der Antragsangabe überein, durch die die Zuweisung der Ware zu Tarifnr. 22.02 erwirkt worden sei. Der gegen die Verfügung vom 23. November 1987 gerichtete Einspruch blieb erfolglos.

Mit der Klage wird vorgetragen, die rückwirkende Aufhebung der vZTA sei zu Unrecht auf § 130 AO 1977 gestützt, maßgebend seien vielmehr die zollrechtlichen Sondervorschriften (§ 23 ZG i.V.m. § 31 AZO), die eine rückwirkende Aufhebung nicht vorsähen. Eine solche sei auch nicht notwendig, da eine eingeführte Ware nicht von der vZTA gedeckt sei, wenn sie dem darin tarifierten Erzeugnis nicht entspreche. Unabhängig davon sei der Tatbestand von § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO 1977 nicht erfüllt. Die wesentlichen Angaben über die Beschaffenheit der Ware seien vollständig und richtig gemacht worden. Die Angabe über die Verwendung dieser Ware sei für die Tarifierung nicht maßgebend. Selbst diese Angabe sei jedoch richtig, denn der Importeur könne hinsichtlich des Verwendungszwecks nur angeben, als was er die Ware verkaufe, indessen nichts darüber aussagen, was die Käufer endgültig mit ihr machen würden. Verkauft worden sei die Ware in allen Fällen als Orangenlimonade.

Entscheidungsgründe

II.

1. Die Klage ist zulässig.

Sie ist nach erfolgloser Durchführung des - richtigen - Vorverfahrens über den außergerichtlichen Rechtsbehelf erhoben worden (§ 44 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Dieses war das Einspruchsverfahren; denn der Einspruch ist auch gegeben, wenn eine vZTA aufgehoben oder geändert wird (§ 348 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 5 AO 1977). Die hier streitige verschärfende Änderung der ursprünglichen Aufhebungsverfügung enthält ihrerseits eine - weiterreichende - Aufhebung im Sinne einer Rücknahme gemäß § 130 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 1 AO 1977 (vgl. Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung/ Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl. 1987, § 348 AO 1977 Bem. 2m). Die Einführung des neuen Zolltarifsystems zum 1. Januar 1988 steht der Zulässigkeit der Anfechtungsklage nicht entgegen. Ihr Gegenstand ist nicht die vZTA, die mit der Rechtsänderung außer Kraft getreten wäre (§ 23 Abs. 3 ZG), wenn sie am 31. Dezember 1987 noch Bestand gehabt hätte, sondern ihre rückwirkende Aufhebung. Dieser Verwaltungsakt wird durch die Rechtsänderung nicht berührt. Gegen ihn ist die Klage an den Bundesfinanzhof nach § 37 Nr. 2 FGO gegeben (Senat, Urteil vom 27. Januar 1976 VII K 5/74, BFHE 118, 391).

2. Die Klage ist auch begründet. Die OFD war bei Beachtung der ihrem Ermessen gesetzten Grenzen gehindert, die vZTA mit Wirkung für die Vergangenheit deshalb zurückzunehmen - hier durch entsprechende Änderung der ursprünglichen Aufhebungsverfügung -, weil die Klägerin den begünstigenden Verwaltungsakt (vZTA) durch Angaben erwirkt habe, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gewesen seien. Die Überschreitung der gesetzlichen Grenzen des Ermessens stellt sich als Ermessensfehler dar (vgl. § 102 FGO).

a) Nicht gefolgt werden kann der Klägerin freilich darin, daß eine rückwirkende Aufhebung der vZTA schon deshalb nicht habe erfolgen dürfen, weil - ausgehend vom Rechtsstandpunkt der OFD (Verwendung der "Orangenlimonade" als Getränk als Tarifierungsmerkmal) - die Bindungswirkung der vZTA (§ 23 Abs. 2 Satz 1 ZG) nicht eintrete. Diese Wirkung besteht für die "tariflich gleiche Ware", nämlich für Erzeugnisse der in der Auskunft im einzelnen beschriebenen Art und Beschaffenheit (Senat, Urteil vom 31. Januar 1978 VII R 12/77, BFHE 124, 401, 406). Zu dieser rechnet hier zwar die aufgrund objektiver Gesichtspunkte bestimmte Trinkbarkeit (vgl. Senat, Urteil vom 22. Januar 1985 VII K 12/84, BFHE 143, 183, 186), nicht aber die konkrete Verwendung als Getränk, die von einer gebundenen Zollstelle auch kaum überprüft werden könnte.

b) Dem Ermessen der Verwaltung sind indessen durch § 23 Abs. 2 Satz 2 ZG dann Grenzen gesetzt, wenn die Rücknahme - wie hier - damit begründet wird, daß der begünstigende Verwaltungsakt durch unrichtige Angaben erwirkt worden sei.

Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 22. August 1978 VII K 2/78, BFHE 125, 477, 480) kann eine vZTA im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens aufgrund von § 23 ZG, § 31 AZO geändert oder aufgehoben werden; die darin getroffene Sonderregelung geht den Vorschriften des allgemeinen Abgabenrechts über die Rücknahme und den Widerruf von Verwaltungsakten vor (ebenso Lux in Bail/Schädel/Hutter, Zollrecht, B/23, Rz. 34; vgl. auch Schick in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., Vor § 204 AO 1977 Anm. 83). Im Schrifttum wird demgegenüber die Auffassung vertreten, daß die Rücknahme- (und Widerrufs-)Voraussetzungen allein den allgemeinen Vorschriften der §§ 130, 131 AO 1977 zu entnehmen seien (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., Vor § 204 AO 1977 Tz. 22; vgl. auch Müller, Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern - ZfZ - 1977, 162, 164). Diesen Rechtsstandpunkt hat auch die OFD eingenommen, die die angefochtene Entscheidung - anders als die ursprüngliche Aufhebungsverfügung - allein auf § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO 1977 gestützt hat, unbeschadet ihrer Einlassung im Klageverfahren, eine rückwirkende Aufhebung komme auch aufgrund der Zollvorschriften in Betracht. Im Streitfalle kann es auf sich beruhen, ob die Heranziehung dieser Vorschrift - § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO 1977 - gerechtfertigt war. Denn für den hier vorliegenden Fall einer Aufhebung der vZTA aus den in § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO 1977 bezeichneten Gründen - Erwirken der vZTA durch Angaben, die in wesentlicher Beziehung unrichtig waren - ergibt sich aus § 23 Abs. 2 Satz 2 ZG, daß der Maßnahme keine rückwirkende Kraft beigelegt werden darf.

Nach dieser Spezialvorschrift, die insoweit auch späterem allgemeinen Recht vorgeht (Senat in BFHE 125, 477, 480), dauert die aus § 23 Abs. 2 Satz 1 ZG sich ergebende Bindungswirkung nach Änderung oder Aufhebung der Auskunft weitere drei Monate hinsichtlich der Waren an, für die der Antragsteller die Verträge über ihren Bezug nachweislich gutgläubig geschlossen hat; diese Wirkung tritt nicht ein, wenn die Auskunft auf unrichtigen Angaben des Antragstellers beruht. Ausgeschlossen ist die Bindungswirkung nicht schon, wenn solche unrichtigen Angaben vorliegen, sondern erst nach erfolgter Änderung oder Aufhebung der Auskunft (Senat in BFHE 124, 401, 404). Wird die Auskunft aufgehoben - gleich, ob auf Grundlage des Zollrechts (§ 31 AZO) oder des allgemeinen Abgabenrechts - und beruhte sie auf unrichtigen Angaben des Antragstellers, so bestimmen sich die Rechtsfolgen nach der abschließenden Regelung in § 23 Abs. 2 Satz 2 ZG: bis zur Aufhebung besteht die Bindungswirkung, mit der Aufhebung entfällt sie; für eine ex-tunc-Wirkung ist kein Raum. Dasselbe gilt, wenn die Aufhebung wegen unrichtiger Angaben erfolgt, die für die Erteilung der Auskunft ursächlich waren (vgl. Schick, a.a.O., Anm. 87), mithin aus dem Rücknahmegrund nach § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO 1977. Auch hier treten lediglich die in § 23 Abs. 2 Satz 2 ZG vorgesehenen Rechtsfolgen ein. Der Wegfall der Bindungswirkung ex nunc braucht nicht durch besonderen Verwaltungsakt ausgesprochen zu werden. Eine verschärfende Regelung ex tunc, wie sie in der angefochtenen Verfügung getroffen worden ist, ist nach dem Gesetz ausgeschlossen. Sie könnte nur in Betracht kommen, wenn der Ausschluß der Bindungswirkung auf jeden Fall angezeigt ist, § 23 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbsatz ZG jedoch nicht eingreift, d.h. im Falle der Erwirkung des begünstigenden Verwaltungsakts durch unlautere Mittel, § 130 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 (vgl. Lux, a.a.O., Rz. 13; siehe auch Dänzer-Vanotti, ZfZ 1978, 178). Über einen solchen Fall hat der Senat jedoch nicht zu entscheiden.